Sie sind vermutlich noch nicht im Forum angemeldet - Klicken Sie hier um sich kostenlos anzumelden  

ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



Sie können sich hier anmelden
Dieses Thema hat 68 Antworten
und wurde 10.473 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2 | 3
Doeding Offline




Beiträge: 2.612

01.02.2013 16:08
#51 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Zettel
Diese psychologische Beschreibung läßt sich physiologisch ergänzen: Erregung (arousal), wie sie mit allen diesen Emotionen einhergeht, ist auch mit einem erhöhten Dopaminspiegel verbunden, subjektiv als Lust erlebt.



Ja. Seit sich die Sicht auf den Menschen als Bio-Psycho-Soziales Wesen durchgesetzt hat, werden zunehmend integrative Betrachtungen und Ansätze möglich, die in der früher gängigen Schulen- und Disziplinenkonkurrenz kaum denkbar waren. Eine schöne Entwicklung.
Inzwischen gibt es sogar eine Neuropsychoanalyse.

Zitat
Die Reaktion des Unbewußten (später Es genannt) ist lustvoll, aber das Ich, kontrolliert vom Überich, verurteilt diese Lust



Ist das so, lieber Zettel, daß das "Ich" verurteilt und nicht doch das "Über-Ich" selbst und allein? Ich meine zu erinnern, daß die Funktion des Ich, das ja dem "Realitätsprinzip" folgen soll, gewissermaßen die eines "Vermittlungsausschusses" zwischen Es und Über-Ich sei. Das "Ich" tariert aus, wie viele Es-Bedürfnisse (Lustprinzip) real, in Auseinandersetzung mit Außenwelt, verwirklicht werden können, ohne allzusehr mit dem Ich-Ideal/Über-Ich (Moralitätsprinzip) in Konflikt zu geraten. Daher, meine ich, verortet Freud die Abwehrmechanismen auch im Ich, als sog. Ich-Funktion: um auf der Realebene weiter funktionieren zu können.

Herzlichen Gruß,
Andreas Döding

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.02.2013 18:25
#52 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #51

Zitat von Zettel
Die Reaktion des Unbewußten (später Es genannt) ist lustvoll, aber das Ich, kontrolliert vom Überich, verurteilt diese Lust


Ist das so, lieber Zettel, daß das "Ich" verurteilt und nicht doch das "Über-Ich" selbst und allein? Ich meine zu erinnern, daß die Funktion des Ich, das ja dem "Realitätsprinzip" folgen soll, gewissermaßen die eines "Vermittlungsausschusses" zwischen Es und Über-Ich sei. Das "Ich" tariert aus, wie viele Es-Bedürfnisse (Lustprinzip) real, in Auseinandersetzung mit Außenwelt, verwirklicht werden können, ohne allzusehr mit dem Ich-Ideal/Über-Ich (Moralitätsprinzip) in Konflikt zu geraten. Daher, meine ich, verortet Freud die Abwehrmechanismen auch im Ich, als sog. Ich-Funktion: um auf der Realebene weiter funktionieren zu können.


Ja, Sie haben Recht. Ich hatte das vielleicht ein wenig zu harsch formuliert.

Gerade zu diesem Thema hat ja Freud seine Theorie immer wieder revidiert. Am Anfang - zur Zeit der Katharsis-Theorie - spielte die Außenwelt eine zentrale Rolle, durch deren Anforderungen es zum "eingeklemmten Affekt" kommt, der die Symtome hervorbringt. Dann entwickelte Freud die Theorie von den Ichtrieben, die er dem Sexualtrieb gegenüber- und entgegenstellte. Die Anforderungen der Außenwelt wurden gewissermaßen im Ich internalisiert, das nun zum Vertreter des Realitätsprinzips aufstieg. In der "Traumtheorie" von 1900 entsprach dem die Zensur.

Mit den "metapsychologischen Schriften" zwischen ungefähr 1915 und 1925 revidierte Freud dann seine Theorie noch einmal gründlich. Das Unbewußte wurde in Es umbenannt und das Überich eingeführt; aus den "Systemen" ubw, vbw und bw des "psychischen Apparats" wurden nun "Instanzen". Die Ichtriebe verschwanden ganz zugunsten der einen, jetzt das ganze System sozusagen durchflutenden Libido, die in Eros umbenannt wurde und der Freud nun den Todestrieb entgegenstellte, den Thanatos.

