Es kommt nicht oft vor, daß ich der Bundeskanzlerin zustimmen muß. Aber sie hat natürlich recht - zu viele Leute verwischen bewußt den Unterschied zwischen NSA und StaSi.
ich habe den Stern-Artikel plus Hintergrundinformation des Herrn Priebe kurz gegengelesen: Der Mann schreibt danach erst mal Stuss:
- Aus der Korrespondenz beispielsweise mit der NSA geht erst mal nicht hervor, was genau er angefragt hat. Es gibt in einem Antwortschreiben eine Referenz zu "records about me indexed to my name", was immer auch das ist (vielleicht gibt es andere Personen unter diesem Namen). So kann man also die Antwort nicht genau nachvollziehen. - Aus der Antwort geht nicht hervor, ob es über den Herrn überhaupt Aufzeichnungen gibt (nach der Anfrage gibt es sicher eine), Fragen dieser Art werden wohl prinzipiell negativ beschieden, das ist im FoI act auch klar geregelt - wen wundert es? Seine Behauptung, es gäbe 'klassifizierte' Aufzeichnungen über ihn sind durch nichts gestützt.
Herr Piebe versucht aus trivialer Kommunikation mit dumme Leser beeindruckenden Briefköpfen Kapital zu schlagen, der Stern bietet dazu den Stammtisch.
Trotzdem stützt all das nicht den Titel Ihres Beitrags, die Stasi sein nicht die NSA. Ich sehe keinen analytischen Ansatz, woran sich dies festmachen sollte. Es gab in der DDR keinen FoI act, damals auch nicht in der BRD. Was die NSA mit ihren Daten macht dürfte weniger transparent sein als die Aktivitäten der Stasi, denn eine Aufarbeitung wie die nach der Wiedervereinigung gibt es von den NSA-Aktivitäten nicht. Daher geht auch die Aussage der Kanzlerin ins Leere. Dass die technischen Möglichkeiten inzwischen andere sind ist dabei trivial.
Zitat von Martin im Beitrag #2 Trotzdem stützt all das nicht den Titel Ihres Beitrags, die Stasi sein nicht die NSA. Ich sehe keinen analytischen Ansatz, woran sich dies festmachen sollte. Es gab in der DDR keinen FoI act, damals auch nicht in der BRD. Was die NSA mit ihren Daten macht dürfte weniger transparent sein als die Aktivitäten der Stasi, denn eine Aufarbeitung wie die nach der Wiedervereinigung gibt es von den NSA-Aktivitäten nicht.
Vielen Dank für diesen wunderbaren Beweis, das Gleichsetzung es rhetorisch einfach Einfacher hat. Der Unterschied wird ignoriert oder für irrelevant erklärt.
Zitat Ich sehe keinen analytischen Ansatz, woran sich dies festmachen sollte.
In vielen Gesprächen habe ich festgestellt: Wer solche Gleichsetzung betreibt, der will die Ansätze nicht wahrnehmen oder macht sie mit Krawallrhetorik nieder, wenn man sie versucht ihm zu erläutern. Zum Beispiel durch eine weitere nächste Gleichsetzung: Verharmlosung.
Frage in die Runde: Warum eigentlich? Warum hat Gleichsetzung die rhetorische Oberhand?
Zitat von Martin im Beitrag #2Trotzdem stützt all das nicht den Titel Ihres Beitrags, die Stasi sein nicht die NSA.
Der Bezug dazu war der Satz: "sondern miterleben dürfen, was die StaSi außer Belauschen sonst noch alles macht.", insbesondere der Link.
Weiter meinte ich das nicht ausführen zu müssen, weil die Verbrechen der StaSi bekannt sein sollten.
Die Gemeinsamkeit besteht eigentlich nur aus der Tatsache, daß Informationen (auch mit "Belauschen") gesammelt werden und daß die Arbeit nicht öffentlich stattfindet. Das war es auch schon - die verwendete Technik ist in der Tat nebensächlich.
