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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 26 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

13.08.2012 08:41
Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Als ich heute die Meldungen in den deutschen Medien gelesen habe, hatte ich den Eindruck, daß kaum gesehen wird, was wirklich gestern in Ägypten geschehen ist:

Morsi hat geputscht und sich diktatorische Vollmachten angeeignet; einschließlich dem Recht, eine Verfassungsgebende Versammlung selbst zu ernennen. Er hat jetzt nicht nur umumschränkte exekutive Macht, sondern kann auch unter Umgehung des Parlaments Gesetze erlassen und den Krieg erklären. Er hat alle Vollmachten, die unmittelbar nach dem Sturz Mubaraks der Oberste Militärrat im März 2011 an sich gezogen hatte, bevor er sie größtenteils schrittweise an Parlament und Präsident abtrat.

Al Ahram spricht von einem "Erdbeben". Wenn das Militär nicht seinerseits einen Gegenputsch versucht, was eher unwahrscheinlich ist, dann wir Morsi eine Machtfülle haben, gegen die diejenige des "Diktators" Mubarak harmlos gewesen war.

Ägypten wird damit zum Vorbild für die anderen Staaten Arabiens werden, in denen die angeblich "gemäßigten" Moslembrüder nach der Macht streben oder sie schon errungen haben. Daß fundamentalistische Islamisten einen demokratischen Rechtsstaat akzeptieren, war immer eine naive Vorstellung.

C. Offline




Beiträge: 2.639

13.08.2012 09:22
#2 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #1

Ägypten wird damit zum Vorbild für die anderen Staaten Arabiens werden, in denen die angeblich "gemäßigten" Moslembrüder nach der Macht streben oder sie schon errungen haben. Daß fundamentalistische Islamisten einen demokratischen Rechtsstaat akzeptieren, war immer eine naive Vorstellung.



Ich bin mäßig gespannt zu erfahren, wie Westerwelle und Merkel, Clinton und Obama darauf reagieren. Wenn mich mein Gefühl nicht täuscht, hat Morsi deren Segen.

Nachtrag:Washington not concerned over Morsi’s moves in Cairo

Der Riesling gehört zu Deutschland.

Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

13.08.2012 09:31
#3 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Lieber Zettel,

wenn die MB damit durchkommen, und ich sehe derzeit keinen Grund, warum nicht, wäre Israel wieder einmal eingekreist. Nachdem der Libanon trotz der "Garantien" der EU von der Hizbollah übernommen wurde, der Irak vom Iran dominiert wird und der Machtkampf in Syrien ohne weiteres zugunsten des Irans ausgehen könnte, scheint das Pendel im Nahen Osten zugunsten der moslemischen Reaktion auszuschlagen.

Herzlich, Thomas

AldiOn Offline




Beiträge: 983

13.08.2012 14:09
#4 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Rein Formal gesehen hat Morsi den demokratischen Rechtsstaat hergestellt und den Putsch des Militärs rückgängig gemacht. Er wird also den Segen der üblichen Verdächtigen (Clinton, Westerwelle) bekommen.
Wozu die Erdogan Leute in der Türkei Jahre gebraucht haben, hat die MB in Ägypten in wenigen Monaten geschafft. Eigentlich ist es kaum vorstellbar, daß das Militär sich das gefallen lassen kann. Möglicherweise warten sie auf einen größeren Zwischenfall (oder bereiten ihn vor), um dann einen "richtigen" Putsch durchzuführen.
Es ist darauf hinzuweisen, daß schon vor dem großen Personalkarussel vor einigen Tagen der Chef der Geheimpolizei ausgewechselt wurde. Morsi ist also ein Mann, der in vorbildlicher Weise Prioritäten zu setzen weiß und einen Gefühl für den richtigen Augenblick hat. Dafür das Morsi ja ursprünglich nur 2.Wahl war, hat er einen wirklich guten Instinkt. Man muß seinen Hut vor ihm ziehen und sich die Frage stellen ob man selber das auch so gut hingekriegt hätte.
Und man kann mit einigem Recht auch die Frage stellen ob der Zwischenfall im Sinai nicht von langer Hand für genau so was geplant war, da die Sache für sich genommen ja ziemlich sinnlos war (kein einziger Israeli ist zu Schaden gekommen und hätte zu Schaden kommen könnnen). Mindestens ist es eine schöne Verschörungstheorie.

In Ägypten gibt es dafür allgemeinen Jubel, da die Militärdiktaturhasser, die Demokratieverfechter und die Islamisten sich in der Richtigkeit dieses Schrittes einig sind. Ein Militärputsch würde gegen den entschiedenen Willen der ägyptischen Öffentlichkeit stattfinden.

Morsi hat ja nicht nur ein sehr umfangreiches Personalkarussell angestoßen sondern auch damit begonnen die Medien unter die Kontrolle der MB zu stellen. Die Leiter der staatlichen Medien wurden ausgewechselt, ein (christlicher) Fernsehsender verboten und die Ausgabe eines kritischen Berichts einer Zeitung eingezogen.

Ohne rechthaberisch sein zu wollen (eigentlich: doch): Hier geht es nicht um einen Kampf gegen die (unzweifelhaft) sozialistische Wirtschafstweise Ägyptens sondern um eine Revision der durch die Kolonisierung Ägyptens erreichten Verwestlichung.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

13.08.2012 14:29
#5 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Zitat von AldiOn im Beitrag #4
Rein Formal gesehen hat Morsi den demokratischen Rechtsstaat hergestellt und den Putsch des Militärs rückgängig gemacht.
Das ist falsch, lieber AldiOn, wirklich ganz falsch. Er hat in Artikel 2 seiner Constitutional Declaration die Machtbefugnisse nach Paragraph 56 der Constitutional Declaration vom 30. März 2011 auf sich übertragen, die sich damals der SCAF unmittelbar nach dem Sturz Mubaraks angeeignet hatte. Er ist jetzt zugleich oberste Exekutive und oberste Legislative. Er hat die Machtfülle eines Diktators.