Ihm war freilich klar, wie weit er sich damit von der Empirie entfernt hatte. Er hat diese Theorie in der "Neuen Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse" (1933) als "sozusagen unsere Mythologie" bezeichnet. (Übrigens sind diese - nicht real gehaltenen - Vorlesungen sehr zu empfehlen, wenn man sich dafür interessiert, wie Freud selbst die Entwicklung seiner Theorie gesehen hat).

In diesem Instanzen-Modell hat das Ich die Funktion, die Sie schildern, als - wie Freud sagte - "Diener dreier Herren", der den Forderungen des Überich genügen, irgendwie mit den Triebwünschen des Es zurechtkommen und auch noch, dem Realitätsprinzip unterworfen, den Anforderungen der Realität Rechnung tragen muß.

Dazu hat dieses arme, aber schlaue Ich allerlei Abwehrmechanismen entwickelt, die aber Freud meines Wissens nie unter diesem Etikett systematisiert hat. Das tat erst seine Tochter Anna.

Herzlich, Zettel

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

01.02.2013 20:10
#53 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #50

Zitat von Noricus
Oder anders formuliert: Es ist doch eigentlich ein erstrebenswerter Zustand, sich nicht zu spüren, weil das dann doch wohl Ausdruck der Abwesenheit von Schmerz und innerem Konflikt ist, oder missverstehe ich da etwas?


Das scheint mir aber nur die eine Seite der Medaille zu sein. Die andere lautet für viele, wie gesagt, Langeweile. Scheint für Sie nicht zu gelten, lieber Noricus.



Daran wird es wohl liegen, lieber Andreas Döding. Aber ist Langeweile nicht nur ein Trugschluss? Eine kaschierte Unlust, etwas Sinnvolles zu tun? Vielleicht fehlt mir da einfach die notwendige Empathie, aber ich kann mir schlicht und einfach nicht vorstellen, dass Menschen nicht wissen, womit sie sich die Zeit vertreiben könnten. Dass keine der sich anbietenden Möglichkeiten einen für die Überwindung der eigenen Trägheit ausreichend starken Reiz ausübt, das ist wieder eine andere Sache. Aber sicher keine Langeweile.

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

01.02.2013 20:34
#54 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Noricus
Dass keine der sich anbietenden Möglichkeiten einen für die Überwindung der eigenen Trägheit ausreichend starken Reiz ausübt, das ist wieder eine andere Sache. Aber sicher keine Langeweile.



Hm. Welches Substantiv würden Sie zur Pointierung des von Ihnen beschriebenen Phänomens bevorzugen, lieber Noricus? Antriebslosigkeit? Vielleicht.
Hab jetzt mal bei Wikipedia Hilfe gesucht (eines der für mich beeindruckenden Merkmale dieses Forums: selbst mit scheinbaren Selbstverständlichkeiten, wie dem Begriff "Langeweile", muß ich mich immer wieder neu beschäftigen :)
Zitat:
(Edit link eingefügt: http://de.wikipedia.org/wiki/Langeweile edit ende)
Der Literat, Naturwissenschaftler und Philosoph Blaise Pascal schrieb zur Langeweile, der er keinen Nutzen entnehmen konnte, folgendes:
„Nichts ist so unerträglich für den Menschen, als sich in einer vollkommenen Ruhe zu befinden, ohne Leidenschaft, ohne Geschäfte, ohne Zerstreuung, ohne Beschäftigung. Er wird dann sein Nichts fühlen, seine Preisgegebenheit, seine Unzulänglichkeit, seine Abhängigkeit, seine Ohnmacht, seine Leere. Unaufhörlich wird aus dem Grund seiner Seele der Ennui aufsteigen, die Schwärze, die Traurigkeit, der Kummer, der Verzicht, die Verzweiflung.“

Das, so ungefähr, ist das, was mir vorschwebte, lieber Noricus,
Herzlichen Gruß,
Andreas Döding