Aber die Unterschiede sind viel gravierender. Erstens natürlich in der Zielsetzung: Die NSA arbeitet für die Bürger des eigenen Staates, die StaSi hat gegen sie gearbeitet. Und zweitens war das Datensammeln nur ein Teil der StaSi-Tätigkeit, und noch dazu der unwichtigere. Denn vor allem ist die StaSi aktiv gegen die Menschen vorgegangen. Hat Ehepartner, Freunde und Kollegen gegeneinander ausgespielt, ihre Zielpersonen "zersetzen" lassen, hat mit ihren Machtmitteln eine ganze Gesellschaft in Angst gehalten. Es ist trotz NSA völlig problemlos, in aller Öffentlichkeit gegen die NSA, den Präsidenten oder die Kanzlerin, gegen das ganze politische System zu polemisieren. Weil jeder weiß, daß die NSA trotz aller Datensammelei nicht die Macht hat, irgendeinen Kritiker zu belangen.
Zitat von Martin im Beitrag #2Trotzdem stützt all das nicht den Titel Ihres Beitrags, die Stasi sein nicht die NSA. Ich sehe keinen analytischen Ansatz, woran sich dies festmachen sollte.
Werter Martin.
Welchen analytischen Ansatz erwarten Sie?
Die Stasi war eine Organisation zum Zwecke des Machterhalts eines totalitären Staates, während die NSA die Organisation eines Rechtstaates ist. Höchstwahrscheinlich zum Erhalt der Sicherheit der eigenen Bürger. Selbst wenn beide Geheimdienste ähnliche Methoden nutzen/genutzt haben sollten, ist die Feststellung dass sie sich wesentlich unterscheiden müssen in diesem Umstand inhärent.
Oder sehen Sie diesen Punkt anders?
Ich sehe es an dieser Stelle sehr pragmatisch, möglicherweise zu einfach: Angenommen es gibt zwei Geheimdienste. Der eine im Dienste einer westlichen Demokratie, der andere im Dienste eines Staates, der es als rechtens sieht seine Bürger mitunter durch Erschießung an der Ausreise zu hindern. Ich, für mich persönlich, würde die Sammlung von Daten zu meiner Person im zweiten Fall deutlich mehr beunruhigen als im ersten.
Man darf alles kritisch hinterfragen, sicher auch die NSA. Gerade weil Überwachung ein Thema ist, welches (siehe Stasi) zu dramatischem Mißbrauch führen kann. Auch in demokratischen Staaten. Die Tatsache, dass eine Aufarbeitung der Stasi erst nach dem Fall des Regimes stattfinden konnte während sich die NSA jetzt schon, innerhalb des Systems welches sie ins Leben rief, der kritischen Hinterfragung stellen muß, sollte man dabei aber nicht unbeachtet lassen.
Das Äpfel und Pferdeäfpel etwas unterschiedliches sind, kann man wissenschaftlich sicher genau erklären und analysieren.Ttrotzdem brauche ich eine solche Erklärung nicht, um von der grundsätzlichen Unterschiedlichkeit überzeugt zu werden. Auch nicht, um zu wissen, dass ich den einen essen würde und den anderen nicht – ungeachtet möglicher gemeinsamer Spezifika, wie Form und enthaltene chemischer Elemente.
Herzlichst
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von R.A. im Beitrag #7Aber die Unterschiede sind viel gravierender. Erstens natürlich in der Zielsetzung: Die NSA arbeitet für die Bürger des eigenen Staates, die StaSi hat gegen sie gearbeitet. Und zweitens war das Datensammeln nur ein Teil der StaSi-Tätigkeit, und noch dazu der unwichtigere. Denn vor allem ist die StaSi aktiv gegen die Menschen vorgegangen. Hat Ehepartner, Freunde und Kollegen gegeneinander ausgespielt, ihre Zielpersonen "zersetzen" lassen, hat mit ihren Machtmitteln eine ganze Gesellschaft in Angst gehalten. Es ist trotz NSA völlig problemlos, in aller Öffentlichkeit gegen die NSA, den Präsidenten oder die Kanzlerin, gegen das ganze politische System zu polemisieren. Weil jeder weiß, daß die NSA trotz aller Datensammelei nicht die Macht hat, irgendeinen Kritiker zu belangen.