Morsi ist damit jetzt zugleich Staatsoberhaupt, Regierungschef und Gesetzgeber Ägyptens. Er kann jedes Gesetz erlassen, das er erlassen will. Er hat sich in Artikel 4 sogar das Recht angeeignet, die Mitglieder einer Verfassungsgebenden Versammlung persönlich zu ernennen.
Zitat von AldiOn im Beitrag #4
In Ägypten gibt es dafür allgemeinen Jubel, da die Militärdiktaturhasser, die Demokratieverfechter und die Islamisten sich in der Richtigkeit dieses Schrittes einig sind.
Diesen Jubel, lieber AldiOn, vernehme ich nicht; nicht als allgemeinen.

Der letzte Ministerpräsident Mubaraks, Ahmed Shafiq, hat bekanntlich als Morsis Gegenkandidat fast die Hälfte der Stimmen bekommen; von Leuten, die genau einen solchen Putsch gefürchtet haben.

Herzlich, Zettel

Calimero Offline




Beiträge: 3.280

13.08.2012 15:01
#6 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #5
Diesen Jubel, lieber AldiOn, vernehme ich nicht; nicht als allgemeinen.

Oh, der deutsche Staatsfunk hat den schon gehört. Gestern Nacht kriegte sich die Radiosprecherin jedenfalls kaum ein vor Freude. Der alte Vertraute Mubaraks weg, das Militär entmachtet, tausende nahmen dies mit Jubel auf.
Der Stern bringts auf denselben Nenner:

Zitat
Der ehemalige Dissident und Generaldirektor der Atomenergiebehörde (IAEA), Mohammed El Baradei, sprach am Montag von einem «Schritt in die richtige Richtung». Auch Vertreter der Protestbewegung, die im Februar 2011 zum Sturz des damaligen Präsidenten Husni Mubarak geführt hatten, äußerten sich positiv.


Also alles in bester Ordnung. Wer den alten Despoten weghaben wollte (und das waren ja irgendwann alle) ist erfreut ob Mursis Amtshandlungen.

Zitat
«Es ist eine Übertragung der Macht auf den Präsidenten in guter Absicht», kommentierte der moderate Islamist Abdel Moneim Abul Futuh Mursis Schritt am Montag. «Seine Entscheidungen verdienen unsere Unterstützung», erklärte Ahmed Maher, der Mitbegründer der am Mubarak-Sturz beteiligten Jugendbewegung 6. April, über die Internet-Plattform Twitter. «Ich denke, genau das wollten wir.»


Klar gibts da den kleinen Schönheitsfehler mit der etwas freizügigen Interpretation von Demokratie. Aber da mahnt el Baradei natürlich schon mal an, dass das so natürlich nicht ewig bleiben sollte:

Zitat
«Ein Präsident, der sowohl exekutive als auch gesetzgeberische Vollmachten hat, widerspricht dem Kern der Demokratie. Das kann nur ausnahmsweise und provisorisch gehen.»


Ja dann ... nun wissen ja alle bescheid. Ist ein bissl wie beim Euromurks. Kurzfristig muss man da halt ein paar demokratische Abstriche machen - wenn es doch um eine gute Sache geht.

----------------------------------------------------
Calimeros Rumpelkammer - Ein Raum für freie Rede und Gedanken, mittendrin im Irrenhaus.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

13.08.2012 19:11
#7 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Zitat von Calimero im Beitrag #6

Ja dann ... nun wissen ja alle bescheid. Ist ein bissl wie beim Euromurks. Kurzfristig muss man da halt ein paar demokratische Abstriche machen - wenn es doch um eine gute Sache geht.

Es ist auch wie damals beim Sturz des Schah im Iran. Nur diesmal ist die Außenpolitik der EU-Staaten kaum von der Amerikas zu unterscheiden, was ja nicht schlecht wäre, würde man nicht wieder einmal den Wechsel von einer moderaten Despotie in eine radikale Diktatur begrüßen.

Viele Grüße, Erling Plaethe

augustin Offline



Beiträge: 128

13.08.2012 21:40
#8 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Zitat von Thomas Pauli im Beitrag #3
und der Machtkampf in Syrien ohne weiteres zugunsten des Irans ausgehen könnte


M.E. dürfte es für die strategische Lage Israels keine Rolle spielen, zu wessen Gunsten der syrische Bürgerkrieg entschieden wird. Sowohl die sunnitischen Islamisten als auch die säkularen Anhänger Assads sind erklärte Feinde Israels. Nach einer sunnitisch-islamistischen Machteroberung dürfte sich das neue Regime nahtlos in die antiisraelische Einheitsfront einreihen. Der gemeinsame Kampf gegen Israel könnte hier neben der Vertreibung oder Vernichtung der syrischen Christen sogar als einigendes Blutopfer zur Wiederherstellung des inneren Friedens dienen.

Das einzige, was der drohenden Einkreisung Israels entgegensteht, ist m.E. die Möglichkeit, dass die sunnitischen Extremisten Syriens sich nicht darauf beschränken, Christen und (höherrangige) Vertreter des alten Regimes zu verfolgen, sondern zu breit angelegten Gewaltmaßnahmen gegen die schiitische Minderheit greifen.

