Wahrscheinlich würde die Redakteurin von "Zeit-Online" Katharina Schuler den Vorwurf entrüstet zurückweisen, sie sei freiheitsfeindlich.
Daß jemand, der persönlich ein bestimmtes Gesellschaftsmodell hat, damit automatisch auch berechtigt ist, dieses - wenn er denn die Machtmittel dazu hat - seinen Mitmenschen aufzuzwingen, ist totalitäres Denken. Es ihm als inkonsequent vorzuhalten, wenn er zwar selbst das will, aber anderen die Freiheit lassen möchte, sich anders zu entscheiden, ist Ausdruck der Arroganz dieses totalitären Denkens.
Die Autorin Katharina Schuler mag sich nicht viel dabei gedacht haben, als sie die Sätze schrieb, die mein heutiges Zitat des Tages sind. Das ist ja das Schlimme.
Zitat von Zettels ArtikelDas ist, in a nutshell, die linke Weltanschauung. Oder genauer: Es ist die Weltanschauung aller, die totalitär denken. Auch der Islamist nimmt für sich das Recht in Anspruch, jeden unter die Herrschaft der Scharia zu zwingen.
Die Gefahr einer Einschränkung der Freiheit durch das schrittweise Verwehren von Alternativen sehe ich auch.
Aber: Kindergärten werden in Deutschland nicht totalitär konzipiert und auch nicht totalitär geführt. Es gibt zumindest in einer Großstadt wirklich sehr viele Konzepte: wissenschaftlich fundiert, kirchlich-traditionell, esoterisch, anthroposophisch, antiautoritär — und alle erdenklichen Mischungen daraus.
Ich möchte auch noch bemerken, dass ich mein Kind lieber in einen Kindergarten als in den Geltungsbereich der Scharia schicken würde ;-)
Wer die Freiheit liebt, kann wieder einmal nur auf Karlsruhe hoffen: Das Bundesverfassungsgericht würde einer Kindergartenpflicht oder gar einer Kinderkrippenpflicht ganz sicher nicht zustimmen.
Zitat von stefanolix Wer die Freiheit liebt, kann wieder einmal nur auf Karlsruhe hoffen: Das Bundesverfassungsgericht würde einer Kindergartenpflicht oder gar einer Kinderkrippenpflicht ganz sicher nicht zustimmen.
Die selben Karlsruher Richter, die überhaupt kein Problem damit haben, wenn Eltern, die ihre Kindern selber unterrichten wollen, ins Gefängnis gesteckt und die Kinder mit Gewalt zur Schule geschleppt werden ?
Zitat von stefanolix Wer die Freiheit liebt, kann wieder einmal nur auf Karlsruhe hoffen: Das Bundesverfassungsgericht würde einer Kindergartenpflicht oder gar einer Kinderkrippenpflicht ganz sicher nicht zustimmen.
Die selben Karlsruher Richter, die überhaupt kein Problem damit haben, wenn Eltern, die ihre Kindern selber unterrichten wollen, ins Gefängnis gesteckt und die Kinder mit Gewalt zur Schule geschleppt werden ?
Es besteht eine Schulpflicht. Sie war m.W. unumstritten, als das Grundgesetz beschlossen wurde. Also müssen die Richter auch auf dieser gesetzlichen Grundlage urteilen.
Aber eine Pflicht zum Besuch der KiTa für alle Kinder ab zwei oder drei Jahren wäre eine völlig neue Pflicht und müsste vor dem Bundesverfassungsgericht völlig neu begründet werden. Ich habe berechtigte Hoffnung, dass es nie soweit kommt.
Ergänzung: Eine Schulpflicht gab es schon in der Weimarer Verfassung. In der Bundesrepublik ist die Schulpflicht in den Landesverfassungen geregelt.
Zitat von stefanolixAber: Kindergärten werden in Deutschland nicht totalitär konzipiert und auch nicht totalitär geführt. Es gibt zumindest in einer Großstadt wirklich sehr viele Konzepte: wissenschaftlich fundiert, kirchlich-traditionell, esoterisch, anthroposophisch, antiautoritär — und alle erdenklichen Mischungen daraus.
Daran zweifle ich nicht, lieber Stefanolix.
