Die "Piraten" - das ist für mich ein déjà-vu-Erlebnis nach dem anderen. Es ist ja Vieles wieder wie zur APO-Zeit in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre, dann wieder bei den "Grünen" Anfang der Achtziger.
Muß jede Generation die Fehler der vorausgehenden wiederholen, bis man erwachsen geworden ist? Vielleicht. Aber würde man nicht immer gleich eine neue Partei gründen, sondern seine Ideen in die bestehenden einbringen, dann ginge das Lernen schneller und wäre weniger schmerzhaft.
Nein, nicht jede Generation. Die übergroße Mehrheit der damaligen Jugend war nicht in der Apo, bei den Grünen, ist heute nicht bei den Piraten.
Aber es gibt in jeder Generation wieder Leute, die ihre eigenen Stammtischvisionen für realer halten als die Realität, die sich nicht gerne mit vergangenen Erfahrungen beschäftigen und die lieber mit dem Bauch denken als mit dem Kopf. Und diese Leute landen dann bei der jeweils angesagten linken Neugründung ...
Zitat von R.A.Aber es gibt in jeder Generation wieder Leute, die ihre eigenen Stammtischvisionen für realer halten als die Realität, die sich nicht gerne mit vergangenen Erfahrungen beschäftigen und die lieber mit dem Bauch denken als mit dem Kopf. Und diese Leute landen dann bei der jeweils angesagten linken Neugründung ...
Und daran ist, das hat Zettel gar nicht so schlecht beobachtet, das "Peter-Pan-Syndrom" schuld. Infragestellen, Protest, Aufbegehren - all das dürften tatsächlich die meisten Jugendlichen in einer Phase ihrer Entwicklung praktizieren. Nur lässt sich die Mehrheit irgendwann auch durch Erfahrungen mit der Realität prägen (nur so entwickeln sich Gesellschaften auch weiter). Diejenigen, die den Realitätskontakt verweigern, kapseln sich dann in eigenen Biotopen ab (z.B. "ewige" Studenten oder "Netizens"). Und einige davon versuchen dann, ihre kleine Welt auf die große Allgemeinheit zu übertragen bzw. ihre "ungeprüften" Ideen gleich mal im Großen auszuprobieren. Daraus speisen sich diese Parteien.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Yes I am a pirate, two hundred years too late Cannons don't thunder, there's nothing to plunder I'm an over-forty victim of fate Arriving too late Arriving too late
I've done a bit of smuggling I've run my share of grass Made enough money to buy Miami But I pissed it away to fast Never meant to last Never meant to last
But I've got to stop wishin', Got to go fishin', I'm down to rock bottom again Just a few friends Just a few friends...
Zitat Oder entschließt man sich, es so zu machen wie die anderen Parteien, und Arbeit mit Geld zu bezahlen? Das wäre dann freilich der Schritt weg vom Pfad der Tugend; die Todsünde der "Professionalisierung".
In dieser Piraten-Denkweise steckt übrigens ein Fehler.
Dass Politiker für ihre Arbeit bezahlt werden, ist nämlich gerade ein Schritt hin WEG von Elitenbildung, hin zu Gleichheit.
In der guten alten Zeit, als es Politiker für ihre Arbeit nicht bezahlt wurden, gab es reine Honorationenparlamente und Honrationenparteien. An den Hebeln der Macht waren also Leute, die es sich leisten konnten, für ihre Arbeit nicht bezahlt zu werden. Wenn die Piraten das auch so durchziehen wollten, dann wären sie über kurz oder lang eine Partei der reichen Erben und der anspruchslosen Hartz4-Empfänger.
Nein, nicht jede Generation. Die übergroße Mehrheit der damaligen Jugend war nicht in der Apo, bei den Grünen, ist heute nicht bei den Piraten.
Aber es gibt in jeder Generation wieder Leute, die ihre eigenen Stammtischvisionen für realer halten als die Realität, die sich nicht gerne mit vergangenen Erfahrungen beschäftigen und die lieber mit dem Bauch denken als mit dem Kopf. Und diese Leute landen dann bei der jeweils angesagten linken Neugründung ...
