Wenn man den Artikel von Tina Hildebrandt liest, dem ich das Zitat des Tages entnommen habe, dann muß man befürchten, es könne Gerhard Schröder zurück in die Politik drängen.
Auch dieser Artikel betont wieder Schröders Verdienst, die Agenda 2010 durchgesetzt zu haben. Ja, das hat er; indem er seine gesamte Politik zwischen 1998 und 2003 über Bord warf und einfach die Wirtschafts- und Sozialpolitik der damaligen Opposition übernahm.
Er konnte nicht anders, wollte er noch eine Chance haben, sich als Kanzler zu behaupten; denn er war im Begriff, Deutschland so an die Wand zu fahren, wie Mitterrand Frankreich mit einem ebenfalls sozialistischen Programm zwischen 1980 und 1982. Beide - der eine wie der andere ein Opportunist - entschieden sich, ihre Prinzipien aufzugeben, um ihre Macht zu retten.
Bei Mitterrand hatte das funktioniert; auch Schröder hätte es um einen Haarbreit ja geschafft.
Zitat von http://zettelsraum.blogspot.com/2012/07/...oder-lacht.htmlAber Schröders Entscheidung, daß ausgerechnet Deutschland sich über die von ihm selbst unter Kohl und Waigel durchgesetzten Maastricht-Kriterien hinwegsetzte und die anderen dazu brachte, ihm dabei zu folgen, war eine entscheidende Station bei dieser Fehlentwicklung. Die Südländer, auch Frankreich, hatten die Stabilität nie so ernst genommen wie Deutschland. Wenn jetzt die Deutschen selbst sie nicht mehr ernst nahmen - warum sollte sich irgendein anderer Staat dann den Maastricht-Kriterien noch verpflichtet fühlen? Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich's völlig ungeniert.
Vor allem hat Schröder Deutschlands Position in der EZB und in den Verhandlungen über die Rettungsschirme entscheidend geschwächt. Er hat Deutschlands höchste Trumpfkarte einfach weggeschenkt.
Es ist nicht zu fassen, Hildebrandt hat über Schröder geschrieben, wie früher ein Hofberichterstatter über Seine Durchlaucht.
Schröder: "gut gelaunt", "braun gebrannt"; Merkel dagegen: "quält" sich mit "Augenringen" in "Brüssel".
Ja, das ist wirklich noch Journalismus der alten Schule.
Es wird aber noch besser: "Ihm geht's gold". (Kempowski hat sich soeben im Grab umgedreht.) Na wie schön, da können wir ja beruhigt sein.
Und woher kommt sein Reichtum? "Er wurde gut bezahlter...Aufsichtsratsvorsitzender bei der Ostseepipeline Nord Stream AG, an der die russische Gazprom bis heute 51 Prozent hält." "Schröder wollte sich holen, was ihm seiner Ansicht nach als Politiker verwehrt geblieben war: Anerkennung,... auch in Form von Geld." Na, das ist ihm wohl auch gelungen. "Sein Vermögen wird auf Millionen geschätzt."
Dazu muss man wissen, dass er kurz vor Ende seiner Amtszeit dafür gesorgt hat, dass dieser Vertrag mit Gazprom abgeschlossen wurde, der Deutschland in eine verhängnisvolle Abhängigkeit von Russland bringt. Deutschland erhält Gas fast ausschließlich nur noch aus Russland. Die 51% legen fest, wer am längeren Hebel sitzt, wer den Preis bestimmen kann. Nicht ohne Grund regen sich jetzt schon immer häufiger die Stimmen, die Deutschlands, durch den Atomausstieg erzeugte Energieknappheit durch kleine dezentrale Gaskraftwerke ausgleichen wollen. Sicherlich wird es auf Grund der Netzprobleme auch keine andere Lösung geben. Wenn das eintritt, dann verdient sich Russland dumm und dämlich. Diese Gelddruckmaschine hat der Bundeskanzler Schröder den Russen frei Haus geliefert. "Schröder wollte sich holen, was ihm seiner Ansicht nach als Politiker verwehrt geblieben war: Anerkennung, Zustimmung, auch in Form von Geld." Da hat Frau Hildebrandt recht. Das ist ihm auf Kosten des deutschen Steuerzahlers auch wirklich gelungen.