Nicht Kindergärten sind totalitär; natürlich nicht. Man kann vielleicht auch eine Kindergartenpflicht vertreten, ohne deshalb schon totalitär zu denken (obwohl es dann schon sehr bedenklich wird; vor allem, wenn auch die ersten Lebensjahre umfaßt werden sollen).
Was ich an dem Artikel von Katharina Schuler als totalitär rüge, ist aber etwas anderes: Daß sie es für inkonsequent hält, wenn die Ministerin Schröder etwas als richtig betrachtet und es trotzdem nicht allen per Gesetz aufzwingen will.
Das ist der Kern totalitären Denkens: Ich halte etwas für richtig. Also bin ich berechtigt, es - wenn ich die Machtmittel habe - jedem anderen aufzuzwingen.
Wir hatten darüber schon einmal eine Diskussion. Ich habe damals auf einen ausgezeichneten Artikel von Rayson in B.L.O.G. aufmerksam gemacht, den ich aber leider nicht gespeichert habe; sonst hätte ihn ihn zitiert. Vielleichth findet ihn noch jemand (Rayson?).
Zitat von stefanolix Es besteht eine Schulpflicht. Sie war m.W. unumstritten, als das Grundgesetz beschlossen wurde.
Als das Grundgesetz beschlossen wurde, war es auch recht unumstritten, dass homsexuelle Paare verfolgt wurden. Daraus würde ich nichts, aber auch gar nichts, ableiten wollen. Recht entwickelt sich genauso wie die umgebende Gesellschaft.
Zitat Aber eine Pflicht zum Besuch der KiTa für alle Kinder ab zwei oder drei Jahren wäre eine völlig neue Pflicht und müsste vor dem Bundesverfassungsgericht völlig neu begründet werden.
Zum einen hat Karlsruhe durchaus auch schon in der Vergangenheit neue Grundrechte "erfunden", bestes Beispiel ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Zum anderen muss Karlsruhe überhaupt nichts begründen, es genügt völlig, dass man dort nicht der Meinung ist, dass ein neues Gesetz gegen das Grundgesetz verstösst. Und diesen Automatismus kann ich in einer Republik, die eben jene Schulpflicht als völlig normal und selbstredend definiert, so nun gar nicht sehen. Im Gegenteil: Mit welcher Willkür sollte ein Grundrecht ausgelegt werden, dass es verbietet ein fünfjähriges Kind aus der Familie zu nehmen, während das bei einem siebenjährigen Kind vollkommen okay sein soll ? Wer die allgemeine Schulpflicht als vollkommen normal und undramatisch definiert, wird sich schwer tun im grundsätzlichen gegen eine Kitapflicht zu argumentieren.
Zitat In der Bundesrepublik ist die Schulpflicht in den Landesverfassungen geregelt.
Da würde man vermutlich auch die neue Kita-Pflicht einbringen.
Zitat von stefanolix Es besteht eine Schulpflicht. Sie war m.W. unumstritten, als das Grundgesetz beschlossen wurde. Also müssen die Richter auch auf dieser gesetzlichen Grundlage urteilen.
Es besteht zwar eine Schulpflicht, diese ist aber nicht durch das GG oder ein Bundesgesetz geregelt, sondern in den einzelnen Landesverfassungen. Eine Kindergartenpflicht ist m.E. gar nicht so schwer umzusetzen. Man macht aus den Kinderbetreuungseinrichtungen einfach Kinderbildungseinrichtungen, setzt das Eintrittsalter herab - fertig. Die Länder erfüllen immer noch lediglich ihren Bildungsauftrag. Hier noch ein Zitat des ehemaligen CSU Vorsitzenden Erwin Huber aus dem Jahr 2008 von Wikipedia-Schulpflicht (Deutschland):
Zitat von Erwin HuberSinn und Zweck der Schulpflicht ist nicht nur die Vermittlung von Lehrplaninhalten, sondern insbesondere auch die Schulung der Sozialkompetenz der Kinder. Die Sozialkompetenz wird durch das Lernen in der Klassengemeinschaft und durch gemeinsame Schulveranstaltungen in besonderem Maße gefördert. Neben der Förderung der Sozialkompetenz hat die Schule auch die Funktion, während der Unterrichtszeit auf das Kindeswohl zu achten. Würde man Ausnahmen von der Schulpflicht zulassen, müsste diese Aufgabe von den Jugendämtern übernommen werden.