Ron Paul Anhänger haben vermutlich auch ihre libertären Stammtischvisionen, halten die Chance ihres Traumkandidaten für realer als die Realität, denken in dieser Hinsicht teilweise mehr mit dem Bauch als mit dem Kopf, aber
1. sind im allgemeinen doch schon sehr rational, insbesondere wahltaktisch (z.B. bei der Wahl von Parteitagsdeligierten)
2. sind entsprechend informiert (haben zum Beispiel die Wahlregularien gelesen und Wissen über die rechtliche Bedeutung der unterschiedlichen Wahlprozedere mehr Bescheid als der durchschnittliche, engagierte Anhänger der Konkurenz)
und sind
3. ganz bestimmt nicht links - ok, teilweise schon, aber zu großen Teilen nicht.
“Being right too soon is socially unacceptable.” ― Robert A. Heinlein
"Considering the exclusive right to invention as given not of natural right, but for the benefit of society, I know well the difficulty of drawing a line between the things which are worth to the public the embarrassment of an exclusive patent, and those which are not."
Ein Kartell kann man leider nicht knacken, indem man ihm beitritt. Deshalb wuchs in der Zeit der ersten Großen Koalition die Apo, und deshalb sind jetzt - in einer Zeit des Einheitsbreis, der die Große Koalition von 2005 vielfach fortsetzt - die Piraten angesagt.
Natürlich reden wir hier von einer Minderheit. Aber bei den jungen Männern unter 25 haben die Piraten in NRW immerhin 23 Prozent der Stimmen bekommen. Die CDU 17, die Grünen 13, die FDP 8. Nur die SPD war mit 25 knapp stärker als die Piraten Für eine große Mehrheit steht da keiner.
(Bei den Frauen unter 25 sah es übrigens ganz anders aus: SPD 30, Grüne 21, CDU 18, Piraten 13)
Ich halte die Ziele und Organisationsideale der Piraten ebenfalls für hochgradig naiv und teilweise gefährlich. Aber will man einem jungen Menschen Anfang 20 ernsthaft raten, er möge doch der Modernisierer-CDU beitreten, um die Welt zu verändern?
Wenn schon naiv, dann wenigstens mit richtigem Abenteuerfaktor. Verschwende Deine Jugend...
Nachtrag: Die Situation in den USA ist durch das Mehrheitswahlrecht, das ein Zweiparteiensystem erzwingt, grundlegend anders. Eine solches Wahlrecht hätte auch für Deutschland viele Vorteile. Wer es herbeiführen will, der müsste sich wohl tatsächlich in einer der Volksparteien engagieren.
Zitat von RaysonUnd daran ist, das hat Zettel gar nicht so schlecht beobachtet, das "Peter-Pan-Syndrom" schuld. Infragestellen, Protest, Aufbegehren - all das dürften tatsächlich die meisten Jugendlichen in einer Phase ihrer Entwicklung praktizieren. Nur lässt sich die Mehrheit irgendwann auch durch Erfahrungen mit der Realität prägen (nur so entwickeln sich Gesellschaften auch weiter). Diejenigen, die den Realitätskontakt verweigern, kapseln sich dann in eigenen Biotopen ab (z.B. "ewige" Studenten oder "Netizens"). Und einige davon versuchen dann, ihre kleine Welt auf die große Allgemeinheit zu übertragen bzw. ihre "ungeprüften" Ideen gleich mal im Großen auszuprobieren. Daraus speisen sich diese Parteien.
Oh, man hält sich bei Piratenpartei für sehr verwurzelt in der Realität. Es sind die anderen...
Und das Infragestellen sorgt auch für Fortschritt. Irgendwann müssen sich neue Ideen zwar an der Realität messen, aber es ist grundsätzlich gut, wenn neue Ideen mal ausprobiert werden. Nur wenn Zwang mit ins Spiel kommt...
Viele Ideen sind übrigens gar nicht so neu - und genau das wird auch als Argument für Vorschläge wie Kulturfaltrates angeführt: Wir haben bereits die unsäglichen Zwangsabgaben auf private Datenträger und Rohlinge. Und die daraus generierten Einnahmen werden ja auch irgendwie verteilt...
Die Frage ist nun ob es sich hier um ein System handelt, das man ausweiten sollte. Ich denke nicht. Aber diejenigen, die eine solche Zwangsabgabe fordern sind sich durchaus dessen Bewusst, dass ihre Idee nicht komplett neu ist. Und man weiß, das aus der Idee entstehende Probleme bereits heutzutage bei anderen Zwangsabgaben existieren und es dafür schon Verfahren gibt, die man abschauen kann.
