Etwas verwirrt hat mich der folgende Kommentar in der gestrigen Faz zurückgelassen:
Zitat von FAZ 01.03.2013Pseudo-Liberalismus Wann auch immer staatliche Korrekturen angemahnt werden, singen sich selbst als solche falsch verstehende Liberale das gleiche Lied.
Die Verwirrung rührt daher, daß der Autor m.E. eine eigentliche Analyse seines Themas zugunsten einer eher emotionalen Polemik hintanstellt. Ob Einwände gegen staatliche Vorschriften zu Vergütungen in der Privatwirtschaft nun "Pseudo" oder doch eher wirklich liberal sind, hängt natürlich von der angewandten Liberalismusdefinition ab. Versteht man Liberalismus versuchsweise als eine Haltung, die kritisch hinterfragt, ob zu einem beliebigen Gegenstand tatsächlich staatliche Regelungen zwingend erforderlich und legitim sind, und dies im Zweifel verneint, dann ist das "Pseudo"-Verdikt des Autors eher unpassend. Eine sachliche Auseinandersetzung müßte m.E. zunächst folgende Differenzierung treffen:
- Die Frage der schieren Vergütungshöhe betrifft ausschließlich die Binnenverteilung zwischen Anteilseignern und Unternehmensleitung. Eine Relevanz der Frage ob etwa die Firma Porsche oder auch die Deutsche Bank ihren Vorständen eine, zehn oder hundert Millionen im Jahr zahlt für die weitere Gesellschaft ist nicht erkennbar. Bereits dadurch erweist sich eine staatliche Regelung insoweit als illegitim und der "liberale" Vorbehalt dagegen als berechtigt.
- Anders kann es sich möglicherweise mit der Frage der Vergütungsstruktur verhalten, falls sich nämlich nachweisen läßt, daß etwa eine an gewisse kurzfristige Indikatoren geknüpfte überproportionale Bonusvergütung Anreize setzt, die zu Fehlsteuerungen und dadurch zu Unternehmenskrisen führt, die ihrerseits qua "Systemrelevanz" eine staatliche Intervention nach sich ziehen. In diesem Fall wären Interessen außerhalb des Unternehmens berührt und eine Legitimität staatlicher Vorgaben zur Vergütungsstruktur in diesen Fällen immerhin diskutabel. (Daß man das Konzept der "Systemrelevanz" und damit begründeter staatlicher Interventionen seinerseits mit guten Gründen ablehnen kann, ist klar, bleibe aber hier einmal außen vor.)
Der Artikel schließt mit einer nun ganz wunderlichen Konträrsetzung von "liberal" und "bürgerlich" und einer Bezugnahme auf die morgige Volksabstimmung in der Schweiz:
Zitat von FAZ 01.03.2013In der Schweiz kommen die unanständigen Zugriffe jetzt zur Volksabstimmung. (...) Wenn es dort geht, bürgerliche Maßstäbe politisch durchzusetzen, geht es überall.
Worüber in der Schweiz tatsächlich abgestimmt wird, ist etwa hier nachzulesen. Wie meist, verfolgen die Schweizer einen weitaus sachlicheren Ansatz als populistisch erregte deutsche Zeitungsredaktionäre.
Meine Liblingskategorie in der FAZ, wenn ich linke Standpunkte lesen will. Das ist ja das tolle an der FAZ: Sie ist intern pluralistisch, nämlich im Feuilleton links und im Rest ausgewogen bis konservativ, manchmal sogar leicht liberal. Alles aus einer Hand.
Das die linke Seite des politischen Spektrums gerne den Begriff liberal kapern würde ist auch nichts Neues.