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.02.2013 20:53
#55 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #54
Der Literat, Naturwissenschaftler und Philosoph Blaise Pascal schrieb zur Langeweile, der er keinen Nutzen entnehmen konnte, folgendes:

„Nichts ist so unerträglich für den Menschen, als sich in einer vollkommenen Ruhe zu befinden, ohne Leidenschaft, ohne Geschäfte, ohne Zerstreuung, ohne Beschäftigung. Er wird dann sein Nichts fühlen, seine Preisgegebenheit, seine Unzulänglichkeit, seine Abhängigkeit, seine Ohnmacht, seine Leere. Unaufhörlich wird aus dem Grund seiner Seele der Ennui aufsteigen, die Schwärze, die Traurigkeit, der Kummer, der Verzicht, die Verzweiflung.“

Interessant, daß das schon Pascal geschrieben hat. Der ennui war ja dann ein Schlüsselbegriff des fin de siècle. Ich hätte nicht gedacht, daß das so alt ist. Danke für das Zitat!

Zur Sache möchte ich anmerken, daß es evolutionsbiologisch unplausibel wäre, wenn Nichtstun mit Belohnung verknüpft wäre. Erfolg verlangt nun einmal Handeln, und Erfolg erhöht die Chance, zu überleben, sexuell attraktiv zu sein und also seine Gene weiterzugeben.

Das dolce far niente ist eben überhaupt nicht dolce. Jeder, der "in den Ruhestand eintritt", weiß das (and I know what I'am talking about ).

Der Tätige, der durch seine Tätigkeit oft Überforderte stellt sich das wunderbar vor, nichts zu tun. Er genießt es ja auch - kurzzeitig am Strand, in den ersten Wochen des Ruhestands. Den ganzen Tag herumliegen, sich bedienen lassen, es sich gut gehen lassen, wie schön.

Nur ist das auf Dauer gar nicht schön. Es ist ein Unglück. Glück kommt nur aus Tätigkeit, aus Erfolg, aus Leistung. Das ist jedenfalls meine Lebenserfahrung und, wenn Sie so wollen, meine Lebensphilosophie.

Menschen so mit "Ansprüchen" zu versorgen, daß sie kommod leben können, ohne sich anzustrengen und etwas zu leisten, ist deshalb nicht nur ökonomisch kostspielig; es ist auch ein Anschlag auf das Lebensglück der Betroffenen.

Herzlich, Zettel

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

01.02.2013 21:07
#56 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #54

Zitat von Noricus
Dass keine der sich anbietenden Möglichkeiten einen für die Überwindung der eigenen Trägheit ausreichend starken Reiz ausübt, das ist wieder eine andere Sache. Aber sicher keine Langeweile.


Hm. Welches Substantiv würden Sie zur Pointierung des von Ihnen beschriebenen Phänomens bevorzugen, lieber Noricus? Antriebslosigkeit? Vielleicht.



Ja, das klingt schon besser

Zitat
Hab jetzt mal bei Wikipedia Hilfe gesucht (eines der für mich beeindruckenden Merkmale dieses Forums: selbst mit scheinbaren Selbstverständlichkeiten, wie dem Begriff "Langeweile", muß ich mich immer wieder neu beschäftigen :)



Der Zweifel ist der Ausgangspunkt aller Erkenntnis

Zitat
Zitat:
(Edit link eingefügt: http://de.wikipedia.org/wiki/Langeweile edit ende)
Der Literat, Naturwissenschaftler und Philosoph Blaise Pascal schrieb zur Langeweile, der er keinen Nutzen entnehmen konnte, folgendes:
„Nichts ist so unerträglich für den Menschen, als sich in einer vollkommenen Ruhe zu befinden, ohne Leidenschaft, ohne Geschäfte, ohne Zerstreuung, ohne Beschäftigung. Er wird dann sein Nichts fühlen, seine Preisgegebenheit, seine Unzulänglichkeit, seine Abhängigkeit, seine Ohnmacht, seine Leere. Unaufhörlich wird aus dem Grund seiner Seele der Ennui aufsteigen, die Schwärze, die Traurigkeit, der Kummer, der Verzicht, die Verzweiflung.“



Pascal hat dies übrigens bedauert; denn von ihm stammt ja auch der berühmte Satz, dass das ganze Unglück der Menschen einzig von deren Unfähigkeit komme, ruhig in einem Zimmer zu verweilen ("tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne savoir pas demeurer en repos dans une chambre", Pensées, fr. 126).