Der Vorwurf des Luftschlosses, von Unerfahrenen gebaut, ist da nicht ganz durchschlagend. Die Kritik sollte sich doch mehr auf die Sache und den konkreten Vorschlag beziehen.
“Being right too soon is socially unacceptable.” ― Robert A. Heinlein
"Considering the exclusive right to invention as given not of natural right, but for the benefit of society, I know well the difficulty of drawing a line between the things which are worth to the public the embarrassment of an exclusive patent, and those which are not."
Zitat von R.A.Aber es gibt in jeder Generation wieder Leute, die ihre eigenen Stammtischvisionen für realer halten als die Realität, die sich nicht gerne mit vergangenen Erfahrungen beschäftigen und die lieber mit dem Bauch denken als mit dem Kopf. Und diese Leute landen dann bei der jeweils angesagten linken Neugründung ...
Und daran ist, das hat Zettel gar nicht so schlecht beobachtet, das "Peter-Pan-Syndrom" schuld. Infragestellen, Protest, Aufbegehren - all das dürften tatsächlich die meisten Jugendlichen in einer Phase ihrer Entwicklung praktizieren.
Erstens würde ich postulieren, dass das ein Charakteristikum der westlichen Moderne ist. Erste Ansätze für so etwas kann man mit gutem Willen in der Wandervogelbewegung sehen, und richtig populär ist dieses lautstarke "wir wissen alles besser als Menschen mit Lebenserfahrung" erst seit 1968 - dann aber regelmässig jede Generation aufs Neue. Ausserhalb des satten, modernen Westens wüsste ich von keinem analogen Phänomen.
Und zweitens ist das ein denkbar offensichtliches Versagen unserer Erziehung, Bildung und Kulturvermittlung. Sollte man denn zumindest als Abiturient nicht zumindest eine gewisse Ahnung davon vermittelt bekommen, dass frühere Generationen auch nicht komplett doof waren, dass man also als junger Mensch vielleicht erst einmal davon ausgeht, dass etablierte Schemata ihren Grund haben werden, dass man erst dann über Veränderungen nachdenken sollte, wenn man diese Gründe verstanden und mit guten Argumenten widerlegen kann? Ist denn das nicht ein zentrales Argument für die Beschäftigung mit Klassikern? Und ist es dann ein Zufall, dass dieses periodische Adoleszentenaufbegehren etwa in Deutschland mit dem Verschwinden des klassischen Gymnasiums korreliert?
*wegduck, bevor die faulen Tomaten geflogen kommen*
-- Defender la civilización consiste, ante todo, en protegerla del entusiasmo del hombre. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Zitat von GorgasalErstens würde ich postulieren, dass das ein Charakteristikum der westlichen Moderne ist. Erste Ansätze für so etwas kann man mit gutem Willen in der Wandervogelbewegung sehen, und richtig populär ist dieses lautstarke "wir wissen alles besser als Menschen mit Lebenserfahrung" erst seit 1968 - dann aber regelmässig jede Generation aufs Neue. Ausserhalb des satten, modernen Westens wüsste ich von keinem analogen Phänomen.
@rayson: “...Nur lässt sich die Mehrheit irgendwann auch durch Erfahrungen mit der Realität prägen (nur so entwickeln sich Gesellschaften auch weiter)...”
In der Theorie sicher richtig. In der Praxis ist der Standard-Pirat aber doch eher ein wohlstandsverwahrlostes Kind, er ist männlich, um die 30 Jahre alt, hat im Lebenslauf mindestens ein abgebrochenes Studium und zudem keinerlei Berufserfahrung. In Sachen “...Erfahrungen mit der Realität...” herrscht allerdings kein Mangel. Erfahrungsgemäß lebt er in der Gewissheit, dass immer irgendjemand da ist (Staat oder Mama), der für ihn zahlt. Für dieses Gewohnheitsrecht geht der Pirat in die Politik, er will sein egoistisches Lotterleben weiterführen, koste es was es wolle. Trotzdem mussten sich die Medienlieblinge niemals ernsthafter Kritik von Gesellschaft oder Politik stellen...