Schröder hat mit Paukenschlägen den Beginn und das Ende seiner Amtszeit markiert: er hat die Rentenformel mit dem Demographiefaktor der Kohlregierung sofort abgeschafft und einen Knebelvertrag mit Gazprom abgeschlossen.
Frau Hildebrandt hat vergessen vorzuschlagen Schröder ein Denkmal vor dem Kanzleramt zu errichten. Mein Vorschlag: Analog zu den Lenindenkmälern Schröder in Überlebensgröße mit der gen Osten ausgestreckten Hand oder auch in der einen Hand das Bierglas und in der anderen die Bockwurst. Bitte die Zigarre im Mund nicht vergessen.
"...der Deutschland in eine verhängnisvolle Abhängigkeit von Russland bringt. Deutschland erhält Gas fast ausschließlich nur noch aus Russland."
Was haette Schroder sonst tun sollen? Woher haette das Gas das Deutschland braucht kommen sollen? Nabucco wurde gerade eben offiziell beerdigt - nachdem es die Krankenstation seit Beginn eigentlich nie verlassen hatte - denn es gab nie genug supply (sorry Zettel) fuer dieses Projekt. Nur Russland und der Iran verfuegen momentan ueber die Gasreserven die sie als Lieferant fuer Deutschland in Frage kommen lassen. LNG, shale gas, unconventional gas etc - alles Optionen die aber auch die Merkel-Regierung offenbar nicht ernsthaft in Betracht zieht. Bleibt also Russland - oder der Iran. Suchen Sie es sich aus.
"Diese Gelddruckmaschine hat der Bundeskanzler Schröder den Russen frei Haus geliefert."
Das war wohl eher die Bundeskanzlerin Merkel mit der Energiewende.
"Das ist ihm auf Kosten des deutschen Steuerzahlers auch wirklich gelungen."
Diese deutschen Steuerzahler werden fuer die Energiewende und die Euro-Rettung wesentlich mehr bezahlen muessen...
Zitat von john j"Diese Gelddruckmaschine hat der Bundeskanzler Schröder den Russen frei Haus geliefert."
Das war wohl eher die Bundeskanzlerin Merkel mit der Energiewende.
Zitat:
Angela Merkel war die endgültige Vollstreckerin mit der Rücknahme des Ausstiegs aus dem Austieg, aber die Ehre mit dem Unsinn begonnen zu haben, war rot-grün, vielmehr war es der Preis dafür, dass Schröder überhaupt Kanzler werden konnte. Der deutsche Steuerzahler braucht sich auch über Nord-Stream nicht zu beklagen, deutsche Unternehmen profitieren sowohl beim Bau (Europipe) als auch beim Betrieb (Wintershall, Eon). Schröder selbst wird vermutlich sein Einkommen auch brav versteuern, deswegn kann er meinetwegen hundert Millionen bekommen, solange er sich aus der Politik heraushält. Warum die ZEIT jetzt plötzlich einen Jubelartikel schreiben muss, ist mir zwar ein Rätsel, aber wir haben ja Pressefreiheit. Beide, sowohl Schröder als auch die ZEIT braucht auch niemand mehr ernst zu nehmen.
ich bin sicher kein Freund Gerhard Schröders, aber die frühe Verletzung der Verschuldungsgrenze durch Dutschland hat meiner Meinung nach kaum zur gegenwärtigen Krise beigetragen. Griechenland hatte bereits vor der Einführung des Euro gelogen und betrogen. Irland und Spanien haben erst nach geplatzten Immobilienblasen die Schuldengrenze verletzt. Das hätten sie auch ohne die deutschen (und französichen) Präzedenzfälle tun müssen. Auch Deutschland hat im Zuge der Finanzkrise alleine 2010 eine Erhöhung der Verschuldung um rund 10% des BIP in Kauf genommen. Die Schröderregierung hätte sich wohl gegen den Beitritt Italiens (damals schon >100% Staatsschulden/BIP) und Griechenlands wehren müssen, aber zu diesem Zeitpunkt hatte das Projekt schon eine politische Eigendynamik, die man nur schwer hätte stoppen können. Den weitaus größten Teil des Eurodebakels hat Helmut Kohl für Deutschland zu verantworten. Er hätte dieses Projekt verhindern und nicht befördern müssen. Falls der Euro scheitert und ein Großteil der deutschen Volksvermögens sich in Luft aufgelöst hat (ich gehe davon aus, dass es dazu innerhalb der nächsten 5 Jahren kommt), wird man sagen müssen, dass mit dem Tag der Umstellung von der D-Mark auf den Euro das Geld verloren war. Kohl hätte das wissen können. Die politischen Verhältnisse in Europa kannte er wie kein anderer und im Bezug auf die wirtschaftliche Machbarkeit gab es genug Mahner, denen er hätte zuhören sollen. Das Argument, dass der Euro der Preis war, den Frankreich für die Wiedervereinigung gefordert hat, halte ich für so glaubwürdig wie Kohls und Schäubles Behauptung, die Nichtrückgabe des von 1945 bis 1949 in der SBZ enteigneten Besitzes wäre der Preis der Sowjetunion für die Wiedervereinigung gewesen.