Das hätte das Potential, die geostrategische Allianz zwischen sunnitischen und schiitischen Extremisten aufzubrechen. Israel wäre dann zwar immer noch von Feinden umgeben, könnte jedoch von ihrer Uneinigkeit profitieren.

AldiOn Offline




Beiträge: 983

14.08.2012 04:04
#9 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #5
Zitat von AldiOn im Beitrag #4
Rein Formal gesehen hat Morsi den demokratischen Rechtsstaat hergestellt und den Putsch des Militärs rückgängig gemacht.
Das ist falsch, lieber AldiOn, wirklich ganz falsch. Er hat in Artikel 2 seiner Constitutional Declaration die Machtbefugnisse nach Paragraph 56 der Constitutional Declaration vom 30. März 2011 auf sich übertragen, die sich damals der SCAF unmittelbar nach dem Sturz Mubaraks angeeignet hatte. Er ist jetzt zugleich oberste Exekutive und oberste Legislative. Er hat die Machtfülle eines Diktators.

Morsi ist damit jetzt zugleich Staatsoberhaupt, Regierungschef und Gesetzgeber Ägyptens. Er kann jedes Gesetz erlassen, das er erlassen will. Er hat sich in Artikel 4 sogar das Recht angeeignet, die Mitglieder einer Verfassungsgebenden Versammlung persönlich zu ernennen.

Was soll daran falsch sein?
Er ist immerhin gewählter Staatspräsident in einem Land ohne gültige Verfassung und wird von Parteien gestützt, die im Parlament 50-75% der Abgeordneten stellen. Damit hat er deutlich mehr Legitimität als jeder andere und vor allem das Militär.

Es ist ja nicht weiter merkwürdig und sogar zweckmäßig wenn der Staatspräsident eine (auch objektiv vorhandene) Verfassungskrise sieht und zu deren Überwindung die Macht an sich zieht. Sie werden ja doch wohl nicht einer selbst ernannten, durch nichts legitimierten und im Volk verhaßten Militärregierung eine höhere Legitimation zubilligen?

Das wir hier Morsi und seine Spießgesellen für Verbrecher oder zumindest Möchtegernverbrecher im Stil der iranischen Mullahs halten, ist eine ganz andere Frage.
Natürlich wird Morsi eine Verfassung für eine Scheindemokratie errichten, in dem die Führung der Muslimbrüderschaft für alle Zeit die Macht hat. Dies allerdings entspricht auch dem aktuellen Willen der überwiegenden Mehrheit der ägyptischen Wähler.

Rein Formal gesehen ist Morsi nichts vorzuwerfen.

Tatsächlich sind ja auch alle mehr oder weniger sprachlos bezüglich der Geschehnisse. Selbst dem ägyptische Blogger Issandr El Amrani - The Arabist (kritisch gegenüber der MB) fällt zu dem ganzen nicht mehr ein als einen anderen Blogger zu zitieren, der dazu schreibt:

Zitat
I expect him to benefit from the incompetence of everyone around him. While everything around him is helping him become more confident, and street support for the Muslim Brotherhood automatically is channeled to him, it is only a matter of time until he realizes that he does not have to live subdued by the organization, but that he should get the place he deserves. We make pharaohs, and we make them fast, and he won't really be any exception.

While he has, together with the Muslim Brotherhood, sidelined SCAF (apparently), he will now more single-handedly sideline the Brotherhood.

Dieser Mann, der ja ursprünglich nur ein schnell hervorgeholter Lückenbüßer war, wird der neue Tyrann werden. Als Tyrann wird er wohl die Politik Mubaraks verfolgen und auch so wie Mubarak enden oder wie Assad seinen Clan installieren. So ist das dort halt üblich.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

14.08.2012 10:57
#10 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Zitat von AldiOn im Beitrag #9
Zitat von Zettel im Beitrag #5
Morsi ist damit jetzt zugleich Staatsoberhaupt, Regierungschef und Gesetzgeber Ägyptens. Er kann jedes Gesetz erlassen, das er erlassen will. Er hat sich in Artikel 4 sogar das Recht angeeignet, die Mitglieder einer Verfassungsgebenden Versammlung persönlich zu ernennen.

Was soll daran falsch sein?
Er ist immerhin gewählter Staatspräsident in einem Land ohne gültige Verfassung und wird von Parteien gestützt, die im Parlament 50-75% der Abgeordneten stellen. Damit hat er deutlich mehr Legitimität als jeder andere und vor allem das Militär.

Ich habe, lieber AldiOn, kürzlich in einer anderen Diskussion geschrieben, daß ich mit dem verschwommenen Begriff der Legitimität wenig anfangen kann.

Was meinen Sie hier damit? Der Kandidat Ahmed Shafiq, letzter Ministerpräsident Mubaraks und Kandidat des Militärs, hat bekanntlich fast ebenso viele Stimmen bekommen wie Morsi. Es kann also keine Rede davon sein, daß eine große Mehrheit der Ägypter hinter Morsi steht.

Wer ihn gewählt hat, der hat ihn aufgrund der geltenden Verfassung gewählt, die seinen jetzigen Putsch selbstverständlich nicht erlaubt. Er hat vor dem Obersten Gericht auf diese Verfassung einen Eid abgelegt und ihn jetzt gebrochen. Das ist jedenfalls die Meinung ägyptischer Juristen:

http://english.ahram.org.eg/NewsContent/...Tarek-ElBi.aspx

http://english.ahram.org.eg/NewsContent/...rsis-consti.asp

Zitat von AldiOn im Beitrag #9
Es ist ja nicht weiter merkwürdig und sogar zweckmäßig wenn der Staatspräsident eine (auch objektiv vorhandene) Verfassungskrise sieht und zu deren Überwindung die Macht an sich zieht.