Von der gleichen Seite:
Zitat von Schulpflicht (Deutschland) Wikipedia, KritikDer UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung Vernor Muñoz äußerte sich in seinem in Berlin veröffentlichten Bericht vom 21. Februar 2006 besorgt darüber, dass die restriktive deutsche Schulpflicht die Inanspruchnahme des Rechtes auf Bildung mittels alternativer Lernformen wie Hausunterricht kriminalisiert.[28][29] Hochschulpräsident Dieter Lenzen kritisiert, Deutschland halte als nahezu einziges Land der westlichen Welt an einer rigiden Schulanwesenheitspflicht fest, anstatt die Schulpflicht zu einer Bildungspflicht mit umfassender Orts- und Methodenfreiheit weiterzuentwickeln. Die in Deutschland übliche Praxis, Eltern die Erlaubnis zum Heimunterricht als Ersatz für den Schulunterricht zu verweigern, wurde in den USA von einem Einwanderungsgericht Anfang 2010 als politische Verfolgung bewertet. Schulverweigerer aus Deutschland, die ihre Kinder selbst unterrichten wollen, erhielten in den USA aufgrund des Urteils politisches Asyl.[31]
Zitat von LlarianAls das Grundgesetz beschlossen wurde, war es auch recht unumstritten, dass homsexuelle Paare verfolgt wurden. Daraus würde ich nichts, aber auch gar nichts, ableiten wollen. Recht entwickelt sich genauso wie die umgebende Gesellschaft.
Ja, aber in diesem Fall hat sich das Recht doch in Richtung einer größeren Freiheit entwickelt. Eine Einschränkung der Freiheit müsste von einer sehr großen gesellschaftlichen und politischen Mehrheit gewollt werden. Diese Mehrheit sehe ich nicht.
Zitat von Llarian
Zitat von Stefanolix Aber eine Pflicht zum Besuch der KiTa für alle Kinder ab zwei oder drei Jahren wäre eine völlig neue Pflicht und müsste vor dem Bundesverfassungsgericht völlig neu begründet werden.
Zum einen hat Karlsruhe durchaus auch schon in der Vergangenheit neue Grundrechte "erfunden", bestes Beispiel ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Zum anderen muss Karlsruhe überhaupt nichts begründen, es genügt völlig, dass man dort nicht der Meinung ist, dass ein neues Gesetz gegen das Grundgesetz verstösst.
Deshalb schrieb ich ja, dass die Verfechter der Kindergartenpflicht diese vor dem Bundesverfassungsgericht begründen müssten (nicht, dass das Bundesverfassungsgericht etwas begründen müsste).
Zitat von Llarian(…) diesen Automatismus kann ich in einer Republik, die eben jene Schulpflicht als völlig normal und selbstredend definiert, so nun gar nicht sehen. Im Gegenteil: Mit welcher Willkür sollte ein Grundrecht ausgelegt werden, dass es verbietet ein fünfjähriges Kind aus der Familie zu nehmen, während das bei einem siebenjährigen Kind vollkommen okay sein soll ? Wer die allgemeine Schulpflicht als vollkommen normal und undramatisch definiert, wird sich schwer tun im grundsätzlichen gegen eine Kitapflicht zu argumentieren.
Zitat von Stefanolix In der Bundesrepublik ist die Schulpflicht in den Landesverfassungen geregelt.
Da würde man vermutlich auch die neue Kita-Pflicht einbringen.
Da gäbe es aber wiederum Landesverfassungsgerichte, die diese neue Pflicht gegenüber bestehenden Rechten abwägen müssten. Und soweit ich weiß, würde eine Berufung dagegen in Karlsruhe oder gar beim Europäischen Gerichtshof landen.
Warum ein Kind mit sechs oder sieben Jahren in die Schule geht? Weil es die Reife dafür besitzt. Ich bin offen gesagt für eine Schulpflicht bei größtmöglicher Wahlfreiheit der Eltern.
