Diese, hmm, "Schiffskataloge", sind bei Verne wie bei May ja ein integraler Bestandteil des Originals. Vernes "Voyages extraordinaires", die hier das Vorbild abgeben, waren von dessen Verleger Hetzel als so etwas wie ein PISA-Ausgleichsprogramm geplant, nachdem festgestellt worden war (von irgendwelchen Behörden), daß trotz obligater Schulpflicht bis zum 14. Lebensjahr seit Gültigkeit des code napoleon bei einem Großteil der Schülerschaft schlicht nichts an Weltwissen: Geographie, Chemie, Physik pp. hängengeblieben war, "was für die Zukunft einer Weltmacht ein Desaster ist". Deswegen decken die Reisen der Verne'schen Helden den gesamten Globus ab (Mond und Sonnensystem auch) und sind mit ellenlangen Vorträgen über jede Gesteinsader samt praktischer Demonstration (wie baue ich eine technologische Zivilisation aus einer Taschenuhr und zwei Konservendosen? Oder einen Iglu?) gespickt. Bei May merkt man dieses Programm besonders den express als Jugendbuch geschriebenen Bänden an - Ölprinz, Am Rio de la Plata, usf. - wo der Leser erst einmal 20 Seiten aus Petermanns Geographischen Mitteilungen oder Speke oder Burton serviert bekommt (ein Rezensent vermerkte bei einem der "Durch-die-Wüste"-Bände ironisch, daß der große Forschungsreisende Herr May seine Expeditionen neuerdings auch auf die Werke von Henry Austin Layard ausgedent habe). May und Verne waren natürlich nicht als Schullektüre gedacht, sondern als pädgogische Kassiber; als direkte Schullektüre, vom entsprechenden Ministerium in puncto Heimatkunde in Auftrag gegeben, gab es "G. Bruno"s Le Tour de France par deux enfants (http://fr.wikipedia.org/wiki/Le_Tour_de_...ar_deux_enfants) - das schwedische Pendant war etwas später der Nils Holgerson. Diese Facette geht notwendigerweise in allen noch erträglichen Bearbeitungen verloren. Zwei Fußnoten: a - die Furie des Verschwindens bzw. die Patina erwischt nur die Lektüre "für die reifere Jugend": Klassische Kinderliteratur, von Lewis Carroll, über L. Frank Baums Oz-Bücher, Die Schatzinsel, The Wind in the Willows bis hin zu Otfrid Preussler, dem frühen Michael Ende (nur dem frühen!) und Tove Janssons Mumintal, bleiben da ohne Makel (Alison Lurie hat gerade diesem Segment in ihrem Buch Don't Tell the Grownups! ein ganz subversives Potential zugeschrieben): es dürfte interessant sein, ob Harry Potter diesen Zeittest übersteht (für die vorige Generation, zumindest in den USA, waren das wohl die Jugend-SF-Romane von Robert A. Heinlein, die mittlerweile nicht mehr ankommen dürften, aber mal "jeden Leser" geprägt haben). b - in Sachen "100 Jahre" gilt das Jubiläum auch für das Werk von Edgar Rice Burroughs, der ja konsequent auf Wirklichkeit, Wahrscheinlichkeit und Pädagogik verzichtete und durch Hals-über-Kopf-Delir und Sinnenrausch ersetzte, und der auch nur noch eine Fußnote darstellen dürfte. Es dürfte nicht nur an der nervigen Machart liegen, daß die Umsetzung der "Mars"/"Barsoom"-Romane durch Disney mittlerweile als das größte finanzielle Debakel gilt, das die Filmbranche je angerichtet hat. Es wird befürchtet, daß "John Carter" fürs Studio insgesamt einen Verlust von über 200 Millionen Dollar einfahren wird.
EDIT 19:36 - Le Tour. (und das vor der ganzen Klasse...)
Zitat von Ulrich ElkmannDiese, hmm, "Schiffskataloge", ... erträglichen Bearbeitungen verloren.
Vielen Dank für diesen wirklich sehr interessanten Hintergrund!
Zitat a - die Furie des Verschwindens bzw. die Patina erwischt nur die Lektüre "für die reifere Jugend"
Eine Vermutung: Das liegt schlicht daran, daß sich Kinder in diesem Alter die Lektüre fast komplett selber aussuchen. Da sind die Empfehlungen des Freundeskreises viel wichtiger als die der Eltern. Bei den Jüngeren dagegen wird das (vor-)gelesen, was schon Mama und Oma selber gelesen haben.
Zitat Es dürfte nicht nur an der nervigen Machart liegen, daß die Umsetzung der "Mars"/"Barsoom"-Romane durch Disney mittlerweile als das größte finanzielle Debakel gilt, das die Filmbranche je angerichtet hat.
Könnte auch daran liegen, daß die Verfilmung in einem ganz wichtigem Punkt überhaupt nicht werkgetreu ist: Im Buch laufen ja ALLE Menschen auf dem Mars (insbesondere die vielen wunderhübschen und genau beschriebenen Heldinnen) splitternackt herum.
Zitat von R.A.Und was nun den Erfolg betrifft: Die erste "Nesthäkchen"-Überarbeitung scheint ja durchaus erfolgreich gewesen zu sein. Erst die zweite ist gescheitert. Und die von Zettel erwähnten Überarbeitungen von "Lederstrumpf" oder "Gulliver" waren ja wohl auch erfolgreich. Aber natürlich hilft die Bearbeitung nichts mehr, wenn der Inhalt nicht mehr interessant genug ist.
Ich denke, dass die Beliebtheit von beispielsweise Enid Blyton (die Serie "Der xxx der Abenteuer" und auch "Fünf Freunde und ..." habe ich damals unglaublich gern gelesen) früher und deren Verschwinden heute damit zu tun hat, dass die Geschichten in einer relativen Gegenwart spielen. Für den Leser der 1980er Jahre war die Erzählwelt noch leidlich als relative Gegenwart mit einem Hauch von "gute alte Zeit" akzeptabel: Es kommen Autos und Motorboote und elektrisches Licht und Taschenlampen vor - zwar alles etwas altertümlich, aber insgesamt hat sich an diesem technischen Equipment bis in die 1980er Jahre nichts Grundsätzliches geändert. In den letzten 20 Jahren aber hat sich derartig viel geändert - Internet, Smartphone, ... - dass die Geschichten jetzt unglaublich veraltet sind. Jetzt ist es keine relative Gegenwart mehr, sondern rückständig und veraltet, aber eben auch noch keine spannende historische Epoche mit Rittern oder Römern oder Piraten.
Zitat von R.A.Die entsprechenden Kostüme erscheinen immer noch zuverlässig jedes Jahr in den Katalogen - in die Top Ten scheinen die Cowboys und Indianer noch zu gehören. Aber es ist wohl richtig, die Popularität ist dramatisch zurückgegangen.
Von unseren 1000 SChülern kommen an Karneval die allermeisten - sagen wir, rund 90 % - kostümiert. In diesem Jahr habe ich bewusst darauf geachtet, und da ist mir weder Cowboy noch Indianer bewusst aufgefallen. Es mag sie gegeben haben in den letzten Jahren, aber doch nur sehr selten.
Zitat von R.A.Nach meinen Erfahrungen werden auch der Michel aus Lönneberga, Pippi Langstrumpf und Bulllerbü noch gelesen - aber eher von den Jüngeren. Den kleinen Gymnasiasten mag das zu kindisch für eine Vorstellung erschienen sein.
DAs kann sein, dass das aus der Grundschule bekannt ist. Gilt auch für Ronja Räubertochter.
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