Da ist aber zum Thema Föderalismus einiges durcheinandergeraten. Föderalismus im europäischen Sinn heisst schon Kompetenzen an Bundesländer (in Deutschland) oder an Kantone (in der Schweiz) verlagern. Aber in den USA hat Federalism nun mal den gegenteiligen Sinn. Die "Federalist Papers" singen ja nicht das Hohelied der Souveränität der Einzelstaaten - die wollte die Verfassung, die 1789 in Kraft gesetzt wurde, ja gerade abschwächen, weil die 13 Staaten, die im Continental Congress organisiert waren, eine effizientere Organisation suchten - , sondern Madison, Hamilton und Jay wollten den Bürgern des Staates New York mit dieser Publikation die Abtretung von Souveränitat an eine zentrale Regierung schmackhaft machen. In diesem Sinne waren die Väter der Verfassung Föderalisten. Aber kaum war die Vefassung in Kraft, setzte der Streit um die Selbstbestimmung der Einzelstaaten ein und hörte schlussendlich nicht auf bis zum Ende des Bürgerkrieges 87 Jahre später. Die Föderalisten - und das waren George Washington, John Adams als Präsidenten, das war vor allem Alexander Hamilton als Finanzminister und auch sonst Hansdampf in allen Gassen - standen am Anfang der USA als Vertreter einer politischen Richtung, die für mehr Kompetenzen für die Zentralregierung eintraten und denen "States Rights" ein Dorn im Auge waren. Hamilton wurden sogar royalistische Tendenzen nachgesagt; Thomas Jefferson war der Mann, der gegen Zentralisierung eintrat und der der eigentliche Garant gegen einen möglichen mächtigen Zentalstaat war. Das ist ja die eigentliche Ironie der ganzen Geschichte: Jefferson gilt als erster demokratischer Präsident der USA; während heutzutage es ja vor allem die Demokraten sind, die alles und jedes mit Bundesgesetzen regeln wollen, sind es eher Republikaner wie Giuliani, die mit dem Rückgriff auf Konzepte der frühen Demokraten versuchen, den Staatsinterventionismus einzudämmen.
Allerdings glaube ich nicht, daß in meinem Artikel "einiges durcheinandergeraten" ist.
Zufällig habe ich gerade kürzlich die schöne Habilitationsschrift von Dietmar Herz gelesen, die sich just mit diesem Thema beschäftigt und darüber auch hier einen kleinen Essay geschrieben.
Ich kann nicht erkennen, daß es "Föderalismus im europäischen Sinn" gibt und daß "in den USA Federalism nun mal den gegenteiligen Sinn" hat. Wäre es so, dann hätte Brownstein ja wohl schwerlich in seinem Kommentar Giuliani, der eindeutig für mehr Föderalismus "im europäischen Sinn" plädiert, als "federalist" bezeichnen können.
Vollkommen Recht haben Sie darin, daß es den Autoren der "Federalist Papers" darum ging, den "Bürgern von New Yokr die Abtretung von Souveränität schmackhaft" zu machen. Nicht umsonst stand ja über jedem der Essays "To the people of New York".
Also, die "Federalists" waren damals diejenigen, die für einen föderativen Staat eintraten, genauso wie heute. Nur bedeutete das eben in der Situation von 1789 die Abgabe staatlicher Souveränitätsrechte an das Federal Government, und heute bedeutet es eben - wie bei Giulanis Vorstoß - umgekehrt die Abgabe von Rechten der Zentralregierung an die Staaten.
Einen verschiedenen Begriff von Föderalismus kann ich da nicht erkennen, nur unterschiedliche historische und politische Situationen.
Es ist, sagen wir, wie mit der Sozialdemokratie. In der deutschen Ostzone, vor Gründung der DDR, waren die Sozialdemokraten die "Rechten". In der Bizone, der späteren Bundesrepublik, waren sie die "Linken". Sie traten aber für dieselbe Politik ein.
Wenn Sie, lieber Urs Gygli, noch nicht davon überzeugt sind, daß es auch den Verfassern des "Federalist" beim Föderalismus um, wie ich das in dem Artikel geschrieben habe, die Machtbalance zwischen Zentralregierung und Bundesstaaten ging, dann lesen Sie bitte noch einmal die Essays 45 und vor allem 46 nach.
Hamilton wirbt da für die Abtretung von Souveränitätsrechen an das Federal Government, das stimmt. Aber er wirbt mit dem Argument, daß die eigentliche Loyalität des Volks, die eigentliche politische Macht auch weiter bei den Staaten sein wird.
Herzlich, Zettel
PS: Herzlich willkommen in "Zettels kleinem Zimmer"
Ich vermute, Sie sind über diese Passage in meinem Artikel "gestolpert":
In Antwort auf:Im Zentrum stand für die beiden Autoren der Föderalismus; deshalb der Name dieser Artikelserie. Denn nur Föderalismus garantiert Freiheit, indem er vor der Tyrannei des - wie man heute sagt - Big Government bewahrt. Herrscht, wie in den USA, Freizügigkeit zwischen den Staaten, dann kann sich kein Staat eine schlechte Politik, erst recht nicht die Unterdrückung seiner Bürger leisten: Sie liefen ihm davon, so wie der DDR "unsere Menschen", sobald sie konnten.
Das ist, zugegeben, schlecht und mißverständlich formuliert. Ich fange mit dem "Federalist" an und wechsele dann zu einer allgemeinen Rechtfertigung des Föderalismus. Das klingt so, als hätte ich diese Stoßrichtung gegen das "Big Government" Hamilton und Madison zuschreiben wollen. Was natürlich Quatsch ist.
Immerhin hat es Ihren interessanten Beitrag provoziert.
Nun hab ich das Haar in ihrer Suppe aber wieder erwischt.
Dem Gedanken nach mehr Dezentralisierung kann ich durchaus eine ganze Menge abgewinnen. Es würde sogar zu Konkurrenz unter einzelnen Bundesländern kommen, die dann möglicherweise zu einer Verbesserung des Systems führen würde.
Aber nun zum Haar in ihrer Suppe, sie formulieren es ja selber:
Aber recht bedacht, scheinen mir die Ideen Giulianis doch sehr viel für sich zu haben. Und wir Europäer sollten sie bedenken, wenn unsere Brüsseler Regierenden versuchen, bis hin zur Vermietung von Wohnungen, bis zur Einstellung von Mitarbeitern in unser Leben hineinzuregieren.
Die Dezentralisierung würde uns gar nichts nützen, die EU macht in dieser Hinsicht alles platt. Und die EU versucht nicht, sie tut es und zwingt damit schon Landesregierung unter ihre Fuchtel, geschweige denn Bundesländer.
Herzlich M. Schneider
Sparrowhawk
(
Gast
)
Beiträge:
29.07.2007 17:44
#6 RE: Rudy Giuliani: Mehr als ein Law-and-Order-Mann
Tja, und das Volk kann nix dagegen tun, denn das EU-Parlament hat so gut wie nix zu sagen, und die Kommissare, die alle Macht haben, werden nicht vom Volk gewählt. Also doch irgendwie "demkratischer Zentralismus," oder, wie schon Walter Ulbricht wusste: "Es muss nur demokratisch aussehen, aber wir müssen die Zügel in der Hand halten." (sinngemäß)
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