Ich denke, es gibt durchaus auch eine lustvolle Form des Nichtstuns, vielleicht deckt sie sich mit dem, was die Römer negotium nannten. Langeweile wäre dann eher die gequälte Variante: Man will sich eigentlich beschäftigen, aber man kann den Anfangswiderstand nicht überwinden.

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

01.02.2013 21:13
#57 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #55
Es ist ein Unglück. Glück kommt nur aus Tätigkeit, aus Erfolg, aus Leistung.


Lieber Zettel, dann sind Sie in dieser Frage ja gleichsam der Antipode Pascals Manifestiert sich hier der Unterschied zwischen protestantischer (?) und jansenistisch(-katholischer) Ethik?

Calimero Offline




Beiträge: 3.280

01.02.2013 21:14
#58 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #55
Das dolce far niente ist eben überhaupt nicht dolce. Jeder, der "in den Ruhestand eintritt", weiß das (and I know what I'am talking about ).
(...)
Nur ist das auf Dauer gar nicht schön. Es ist ein Unglück. Glück kommt nur aus Tätigkeit, aus Erfolg, aus Leistung. Das ist jedenfalls meine Lebenserfahrung und, wenn Sie so wollen, meine Lebensphilosophie.

Und davon dass sie das so sehen, lieber Zettel, profitieren hier eine ganze Menge Leute. Eine win-win-Situation also.

-------------------------------------------------------
Nachdem sie den Mann verteufelt, geschwächt und entnervt hat, wird die westliche Frau wohl noch hinreichend Gelegenheit für die Feststellung bekommen, dass sie auch keinen Verteidiger mehr besitzt. - Michael Klonovsky

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

01.02.2013 21:31
#59 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Zettel
Der Tätige, der durch seine Tätigkeit oft Überforderte stellt sich das wunderbar vor, nichts zu tun. Er genießt es ja auch - kurzzeitig am Strand, in den ersten Wochen des Ruhestands. Den ganzen Tag herumliegen, sich bedienen lassen, es sich gut gehen lassen, wie schön.

Nur ist das auf Dauer gar nicht schön. Es ist ein Unglück. Glück kommt nur aus Tätigkeit, aus Erfolg, aus Leistung. Das ist jedenfalls meine Lebenserfahrung und, wenn Sie so wollen, meine Lebensphilosophie.



Absolut. Ohne ins Detail gehen zu wollen: ich lerne beruflich viele Menschen erst jenseits des 65. kennen. Eine Phase, die von ähnlichen Zerrüttungen und Verwerfungen begleitet ist, wie die Pubertät(!) und die regelmäßig völlig unterschätzt wird. Es ist nicht selten ein schweres Verlusterleben. Tagesstruktur, Anerkennung, das Erleben des "Gebrauchtwerdens" und vieles mehr, oft genug ohne Übergang, von einen Tag auf den anderen, weg (natürlich bekomme ich nur die Teilmenge der Betroffenen zu sehen, bei denen es Probleme gibt).
Evelyn Hamann: "Huaaaa!" Loriot, alias Herr Lohse: "Ich wohne hier". Hamann: "Aber doch nicht jetzt!". (Pappa ante portas, 1991, finde die Stelle leider nicht auf youtube)

Zitat
Menschen so mit "Ansprüchen" zu versorgen, daß sie kommod leben können, ohne sich anzustrengen und etwas zu leisten, ist deshalb nicht nur ökonomisch kostspielig; es ist auch ein Anschlag auf das Lebensglück der Betroffenen.



So ist es. Die Idee, in Frieden auf die eigene Lebensleistung zurückblicken zu können und dabei friedlich auf den Exitus zu warten, ist eine weit verbreitete, aber völlig irrige Idee.

Zitat
Das dolce far niente ist eben überhaupt nicht dolce. Jeder, der "in den Ruhestand eintritt", weiß das (and I know what I'am talking about ).