Ich bin eindeutig gegen eine Ausweitung dieser Pflicht auf Kindergarten- oder Krippenkinder. Aber ich sehe in den Bestrebungen auch nicht den Untergang des Abendlandes, weil eine solche Pflicht ohnehin in irgend einer Instanz scheitern würde. In NRW ist heuer Wahlkampf und in Bayern ist ständig Kulturkampf. Man sollte die Kirche und die Schule im Dorf lassen …
Zitat von Zettel(…) Nicht Kindergärten sind totalitär; natürlich nicht. Man kann vielleicht auch eine Kindergartenpflicht vertreten, ohne deshalb schon totalitär zu denken (obwohl es dann schon sehr bedenklich wird; vor allem, wenn auch die ersten Lebensjahre umfaßt werden sollen).
Was ich an dem Artikel von Katharina Schuler als totalitär rüge, ist aber etwas anderes: Daß sie es für inkonsequent hält, wenn die Ministerin Schröder etwas als richtig betrachtet und es trotzdem nicht allen per Gesetz aufzwingen will.
Das ist der Kern totalitären Denkens: Ich halte etwas für richtig. Also bin ich berechtigt, es - wenn ich die Machtmittel habe - jedem anderen aufzuzwingen.
Wir hatten darüber schon einmal eine Diskussion. Ich habe damals auf einen ausgezeichneten Artikel von Rayson in B.L.O.G. aufmerksam gemacht, den ich aber leider nicht gespeichert habe; sonst hätte ihn ihn zitiert. Vielleichth findet ihn noch jemand (Rayson?).
Herzlich, Zettel
Der Ansatz der Journalistin ist wirklich radikal paternalistisch (maternalistisch?), aber ich würde zögern, ihn als totalitär zu bezeichnen.
In der Presse und in den Wahlkämpfen werden doch im Grunde gerade die radikalen Ansichten pro und contra Betreuungsgeld vertreten. Die einen würden die ca. 2 Milliarden lieber in die bestehenden Kindergärten stecken, die anderen würden sie den Eltern geben. Das ist eine harte Diskussion, aber die Demokratie muss das aushalten.
Im übrigen fehlt es überall an Kindergartenplätzen. Die Bundesländer haben weder das Geld noch die Ressourcen, um so viele neue Plätze aus dem Boden zu stampfen und zu unterhalten. Die Kommunen freuen sich über jedes Kind, das nicht angemeldet wird.
Ich hoffe, dass wir über das Thema in fünf Jahren schmunzeln werden. Es wird dann hoffentlich geklärt sein, dass eine Kindergartenpflicht Blödsinn ist.
Durch einen Anreiz kann man das eigentliche Problem (Schulfähigkeit, Bildungsfähigkeit) viel besser lösen als durch Zwang. Der Anreiz könnte so aussehen, dass man etwa ein kostenloses Vorschuljahr anbietet. Das müssen die Eltern dann nicht in Anspruch nehmen, aber es würde sie finanziell entlasten. Oder man könnte den Freibetrag für die Betreuung erhöhen.
Herzliche Grüße aus einer Stadt mit sehr, sehr vielen kleinen Kindern und (wie man heute überall sah), auch sehr vielen werdenden Kindern ;-)
Zitat von Zettel Die Autorin Katharina Schuler mag sich nicht viel dabei gedacht haben, als sie die Sätze schrieb, die mein heutiges Zitat des Tages sind. Das ist ja das Schlimme.
Lieber Zettel,
vor allem hat sie ihre Gedanken nicht bis zum Ende ausgeführt.
Wer eine Kindertagesstättenpflicht fordert, sollte bitte auch so konsequent sein und und mir erzählen, was mit den Kindern der Kindertagesstättenpflichtleugnern geschieht. Werden die dann morgens von der Polizei gewaltsam aus den Händen der verzweifelten Mütter gerissen und der Kindertagesstättenpflichterfüllung zugeführt?
Ist die Kindertagesstättenpflichterfüllung sozial ausgewogen quotiert oder besteht eine freie Wahl der Kindertagesstätte? Besteht nicht die Gefahr der Herausbildung privater Luxuskindertagesstätten, wo der hoffnungsvolle Nachwuchs der Elitenmütter unter sich bleibt? Und wie kann das unterbunden werden?
Zitat von C.Wer eine Kindertagesstättenpflicht fordert, sollte bitte auch so konsequent sein und und mir erzählen, was mit den Kindern der Kindertagesstättenpflichtleugnern geschieht. Werden die dann morgens von der Polizei gewaltsam aus den Händen der verzweifelten Mütter gerissen und der Kindertagesstättenpflichterfüllung zugeführt?
