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ZETTELS KLEINES ZIMMER

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Dieses Thema hat 8 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.10.2012 16:52
Marginalie: Schweden, ex-sozialdemokratisch Antworten

Klischees halten sich hartnäckig, auch wenn ihre Grundlage längst Vergangenheit ist. Im 20. Jahrhundert galt Schweden einmal als sozialdemokratisches Musterland. Heute ist es ein (wieder) erfolgreiches Land, weil es sich längst vom sozialdemokratischen Modell verabschiedet hat.

Gewiß ist in Schweden jetzt nicht der "Raubtierkapitalismus" eingezogen. Aber staatliche Monopole wurden und bleiben privatisiert; in das Bildungssystem ist der Leistungsgedanke zurückgekehrt; die Staatsquote ist seit Mitte der neunziger Jahre kontinuierlich zurückgegangen. Und seit sechs Jahren regiert der Liberalkonservative Frederik Reinfeld.

Stitch Jones Offline




Beiträge: 86

01.10.2012 20:38
#2 RE: Marginalie: Schweden, ex-sozialdemokratisch Antworten

Auch wenn es mit dem Artikel höchstens am Rande zu tun hat möchte ich kurz auf einen sehr guten schwedischen Spielfilm hinweisen, den ich vor kurzem auf dem Filmfestival in Toronto gesehen habe: "Call Girl" von Mikael Marcimain. Der Film behandelt einen mir bis dato nicht bekannten, realen Prostitutions-Skandal, in den Mitglieder der schwedischen Regierung der späten 70er verwickelt waren. Es wird dabei immer wieder implizit wie auch explizit Bezug auf das gesellschaftlich-politische Klima im Land genommen und da stockt einem mitunter der Atem, wenn zum Beispiel in einer Szene in einer ministeriellen Arbeitsgruppe zur Reform des Sexualstrafrechts ausführlich die Straffreiheit für Vergewaltigungen befürwortet wird. Entgegen dem Trend der letzten Jahre ist es weitgehend ein klassischer "Policier" und orientiert sich eher an US-Kriminalfilmen der 70er als an dem allgegenwärtigen Stieg Larsson Unsinn. Ich hoffe, dass er auch hier mal in die Kinos kommt oder wenigstens im TV gezeigt wird.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.10.2012 01:40
#3 RE: Marginalie: Schweden, ex-sozialdemokratisch Antworten

Zitat von Stitch Jones im Beitrag #2
... "Call Girl" von Mikael Marcimain. Der Film behandelt einen mir bis dato nicht bekannten, realen Prostitutions-Skandal, in den Mitglieder der schwedischen Regierung der späten 70er verwickelt waren. Es wird dabei immer wieder implizit wie auch explizit Bezug auf das gesellschaftlich-politische Klima im Land genommen und da stockt einem mitunter der Atem, wenn zum Beispiel in einer Szene in einer ministeriellen Arbeitsgruppe zur Reform des Sexualstrafrechts ausführlich die Straffreiheit für Vergewaltigungen befürwortet wird.

Das war, lieber Stitch Jones, ja die Zeit, als in Deutschland die Bezeichnung "Schwedenfilme" noch eine eindeutige Bedeutung hatte. Ob zu Recht oder zu Unrecht - Schweden galt damals als das Land der sexuellen Freizügigkeit, wenn nicht der Libertinage.

Auf der anderen Seite präsentierten die Ingmar-Bergmann-Filme ein lutheranisch-selbatquälerisches Schweden. Wenn ich heute etwas von Filmen aus Schweden lese, dann sind es meist Krimis mit meist mehr oder weniger unterschwellig sadcistischen Zügen; jedenfalls war das bei den wenigen so, die ich mir im TV angesehen habe. Danach hatte ich keine Lust mehr auf so etwas.

Ich bin nie in Schweden gewesen und habe vielleicht in meinem ganzen Leben eine Handvoll Schweden kennengelernt, alle Wissenschaftler. Ich kann also über das Land aus eigener Erfahrung nicht urteilen.