Ich sehe grade, daß Calimero meinem geplanten Kommentar hierzu sinngemäß zuvor gekommen ist
Herzlichen Gruß und schönen Abend,
Andreas Döding

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.02.2013 21:31
#60 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Noricus im Beitrag #57
Zitat von Zettel im Beitrag #55
Es ist ein Unglück. Glück kommt nur aus Tätigkeit, aus Erfolg, aus Leistung.

Lieber Zettel, dann sind Sie in dieser Frage ja gleichsam der Antipode Pascals Manifestiert sich hier der Unterschied zwischen protestantischer (?) und jansenistisch(-katholischer) Ethik?

Hm, das weiß ich nicht. Pascal war mir immer a bisserl unheimlich mit seiner eisigen Konsequenz; wie auch Spinoza und Kierkegaard. Ich kann mit diesen Bis-zum-bitteren-Ende-Denkern nicht viel anfangen. Außer, sie schreiben wunderbar, wie Kleist.

Mit der Frage nach dem Rezept für Lebensglück haben sich andere, weniger Verzweifelte befaßt.

Die klassische Antwort, also die der antiken Lebensphilosphie, war: Zügle deine Affekte! Das reicht von Plato mit seinem Wagenlenker-Gleichnis bis zu Seneca und Marc Aurel (der nicht nur Kaiser war, sondern ein beachtlicher Philosoph). Die Epikuräer unterschieden sich von den Stoikern nur darin, daß sie die Affekte gezügelt ausleben wollten, die Stoiker sie aber sicherheitshalber ganz unterdrücken.

Diejenigen, die das Lebensglück im Tätigsein sahen, haben das selten formuliert. Sie waren durch das Tätigsein zu beschäftigt.

Die große Ausnahme war Goethe, ja stets die große Ausnahme.

Herzlich, Zettel

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

02.02.2013 09:45
#61 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #55
Glück kommt nur aus Tätigkeit, aus Erfolg, aus Leistung. Das ist jedenfalls meine Lebenserfahrung und, wenn Sie so wollen, meine Lebensphilosophie.


Lieber Zettel, ich danke Ihnen zunächst für Ihre Antwort auf meine Frage, ob hier der Unterschied zwischen protestantischer und katholischer Ethik hereinspiele. Ihre Skepsis gegenüber den Konsequent-zu-Ende-Denkern teile ich.

Nun möchte ich aber noch etwas zu Ihrer Lebensphilosophie anmerken: Glück kommt ganz sicher aus Tätigkeit; denn selbst der nachdenkende und sinnierende Mensch ist ja tätig. Ob Glück aus Erfolg und Leistung erwächst, bezweifle ich hingegen. Meiner Erfahrung nach machen diejenigen Tätigkeiten am glücklichsten, für die Erfolg und Leistung kein Maßstab sind, die man also nur um ihrer selbst willen und um der eigenen Freude daran verrichtet. Deren konkrete Ausübung sich also nicht an einem bestimmten Soll-Zustand orientiert, orientieren muss, sondern die gerade so gut sind, wie sie eben sind.

Oder, um es anders zu formulieren: Dem negotium, dem Geschäft, dem Beruf (ich glaube, ich habe das in einem meiner vorigen Beiträge in abendlicher Müdigkeit falsch verwendet) geht man nach, um seine materiellen Lebensgrundlagen zu sichern; dem otium gibt man sich dagegen hin, um Freude zu empfinden.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.02.2013 10:55
#62 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Noricus im Beitrag #61
Nun möchte ich aber noch etwas zu Ihrer Lebensphilosophie anmerken: Glück kommt ganz sicher aus Tätigkeit; denn selbst der nachdenkende und sinnierende Mensch ist ja tätig. Ob Glück aus Erfolg und Leistung erwächst, bezweifle ich hingegen. Meiner Erfahrung nach machen diejenigen Tätigkeiten am glücklichsten, für die Erfolg und Leistung kein Maßstab sind, die man also nur um ihrer selbst willen und um der eigenen Freude daran verrichtet.