Zitat von C.Ist die Kindertagesstättenpflichterfüllung sozial ausgewogen quotiert oder besteht eine freie Wahl der Kindertagesstätte? Besteht nicht die Gefahr der Herausbildung privater Luxuskindertagesstätten, wo der hoffnungsvolle Nachwuchs der Elitenmütter unter sich bleibt? Und wie kann das unterbunden werden?
Am dollsten finde ich inzwischen die Begründung - auch in dem Artikel von Schuler -, die Kita-Pflicht diene der Integration. Das täte sie nur dann, wenn man auch den letzten Schritt noch gehen und nach DDR-Vorbild alle Kitas unter staatliche Kontrolle stellen würde.
Solange es sie aber auch in freier Trägerschaft gibt, gehören zu den möglichen freien Trägern natürlich auch Moslems und ihre Organisationen. Ich weiß nicht, ob es das schon gibt - aber ich stelle es mir verfassungsrechtlich schwierig vor, ihnen zu verwehren, so etwas einzurichten.
Aber noch einmal, dear C.: Ich sehe das alles nicht als den entscheidenden Punkt. Dieser ist für mich (inzwischen), daß Leute, die ein bestimmtes Modell von Familie, Berufstätigkeit der Frau usw. haben, dieses allen anderen mittels der Machtmittel des Staats aufzwingen wollen.
Mir ist die Unverfrorenheit dieser Haltung, und ihr totalitärer Hintergrund, in letzter Zeit immer wieder aufgefallen; beispielsweise hier vor vier Wochen.
Mir ist die Unverfrorenheit dieser Haltung, und ihr totalitärer Hintergrund, in letzter Zeit immer wieder aufgefallen; beispielsweise hier vor vier Wochen.
Lieber Zettel,
das sehe ich bedeutend gelassener und rechne es zu Meinungs- und Pressefreiheit. Allerdings ist meine Auslegung dieser Begriffe weitaus großzügiger als es die ZEIT-Redaktion erlaubt.
Gefährlich werden solche Gedankenspielereien erst, wenn sie in Gesetze gegossen werden.
Zitat von stefanolixDer Ansatz der Journalistin ist wirklich radikal paternalistisch (maternalistisch?), aber ich würde zögern, ihn als totalitär zu bezeichnen.
In der Presse und in den Wahlkämpfen werden doch im Grunde gerade die radikalen Ansichten pro und contra Betreuungsgeld vertreten. Die einen würden die ca. 2 Milliarden lieber in die bestehenden Kindergärten stecken, die anderen würden sie den Eltern geben. Das ist eine harte Diskussion, aber die Demokratie muss das aushalten.
Das sehe ich auch so, lieber Stefanolix.
Aber zur Demokratie gehört eben nicht nur, daß die Mehrheit entscheidet, sondern auch, daß deren Entscheidungen die Freiheit des Einzelnen nicht zerstören dürfen. Ein demokratischer Entscheidungsmodus als solcher schließt das keineswegs aus.
Ich war lange - und habe das auch geschrieben - dem Betreuungsgeld gegenüber indifferent, weil es ja nicht unbedingt eine liberale Idee ist, daß der Staat den Bürgern ihr Geld erst wegnimmt und dann in Form einer solchen Wohltat teilweise wieder zurückgibt.
Aber ich habe zunehmend den Eindruck, daß es eben nicht darum geht, wie man die 2 Milliarden am besten investiert. Sondern es geht darum, wer im Kern für die Erziehung verantwortlich ist: Der Staat oder die Eltern.
Kita-Pflicht bedeutet, daß der Staat verantwortlich ist. Ein Betreuungsgeld würde, so scheint mir, jedenfalls zunächst einmal eine Kita-Pflicht verhindern, denn die Option einer häuslichen Erziehung würde damit gesetzlich verankert. Mir scheint, daher rührt auch die Heftigkeit, mit der das Betreuungsgeld bekämpft wird. Sonst sind SPD, Kommunisten und Grüne ja eigentlich kaum je gegen eine soziale Wohltat.
Ist das totalitäres oder nur paternalistisches Denken?