Ich bin mir nicht sicher, lieber AldiOn, ob Sie das alles vielleicht sarkastisch meinen und eigentlich der gegenteiligen Auffassung sind.

Es gab nicht die Spur einer Verfassungskrise. Es haben vielmehr Parlamentswahlen stattgefunden, und ein Komitee arbeitet an einer neuen Verfassung. Der Putsch war allein dadurch motiviert, daß der Sinai-Zwischenfall das Militär schlecht hatte aussehen lassen und Morsi diese Chance nutzte.
Zitat von AldiOn im Beitrag #9
Natürlich wird Morsi eine Verfassung für eine Scheindemokratie errichten, in dem die Führung der Muslimbrüderschaft für alle Zeit die Macht hat. Dies allerdings entspricht auch dem aktuellen Willen der überwiegenden Mehrheit der ägyptischen Wähler.

In keiner Weise. Ich habe nun wirklich diesen Wahlkampf verfolgt; Sie können es in ZR nachlesen. Im ersten Wahlgang gab es gemäßigte Kandidaten, die es aber nicht in den zweiten Wahlgang schafften. In diesem hatten die Ägypter nur noch die Wahl zwischen dem radikalen Moslembruder Morsi und einem Mann des alten Regimes.

Das war - auf die Spitze getrieben - so, als wäre nach 1945 in Deutschland gewählt worden, und zur Wahl hätten Walter Ulbricht und Karl Dönitz gestanden.

Ich habe damals täglich Al Ahram gelesen. Es gab x Artikel, in denen man von Ägyptern erfuhr, die sich zähneknirschend für den einen oder den anderen entschieden, weil er in ihren Augen das jeweils geringere Übel war.

Noch ist Al Ahram relativ frei und deshalb eine etwas bessere Quelle als irgendein Blogger, lieber AldiOn. Kann sein, daß sich das bald ändert.



Skandalös ist die Berichterstattung in deutschen öffentlich-rechtlichen Medien. Die gestrige heute-Sendung um 19 Uhr war ein Beispiel. Offenbar gibt es inzwischen auch in solchen Sendern Sympathisanten der Moslem-Brüder.

Herzlich, Zettel

AldiOn Offline




Beiträge: 983

14.08.2012 13:46
#11 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #10
Es gab nicht die Spur einer Verfassungskrise. Es haben vielmehr Parlamentswahlen stattgefunden
Nach denen der Militärrat "einfach mal so" die Macht an sich gezogen hat.
Und dann bei der ersten Gelegenheit (der von den Israelis vorausgesagte und übermittelten Sinai-Zwischenfall) versagt hat. Und das nennen sie "nicht die Spur einer Verfassungskrise"?
Unter den Bedingungen Ägyptens bringt man solche Leute wie den Morsi nach den Wahlen um (besser: vorher)wie das damals sehr erfolgreich (und sehr blutig) in Algerien gemacht wurde wo die Moslembrüder für eine Weile gezähmt worden sind. Dort weiß jeder Wähler das wenn er die Moslembrüder wählt es wieder zu einem blutigen Bürgerkrieg kommmen wird



Zitat von Zettel im Beitrag #10
Im ersten Wahlgang gab es gemäßigte Kandidaten, die es aber nicht in den zweiten Wahlgang schafften. In diesem hatten die Ägypter nur noch die Wahl zwischen dem radikalen Moslembruder Morsi und einem Mann des alten Regimes.

Das war - auf die Spitze getrieben - so, als wäre nach 1945 in Deutschland gewählt worden, und zur Wahl hätten Walter Ulbricht und Karl Dönitz gestanden.
Ihre Analogie mit Ulbricht und Dönitz ist ja völlig zutreffend (eher sogar etwas ungerecht gegenüber Ulbricht und Dönitz). Nur das vernünftige Menschen solche Leute gar nicht erst hochkommen lassen sondern sie - soweit nötig - mit der Waffe in der Hand daran hindern sich zur Wahl stellen zu können.

Ansonsten ist es in parlamentarischen Demokratien überhaupt nicht ungewöhnlich, daß Wahlentscheidungen denkbar knapp und unter fragwürdigen Bedingungen entstehen. Es ist an die 2. Wahl Schröder und die 2. Wahl Bush jr. zu erinnern. Und im Gegensatz zu denen kann sich Morsi auf einen überwältigende Parlamentsmehrheit berufen.

Für Militärs ist es ja nicht ungewöhnlich, daß sie Fehler mit dem Leben bezahlen müssen. Auch wenn sie jetzt mit bunten Plaketten und tollen Jobs abgespeist wurden, werden sie früher oder später am Galgen baumeln. Und das mit recht da sie das Regime der Moslembrüder nicht verhindert haben.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

14.08.2012 14:14
#12 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Zitat von AldiOn im Beitrag #11
]Ihre Analogie mit Ulbricht und Dönitz ist ja völlig zutreffend (eher sogar etwas ungerecht gegenüber Ulbricht und Dönitz). Nur das vernünftige Menschen solche Leute gar nicht erst hochkommen lassen sondern sie - soweit nötig - mit der Waffe in der Hand daran hindern sich zur Wahl stellen zu können.

Ich vermute allmählich wirklich, lieber AldiOn, daß Sie Satire schreiben wollen.

