Eine Spezialität von Gallup sind Umfragen, die mit genau denselben Fragen weltweit durchgeführt werden. Vor gut einer Woche publizierte das Institut Daten zu den Emotionen, die Menschen berichten.
Diese Ergebnisse sind nach meinem Dafürhalten (gelinde ausgedrückt) sehr mit Vorsicht zu genießen. Bei den Fragen hat man nämlich nicht nur das Problem leichter Bedeutungsnuancen in verschiedenen Sprachen, sondern ganz wesentliche kulturelle Unterschiede. Hier wurde eben nach Dingen gefragt, die die Amerikaner mit Emotionen verbinden, und dementsprechend schneiden sie am besten ab.
Man sieht das deutlich an dem Ergebnis der Russen. Ich kenne eine größere Anzahl von Russen persönlich, und sie sind auffallend emotional, in einer besonderen russischen Weise: (mit aller Vorsicht gegenüber Verallgemeinerungen gesagt) sie haben Schwierigkeiten sachlich zu bleiben, jede Diskussion, ja überhaupt jede Kommunikation hat für sie eine persönliche, emotionale Komponente. Was man zu ihnen sagt, wird als Herausforderung verstanden, was sie sagen, hat meistens einen provokanten Unterton, um im Gegenüber auch eine emotionale Reaktion hervorzurufen. Das ist Teil der russischen Kultur, die berühmte russische Seele.
Dagegen ergeben Dinge, nach denen in der Umfrage gefragt wurde, für sie wenig Sinn: "Did you feel well-rested yesterday?" --- das klingt nach einer provokanten Infragestellung der Trink- und Standfestigkeit, ist also eine unverschämte Frage. "Were you treated with respect all day yesterday?" --- in Rußland erübrigt sich die Frage. "Did you smile or laugh a lot yesterday?" --- Originalton einer russischen Freundin angesichts westlicher Mimik: "In Rußland lächeln nur Idioten."
Wie Emotionen empfunden und vor allem wie sie geäußert werden, ist eben von Kultur zu Kultur sehr unterschiedlich. Das hier angewandte Meßverfahren ist daher sehr fragwürdig.
Eine Interpretation dahingegehend, dass ehemalige Sowjetrepubliken emotionsarm und der moslemische Raum mit negativen Emotionen beladen ist, scheint mir nicht zulässig.
So sind zum Beispiel auch ein großer Teile der Länder mit besonders wenigen negativen Emotionen moslemisch geprägt (Usbekistan, Kirgisien, Turkmenistan, Kasachstan, Kosovo, Mali). Übrigens sind die vier erstgenannten zugleich auch ehemalige Sowjetrepubliken. Man könnte also auch zum genau umgekehrten Schluss kommen, dass gerade die Verbindung von Kommunismus und Islam zu besonders ausgeglichenen und fröhlichen Persönlichkeiten führt. Und gerade der Vergleich des (emotional sehr negativen) Serbien und des benachbarten und mit ähnlicher Geschichte beladenen (sehr wenig negativen) Kosovo zeigt, dass moslemische Länder nicht per se negativer aufgeladen sind.
Im übrigen ist das gesamte Befragungsdesign auch einfach angreifbar. Eine Frage nach Emotionen wird in verschiedenen Kulturen ganz zwangsläufig völlig unterschiedlich aufgefasst. Und Emotionen werden auch völlig unterschiedlich gezeigt. "Lächeln" ist nicht in jeder Kultur ein Zeichen für Freude, sondern kann auch Verlegenheit oder Unterwürfigkeit bedeuten.
Zitat von Florian im Beitrag #3 "Lächeln" ist nicht in jeder Kultur ein Zeichen für Freude, sondern kann auch Verlegenheit oder Unterwürfigkeit bedeuten.
Lächeln kann auch eine Methode sein den Ausdruck von Emotionen zu unterdrücken, z.B. regelmäßig in Japan.
Zitat von Florian im Beitrag #3 "Lächeln" ist nicht in jeder Kultur ein Zeichen für Freude, sondern kann auch Verlegenheit oder Unterwürfigkeit bedeuten.
Lächeln kann auch eine Methode sein den Ausdruck von Emotionen zu unterdrücken, z.B. regelmäßig in Japan.
Lächeln kann auch eine Methode sein jemanden zu belächeln, oder auszulachen, z.B. regelmäßig auf den Philippinen oder in Thailand. Gelächelt wird dort bis zum bitteren Ende, vor dessen Eintritt man weg sein sollte.
Interessant(er) wäre ja wozu das Ganze gut sein soll. Gallupp macht das vermutlich ja nciht aus Spaß an der Freude sondern weil sie diese oder ähnliche Ergebnisse verkaufen wollen. An wen? Und vom Auftraggeber her läßt sich ja häufig das erwünschte Ergebnis ableiten. Erst wenn man das alles weiß, kann man mit diesen Spielereien vielleicht etwas anfangen.
Nach meinem Eindruck geht es bei dieser Umfrage um die Erforschung von Märkten für Produkte, die "irgendwie" gute Laune machen sollen (Nahrungsmittel, Drogen, Medikamente, Spiele, Fernsehprogramme, Filme, Unterhaltungselektronik). Nur in einem solchen Zusammenhang macht so etwas Sinn.