“Being right too soon is socially unacceptable.” ― Robert A. Heinlein
"Considering the exclusive right to invention as given not of natural right, but for the benefit of society, I know well the difficulty of drawing a line between the things which are worth to the public the embarrassment of an exclusive patent, and those which are not." -Thomas Jefferson Quelle: The Public Domain, p. 21, http://www.thepublicdomain.org/download/
Deutschland Linke versucht eigentlich seit Jahr und Tag den Begriff liberal für sich zu vereinnahmen. Die tatsächlichen Liberalen sind dann ersatzweise entweder "Neoliberale", "Manchester-Liberale", "Turbokapitalisten" oder eben auch Pseudoliberale. Das Problem das die linke Journaille hat ist, dass liberal prinzipiell noch positiv definiert ist. Und es sieht auch nicht so aus, als liesse sich das auf die Schnelle ändern. Die meisten Bürger sehen in dem Begriff Freiheit nichts negatives oder ängstigendes und viele liberale Denker entstammen ja nun auch gerade dem deutschen Sprachraum.
Also geht man dazu über den Begriff zu kapern und diejenigen, die ihren Inhalt wirklich vertreten andere Begriffe unterzujubeln, um damit den gleichen Effekt zu erzielen. Das ist natürlich eine Mogelpackung, aber es funktioniert ja, wer die Begriffe definiert kann letztes Endes auch bestimmen was "gut" und was "schlecht" ist.
Die Strategie wird in diesem Artikel interessanterweise sogar noch weiterverfolgt, denn am Ende versucht man auch den Begriff "bürgerlich", eigentlich eher ein Schmipfwort im linken Meinungsspektrum, für sich zu vereinnahmen, weil man den eigenen Standpunkt dann als bürgerlich definiert. Nicht das ein bürgerlicher Maßstab auch nur irgendwas mit der Vergütung von Spitzenmanagern zu tun hat. Es sind linke Maßstäbe, schlicht wie einfach, aber das will man nicht zu offen sagen.
Es sind solche Kaperfahrten die zumindest mir linke Maßstäbe und Ideen eigentlich immer mehr verleidet haben. Man kann ja der Meinung sein, dass es die verdammte Pflicht eines jeden ist, für den anderen mitzusorgen. Man kann auch der Meinung sein, dass niemand hundert Millionen Euro im Jahr verdienen darf. Man kann auch der Meinung sein, dass Landesgrenzen nicht existieren sollten und das die großzügige Verteilung von Steuergeldern an andere eine gute Idee ist. Es sind allesamt vielleicht nicht meine Ideen und sie sind auch nicht liberal. Aber man kann dieser Meinug sein. Und es ist legitim eine solche Meinung zu vertreten. Was mich so abstösst ist, dass diese Standpunkte so unehrlich vertreten werden. Das man ständig Mogelpackungen braucht um die eigenen Ideen zu transportieren. Kann man nicht ehrlich zugeben, dass man eben nicht liberal denkt ? Das man eben nicht das Wohl des Einzelnen sondern das Wohl der Allgemeinheit höherwertig sieht ? Das man eben dem Sozialismus nahe steht und nicht dem Liberalismus ? Es ist meines Erachtens nach überhaupt kein Drama zuzugeben, dass man einem Spitzenmanager kein Millionengehalt gönnt. Aber da redet man für sich selbst, vielleicht für die Linke, aber sicher nicht für die Liberalen oder für die Bürgerlichen. Der Versuch sich den Begriff liberal oder bürgerlich hier mit in die Tasche zu stecken dient einzig dem Zweck, diejenigen, die einen anderen Standpunkt haben, zu diskreditieren. Denn die sind dann weder bürgerlich noch liberal. Sie sind dann "pseudoliberal" (vermutlich ist dem Autor das Neoliberale gerade ausgegangen).
Zitat von Llarian im Beitrag #3Deutschland Linke versucht eigentlich seit Jahr und Tag den Begriff liberal für sich zu vereinnahmen. Die tatsächlichen Liberalen sind dann ersatzweise entweder "Neoliberale", "Manchester-Liberale", "Turbokapitalisten" oder eben auch Pseudoliberale.
Das erinnert mich sehr an einen langen Text, den ich mal für meine Rumpelkammer geschrieben, aber nie veröffentlicht habe. Vielleicht sollte ich den doch mal irgendwo in die Freiheit entlassen.
Das Bild mit der Kaperfahrt gefällt mir. Es trifft.
Beste Grüße, Calimero
------------------------------------------------------- Vertrauen in das Volk ist fast immer unbegründet; Kultur ist das Werk weniger. - Zettel
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