Die ägyptischen Wahlen waren - für die dortigen Verhältnisse - demokratisch und auch rechtsstaatlich. Sie wollen ernsthaft dafür eintreten, daß man stattdessen einen Bürgerkrieg hätte beginnen sollen?

Nein, das wollen Sie nicht, denke ich. Sie wollen mich a bisserl verhohnepiepeln, gell?

Alaaf und Helau, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

14.08.2012 14:23
#13 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Zitat von AldiOn im Beitrag #11
Nach denen der Militärrat "einfach mal so" die Macht an sich gezogen hat.

Was auch nicht legitimer war, schon richtig.
Aber wenn ich das richtig verstanden habe, hat Mursi deutlich mehr gemacht als nur diese Kompetenzen an sich gezogen. Insbesondere darf er m. E. dem Parlament überhaupt keine Rechte entziehen - auch wenn seine Freunde dort die Mehrheit haben.

Zitat
Und dann bei der ersten Gelegenheit (der von den Israelis vorausgesagte und übermittelten Sinai-Zwischenfall) versagt hat. Und das nennen sie "nicht die Spur einer Verfassungskrise"?


Der Sinai-Zwischenfall war m.E. ziemlich nebensächlich und ich kann auch nicht beurteilen, ob der Militärrat da irgendwie versagt hat. Mit der Innenpolitik in Kairo hat das jedenfalls gar nichts zu tun, auch nicht mit einer Verfassungskrise.

Zitat
Nur das vernünftige Menschen solche Leute gar nicht erst hochkommen lassen sondern sie - soweit nötig - mit der Waffe in der Hand daran hindern sich zur Wahl stellen zu können.


Das ist schwierig, wenn es nur eine Minderheit an "vernünftigen Menschen" gibt.

AldiOn Offline




Beiträge: 983

14.08.2012 15:34
#14 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #12
Sie wollen mich a bisserl verhohnepiepeln, gell?
Das würde ich mir nicht erlauben.


Zitat von R.A.
Aber wenn ich das richtig verstanden habe, hat Mursi deutlich mehr gemacht als nur diese Kompetenzen an sich gezogen. Insbesondere darf er m. E. dem Parlament überhaupt keine Rechte entziehen - auch wenn seine Freunde dort die Mehrheit haben.

Das ist natürlich richtig.

Was heißt hier schon dürfen? Er will offenbar keine Lücke lassen.

Wenn man meinen Gedanken von "formal richtig" verfolgt, ist er natürlich an dieser Stelle weit über das Ziel hinausgeschossen. Es scheint aber auch nicht so richtig Widerstand dagegen zu geben, da es wohl allgemein an Demokraten mangelt. Deswegen halte ich es eben für bedauerlich, daß die Militärs nicht in der Lage sind ein Minimum an Zivilisation zu garantieren.

Man sagt ja in solchen Fällen gerne "um jeden Preis". Im Iran sieht man ja, daß solche Leute nicht nur in der Lage sind, in großem Umfang Morde zu begehen sondern auch immer mal geneigt sind, den Weltfrieden zu bedrohen. Sie mögen mich für brutal halten aber mir scheint ein äußerst blutiger Bürgerkrieg wie er ja in Algerien in den 90er Jahren stattgefunden hat ein angemessener Preis zu sein. Wozu sonst sind denn diese von den USA ausgehaltenen ägyptischen Militärs gut in einem Land, das von Niemandem bedroht wird?

Jorge Arprin Offline



Beiträge: 73

14.08.2012 17:42
#15 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Zitat von AldiOn im Beitrag #14
Deswegen halte ich es eben für bedauerlich, daß die Militärs nicht in der Lage sind ein Minimum an Zivilisation zu garantieren.


Von welcher Zivilisation sprechen sie? Wissen sie, mit welchen Methoden diese Militärs seit 60 Jahren über Ägypten herrschen?

Das Militär hat mit den Muslimbrüdern zusammengearbeitet und glaubte, sie als Marionette für sie herrschen lassen zu können. Morsi wäre ohne die Militärs gar nicht an die Macht gekommen.

Jetzt stellen die Militärs wohl fest, dass sie sich verrechnet haben.

Zitat von AldiOn im Beitrag #14
Man sagt ja in solchen Fällen gerne "um jeden Preis". Im Iran sieht man ja, daß solche Leute nicht nur in der Lage sind, in großem Umfang Morde zu begehen sondern auch immer mal geneigt sind, den Weltfrieden zu bedrohen. Sie mögen mich für brutal halten aber mir scheint ein äußerst blutiger Bürgerkrieg wie er ja in Algerien in den 90er Jahren stattgefunden hat ein angemessener Preis zu sein. Wozu sonst sind denn diese von den USA ausgehaltenen ägyptischen Militärs gut in einem Land, das von Niemandem bedroht wird?


Verstehe ich sie richtig: Eine Islamische Republik soll um jeden Preis, notfalls mit einem blutigen Bürgerkrieg, verhindert werden? Weil "Islamisten in großem Umfang Morde begehen den Weltfrieden bedrohen"? Die Argumentation ist etwas löchrig. Soweit ich weiß, machen das nicht nur Islamisten. Der laizistische Irak begang im Umfang Morde (1 Million) und bedrohte den Weltfrieden. Glauben sie, es wäre den Algeriern schlimmer ergangen, wenn die Islamisten die Macht ergriffen hätten, als durch den von den Militärs angezettelten Bürgerkrieg mit 100.000 Toten?

Diese Militärs sind doch nicht moralisch besser als Islamisten.