Zitat von Fluminist im Beitrag #2Diese Ergebnisse sind nach meinem Dafürhalten (gelinde ausgedrückt) sehr mit Vorsicht zu genießen. Bei den Fragen hat man nämlich nicht nur das Problem leichter Bedeutungsnuancen in verschiedenen Sprachen, sondern ganz wesentliche kulturelle Unterschiede.
Das ist richtig. Wenn die Fragestellung eine Art emotionalen Verlauf hätte angeben sollen, kann man mit einer Art Referenzfrage solche verzerrenden Effekte abfangen, hier leider nicht. Dieselbe Problematik gilt übrigens auch für Intelligenztests, und zwar unabhängig vom Thread in Zettels Raum.
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #5Lächeln kann auch eine Methode sein jemanden zu belächeln, oder auszulachen, z.B. regelmäßig auf den Philippinen oder in Thailand. Gelächelt wird dort bis zum bitteren Ende, vor dessen Eintritt man weg sein sollte.
Als jemand der schon laenger in Suedostasien lebt: Florian hat Recht, ein Laecheln (gegenueber einem Fremden, wohlgemerkt) bedeutet i.d.R. Verlegenheit, die diverse Ursachen haben kann; die beiden haeufigsten sind nach meiner Erfahrung:
1) dass man aufgrund mangelnder Kenntnisse der Sprache und Kultur etwas dummes gesagt hat (trifft auf Auslaender zu), ansonsten 2) das, was ich gerne das "l*** mich"-Laecheln nenne; eine Art von Aggressionsvermeidungsstrategie... bekommt man i.d.R. dann zu sehen, wenn man jemanden dabei erwischt hat, wie er etwas dummes oder verbotenes macht. Klassisches Beispiel: Der Kellner schuettet einem die heisse Suppe ueber die Hose und lacht; oder ein Verkaeufer versucht einen ueber den Tisch zu ziehen und lacht, wenn man ihn darauf anspricht. Ich finde dieses Verhalten eigentlich gut, weil es die Spannung aus einer unangenehmen Situation nimmt; allerdings nur dann, wenn beide Beteiligten die Bedeutung das laechelns kennen; wer das nicht kennt, kann natuerlich auf den Gedanken kommen, er wuerde ausgelacht, was die ganze Sache dann zur Eskalation bringen kann.
Grundsaetzlich zum Thema: Ich glaube die Antwortbereitschaft ist hier der springende Punkt. Es gibt zu viele Kulturen, in denen es nicht ueblich ist, seine Gefuehle an die Oeffentlichkeit zu tragen, im Negativen wie im Positiven.
Lieber F.Alfonzo, ich lebe nicht in Südostasien habe dort aber längere Zeit gearbeitet. Hätte ich nicht mehrere Länder in Südostasien und die dortigen Gewohnheiten kennengelernt, würde ich mich nicht dazu äußern. Im übrigen wird die Diskussion um die gesellschaftliche Bedeutung des dauerhaften Lächelns immer wieder aufs neue zwischen denen die diese für sich akzeptiert haben und denen für die sie immer fremd bleiben wird, geführt. Es geht nicht darum zu verstehen, dass der Kellner über sein Mißgeschick lächelt. Das kann ich auch positiv bewerten. Es geht um die Reaktion Dritter. Sie haben Freude sich über herabsetzende Situationen anderer zu belustigen, grad so als schauten sie Dick und Doof. Jemanden durch Wegschauen, durch Ignorieren dieser peinlichen Situation sein Gesicht wahren zu lassen gehört meiner Erfahrung nach für Dritte überhaupt nicht zum Umgang mit Nichtasiaten. Ich will das nicht verallgemeinern, aber Schadenfreude ist in Südostasien meiner Erfahrung nach, gesellschaftlich keinesfalls verpönt - auch untereinander. Somit ist das Lächeln in dieser Region eigentlich beides: Ein Zeichen für unterdrückte Emotionen und eines des Auslebens von Gefühlen die in westlichen Gesellschaften offen zu zeigen einen das Gesicht verlieren läßt. Tut mir leid, dass ich Ihr Urteil, lieber F.Alfonzo, nicht in Gänze akzeptieren kann, aber für mich reicht diese, meine, Erkenntnis noch viel weiter. Sie ist m.E. Ausdruck eines Kollektivismus der mir viel stärker ausgeprägt zu sein scheint als in westlichen und auch lateinamerikanischen Gesellschaften. Emotionen können so unterschiedliche Bedeutungen haben, dass sie allein nur sehr gering aussagekräftig die Befindlichkeiten der Menschen betreffend, sind.
Interpretation über verschiedene Kulturräume hinweg ist, insbesondere wenn es um sehr, sehr fremde Kulturen geht, immer schwierig. Doch zumindest ein Teil erscheint mir jetzt nicht so fernliegend zu sein, zumindest wenn ich unterstelle das Gallup sowohl Männer als auch Frauen repräsentativ befragt hat: Das im Schnitt negative Emotionen in Kulturen überwiegen, die ein Geschlecht systematisch unterdrücken, erscheint mir nicht wirklich verwunderlich zu sein.
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