Die Entwicklung, die der sogenannte Arabische Frühling genommen hat, sollte westliche Politiker und Journalisten eigentlich gelehrt haben, dass freiheitlich-demokratische Werte in den islamischen Ländern des Nahen Ostens nur von einer Bevölkerungsminderheit vertreten werden. Der idealisierende Diskurs scheint indessen ungebrochen, wie Äußerungen zu der Demonstrationswelle in der Türkei und dem Ergebnis der iranischen Präsidentschaftswahl zeigen.
Dem Beitrag kann ich nur zustimmen. Die Wahrnehmung bei uns widerspricht eindeutig der Realität. Im Iran hat doch schon vor 16 Jahren der Reformer gefeierte Khatami hoch gewonnen. Und was hat er bewegt? Gar nichts. Allein schon die Tatsache, dass der iranische Präsident gerade nicht der wichtigte Mann im Iran ist, geht in der Berichterstattung leider unter.
Zum Thema Türkei: In der Tat, Erdogan ist demokratisch gewählt und obendrein sind die beiden wesentlichen Oppositionspartein auch nicht demokratischer als die AKP. Zwei Vorgänger der AKP wurden von kemalistischen Richtern schlicht verboten und Erdogan selbst wurde 2002 die Kandidatur bei der Parlamentswahl verwehrt. Und wer laut schreit, ist noch lange nicht in der Mehrheit, das gilt nicht nur im Nahen Osten. Stuttgart 21 ist noch gut in Erinnerung und als de Gaulle 1968 nach den Maikrawallen neu wählen ließ, hat er hoch gewonnen und die Linken hoch verloren.
Auch auf die Gefahr hin, eine OT-Diskussion anzustoßen:
Zitat Selbstverständlich ist ein Politiker nicht schon deshalb ein Demokrat, weil er in einer allgemeinen und gleichen Abstimmung gewählt worden ist. Man braucht zur Untermauerung dieser Binsenweisheit nicht die deutsche Geschichte zu bemühen.
Welcher deutsche Nichtdemokrat wurde denn so gewählt? Falls das auf den Mann aus Braunau anspielen sollte: Der wurde nie gewählt (im Sinne von: mit einer Regierungsmehrheit ausgestattet), sondern letztlich an die Macht gemauschelt. Selbst die unfreien Wahlen nach der "Machtergreifung" erbrachten für die Braunen keine absolute Mehrheit.
Was den eigentlichen Artikel betrifft: Zustimmung.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat) Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)
Zitat von Noricus im BlogWahrscheinlich ist, dass sich der neue Präsident rhetorisch bei weitem moderater geben wird als der alte. Schon eine derartige verbale Abrüstung wird in den meinungsbildenden Milieus des Westens für Begeisterungsstürme sorgen.
Genau. Die mediale Befürchtung am Wahltag, der iranische Klerus könnte die Wahl des "Reformers" nicht anerkennen, war abwegig. Wahrscheinlich freuen sich die Mullahs einen Wolf. Die Atomverhandlungen werden jetzt von einem im Ton konzilianten aber in der Sache fremdgesteuert-knallharten Präsidenten geführt werden, und alle im Westen werden jubeln über die "atmosphärischen Fortschritte". Die einzigen, die das wieder Mal sofort geschnallt haben, sind die Israelis: persönliche Betroffenheit erhöht zweifellos das Denkvermögen.
Danke für den Artikel und Herzliche Grüße, Andreas
Zitat Wir gratulieren dem türkischen Ministerpräsidenten und seiner Partei zu diesem großen Wahlerfolg. Das ist ein klarer Sieg der Vernunft und der Demokratie in der Türkei.
Die Wählerinnen und Wähler in der Türkei haben mit dem gestrigen Urnengang eine demokratische Entscheidung getroffen, die ein klares Ja zu Reformen, zu Europa, zu stabilen Verhältnissen und zur weiteren Demokratisierung des Landes bedeutet. Dies ist zugleich ein unmissverständliches Nein zum Nationalismus und Chauvinismus, zur Dominanz des Militärs, zu den alten Kräften und einer politischen Kaste, die die Türkei ausgebeutet hat.
Zitat von Doeding im Beitrag #5Die einzigen, die das wieder Mal sofort geschnallt haben, sind die Israelis: persönliche Betroffenheit erhöht zweifellos das Denkvermögen.
Im Gegensatz zur nur gefühlten "persönlichen Betroffenheit".
"Ich fühle mich betroffen" ist ja eine schöne, alte und abgelatschte Phloskel.