Um Ludwig von Mises zu zitieren:

"Im zweiten Jahrhundert nach Christi wurde das römische Reich in hochgradiger Verfeinerung des Führer-Prinzips regiert. Dieses System verschaffte dem Reich die Aufeinanderfolge von vier großen Monarchen: Trajan, Hadrian, Antonius Pius und Marcus Aurelius. Dann jedoch folgte die Ära der Prätorianer, fortdauernder Bürgerkrieg, Anarchie und schneller Verfall. ... Historiker tadeln dafür Marc Aurel, den letzten guten Kaiser. Er war schuldig, sagen sie, weil er die Praxis seiner Vorgänger aufgab und- anstelle des geeigneten Mannes- seinen unfähigen Sohn Commodus ins Amt einsetzte. Wie dem auch sei, ein System, das durch den Fehler eines einzigen Menschen zerstört werden kann, ist ein schlechtes System... Die Wahrheit ist, dass solch ein Führer-System notwendigerweise zu andauerndem Bürgerkrieg führen muss, sobald es mehrere Bewerber für das höchste Amt gibt. ... Die Sicherheit, die es angeblich verschafft, ist der Aufruhr endlosen Bürgerkrieges."

Soviel zur "Stabilität", die "wohlwollende Diktatoren" angeblich verschaffen. Durch ihre Unterdrückung legen sie den Grundstein für den Hass und die Rache der Unterdrückten. Eine demokratisch legitimierte Regierung ist einer Despotie immer vorzuziehen.

arprin.wordpress.com

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

14.08.2012 18:00
#16 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Zitat von Jorge Arprin im Beitrag #15
Eine demokratisch legitimierte Regierung ist einer Despotie immer vorzuziehen.

Hitler war auch demokratisch legitimiert.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

14.08.2012 19:52
#17 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Zitat von Erling Plaethe
Hitler war auch demokratisch legitimiert.

Inwiefern?

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

14.08.2012 20:53
#18 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Zitat von Rayson im Beitrag #17

Zitat von Erling Plaethe
Hitler war auch demokratisch legitimiert.
Inwiefern?


Er ist vom Reichspräsidenten Hindenburg zum Reichskanzler ernannt worden, als Führer der stärksten Fraktion im Reichstag.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

14.08.2012 21:14
#19 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Zitat von Erling Plaethe
Er ist vom Reichspräsidenten Hindenburg zum Reichskanzler ernannt worden, als Führer der stärksten Fraktion im Reichstag.

Letzteres war er vorher auch schon und ist dennoch nicht ernannt worden. Aber das ist nicht der Punkt, sondern dass er die Alleinherrschaft eben nicht mehr auf demokratischem Boden erlangte. Nur als Kanzler einer reaktionären Regierung wäre er nicht zu dem Hitler geworden, als der er jett in den Geschichtsbüchern steht. Schon die letzte Reichstagswahl fand nicht mehr unter regulären Bedingungen statt, und das Ermächtigungsgesetz schließlich beendete die Demokratie ganz.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

14.08.2012 21:37
#20 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Zitat von Rayson im Beitrag #19

Zitat von Erling Plaethe
Er ist vom Reichspräsidenten Hindenburg zum Reichskanzler ernannt worden, als Führer der stärksten Fraktion im Reichstag.
Letzteres war er vorher auch schon und ist dennoch nicht ernannt worden.


Das hat aber mit der Frage nichts zu tun. Im übrigen wäre die Bildung einer Regierung ohne die NSDAP 1932/33 nicht möglich gewesen.

Zitat von Rayson im Beitrag #19
Aber das ist nicht der Punkt, sondern dass er die Alleinherrschaft eben nicht mehr auf demokratischem Boden erlangte.
Auch darum ging es nicht, sondern inwiefern er demokratisch legitimiert Reichskanzler wurde, denn dadurch kam er an die Macht. Ernannt von Hindenburg, der legitimiert war Hitler zu ernennen.
Zitat von Rayson im Beitrag #19
Nur als Kanzler einer reaktionären Regierung wäre er nicht zu dem Hitler geworden, als der er jett in den Geschichtsbüchern steht. Schon die letzte Reichstagswahl fand nicht mehr unter regulären Bedingungen statt, und das Ermächtigungsgesetz schließlich beendete die Demokratie ganz.

Das stimmt ja alles und da bin ich auch völlig einer Meinung mit Dir, aber das pikante, der Ausgangspunkt meiner Überspitzung war: Eine Despotie kann aus einer demokratischen Legitimation heraus entstehen. Und ich möchte anfügen, - wenn die Gewaltenteilung nicht funktioniert oder besser, erhalten bleibt. Und genau das ist offensichtlich z.Z. in Ägypten der Fall.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

14.08.2012 21:45
#21 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Zitat von Rayson im Beitrag #19
und das Ermächtigungsgesetz schließlich beendete die Demokratie ganz.


Kleine Ergänzung: Die Rechts- und Bundesstaatlichkeit wurde bereits einen knappen Monat vor dem Ermächtigungsgesetz de facto abgeschafft bzw. kastriert:

http://de.wikipedia.org/wiki/Verordnung_..._Volk_und_Staat

AldiOn Offline




Beiträge: 983

14.08.2012 21:48
#22 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Zitat von Jorge Arprin im Beitrag #15
Zitat von AldiOn im Beitrag #14
Deswegen halte ich es eben für bedauerlich, daß die Militärs nicht in der Lage sind ein Minimum an Zivilisation zu garantieren.