Natürlich ist das Definitionssache. Im strengen, politologischen Sinn bezieht sich der Begriff "totalitär" nur auf Systeme, nicht auf Denken. Und natürlich sind wir weit davon entfernt, in einem totalitären System zu leben; außer den Kommunisten und den Nazis will das wohl auch niemand.
Wenn ich von totalitärem Denken spreche, dann meine ich das Denken, das allen totalitären Systemen zugrundeliegt, und dessen Kern es ist, daß der Einzelne keine originären Rechte hat. Der Staat bestimmt, was gut und richtig ist. Dem hat sich der Einzelne unterzuordnen. Dieses Denken findet sich - reichlich - auch bei Menschen, die in demokratischen Rechtsstaaten leben.
Der Staat kann - das ist die Grundidee totalitären Denkens - in seiner Güte und Weitsicht dem Einzelnen das eine oder andere Recht "gewähren". Aber dieser hat dieses Recht eben nicht als ihm eigenes Recht, ganz unabhängig von den Entscheidungen des Staats.
Das ist die totalitäre Sicht. Die freiheitliche ist zB von Hayek, Popper und Hannah Arendt dargelegt worden; und natürlich ist es auch diejenige des Grundgesetzes. Ihr Kern ist dieser schlichte Satz: "We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness".
Zu diesen unalienable Rights des freien Bürgers gehört es auch, seine Kinder so zu erziehen, wie er das für richtig hält. Den Staat geht das erst dann etwas an, wenn eine offensichtliche Gefährdung des Kindeswohls vorliegt - wenn ein Kind zum Beispiel mißhandelt wird. Ein Kind zu Hause zu sozialisieren statt in der Kita ist keine Mißhandlung. Also muß der Staat das erlauben.
Natürlich, lieber Stefanolix, ist die Gegenüberstellung "totalitär-freiheitlich" eine Vereinfachung. Es gibt immer Varianten, Nuancen, Zwischenformen. Aber hier scheint mir die Trennlinie doch sehr klar zu sein: Liegt das Recht zur Erziehung grundsätzlich bei den Eltern, oder liegt es grundsätzlich beim Staat, und dieser kann den Eltern nur mehr oder weniger Beteiligung zugestehen (sie "einbinden", wie es Bischoff sagte)?
Zitat von stefanolixErgänzung: Eine Schulpflicht gab es schon in der Weimarer Verfassung. In der Bundesrepublik ist die Schulpflicht in den Landesverfassungen geregelt.
Eine Schulpflicht gab es sogar schon in der Paulskirchenverfassung, aber zusammen mit dem Satz, der Heimunterricht dürfe keinen Beschränkungen unterworfen werden. Schulpflicht wurde damals als Pflicht des Staates verstanden, dafür zu sorgen, daß überall Schulen vorhanden sind.
... Und das Herzogtum Pfalz-Zweibrücken wohl schon 1592. Wäre überhaupt mal interessant, wie Schul- oder Bildungspflicht international gestaltet sind. mfG
Zitat von Zettel Kita-Pflicht bedeutet, daß der Staat verantwortlich ist. Ein Betreuungsgeld würde, so scheint mir, jedenfalls zunächst einmal eine Kita-Pflicht verhindern, denn die Option einer häuslichen Erziehung würde damit gesetzlich verankert. Mir scheint, daher rührt auch die Heftigkeit, mit der das Betreuungsgeld bekämpft wird. Sonst sind SPD, Kommunisten und Grüne ja eigentlich kaum je gegen eine soziale Wohltat
Das Betreuungsgeld bedeutet ebenfalls, dass der Staat für die Kinder verantwortlich ist, weil die Eltern zu Betreuern ihrer eigenen Kinder gemacht werden. Die Eltern werden vom Staat dafür bezahlt, dass sie ihre Kinder in seinem Namen betreuen. Da kann sich ganz schnell von Seiten des "Arbeitgebers" die Frage nach der Qualifikation der von ihm bezahlten Betreuer stellen. Vielleicht spricht er sie ihnen ab, vielleicht gewährt er sie gnädig, vielleicht müssen die Eltern auch noch eine Schulung absolvieren in der der Staat seine Rahmenbedingungen erklärt wie die Kinder zu betreuen sind.