Ich glaube, daß wir uns da ganz einig sind, lieber Noricus. Ich meinte mit "Erfolg" nichts Materielles, sondern etwas Psychologisches: Die Rückmeldung, daß etwas gelungen ist, für das man sich angestrengt hat.

Meist wird das eine soziale Rückmeldung sein. Der Schauspieler bekommt sie in Form von Beifall und positiven Kritiken, der Wissenschaftler als Ansehen in der scientific community, der Beamte dadurch, daß er für eine Beförderung vorgeschlagen wird. Am Leichtesten hat es der Unternehmer; der braucht nur auf seine Quartalsbilanz zu gucken.

Man kann sich - in, glaube ich, sehr seltenen Fällen - diese Rückmeldung selbst verschaffen, indem man sich sozusagen selbst auf die Schulter klopft. Es gibt starke Charaktere, die das hinbekommen. Schopenhauer war so einer. Ihn hat es nicht erschüttert, daß die ohnehin kleine Auflage von "Die Welt als Wille und Vorstellung" größtenteils makuliert werden mußte, weil kaum jemand das Buch kaufen wollte. Er war sich sicher, die einzig wahre Philosophie aufgeschrieben zu haben.

Arno Schmidt hat auch so getan. Wenn er den Beifall des Publikums findet, dann solle der Schriftsteller sich fragen, was er falsch gemacht hat, schrieb er. Aber in Wahrheit schätzte er es sehr, wenn "Leser" den Weg vor sein Haus fanden.



Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn ich ZR ohne jede Rückmeldung schreiben würde - kein kleines Zimmer, kein Referrer, der mir über die Pageviews Auskunft gibt. Ich könnte dann denken, daß vielleicht nur ein Dutzend Menschen auf diesem weiten Erdenrund ZR lesen. Würde ich dann weitermachen? Ich glaube, eher nicht.

Herzlich, Zettel

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

02.02.2013 12:59
#63 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #62
Zitat von Noricus im Beitrag #61
Nun möchte ich aber noch etwas zu Ihrer Lebensphilosophie anmerken: Glück kommt ganz sicher aus Tätigkeit; denn selbst der nachdenkende und sinnierende Mensch ist ja tätig. Ob Glück aus Erfolg und Leistung erwächst, bezweifle ich hingegen. Meiner Erfahrung nach machen diejenigen Tätigkeiten am glücklichsten, für die Erfolg und Leistung kein Maßstab sind, die man also nur um ihrer selbst willen und um der eigenen Freude daran verrichtet.

Ich glaube, daß wir uns da ganz einig sind, lieber Noricus. Ich meinte mit "Erfolg" nichts Materielles, sondern etwas Psychologisches: Die Rückmeldung, daß etwas gelungen ist, für das man sich angestrengt hat.


Ja, darin sind wir uns einig. Ich denke aber auch, dass es glücklich machende Tätigkeiten gibt, bei denen das Gelingen irrelevant ist, weil es bei ihnen kein Ziel, sondern nur einen Weg gibt bzw. bei denen der Weg das Ziel bildet.

Zitat
Man kann sich - in, glaube ich, sehr seltenen Fällen - diese Rückmeldung selbst verschaffen, indem man sich sozusagen selbst auf die Schulter klopft. Es gibt starke Charaktere, die das hinbekommen. Schopenhauer war so einer. Ihn hat es nicht erschüttert, daß die ohnehin kleine Auflage von "Die Welt als Wille und Vorstellung" größtenteils makuliert werden mußte, weil kaum jemand das Buch kaufen wollte. Er war sich sicher, die einzig wahre Philosophie aufgeschrieben zu haben.



Ein Künstler und Philosoph kann sich ja immer darauf berufen, seiner Zeit voraus zu sein, und die Hoffnung hegen, dass ihn die Nachwelt verstehen und schätzen lernt. Oft genug wird er aber selbst nicht daran glauben. Bei Schopenhauer war das, da pflichte ich Ihnen bei, zweifellos anders.