Von welcher Zivilisation sprechen sie? Wissen sie, mit welchen Methoden diese Militärs seit 60 Jahren über Ägypten herrschen?
Deswegen habe ich ja auch von einem Minimum gesprochen. Man sollte nicht den Fehler machen und eurzentristisch denken sondern sich an den dortigen Habits orientieren. Richtige Demokraten nach unserem Verständnis wird man wohl in Ägypten mit der Lupe suchen müssen.



Zitat von Jorge Arprin im Beitrag #15
Verstehe ich sie richtig?
Ja
Wobei sogar dieser Zug wohl schon abgefahren ist. Der deutsch-ägyptische Politologe Hamed Abdel-Samad (das ist der, den wir von Broders Reisen durch Deutschland in dieser Sonntagabendsendung kennen) schreibt in der heutigen FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND (DIENSTAG, 14. AUGUST 2012) auf Seite 12:

Zitat
Es muss sich erst noch erweisen, ob es der türkische Weg oder tatsächlich eher der pakistanische ist. In der Türkei hat die zivile Regierung die Macht der Armee gezügelt, sodass die wichtigsten Entscheidungen nicht von der Armee, sondern vom Parlament getroffen werden. Der pakistanische Weg ist ein Zusammenschluss von Armee und Islamismus, was wir in den 90er-Jahren in Pakistan erlebt haben. Das halte ich für durchaus nicht ausgeschlossen. Ägyptens neuer Verteidigungsminister ist ein Muslimbruder, und es gibt viele innerhalb der Armee, die sich nach Mursis Wahl ermutigt und ermächtigt fühlen. Auch in der Armee haben die Muslimbrüder nun Oberwasser.

Tamtawi et al. haben wohl erkannt, daß sie nicht nur im Volk verhaßt sondern auch in der Armee isoliert sind und ahben sich für den Absprung entschieden.
Und Mursi hat ja auch jede Menge Rückenwind:

Zitat von FTD 14.8. Bericht "Ägypter feiern Mursis Mut" Seite 12
Auch unter seinen politischen Konkurrenten traf Mursis Vorgehen auf Zustimmung. Der frühere Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) und Friedensnobelpreisträger Mohamed El Baradei sprach von „einem Schritt in die richtige Richtung“. Der ehemalige islamistische Präsidentschaftskandidat Abdulmunim Abulfutuh twitterte: „Heute hat die wirkliche Machtübergabe stattgefunden.“ Und der Schriftsteller Alaa al-Aswani sah „einen Schritt, um die Legitimität des Staates zu festigen“. Viel Beifall erhielt auch die Nominierung des unabhängigen Richters Mahmud Makki zum Vizepräsidenten. Dieser hatte sich schon zu Mubaraks Zeiten einen Namen als Verfechter von Rechtsstaatlichkeit gemacht. Daneben gibt es aber auch Stimmen aus dem liberalen und säkularen Lager, die sich fragen, ob Mursi und die Muslimbrüder nun zu viel Macht anhäufen könnten. Der linke Ex-Präsidentschaftskandidat Hamdin Sabahi forderte das Staatsoberhaupt auf, er möge der Präsident des Volkes und nicht einer Gruppe sein. Ein Sprecher der Jugendrevolution richtete einen Aufruf an die nationalen und revolutionären Oppositionskräfte, sich endlich zusammenzuschließen und ein politisches Gegengewicht zu den Muslimbrüdern zu schaffen.

Diese Gegengewicht gibt es offenbar gar nicht. Und weil es keinen Widerstand gibt haben die ägyptischen Islamisten das wozu die in der Türkei 7 Jahre gebraucht haben, innerhalb 46 Tagen geschafft.

Mir jedenfalls ist ein wenig unklar, wie man unter diesen Bedingungen vom Fehlen von Legitimität bei Mursis Vorgehensweise sprechen kann.

Das ich die Islamisten für Barbaren halte und die Entwicklung ganz doof finde (man möge mir diese Ausdrucksweise ausnahmsweise mal verzeihen) steht nun auf einem ganz anderen Blatt.

Zitat von Erling Plaethe
Eine Despotie kann aus einer demokratischen Legitimation heraus entstehen. Und ich möchte anfügen, - wenn die Gewaltenteilung nicht funktioniert oder besser, erhalten bleibt. Und genau das ist offensichtlich z.Z. in Ägypten der Fall.

Wobei Hitler nie auch nur annähernd (gemessen an Wahlen) die Zustimmung hatte, die Mursi jetzt hat. Solche Zustimmung hatte Hitler möglicherweise nach der Eingliederung Österreichs.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

14.08.2012 22:34
#23 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Zitat von AldiOn im Beitrag #22
Mir jedenfalls ist ein wenig unklar, wie man unter diesen Bedingungen vom Fehlen von Legitimität bei Mursis Vorgehensweise sprechen kann.
Wie schon geschrieben, lieber AldiOn: Ich weiß nicht so recht, was Sie in diesem Zusammenhang mit Legitimität meinen. Jedenfalls kann keine Rede davon sein, daß Morsis Putsch von einer Mehrheit der Ägypter unterstützt werden würde.

Fast 50 Prozent der Ägypter haben Morsi nicht gewählt, sondern sich - viele zähneknirschend - für den Mann des Mubarak-Regimes Ahmed Safiq entschieden. Sie wußten, was Morsi machen würde und hielten unter diesen Auspizien Safiq für das geringere Übel. Die Stimmen der ägyptischen Juristen, die Al Ahram zitiert, sind durchweg negativ. Morsi hat die Verfassung gebrochen, auf die er sich gerade erst hat vereidigen lassen.