Erwin Huber von der CDU, der Partei die das Betreuungsgeld fordert, hat es doch in dem von mir verlinkten Zitat zur Schulpflicht ganz deutlich gesagt; es geht nicht nur um "die Vermittlung von Lehrplaninhalten, sondern insbesondere auch die Schulung der Sozialkompetenz der Kinder." Und: "Würde man Ausnahmen von der Schulpflicht zulassen, müsste diese Aufgabe von den Jugendämtern übernommen werden." Hier wird klar zum Ausdruck gebracht wer für die Erziehung der Kinder verantwortlich ist: Der Staat.
Das Problem ist, dass Deutschland "als nahezu einziges Land der westlichen Welt an einer rigiden Schulanwesenheitspflicht fest(hält), anstatt die Schulpflicht zu einer Bildungspflicht mit umfassender Orts- und Methodenfreiheit weiterzuentwickeln." Dieses Zitat von dem Hochschulpräsident Dieter Lenzen zeigt m.E. wo das eigentliche Problem liegt. Die rigide Schulpflicht selbst ist es, welche widerspiegelt, wo die Länder die Verantwortung für die Erziehung der Kinder liegen sehen. Dass die Länder u. U. diese Rigidität auf die Kinder jüngerer Jahrgänge ausdehnen wollen, macht deutlich, dass die Macht des Staates in Deutschland an manchen Stellen zu wenig Grenzen kennt.
Die linken Politiker sind nicht so geschlossen gegen das Erziehungsgehalt, sondern bemängeln in der aktuell diskutierten Variante vor allem die Anrechnung auf Hartz IV.
Die Erziehung der Kinder wird mit diesen Modellen verstaatlicht. Es ist letzten Endes der Weg in das bedingungslose Grundeinkommen in dem die Bürger selbst verstaatlicht werden. Sie verlieren die Entscheidungsgewalt über ihre ureigendsten Angelegenheiten, weil sie sich für ihre Erledigung vom Staat bezahlen lassen. Ich würde sagen, sie lassen sich bestechen. Der Staat kauft ihnen ihre Eigenverantwortung ab.
Zitat „Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte“ – Otto von Bismarck: Gesammelte Werke (Friedrichsruher Ausgabe) 1924/1935, Band 9, S.195/196
Zitat von stefanolixAber: Kindergärten werden in Deutschland nicht totalitär konzipiert und auch nicht totalitär geführt. Es gibt zumindest in einer Großstadt wirklich sehr viele Konzepte: wissenschaftlich fundiert, kirchlich-traditionell, esoterisch, anthroposophisch, antiautoritär — und alle erdenklichen Mischungen daraus.
Daran zweifle ich nicht, lieber Stefanolix.
Nicht Kindergärten sind totalitär; natürlich nicht. Man kann vielleicht auch eine Kindergartenpflicht vertreten, ohne deshalb schon totalitär zu denken (obwohl es dann schon sehr bedenklich wird; vor allem, wenn auch die ersten Lebensjahre umfaßt werden sollen).
Was ich an dem Artikel von Katharina Schuler als totalitär rüge, ist aber etwas anderes: Daß sie es für inkonsequent hält, wenn die Ministerin Schröder etwas als richtig betrachtet und es trotzdem nicht allen per Gesetz aufzwingen will.
Das ist der Kern totalitären Denkens: Ich halte etwas für richtig. Also bin ich berechtigt, es - wenn ich die Machtmittel habe - jedem anderen aufzuzwingen.
Wir hatten darüber schon einmal eine Diskussion. Ich habe damals auf einen ausgezeichneten Artikel von Rayson in B.L.O.G. aufmerksam gemacht, den ich aber leider nicht gespeichert habe; sonst hätte ihn ihn zitiert. Vielleichth findet ihn noch jemand (Rayson?).
Herzlich, Zettel
Der Replik, daß Sie, wehrter Zettel, nicht Kindergärten als totalitär bezeichnet haben sondern die Zeit-Schreiberin, ist natürlich zuzustimmen. Ebenso bin ich grundsätzlich in der Ablehnung dieser Schreiberin einer Meinung.
Nur totalitär ist das noch nicht, zumindest nicht offen (wird es aber bestimmt durch andere Zeit-Artikel oder der Vorstellung, die Autorin von Kitas etc. hat).