Im Weltbild eines Piraten müssen finanzielle Mittel nicht erwirtschaftet werden, sie sind einfach da. Da auch der Frieden für immer sicher ist, kann auf eine konkrete Wirtschafts- und Außenpolitik komplett verzichtet werden. Ein Parteiprogramm wäre unnötiger Luxus. Es gibt eigentlich nur eine “pirateske” Fragestellung: Wie kann der gegebene Reichtum sinnvoll verteilt werden? Daher kämpft der Freibeuter für sein gewohntes BGE und seinen kostenlosen Nahverkehr, für seine kostenlosen Downloads sowieso...
Bisher hatte ich gedacht, die Piraten könnten Merkel im nächsten Jahr indirekt die Kanzlerschaft in einer großen Koalition ermöglichen, heute denke ich eher, der Piraten-Komet wird dann schon verglüht sein. Trotzdem sollte man den Protestwähler nicht unterschätzen...
Zitat von ZettelDie "Piraten" - das ist für mich ein déjà-vu-Erlebnis nach dem anderen. Es ist ja Vieles wieder wie zur APO-Zeit in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre, dann wieder bei den "Grünen" Anfang der Achtziger.
Muß jede Generation die Fehler der vorausgehenden wiederholen, bis man erwachsen geworden ist? Vielleicht. Aber würde man nicht immer gleich eine neue Partei gründen, sondern seine Ideen in die bestehenden einbringen, dann ginge das Lernen schneller und wäre weniger schmerzhaft.
Lieber Zettel,
welche real existierende Partei ist Dir so zuwider, dass Du sie Dir als Experimentierlabor für Piratenideen vorstellen kannst?
Es hat schon einige Gründe, dass diese engagierten jungen Menschen ihr Glück nicht bei Bündnis90/Die Grünen gesucht haben und auch nicht bei der FDP. Das Problem der Piratenpartei ist nicht langsames Lernen, sondern der Zwang möglichst viel in möglichst kurzer Zeit zu lernen, sie ist rasant gewachsen und war dazu bei Wahlen auch noch außerordentlich erfolgreich.
Für diese Größe sind die vorhandenen finanziellen Mittel geradezu lächerlich. Die Grünen haben etwa doppelt so viele Mitglieder wie die Piratenpartei, haben aber durch die staatliche Parteienfinanzierung ein Vielfaches an finanziellen Mitteln zu Verfügung.(Im Jahr 2010 war es etwa der zwanzigfache Betrag). Um professionell mithalten zu können, müsste sie sich erst einmal hoch verschulden, in der Hoffnung, dass der gute Lauf weiter anhält. Darauf würde ich nicht wetten.
Größere Sprünge wird diese Partei erst nach der nächsten Bundestagswahl machen können und auch erst dann kann langfristiger über Festeinstellungen und eventuell auch eine parteinahe Stiftung nachgedacht werden (Die Böll Stiftung wird im jahr mit 37 Millionen € öffentlicher Mittel unterstützt). Bis dahin werden noch etliche kluge Köpfe verschlissen werden (müssen).
Ein weiterer großer Unterschied zuden Grünen besteht darin, dass es bei den Piraten nur wenige gibt, die aus einem bestimmten politischen Milieu Erfahrung mitbringen. Die Grünen wurden von K-Gruppenmitglieder mit jahrelanger politischer Erfahrung nahezu übernommen und dazu auch massiv finanziell gefördert.
Zitat von SWR2In einem Dossier des Verfassungsschutzes aus dem Jahr 1985 findet sich eine Personalanalyse der grünen Partei: Aus dem extremistischen Umfeld kamen danach ein Zehntel der 94 Mitglieder der Landesvorstände, knapp ein Achtel aller 35 Landtagsabgeordneten, ein Drittel der 27 Bundestagsabgeordneten, die Hälfte der elf Bundesvorständler, über die Hälfte der sieben Europaparlamentarier.
Zitat von uniquololIn der Praxis ist der Standard-Pirat aber doch eher ein wohlstandsverwahrlostes Kind, er ist männlich, um die 30 Jahre alt, hat im Lebenslauf mindestens ein abgebrochenes Studium und zudem keinerlei Berufserfahrung.
Das ist für viele Piraten richtig (z. B. für den neuen Vorsitzenden), aber wohl nicht für die Mehrheit. Sehr viele Piraten haben sehr wohl einen Studienabschluß und einen regulären Job.