Das Militär wird vermutlich keinen Gegenputsch wagen. Das liegt in der Tat daran, daß es auch dort Morsi-Anhänger gibt. Vor allem aber - das schreibt Stratfor heute - geht es um die Aufstiegschancen der mittleren Führungsebene. Diese Obristen sehen die Entmachtung der alten Führung gern, weil sie deren Positionen für sich wollen.

Am Ende des Artikels hatte ich geschrieben:

Zitat
Wie wird sich das Militär verhalten? Es umfaßt viel mehr als nur klassische Streitkräfte, nämlich einen Staat im Staate, der Wirtschaftsunternehmen betreibt und eine eigene Infrastruktur hat. Das Interesse des Militärs dürfte es vor allem sein, die damit verbundenen Privilegien nicht zu verlieren. Gibt Morsi entsprechende Zusagen, dann werden sich die Militärs möglicherweise damit abfinden, daß die politische Macht künftig ausschließlich bei der Moslem-Bruderschaft liegen soll.


Nach der Analyse von Stratfor ist wohl genau dies der Deal. Die abgehalfterten Generäle werden anderweitig versorgt. Der bisherige Oberbefehlshaber der Marine ist zum Beispiel zum Chef der Suezkanal-Behörde ernannt worden.



Und warum geht diejenige Hälfte der Bevölkerung, die Morsi nicht gewählt hat, jetzt nicht auf die Straße? Weil diese Opposition zersplittert ist; von den Kommunisten über Sozialdemokraten und Bürgerliche bis zu den Anhängern des alten Regimes. Weil das - Kaufleute, Beamte, Angehörige freier Berufe, Künstler usw. - ohnehin keine Leute sind, die Politik auf der Straße machen können und das auch nicht wollen. Weil sie keine Chance mehr sehen, die Islamisierung des Landes noch zu verhindern. Da gibt es viele Gründe.

El Baradei hat von Anfang an mit dem Islamisten kooperiert. Sie brauchen ihn als liberales Aushängeschild. Er will vermutlich unter Morsi einen Posten; vielleicht sogar den des Premiers

Was den neuen Vizepräsidenten Mahmoud Mekki angeht, ist er seit seinem Prozeß 2006 ein enger Freund der Moslem-Bruderschaft und wurde sogar als deren möglicher Präsidentschaftskandidat gehandelt.

Herzlich, Zettel

AldiOn Offline




Beiträge: 983

14.08.2012 22:56
#24 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #23

Und warum geht diejenige Hälfte der Bevölkerung, die Morsi nicht gewählt hat, jetzt nicht auf die Straße? Weil diese Opposition zersplittert ist; von den Kommunisten über Sozialdemokraten und Bürgerliche bis zu den Anhängern des alten Regimes. Weil das - Kaufleute, Beamte, Angehörige freier Berufe, Künstler usw. - ohnehin keine Leute sind, die Politik auf der Straße machen können und das auch nicht wollen. Weil sie keine Chance mehr sehen, die Islamisierung des Landes noch zu verhindern. Da gibt es viele Gründe.

El Baradei hat von Anfang an mit dem Islamisten kooperiert. Sie brauchen ihn als liberales Aushängeschild. Er will vermutlich unter Morsi einen Posten; vielleicht sogar den des Premiers

Was den neuen Vizepräsidenten Mahmoud Mekki angeht, ist er seit seinem Prozeß 2006 ein enger Freund der Moslem-Bruderschaft und wurde sogar als deren möglicher Präsidentschaftskandidat gehandelt.
Auch sie sollten aber sehen, daß es schwierig ist eine Legitimitätsdefit nachzuweisen, wenn sich so gut wie niemand findet, die Vorgehensweise scharf zu kritisieren. Es gibt ja nur Leute, die sich abgefunden haben und solche die daran herummäkeln das er "nun zu viel Macht anhäufen könnte". Tatsache ist nun mal, daß er von 25% (50% von 50% Wahlbeteiligung) der Wähler und 75% der Parlamentsabgeordneten gestützt wird. Und ganz wichtig in so einem Land: Jetzt hat er wohl das Militär hinter sich gebracht.
Und er hat einen verfassungstheoretisch doch wohl völlig unhaltbaren oder zumindest nur schwer verteidigbaren Zustand - die Militärdiktatur - abgeschafft.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

14.08.2012 23:05
#25 RE: Marginalie: Morsis Putsch Antworten

Zitat von AldiOn im Beitrag #24
Auch sie sollten aber sehen, daß es schwierig ist eine Legitimitätsdefit nachzuweisen, wenn sich so gut wie niemand findet, die Vorgehensweise scharf zu kritisieren.

Nein, lieber AldiOn, so herum geht es nicht. Legitimität - was immer man darunter versteht, sagen wir hier: Zustimmung der Bevölkerung - entsteht nicht dadurch, daß sich niemand zu widersprechen traut.

Übrigens ist das ja in Ägypten nicht so. Ich habe nur den Eindruck, daß durch den Filter der Berichte in unseren Medien vor allem die Zustimmungen gehen, während die Kritik darin hängenbleibt.

Wie weit die Opposition bereits eingeschüchtert wird, nämlich durch Strafprozesse, können Sie beispielsweise hier lesen.

Es wurde in diesem Thread schon auf die Parallelen zu Hitlers Machtergreifung hingewiesen. Natürlich gibt es viele Unterschiede. Aber ausländische Beobachter konnten angesichts der jubelnden Massen am Abend des 30. Januar 1933 durchaus den Eindruck einer Legitimität dieser Regierungsübernahme haben.

Herzlich, Zettel

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