Die arme, verwirrte Frau Roth; ich verstehe ja, dass ihr die türkische Landschaft als Urlaubsziel und Altersdomizil gefällt (wir erinnern uns, das "Sonne, Mond und Sterne-Interview").
Aber auch wenn sich Roth nun an die so viel gepriesenen Kemalisten heranschmeissen würde, könnte ich ihr nicht beipflichten. Bei der dem kemalistischen Erbe verpflichteten Republikanischen Volkspartei (und angeblich "sozialdemokratischen") CHP handelt es sich um einen nationalistischen (um nicht zu sagen chauvinistischen) Haufen, der lediglich das (völkische) "Türkentum" über den Islam stellt und einem bizarren Führerkult um den Alkoholiger und Leberzirrhotiker Mustafa Kemal "Atatürk" anhängt.
Wahlweise kann man sich dann noch die "Grauen Wölfe" der rechtsextremen nationalistischen MHP als Opposition zu Erdogans AKP heraussuchen. Dann hat man Rassismus ohne Kopftuch sozusagen. Alles super europa-demokratisch kompatible Bewegungen. Vielen Dank.
Bitte einen großen Zaun um die Türkei ziehen, die karten das dann unter sich aus. Wir haben dort nichts, aber auch gar nichts zu gewinnen; unterstützenswerte Partner in der türkischen Innenpolitik, die nennenswerten Einfluss hätten, sind nicht existent. Bitte jetzt nicht von "Generation Twitter" oder "Generation Internet" in der Türkei fabulieren, die kann man einflussmäßig vergessen.
Ebensowenig wie es einen "arabischen Frühling" gegeben hat, wird es einen "türkischen Frühling" geben. Was es geben wird, ist ein düsterer nahöstlicher Winter, verbunden mit der wechselseitigen Dezimierung unbrauchbarer überzähliger Nachkommen - dank des "westlichen" medizinischen und hygienischen Fortschritts. Gunnar Heinsohn lässt grüßen. Und mittendrin noch die besonders geburtenstarken Kurden in diesem explosiven Vielvölkerstaat namens Türkei. Prost Mahlzeit.
Zum Aufhänger der ganzen Geschichte möchte ich noch anmerken: Daß Claudia Roth bei dieser Demo Tränengas abbekommen hat, ist in keiner Weise skandalös.
Die türkische Polizei hat wahrscheinlich an anderer Stelle bei dieser Demo zu hart agiert (wie sie das schon immer getan hat, das ist keine Erfindung der Erdogan-Regierung). Ob die Baugenehmigung für das Projekt auf dem umstrittenen Platz juristisch wasserdicht ist, kann man auch bezweifeln - weiß abre hierzulande keiner sicher. Das ist auch irgendwie wenig relevant in einem Land, in dem der größte Teil der Bauten "schwarz" entstanden ist.
Wenn nun aber die Polizei einen Bauplatz räumt, und die Demonstranten nicht freiwillig das Feld räumen - dann ist wohl überall in der Welt auch der Einsatz von Tränengas zulässig. Und wer trotz der polizeilichen Aufforderung auf dem Platz geblieben ist, und dann Tränengas oder Wasserwerfereinsatz abbekommt - der kann sich nicht wirklich beschweren. Auch nicht als Promi und Abgeordneter eines anderen Landes.
Würde sie zugeben, daß Erdogan, den sie zuvor in den höchsten Tönen gelobt hat als Beispiel dafür, daß Islam und Demokratie vereinbar sind, viel eher "die Türken" repräsentiert als die Demonstranten, könnte sie innenpolitisch ihren radikal-pro islamischen Kurs schwerer rechtfertigen.
Interessant auch, daß die bisherige massive Erdogan-Sympathie in nahezu allen Medien und von Seiten hochrangiger Politiker niemand auf die Füße fällt. Bei Schröders Geburtstagsfeier war er sogar privat willkommener Gast. Wo bleibt da eigentlich das Parteiausschlußverfahren ?
Daß die Bewertungsmaßstäbe bei islamischen Politikern anders sind als bei solchen im Westen, ist ebenfalls der linken Zielsetzung geschuldet, sich per Islamlobbyismus die Erfüllung der Toleranztugend zu attestieren. Woraus sich wiederum der ultimative Machtanspruch ableitet.
Nie zieren Erdogan Adjektive wie radikal, frauenfeindlich (will die Verschleierung und fördert diese), reaktionär, und: Genozidleugner - denn er leugnet den Armeniergenozid.
