Zitat von jchorst im Beitrag #25Politische Überzeugungen und Ziele dürften bei den Gelosten nicht weniger vorhanden sein als bei den Gewählten.
Hm, auch bei den zwischen 20 und 40 Prozent, die nicht einmal wählen gehen?
Aber ich denke, wir belassen es dabei. Ich fürchte jedenfalls, Ihr Vorschlag hat im Augenblick geringe Chancen, im Bundestag eine Mehrheit zu bekommen.
Zitat von AldiOn im Beitrag #4Das alte System fand ich gut und bewährt. Das allerdings ist wohl eine Mindermeinung.
Bewährt: Ja; in über sechzig Jahren sollen sich nur wenige verwählt haben und es ist auch nichts kaputt gegangen. Ob es gut ist, hängt davon ab, ob ein Gesetz verfassungswidrig und dennoch gut sein kann. Das BVerfG jedenfalls fällt i.A. keine Geschmacksurteile.
Ich hoffe ja, dass sich an unserem Wahlrecht nichts grundlegendes ändert, oder wenn, wir ein reines Verhältniswahlrecht bekommen. Das aus zwei Gründen: Bei einem Verhältniswahlrecht besteht wenigstens die Möglichkeit, dass eine für mich wählbare Partei genug Stimmen bekommt, um ins Parlament einzuziehen. So es denn irgendwann eine solche Partei geben wird. Bei dem in Frankreich verwendeten Modell haben ja, soweit ich das überblicke, nur diejenigen kleineren Parteien eine Chance, die entwender mit einer größeren Partei zusammenarbeiten, oder in einzelnen Regionen stark vertreten sind. Eine Partei, die überall dem Großteil der Bevölkerung verhasst ist, hat auch dort wenig Aussichten, ins Parlament zu kommen. Zum anderen: Eine Konstellation, bei der die Parteien gezwungen sind, sich entweder auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen oder ganz handlungsunfähig zu sein, birgt wenigstens die Möglichkeit, dass bedeutend weniger neue Gesetze erlassen werden. Siehe Vorratsdatenspeicherung - dadurch, dass hier noch keine Einigung erzielt werden konnte, haben wir momentan schlichtweg keine, obwohl beide Seiten sie wollen, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen. Wenn sich alle Parteien gegen die Freiheit stellen, ist der beste Schutz der Freiheit der Zank zwischen den Parteien.
Zitat von Solus im Beitrag #28Ich hoffe ja, dass sich an unserem Wahlrecht nichts grundlegendes ändert, oder wenn, wir ein reines Verhältniswahlrecht bekommen. [...] Bei einem Verhältniswahlrecht besteht wenigstens die Möglichkeit, dass eine für mich wählbare Partei genug Stimmen bekommt, um ins Parlament einzuziehen. So es denn irgendwann eine solche Partei geben wird.
Eine, wie ich glaube, ganz ähnliche Überlegung läßt mich das reine Mehrheitswahlrecht favorisieren. Um ins Parlament einzuziehen, braucht eine Partei dabei nur einen einzigen Wahlkreis zu gewinnen, denn eine 5%-Klausel gibt es hier natürlich nicht! (Die Absicht bei letzterer war ja wohl, eine allzu große Zersplitterung zu vermeiden, wie wir sie jetzt aber trotzdem beginnen sehen.) Außerdem spielt die Parteibindung des Abgeordneten eine untergeordnete Rolle; es kommt durchaus vor, daß parteilose Kandidaten gewählt werden, weil sie sich lokal in ihrem Wahlkreis einen Namen als fähige Politiker und Vertreter der Bürgerinteressen gemacht haben.
Aber selbst wenn wir einmal vereinfachend annehmen, daß es bei Mehrheitswahlrecht im wesentlichen zwei wichtige Parteien gibt, die Regierungs- und die Oppositionspartei, so kann das dennoch positive Auswirkung auf die Wählbarkeit der Parteien haben. Während nämlich nach dem derzeitigen deutschen System die Parteien um Prozentanteile der Bevölkerung konkurrieren und dabei --- insbesondere in letzter Zeit --- dieselben Themen besetzen, die (aufgrund ihrer Prominenz in den Medien) als besonders konsensfähig angesehen werden, mit dem Ergebnis, daß die Parteien sich immer mehr assimilieren und im Bundestag statt der nötigen kontroversen Debatten Konsensorgien abhalten, ist bei zwei Hauptparteien mit potentiellen zusätzlichen Konkurrenten im Nacken viel mehr Motivation zu klarer Abgrenzung und Profilierung gegeben. So stehen sich in Großbritannien eine mehr oder weniger traditionell linke (Labour) und eine ausgesprochen libertäre (Conservative) Alternative gegenüber, und wenn man berücksichtigt, daß immer ein gewisser Kompromiß erforderlich ist und man keine Partei finden wird, die in allen Punkten der eigenen Meinung entspricht, sollten sich auch tatsächlich die meisten Bürger bei dem einen oder anderen Lager wiederfinden können.