Allerdings - und deswegen trifft dann Ihre weitere Beschreibung doch wieder - fast immer einen Job, der weit weg ist von der Realität der übrigen Arbeitswelt. Die meisten Piraten kommen aus der EDV-Branche. Da gibt es fast keine Sorgen um die Arbeitsplatzsicherheit. Da wird sehr gut bezahlt, da sind die Arbeitsbedingungen gut. Sehr viele Programmieren haben es eigentlich nie ganz verstanden, warum sie gut dafür bezahlt werden, ihr Hobby ausleben zu können. Man lebt im Schlaraffenland und findet es völlig normal, daß der erfolglose Teil der Parteifreunde per Grundeinkommen auch so leben sollte.
Zitat von C.Das Problem der Piratenpartei ist nicht langsames Lernen, sondern der Zwang möglichst viel in möglichst kurzer Zeit zu lernen, ...
Das ist nicht der Knackpunkt. Das Problem der Piraten ist, daß sie gar nicht kapieren, daß sie noch lernen müssen. Sie halten ihre Probleme und ihre Ideen für gänzlich neu - dabei ist fast alles eine langweilige Kopie von vorhandenen Ideen. Sie glauben an die "Wissensgesellschaft", haben aber nicht verstanden, daß kurzes Durchklicken in der Wikipedia keine Grundlagenbildung ersetzt. Alle von ihnen diskutierten Probleme brauchen eine gewisse Einarbeitung, um überhaupt mal über gute oder neue Lösungen nachdenken zu können - das ignorieren sie einfach und entsprechend naiv und dumm sind ihre Lösungsversuche.
Zitat Für diese Größe sind die vorhandenen finanziellen Mittel geradezu lächerlich.
Was aber weniger an der (völlig vernünftig organisierten) Parteienfinanzierung liegt, sondern daran, daß die Piraten (obwohl meist gut situiert) fast keine Beiträge zahlen. Das ist ein markanter Unterschied zu früheren linken Bewegungen! Bei Kommunisten, Sozialdemokraten oder frühen Grünen war immerhin Konsens, daß man zum guten Zweck auch finanziell beiträgt, was einem möglich ist. Die Beitragsmoral dort liegt immer noch deutlich höher als in den "bürgerlichen" Parteien.
Aber die Freibier-Mentalität der Piraten zeigt sich eben nicht nur bei Schwarzkopieren und der Forderung nach Grundeinkommen und "kostenlosem" ÖV - die wollen auch Politik für lau. Selbst den eigenen Leuten gönnen sie nicht das Schwarze unter dem Nagel. Die Mitglieder wollen in jedem Detail mitbestimmen, aber zahlen wollen sie nichts.
@r.a.: “...Sehr viele Piraten haben sehr wohl einen Studienabschluß und einen regulären Job. (..) Die meisten Piraten kommen aus der EDV-Branche. Da gibt es fast keine Sorgen um die Arbeitsplatzsicherheit. (..) Man lebt im Schlaraffenland und findet es völlig normal, daß der erfolglose Teil der Parteifreunde per Grundeinkommen auch so leben sollte....”
Dann wundert es mich aber schon sehr, dass sich diese beneidenswerten Erfolgsmenschen mit so einem Chaos-Verein zufrieden geben. Der Programmierer kennt sich in Sachen Planung, Struktur und Disziplin ja eigentlich bestens aus. Allerdings werden nur die wenigsten Parteimitglieder so leben, wie Sie es hier dargestellt haben.
Beobachten Sie mal die Politiker der PP im Berliner Senat...
Zitat von TechniknörglerUnd das Infragestellen sorgt auch für Fortschritt. Irgendwann müssen sich neue Ideen zwar an der Realität messen, aber es ist grundsätzlich gut, wenn neue Ideen mal ausprobiert werden.
Das schrieb ich.
Zitat von TechniknörglerDer Vorwurf des Luftschlosses, von Unerfahrenen gebaut, ist da nicht ganz durchschlagend. Die Kritik sollte sich doch mehr auf die Sache und den konkreten Vorschlag beziehen.