Allerdings gibt es durchaus auch glücklich machende Tätigkeiten, die man ganz allein ausübt, ohne dass jemand etwas davon mitbekommt. Da kann es dann logischerweise keine soziale Anerkennung geben, sondern man freut sich vielleicht sogar darüber, dass man diese Tätigkeit völlig ungestört (und ganz ohne der Bewertung durch andere ausgesetzt zu sein) verrichten kann.

Zitat
Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn ich ZR ohne jede Rückmeldung schreiben würde - kein kleines Zimmer, kein Referrer, der mir über die Pageviews Auskunft gibt. Ich könnte dann denken, daß vielleicht nur ein Dutzend Menschen auf diesem weiten Erdenrund ZR lesen. Würde ich dann weitermachen? Ich glaube, eher nicht.



Dies liegt aber wohl zu einem guten Teil daran, dass publizistische Tätigkeiten ihrem Namen und Wesen nach auf die Kenntnisnahme durch andere ausgerichtet sind. Wer seine Gedanken verewigen will, ohne dass andere sie lesen, führt ein Tagebuch.

Skorpion ( gelöscht )
Beiträge:

02.02.2013 13:21
#64 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #54
Der Literat, Naturwissenschaftler und Philosoph Blaise Pascal schrieb zur Langeweile, der er keinen Nutzen entnehmen konnte, folgendes:
„Nichts ist so unerträglich für den Menschen, als sich in einer vollkommenen Ruhe zu befinden, ohne Leidenschaft, ohne Geschäfte, ohne Zerstreuung, ohne Beschäftigung. Er wird dann sein Nichts fühlen, seine Preisgegebenheit, seine Unzulänglichkeit, seine Abhängigkeit, seine Ohnmacht, seine Leere. Unaufhörlich wird aus dem Grund seiner Seele der Ennui aufsteigen, die Schwärze, die Traurigkeit, der Kummer, der Verzicht, die Verzweiflung.“

Zitat von Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie, Die Hölle (Übersetzt von Carl Streckfuß)
Der Klang, der durch die Lüfte bebt,
Kommt von den Jammerseelen jener Wesen,
Die ohne Schimpf und ohne Lob gelebt.

Gemischt find die Nicht-Guten und Nicht-Bösen
Den Engeln, die nicht Gott getreu im Strauß,
Auch Meutrer nicht und nur für sich gewesen.

Die Himmel trieben sie als Mißzier aus,
Und da durch sie der Sünder Stolz erstünde,
Nimmt sie nicht ein der tiefen Hölle Graus.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.02.2013 13:32
#65 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Noricus im Beitrag #63
Ich denke aber auch, dass es glücklich machende Tätigkeiten gibt, bei denen das Gelingen irrelevant ist, weil es bei ihnen kein Ziel, sondern nur einen Weg gibt bzw. bei denen der Weg das Ziel bildet.

Und da bin ich eben skeptisch, lieber Noricus.

Ich hatte mir zum Beispiel für den Ruhestand vorgenommen, zu lesen zu lesen zu lesen. Alles das, was ich immer schon hatte lesen wollen - den ganzen Platon, den ganzen Goethe, den ganzen Kant, oder zeitnäher alles von Walser, von Ernst Augustin; und dazu alle die Autoren, die ich kaum kenne, von Zola über Dickens bis Twain.

Aber es ist öd, so vor sich hinzulesen. Man braucht die Rückmeldung.

Herzlich, Zettel

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

02.02.2013 18:01
#66 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #65
Aber es ist öd, so vor sich hinzulesen. Man braucht die Rückmeldung.


Lieber Zettel, ich könnte mir vorstellen, dass es da auch individuelle Unterschiede gibt. Dem einen ist die stille Lektüre zu öd, für den anderen ist es eine rundum befriedigende Ausfüllung seiner Tage.

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

02.02.2013 18:48
#67 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Calimero im Beitrag #58
Zitat von Zettel im Beitrag #55
Das dolce far niente ist eben überhaupt nicht dolce. Jeder, der "in den Ruhestand eintritt", weiß das (and I know what I'am talking about ).
(...)
Nur ist das auf Dauer gar nicht schön. Es ist ein Unglück. Glück kommt nur aus Tätigkeit, aus Erfolg, aus Leistung. Das ist jedenfalls meine Lebenserfahrung und, wenn Sie so wollen, meine Lebensphilosophie.