Was hilft es dagegen, mit ca. 7 im Parlament sitzenden Parteien das prozentuale Wahlverhalten der Bürger möglichst mathematisch genau abbilden zu wollen, wenn in den wirklich grundsätzlichen Fragen fast alle dieser Parteien einer Meinung sind?
Zitat Hm, auch bei den zwischen 20 und 40 Prozent, die nicht einmal wählen gehen?
Gerade bei denen. Natürlich sind dabei einige, die sich überhaupt nicht für Politik interessieren. Aber schon das kann man als politische Einstellung interpretieren - die Einstellung nämlich, dass die Politik mit dem Privatleben nichts zu tun haben sollte. Finde ich gar nicht mal so unsympathisch. Jemand, der sich nicht für Politik interessiert, tendiert eher nicht dazu, seine Mitmenschen mit Vorschriften zu drangsalieren, zum Beispiel mit Regelungen über Leuchtmittel in Privaträumen. Ich glaube jedoch, dass viele der Nichtwähler das Kreuzchen nicht deshalb verweigern, weil sie keine politischen Überzeugungen haben. Sondern weil sie sich in wichtigen Fragen von keiner der Parteien ausreichend repräsentiert bzw. - wie im Fall der Energiewende oder der "Eurorettung" - von der Partei, die sie gewählt haben, geradezu verraten fühlen. Sie haben einfach keine Lust mehr, sich zwischen Scylla und Charybdis zu entscheiden.
Zitat Ich fürchte jedenfalls, Ihr Vorschlag hat im Augenblick geringe Chancen, im Bundestag eine Mehrheit zu bekommen.
Das fürchte ich auch. Aber manchmal passieren Dinge, die man nicht für möglich hält. Auch die Mauer ist gefallen...
Zitat ...ich denke, wir belassen es dabei.
Einverstanden. Aber vielleicht werfen Sie doch einmal einen Blick in das von mir zitierte Buch. Das Losparlament ist darin nur einer von 40 Vorschlägen, wie die Demokratie "geheilt" werden könnte. Ein weiterer ist z.B. das Mehrheitswahlrecht, das mit starken Argumenten dem Verhältniswahlrecht vorgezogen wird.
Zitat von Noricus im Beitrag #10Das komplizierte Wahlsystem ist übrigens vom GG nicht geboten. Art 38 Abs 1 GG trifft keine Aussage darüber, ob es ein Verhältnis- oder ein Mehrheitswahlrecht oder eine Kombination daraus sein muss. So auch das BVerfG in seinem heutigen Urteil, Rn. 56.
Das sehe ich ein. Dann widerspricht sich das BVerfG aber selber, wenn es in der zweiten Entscheidung die Zahl der Überhangmandate auf höchstens 1/2 Fraktionsstärke begrenzen will. Man kann ein reines Mehrheitswahlrecht ja auch als ein Wahlrecht beschreiben, in dem alle Abgeordnetenmandate Überhangmandate sind. Wieso soll in den Extremfällen die "Chancengleichheit der politischen Parteien" gewahrt sein, im Mischsystem aber nicht?
Meiner Meinung versagen alle Politiker einschließlich der BVerf-Richter beim Phänomen der negativen Stimmengewichte, dessen Relevanz letzere so lange negiert haben, bis es durch den Tod des Dresdner NPD-Kandidaten und der Nachwahl nicht mehr zu leugnen war. Eine Lösung ohne die grundsätzliche Diskussion über Überhangmandate wäre eine Kleinigkeit, weil man nur an der Entstehung interner Überhangmandate etwas ändern muß. Lösungsvorschlag 4.2 würde außerdem Gerechtigkeit unter den Landesverbänden insofern schaffen, als daß parteiintern die Aufstellung beliebter Erstkandidaten belohnt würde.
Zitat von Noricus im Beitrag #10Das komplizierte Wahlsystem ist übrigens vom GG nicht geboten. Art 38 Abs 1 GG trifft keine Aussage darüber, ob es ein Verhältnis- oder ein Mehrheitswahlrecht oder eine Kombination daraus sein muss. So auch das BVerfG in seinem heutigen Urteil, Rn. 56.
Auch unser kompliziertes Finanzsystem, unser kompliziertes Sozialsystem, unser kompliziertes Bildungssystem, unser kompliziertes ... Alles nicht vom GG geboten. Das machen wir freiwillig, aus einem tief verwurzelten Gerechtigkeitssinn heraus. Erst wenn das System zur Unkenntlichkeit verkompliziert wurde, so dass Niemand mehr eine Übervorteilung ausmachen kann, ist es wahrhaftig gerecht, sozial gerecht sozusagen. Die fortschreitende Konvergenz der Gerechtigkeit schließt noch die letzte Lücke, bis er Realität ist, der (Alp-)Traum von der Gerechtigkeit.
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