Auffällig scheint mir, soweit ich das sagen kann, ein Schwanken, eine Ambivalenz zwischen Strenge und Libertinage zu sein, zwischen dem emporgereckten Zeigefinger der Sittsamkeit und allerlei Schmuddeligem im mehr oder weniger Verborgenen. Zu dem, was Sie mit Bezug zu dem Film schreiben, kontrastiert ja seltsam die jetzige Gesetzeslage, die bereits die Inanspruchnahme der Dienste einer Prostituierten unter Strafe stellt (die Prostitution aber eigenartigerweise nicht).

Vielleicht kennen andere hier im Forum das Land und können Substantielleres dazu sagen; vielleicht ist mein Bild aus zweiter Hand auch unzutreffend.

Herzlich, Zettel

Bernd Offline



Beiträge: 13

02.10.2012 09:09
#4 RE: Marginalie: Schweden, ex-sozialdemokratisch Antworten

Hallo Zettel,

bei alledem scheint aber die wirtschaftliche Entwicklung aber kein rein schwedisches Muster zu sein. Ich habe in der Google-Tabelle, aus Neugier und zum Vergleich, auch einmal die Nachbarländer Norwegen, Dänemark und Finnland anzeigen lassen. Bei allen Ländern verlief die Kurve nach einem ähnlichen Muster - das heißt, eine Stagnationsphase in den frühen 1980ern und 1990ern und der kometenhafte Aufstieg seit den 2000er Jahren. wenn auch meist nicht so abrupt wie die schwedische Kurve.

Es mag natürlich auch damit zu tun haben, dass Schweden die größte Volkswirtschaft in Skandinavien ist und als solche in Wechselwirkung zu den Nachbarn steht, bzw. diese beeinflussen kann.

Ich war übrigens 1999 im Sommerurlaub nach Halmstad (Roxettes Heimatort an der Westküste) gefahren - und war von Land, Leuten und Natur total begeistert: Ein sehr aufgeschlossenes, nettes und angenehmes Volk. Ich habe fest vor, mir auch einmal Stockholm anzuschauen.

Lieben Gruß, Bernd

xanopos ( gelöscht )
Beiträge:

02.10.2012 11:27
#5 RE: Marginalie: Schweden, ex-sozialdemokratisch Antworten

Schweden galt in SPÖ-Kreisen immer als Vorbild für Österreich. Davon hat man schon lange nichts mehr gehört.

Dafür entdeckt die Volkspartei das Vorbild Schweden: http://kurier.at/nachrichten/4497795-ref...ie-schweden.php

Besonders interessant diese Grafik: http://kurier.at/mmedia/medienpool/2012-05-28/143628_fe2.jpg
Schuldenstand in % des BIP, blau für Schweden, rot für Österreich.
Da kann man glatt rot werden vor Neid.

Schweden ist der Beweis, dass das europäische Sozialstaatsmodell mit Modifikationen überlebensfähig ist.

Stitch Jones Offline




Beiträge: 86

02.10.2012 11:28
#6 RE: Marginalie: Schweden, ex-sozialdemokratisch Antworten

Zitat
Wenn ich heute etwas von Filmen aus Schweden lese, dann sind es meist Krimis mit meist mehr oder weniger unterschwellig sadcistischen Zügen; jedenfalls war das bei den wenigen so, die ich mir im TV angesehen habe. Danach hatte ich keine Lust mehr auf so etwas.