Und davon dass sie das so sehen, lieber Zettel, profitieren hier eine ganze Menge Leute. Eine win-win-Situation also.


Dramatischer Themenwechsel: Was spricht nun gegen ein Bedinungsloses Grundeinkommen?

______________________________________________________________________________

“Being right too soon is socially unacceptable.”
― Robert A. Heinlein

"Considering the exclusive right to invention as given not of natural right, but for
the benefit of society, I know well the difficulty of drawing a line between the
things which are worth to the public the embarrassment of an exclusive patent, and
those which are not."
-Thomas Jefferson
Quelle: The Public Domain, p. 21, http://www.thepublicdomain.org/download/

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

03.02.2013 11:21
#68 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Noricus im Beitrag #66
Zitat von Zettel im Beitrag #65
Aber es ist öd, so vor sich hinzulesen. Man braucht die Rückmeldung.


Lieber Zettel, ich könnte mir vorstellen, dass es da auch individuelle Unterschiede gibt. Dem einen ist die stille Lektüre zu öd, für den anderen ist es eine rundum befriedigende Ausfüllung seiner Tage.

Einen der individuellen Unterschiede sehe ich im Ausprägungsgrad der Neugier. Sie ist Antrieb, und in ihrer Befriedigung, Erfolg zugleich.

Zitat von http://de.wikipedia.org/wiki/Neugier#Kulturgeschichte
Für Herodot war die Neugier nach historischen Zusammenhängen das Hauptmotiv dafür, Geschichtsschreiber zu werden. Für die ionischen Naturphilosophen war sie der Antrieb, „hinter die Dinge“ schauen zu wollen, ebenso für Platon, für den das „Staunen“ (griechisch „thaumazein“) den Anfang aller Philosophie darstellte. Zitat:

„Das Staunen ist die Einstellung eines Mannes, der die Weisheit wahrhaft liebt, ja es gibt keinen anderen Anfang der Philosophie als diesen.“
– Platon: Theaitetos 155 D

Viele Grüße, Erling Plaethe

Ulrich Elkmann Online




Beiträge: 13.576

27.03.2013 11:34
#69 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten
Seiten 1 | 2 | 3
 Sprung  



Bitte beachten Sie diese Forumsregeln: Beiträge, die persönliche Angriffe gegen andere Poster, Unhöflichkeiten oder vulgäre Ausdrücke enthalten, sind nicht erlaubt; ebensowenig Beiträge mit rassistischem, fremdenfeindlichem oder obszönem Inhalt und Äußerungen gegen den demokratischen Rechtsstaat sowie Beiträge, die gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Hierzu gehört auch das Verbot von Vollzitaten, wie es durch die aktuelle Rechtsprechung festgelegt ist. Erlaubt ist lediglich das Zitieren weniger Sätze oder kurzer Absätze aus einem durch Copyright geschützten Dokument; und dies nur dann, wenn diese Zitate in einen argumentativen Kontext eingebunden sind. Bilder und Texte dürfen nur hochgeladen werden, wenn sie copyrightfrei sind oder das Copyright bei dem Mitglied liegt, das sie hochlädt. Bitte geben Sie das bei dem hochgeladenen Bild oder Text an. Links können zu einzelnen Artikeln, Abbildungen oder Beiträgen gesetzt werden, aber nicht zur Homepage von Foren, Zeitschriften usw. Bei einem Verstoß wird der betreffende Beitrag gelöscht oder redigiert. Bei einem massiven oder bei wiederholtem Verstoß endet die Mitgliedschaft. Eigene Beiträge dürfen nachträglich in Bezug auf Tippfehler oder stilistisch überarbeitet, aber nicht in ihrer Substanz verändert oder gelöscht werden. Nachträgliche Zusätze, die über derartige orthographische oder stilistische Korrekturen hinausgehen, müssen durch "Edit", "Nachtrag" o.ä. gekennzeichnet werden. Ferner gehört das Einverständnis mit der hier dargelegten Datenschutzerklärung zu den Forumsregeln.



Xobor Xobor Forum Software
Einfach ein eigenes Forum erstellen
Datenschutz