Generelle Kritik am Ansatz als Partei ist ebenso zulässig wie konkrete Kritik im Detail. Und der generelle Ansatz betrifft eben nicht irgendwelche Zwangsabgaben (ob es solche in irgendeiner Form irgendwo schon gibt, ist als Bewertung für die Einführung neuer Varianten übrigens völlig unerheblich), sondern das "neue Betriebssystem", das die "Piraten" in der Politik gerne starten wollen.
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Die Antwort ist einfach: Alle anderes Parteien sind noch mehr ein Chaosverein und inhaltlich unmöglicher und inkompetenter wie die Piraten. Politiker bauen und sagen nur Bullshit, das ist für jeden mit etwas Grips zu erkennen (es gibt wenige Ausnahmen wie Gauck oder Ex-Politiker wie Sarrazin). Die obskuren Teile des Programms werden sicher nicht von der breiten Masse der Anhänger mitgetragen oder ist denen nicht bewusst. Aber so wie manche nur auf die Islampolitik einer Partei schauen und dann obskure Parteien wählen, so gilt das auch für Leute, die erstmal nur auf Regelungen ihres Lebensalltags und IT / Internet schauen, die landen schnell bei den Piraten.
Zitat von Juno Nachtrag: Die Situation in den USA ist durch das Mehrheitswahlrecht, das ein Zweiparteiensystem erzwingt, grundlegend anders. Eine solches Wahlrecht hätte auch für Deutschland viele Vorteile. Wer es herbeiführen will, der müsste sich wohl tatsächlich in einer der Volksparteien engagieren.
Das hatte ich vor kurzem so ähnlich auch schon mal vorgeschlagen; nur bleibt bei diesem Modell kein Platz für die FDP... und richtige Konservative, also pro kapitalistisch wie in Amerika, gibt es ja als Volkspartei auch nicht - wie auch. Es würden dann zwei sozialdemokratische Volksparteien konkurrieren.
Was wieder mal zeigt, dass gewachsene Strukturen nicht einfach kopierbar sind. Deutschland muss also aus dem was es hat, das Beste machen. Für Liberale in Deutschland ist die FDP ihre Volkspartei. Und das Wahlrecht bietet in seiner Kompliziertheit durchaus Möglichkeiten:
Wieso kaufen eigentlich so viele Wähler einer Partei ab, mit der Gründung einer Partei, die Parteiendemokratie herauszufordern zu wollen? Das war bei den Grünen schon Nonsens und ist es auch bei den Piraten. Wer gegen die Parteiendemokratie antreten will, müsste dies konsequenterweise als freier Abgeordneter tun. Überhaupt, sollte jeder der die Parteiendemokratie für das eigentliche Problem hält, nur freie Abgeordnete wählen. Würden das alle diejenigen tun, welche diese Forderung ständig stellten, hätten wir längst ein Mehrheitswahlrecht, da das bestehende, beide, Verhältniswahlrecht und Mehrheitswahlrecht, zulässt. Aber nee, alle tun das Gegenteil dessen, was sie fordern.
Zitat von GorgasalErstens würde ich postulieren, dass das ein Charakteristikum der westlichen Moderne ist. Erste Ansätze für so etwas kann man mit gutem Willen in der Wandervogelbewegung sehen, und richtig populär ist dieses lautstarke "wir wissen alles besser als Menschen mit Lebenserfahrung" erst seit 1968 - dann aber regelmässig jede Generation aufs Neue. Ausserhalb des satten, modernen Westens wüsste ich von keinem analogen Phänomen.
Kulturrevolution?
Gutes Argument.
Aber die Kulturrevolution konnte wiederum nur in einem kommunistischen Land passieren, und der Kommunismus mit seiner Geschichtsvergessenheit wiederum ist die schönste Ausgeburt der westlichen Moderne (Karl Marx in "Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte": "Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden.").
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Zitat von uniquololDann wundert es mich aber schon sehr, dass sich diese beneidenswerten Erfolgsmenschen mit so einem Chaos-Verein zufrieden geben.
"Erfolgsmenschen" sind das eigentlich nicht. Sie haben halt das Glück, daß es nach ihren Fähigkeiten eine besonders starke Nachfrage gibt - deswegen die überhöhten Gehälter etc. Und im Prinzip haben die meisten etwas ein schlechtes Gewissen, daß sie unverdient so gut dastehen. Das ist dann die Grundlage für eine diffus linke Gesinnung.