Zitat von Zettel im Beitrag #1Wenn man den Artikel von Tina Hildebrandt liest, dem ich das Zitat des Tages entnommen habe, dann muß man befürchten, es könne Gerhard Schröder zurück in die Politik drängen.
Gerhard Schröder war letzte Woche unter der Rubrik 'Münchner Runde' ausführlichst vor schöner Kulisse von Sigmund Gottlieb interviewt worden http://www.br.de/fernsehen/bayerisches-f...-Europa100.html . Schröder ganz souverän, mit abfälligen Seitenhieben auf Schwarz/Gelb (Praktikantenregierung oder so ähnlich).
Ich habe das Interview in einem kurzen Ausschnitt gesehen, und hatte aus dem Kontext heraus den Eindruck, dass das Interview auf Initiative Schröders zustandegekommen sein muss. Er drängt tatsächlich zurück.
Zitat Das Argument, dass der Euro der Preis war, den Frankreich für die Wiedervereinigung gefordert hat, halte ich für so glaubwürdig wie (...)
Einmal ernsthaft nachgefragt: Was ist eigentlich die Quelle für dieses immer wieder gebrachte Argument?
So ganz erschließt sich mir nämlich die französische Logik hier nicht. Euro und Wiedervereingigung sind doch zwei völlig verschiedene Kategorien. Es mag ja Argumente geben, warum die Wiedervereinigung nicht im franz. Interesse war. Aber diese Argumente werden doch nicht durch den Euro entkräftet.
Es ist doch vielmehr so, dass die Projekte Euro und Wiedervereinigung sozusagen einfach nebeneinander. Deutschland wollte das eine, Frankreich das andere. Und als Kompromiss hat man sich auf beides geeinigt. Der Euro war aber keine logische Kompensation zur Wiedervereinigung, mit der Deutschland sozusagen "gezähmt" worden wäre. (Welche Machtmittel gegenüber Frankreich hätte Deutschland durch den Euro denn aus der Hand gegeben?). Es wäre daher - so meine Vermutung - durchaus möglich gewesen, Frankreich auch mit irgendeinem anderen Kompensationsgeschäft die Zustimmung zur Wiedervereinigung abzuringen. Es war halt aus damaliger deutscher Sicht der Euro ein Zugeständnis, dass man ohne Gefahr machen zu können glaubte.
Wenn man den Veröffentlichungen der Akten des britischen Außenministeriums glaubt, war Frankreich schon sehr interessiert Deutschland in den Euro zu bekommen. Da diente dann die Wiedervereinigung schlicht als Druckmittel.
Zitat von Martin im Beitrag #8Ich habe das Interview in einem kurzen Ausschnitt gesehen, und hatte aus dem Kontext heraus den Eindruck, dass das Interview auf Initiative Schröders zustandegekommen sein muss. Er drängt tatsächlich zurück.
Das finden die Qualitätsmedien sicherlich spannend, aber wer noch? Kann er nicht eine Personality Show bei RTL II bekommen:"Der Schröder", wie es andere Neureiche auch machen? Zwischen Daniela Katzenberger und den Geissens findet sich sicherlich noch ein freier Sendeplatz und Bierwerbung ist auch noch nicht verboten.
Zitat von Jim im Beitrag #7ich bin sicher kein Freund Gerhard Schröders, aber die frühe Verletzung der Verschuldungsgrenze durch Dutschland hat meiner Meinung nach kaum zur gegenwärtigen Krise beigetragen.