Ja, das ist das, was hierzulande vom skandinavischen Film ankommt (und ich mit "Stieg Larsson Unsinn" meinte), es gibt da aber weitaus mehr. Thomas Alfredson fällt einem da als schwedischen Vertreter direkt ein, der auch hier noch einigermassen bekannt ist und bereits zwei ziemliche Meisterwerke verantwortet. Oder Joachim Trier (nicht verwandt oder verschwägert mit dem dänischen Troll) aus Norwegen.

xanopos ( gelöscht )
Beiträge:

02.10.2012 11:32
#7 RE: Marginalie: Schweden, ex-sozialdemokratisch Antworten

Zitat von Stitch Jones im Beitrag #6
Thomas Alfredson fällt einem da als schwedischen Vertreter direkt ein, der auch hier noch einigermassen bekannt ist und bereits zwei ziemliche Meisterwerke verantwortet.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mir der Name nichts sagt, obwohl mir die Filme bekannt sind.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.10.2012 13:06
#8 RE: Marginalie: Schweden, ex-sozialdemokratisch Antworten

Zitat von Bernd im Beitrag #4
... bei alledem scheint aber die wirtschaftliche Entwicklung aber kein rein schwedisches Muster zu sein. Ich habe in der Google-Tabelle, aus Neugier und zum Vergleich, auch einmal die Nachbarländer Norwegen, Dänemark und Finnland anzeigen lassen. Bei allen Ländern verlief die Kurve nach einem ähnlichen Muster - das heißt, eine Stagnationsphase in den frühen 1980ern und 1990ern und der kometenhafte Aufstieg seit den 2000er Jahren. wenn auch meist nicht so abrupt wie die schwedische Kurve.

Lag das nicht, lieber Bernd, vielleicht daran, daß in allen diesen Ländern ähnliche neoliberale Reformen durchgeführt wurden?

Finnland galt ja als Vorreiter solcher Reformen. Auch in Dänemark kamen nach Jahrzehnten sozialdemokratischer Vorherrschaft liberalkonservative Parteien an die Regierung. Für Norwegen müßte ich nachsehen. Kann sein, daß da die Sozialdemokraten durchregieren; allerdings ist die dortige Situation wegen des Ölreichtums ja auch ungewöhnlich günstig für einen Sozialstaat. In Golfemiraten gibt es, wenn ich das richtig weiß, noch nicht einmal eine Einkommenssteuer.

Herzlich, Zettel

ratloser ( gelöscht )
Beiträge:

02.10.2012 15:28
#9 RE: Marginalie: Schweden, ex-sozialdemokratisch Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #1
Klischees halten sich hartnäckig, auch wenn ihre Grundlage längst Vergangenheit ist. Im 20. Jahrhundert galt Schweden einmal als sozialdemokratisches Musterland. Heute ist es ein (wieder) erfolgreiches Land, weil es sich längst vom sozialdemokratischen Modell verabschiedet hat.

Gewiß ist in Schweden jetzt nicht der "Raubtierkapitalismus" eingezogen. Aber staatliche Monopole wurden und bleiben privatisiert; in das Bildungssystem ist der Leistungsgedanke zurückgekehrt; die Staatsquote ist seit Mitte der neunziger Jahre kontinuierlich zurückgegangen. Und seit sechs Jahren regiert der Liberalkonservative Frederik Reinfeld.




Puritanismus und Bigotterie gehen immer Hand in Hand. Die vorgebliche schwedische Libertinage war nach allem, was ich weiss, übrigens schon immer eine Schimäre.
Schweden ist eine zutiefst kollektivistische Gesellschaft, die sehr früh exemplarisch die Tendenz des fürsorglichen Staates zu totalitären Übergriffen aufzeigte.
Ein ehemaliger Kollege lebte in den 80igern mit seiner Familie in der Peripherie von Stockholm, da er am Karolinska-Institut arbeitete.
Nach sechs Jahren kehrte er trotz ungekündigter Stelle freiwillig wieder zurück nach Deutschland, weil er den Konformitätsdruck nicht mehr ertrug. Zuletzt bekam er regelmäßig Besuch von der schwedischen Jugendbehörde, die von Nachbarn alarmiert worden war, weil die Kinder der Familie im ausgebauten Souterrain lebten, was man offensichtlich für unzumutbar hielt. Einmal in den Radar der Behörde geraten, gab es kein Entkommen mehr.
Schweden mag es wirtschaftlich aktuell vergleichsweise sehr gut gehen, innenpolitisch frißt der Multikulturalismus aber in vielen Städten langsam seine Eltern.

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