Würde man für Erdogan Bewertungsmaßstäbe anlegen wie bei einem westlichen Politiker, hätte dieser längst das Ettiket "Rechtsextremist" erhalten. Erdogan geht sogar noch weit über Rechtsextremismus hinaus aufgrund seiner Frauenfeindlchkeit. So ließ er fast alle weiblichen RichterInnen aus ihren Ämtern entfernen. Niemand störte sich bisher im Westen daran. Besonders nicht die angeblich so frauenfreundlichen Linken/Grünen.
Erdogan wurde stilisiert zum Musterdemokraten, weil man den Islam unbedingt im Westen ausbreiten will. Einfach schon deshalb, weil dieser anti-westlich ist, und das gefällt den prinzipiell anti-westlichen Linken natürlich, denen mit dem Niedergang des Sowjetsystems und der Abtrünnigkeit Chinas der äußere Verbündete abhanden gekommen ist.
Zum Iran: Hier das selbe bei der Ettiketierung. Dort gilt als moderat, wer die Scharia für richtig hält - wie der neue Reformpräsident. Im Westen hingegen gelten Personen als radikal, rechts, fremdenfeindlich, rassistisch, die z.B. Steinigungen und systematische Verfolgung und Ermordung von Schwulen ablehnen und die Ursachen hierfür benennen.
Ein lupenreiner Demokrat ist Erdogan mitnichten - er gehört zu den eher unappetitlichen Staatenlenkern der europäischen Gegenwart.
Aber Frau Roths Zitat zeigt, dass die Dame - wenn überhaupt - kaum besser ist als der türkische Premierminister. Die Türkei, sagt sie, seien die Demonstranten - anders ausgedrückt: das Volk sind die, die meiner Meinung sind. Erdogan könnte es umgekehrt genauso sagen.
Frau Roth belegt mit diesem Spruch primär das verquere - deutlicher gesagt: nicht vorhandene - Demokratieverständnis von Grün/Links.
Zitat von Rayson im Beitrag #3Falls das auf den Mann aus Braunau anspielen sollte: Der wurde nie gewählt (im Sinne von: mit einer Regierungsmehrheit ausgestattet), sondern letztlich an die Macht gemauschelt. Selbst die unfreien Wahlen nach der "Machtergreifung" erbrachten für die Braunen keine absolute Mehrheit.
Richtig, aber im Juli und November 1932 doch recht deutliche relative Mehrheiten. Gemeinhin wird das dann ja als Auftrag des Volkes zur Regierungsbildung interpretiert.
Zitat Wir gratulieren dem türkischen Ministerpräsidenten und seiner Partei zu diesem großen Wahlerfolg. Das ist ein klarer Sieg der Vernunft und der Demokratie in der Türkei.
Die Wählerinnen und Wähler in der Türkei haben mit dem gestrigen Urnengang eine demokratische Entscheidung getroffen, die ein klares Ja zu Reformen, zu Europa, zu stabilen Verhältnissen und zur weiteren Demokratisierung des Landes bedeutet. Dies ist zugleich ein unmissverständliches Nein zum Nationalismus und Chauvinismus, zur Dominanz des Militärs, zu den alten Kräften und einer politischen Kaste, die die Türkei ausgebeutet hat.
Zitat von R.A. im Beitrag #9Und wer trotz der polizeilichen Aufforderung auf dem Platz geblieben ist, und dann Tränengas oder Wasserwerfereinsatz abbekommt - der kann sich nicht wirklich beschweren. Auch nicht als Promi und Abgeordneter eines anderen Landes.
Genau, und auf diese spezielle Form von medienwirksamer Gerechtigkeit hat sie es natürlich nicht abgesehen. Wahlkampf. Eigentlich müsste Frau Roth jetzt den Ausstieg aus der Tränengasanwendung fordern - in Deutschland.
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #14Eigentlich müsste Frau Roth jetzt den Ausstieg aus der Tränengasanwendung fordern - in Deutschland.
Der Orient zeichnet sich ja vor dem Westen bekanntlich dadurch aus, daß dort die Gastfreundschaft noch ein heiliges Gut ist. Frau Claudias Traurigkeit & ein Stück weit Betroffenheit rührt wohl daher, daß sich die beste Freundin ("die Türkei ist meine Freundin") so als ungebremste Furie aufgeführt hat. Man mag ja die Kinder im Zeichen handfesterer pädagogischer Traditionspflege mitunter etwas ruppiger anfassen - aber man verhaut sie nicht vor lieben Gästen - & schon gar nicht die lieben GästInnen gleich mit.
Andererseits: da hat sie nun eine Mütze Tränengas abbekommen & heult zu Hause flächendeckend die Presse voll: ob das ihre street credibility bei den Wirklich Alten Straßenkämpfern, die mal feste Springer-am-Enteignen waren, damals am Tegeler Weg, wirklich erhöht?
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