Man kann so etwas in seinen Auswirkungen selten belegbar abschätzen. So, wie ich - vor allem nach der Lektüre des Buchs von Sarrazin - die Entwicklung jetzt sehe, war das gewiß nicht der einzige Faktor, aber schon ein gewichtiger.
Schröder hat ja eben nicht nur - gegen den ausdrücklichen Willen seines Finanzministers - die Verletzung der Maastricht-Kriterien, hier der Verschuldungsgrenze betrieben, sondern er hat auf der in dem Artikel genannten Konferenz vom März 2005 (also nach den beiden Jahren, in denen die Verschuldungsgrenze von Deutschland überschritten wurde) durchgesetzt, daß diesee Kriteriuen generell per Beschluß aufgeweicht wurden.
Ansonsten, lieber Jim, ist es wie in der Unfallforschung: Man wird selten "die" Ursache für einen Unfall finden. Es treffen zahlreiche Faktoren zusammen, und am Ende passiert es.
Zitat von Zettel im Beitrag #12Man wird selten "die" Ursache für einen Unfall finden. Es treffen zahlreiche Faktoren zusammen, und am Ende passiert es.
Ursache des ganzen Schlammassels ist die Fehlkonstruktion des Euro. In einer falsch dimensionierten Währungsunion wird es ganz zwangsläufig zu Reibungen kommen. Daran hätten auch noch so streng durchgehaltene Maastricht-Kriterien nichts geändert. Denn die Maastricht-Kriterien sind reine Fiskal-Kriterien. Unterschiedliche Produktivitätsentwicklungen in den einzelnen Volkswirtschaften können sie nicht verhindern - und diese sind ja letztlich die Wurzel der Krise.
Die Vorstellung von Sarrazin, dass man nur die Maastricht-Kriterien hätte durchsetzen müssen und alles wäre gut gewesen, ist daher ein naiver formaljuristischer Blickwinkel. Man kann Volkswirtschaften halt nicht per Gesetz steuern.
Schröders Umgehen der Maastricht-Kriterien ist daher NICHT ursächlich für die aktuelle Krise. Er ist allerdings sehr wohl dafür verantwortlich, dass Reformverweigerer in diversen EU-Ländern eine einfache Ausrede hatten: Sie mussten ja nur nach Deutschland zeigen.
Der eigentliche Treppenwitz der Geschichte ist nun allerdings, dass ausgerechnet Schröder dann ja doch in Deutschland Reformen gemacht hat. Wenn man so will, haben gerade die Schröderschen Agenda-Reformen die Euro-Krise verschärft. (Wobei es höchst unfair wäre, ihm dies vorzuwerfen). Denn durch diese Reformen hat Deutschland intern abgewertet und an Wettbwerbsfähigkeit gewonnen. Umgekehrt bedeutete das eine zusätzliche relative Aufwertung der Südländer und eine zusätzliche Verschlechterung deren Wettbewerbsfähigkeit.
Die eigentliche Geschichte lief also so ab: 1. Schröder verweigert Reformen => Dtld. verfehlt die Masstricht-Kriterien => die Verträge werden modifiziert 2. => der Reformwillen in den Südländern erlahmt ebenfalls (durch Schröders Verhalten mitverursacht) 3. die Kehrtwende: Schröder macht doch Reformen 4. => Deutschland gewinnt an Wettbewerbsfähigkeit. Und weil gleichzeitig die Südländer (auch durch Schröders Verhalten verursacht) wenig Reformwillen haben, bedeutet dies eine gewaltige interne Abwertung durch Deutschland. (bei Prof. Sinn habe mal irgendwo gelesen: 20% gegenüber Spanien, bis zu 50% gegenüber Portugal und Griechenland).
Es ist diese unglückliche Signal-Koppelung von erst Reformunwillen im größten Euro-Land und dann doch relativ massive Reformen, die im Euro-Raum zu derart massiven Produktivitätsunterschieden geführt hat.
Wie gesagt: Ich fände es etwas unfair, Schröder vorzuwerfen, dass er mit der Agenda 2010 die deutsche Wettbewerbsfähigkeit verbessert hat. Man sieht hier aber eigentlich sehr schön, welche ungewollten Schäden eine ruckhafte Politik anrichten kann.
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