Jemanden zu zwingen ist sicher autoritär und nicht freiheitlich (und in diesem Sinne auch nicht liberal), aber totalitär wird es erst, wenn der Gezwungene dies auch noch gut finden soll. Und etwas für richtig zu halten ist weder autoritär noch totalitär sondern einfach nur normal.
"Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande!" Und nimm den Staat weg, dann bleiben unorganisierte Räuber zurück!
Ich stimme den Beiträgen/Antworten von Zettel und Plaethe zu. Der "politische Freiheitsraub" in einer ursprünglich freiheitlich gesinnten Gesellschaft beginnt nicht offensichtlich, sondern schleichend. Ich kann mir den Vergleich von zwei Leben fast gleicher Dauer erlauben. Ein Leben vor und nach dem Mauerfall. Ein Unterschied liegt im Denken. Und hier hat eine obrigkeitsgläubige (Denk)Kultur (der DDR und ihre Vorläuferin von 1933-45) in Politik, Medien und Amtsstuben fast ungehindert Einzug gehalten. Allerdings ist es nicht so, als wäre dieses Denken eine Neuheit seit 1989/90.
- (Anmerkung: der 9.11. wird in Deutschland historisch eher negativ bewertet(wenn man von Freiheit spricht. Der 9.11.1989 wird später ähnlich eingeordnet werden müssen.)-
Sie ist tief in vielen Köpfen der Bürger (wie Kant schon richtig beschrieb, aus Bequemlichkeit zur selbstverschuldeten Unmündigkeit) verankert. Ich erinnere mich noch sehr gut an einen Fernsehdiskussionsabend um die 1988er und mein Entsetzen darüber, als eine Zuschauerin (ihre Gestus und Wortschwall assoziierte ich intuitiv mit einer alleinerziehenden Mutter) vehement und inbrünstig mehr Staat einforderte, der es den Menschen leichter machen sollte. Immer mehr Menschen nehmen kaum noch wahr, dass ihr Leben Dank des Staates immer schwerer wird. Kant verstehe ich (auch) so: Die Freiheit des Menschen wird durch seinen Hang zur Bequemlichkeit (im Denken und Wahrnehmung der Eigenverantwortung) bedroht. Übrigens: die älteste mir bekannte freiheitliche "Verfassung" ist der Dekalog.
Wer nichts weiss muss glauben. Wer nicht mehr an Gott glaubt, der glaubt an alles mögliche/andere, (was sich eben so anbietet).
Zitat von ZettelAber zur Demokratie gehört eben nicht nur, daß die Mehrheit entscheidet, sondern auch, daß deren Entscheidungen die Freiheit des Einzelnen nicht zerstören dürfen.
Im Gegenteil! Die Entscheidung der Mehrheit muß zwangsläufig die Freiheit des Einzelnen, sofern er zur überstimmten Minderheit gehört, zerstören. Das gerade ist doch das tolle an der Demokratie.
Ansonsten kann ich eigentlich nur noch Ralph Janik zustimmen - nicht allumfassend, aber so im Großen und Ganzen durchaus.
Zitat von ZettelAber zur Demokratie gehört eben nicht nur, daß die Mehrheit entscheidet, sondern auch, daß deren Entscheidungen die Freiheit des Einzelnen nicht zerstören dürfen.
Im Gegenteil! Die Entscheidung der Mehrheit muß zwangsläufig die Freiheit des Einzelnen, sofern er zur überstimmten Minderheit gehört, zerstören. Das gerade ist doch das tolle an der Demokratie.
So einfach ist es, lieber Vogelfrei, aus meiner Sicht nicht.
Entscheidungen, das Gemeinwesen betreffend, müssen unter jeder denkbaren Gesellschafts- und Regierungsform getroffen werden. Sie schränken die Freiheit des Einzelnen ein - zum Beispiel seine Freiheit, anderen ihr Eigentum wegzunehmen -, zerstören sie aber nicht.
Gefahr droht der Freiheit nicht durch das Mehrheitsprinzip; wenn eine Minderheit oder ein Einzelner entscheidet, hat das ja dieselben Folgen für die Freiheit des Einzelnen.
Gefahr droht dadurch, daß diejenigen, die entscheiden - eine Mehrheit, eine Minderheit, ein Einzelner - ihre Macht mißbrauchen, um in den Privatbereich des Einzelnen hineinzuregieren.
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