Zitat Der Programmierer kennt sich in Sachen Planung, Struktur und Disziplin ja eigentlich bestens aus.
O je - nein. Man kann froh sein, wenn sie etwas strukturiert denken können - aber Planung und Disziplin gehören nun überhaupt nicht zu ihren Stärken. Dafür müssen dann irgendwelche "Schlipsträger" sorgen, die bei den Programmierern als bürokratische Spaßbremsen verhaßt sind. Auch ein Grund, warum sie sich bei Partei gegen professionelle Strukturen wehren. Genau diese Profis stören sie schon im Berufsleben dauernd daran, ihr Hobby wirklich ausleben zu können. Jetzt wollen sie sich nicht beim neu entdeckten Hobby Politik von solchen Leuten im Dilletieren stören lassen.
Zitat von R.A.Sehr viele Piraten haben sehr wohl einen Studienabschluß und einen regulären Job.
Allerdings - und deswegen trifft dann Ihre weitere Beschreibung doch wieder - fast immer einen Job, der weit weg ist von der Realität der übrigen Arbeitswelt. Die meisten Piraten kommen aus der EDV-Branche. Da gibt es fast keine Sorgen um die Arbeitsplatzsicherheit. Da wird sehr gut bezahlt, da sind die Arbeitsbedingungen gut. Sehr viele Programmieren haben es eigentlich nie ganz verstanden, warum sie gut dafür bezahlt werden, ihr Hobby ausleben zu können. Man lebt im Schlaraffenland und findet es völlig normal, daß der erfolglose Teil der Parteifreunde per Grundeinkommen auch so leben sollte.
Ich hoffe, sie beziehen sich bei diesen Beschreibungen auf die Schnittmenge aus "aktive Piratenmitglieder" und "Beschäftigte in der EDV-Branche". Aber selbst da ist ihre Beschreibung noch sehr weit von der Realität entfernt. Softwareentwicklung ist weder Schlaraffenland noch besonders gut bezahlt, und die Sicherheit des Arbeitsplatzes haben die Opfer des Platzens der dotCom-Blase auch kennengelernt.
Zitat von uniquololDer Programmierer kennt sich in Sachen Planung, Struktur und Disziplin ja eigentlich bestens aus.
O je - nein. Man kann froh sein, wenn sie etwas strukturiert denken können - aber Planung und Disziplin gehören nun überhaupt nicht zu ihren Stärken. Dafür müssen dann irgendwelche "Schlipsträger" sorgen, die bei den Programmierern als bürokratische Spaßbremsen verhaßt sind.
Eine der drei Tugenden des Programmierers ist laut Larry Wall die Hybris. Hubris often indicates a loss of contact with reality and an overestimation of one's own competence or capabilities.
Mit freundlichem Gruß
-- Wer mich ertragen kann, erträgt auch das Leben – Uwe Richard
Zitat von hubersnIch hoffe, sie beziehen sich bei diesen Beschreibungen auf die Schnittmenge aus "aktive Piratenmitglieder" und "Beschäftigte in der EDV-Branche".
Ich beziehe mich auf Piraten (egal ob Mitglieder oder Umfeld), die in der EDV oder verwandten Bereichen tätig sind. Das ist die Schicht, die diese Partei ebenso massiv prägt wie die Grünen von Sozialarbeitern geprägt worden sind.
Zitat Aber selbst da ist ihre Beschreibung noch sehr weit von der Realität entfernt. Softwareentwicklung ist weder Schlaraffenland noch besonders gut bezahlt ...
Nach 30 Jahren Erfahrung incl. Personalverantwortung in der Branche widerspreche ich da absolut. Es gibt kaum einen anderen Bereich, in dem man bei ähnlicher Qualifikation und Verantwortung so gut verdient.
Zitat und die Sicherheit des Arbeitsplatzes haben die Opfer des Platzens der dotCom-Blase auch kennengelernt.
Der Knackpunkt ist doch nicht, ob ein spezieller Arbeitsplatz sicher ist. Sondern wie groß die Chance ist, jederzeit eine neue Stelle zu bekommen. Und da gilt nach wie vor: Bei halbwegs ausreichender Qualifikation muß man sich im EDV-Bereich schon sehr blöde anstellen, um nicht innerhalb weniger Monate gute Angebote zu bekommen.
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