Lieber R.A.,
dass in der DDR eine ganze Gesellschaft in Angst gehalten wurde lässt sich aus den Berichten meiner Verwandtschaft nicht ganz nachvollziehen. Ganz sicher hat die Stasi "Zielpersonen" aus dem Verkehr zu ziehen versucht.
Was aber die NSA noch so alles mit ihren Daten macht, neben dem was sie uns erzählt, das wissen wir nicht. Und wenn es nicht die NSA ist, dann kann sie sich das mit anderen Diensten teilen. Wie gehabt, die Stasi-Aktivitäten konnten umfangreich aufgearbeitet werden, an Information über die Aktivitäten US-amerikanischer Dienste kommen Sie nur sporadisch, und beteiligte Journalisten werden neuerdings schnell selbst zu 'Zielpersonen'. Immer mit der Begründung, es sei zum Besten der Bevölkerung (wie hat die Stasi ihre Aktivitäten verteidigt?). Und man sollte vielleicht nicht vergessen, dass die Stasi ein paar Jahre mehr zur Verfügung hatte - die NSA hat da praktisch erst angefangen.
Sie müssen sich im Klaren sein, als Individuum haben Sie auch gegenüber einer NSA ganz schlechte Karten, wenn Sie mal Zielperson werden sollten - ob berechtigt oder unberechtigt. Da nützt die Öffentlichkeit u.U. wenig. Daher stellt sich immer die Frage, wie solche Dienste kontrollierbar bleiben.
Zitat Die NSA arbeitet für die Bürger des eigenen Staates, die StaSi hat gegen sie gearbeitet.
Die Stasi hat auch behauptet für das eigene Volk zu arbeiten.
Zitat
Und zweitens war das Datensammeln nur ein Teil der StaSi-Tätigkeit, und noch dazu der unwichtigere. Denn vor allem ist die StaSi aktiv gegen die Menschen vorgegangen.
Die Aufgaben sind in den USA zwar auf verschiedene Organisationen verteilt, die aber wiederum im Department of Homeland Security vereint sind. Die USA haben Geheimgefängnisse, "harte Verhörmethoden" (=Folter) und stellen Journalisten vor Militärgerich... Moment. Entschuldigung, letzteres fand in einem anderen Terrorunrechtsstaat statt. Der internationale Journallistenverband hat, genauso wie Menschenrechtsaktivisten, das schweizer Unterdrückungsregime hierfür auch stark kritisiert.
Zitat Hat Ehepartner, Freunde und Kollegen gegeneinander ausgespielt, ihre Zielpersonen "zersetzen" lassen, hat mit ihren Machtmitteln eine ganze Gesellschaft in Angst gehalten.
Oder Enttarnung einer Agentin aus politischen Gründen, um sie für Kritik abstrafen. Ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Kennzeichnet das nicht ein Regime, welches seine Kritiker mit Drohungen und Einschüchterungen zu kontrollieren versucht?
Zitat Es ist trotz NSA völlig problemlos, in aller Öffentlichkeit gegen die NSA, den Präsidenten oder die Kanzlerin, gegen das ganze politische System zu polemisieren. Weil jeder weiß, daß die NSA trotz aller Datensammelei nicht die Macht hat, irgendeinen Kritiker zu belangen.
Wieso, das SED-Regime wurde doch auch von mutigen Widerständlern gestürzt. Warum sollte man nicht auch bei anderen Terror-Regimen Erfolg verzeichnen, wie zum Beispiel gegen den schweizerischen Unterdrückungsapperat. Was mindestens den selben Mut erfordert, aber doch wohl möglich seien sollte, wenn man auch noch lange nicht am Ziel angekommen ist.
Zitat von Martin im Beitrag #9Daher stellt sich immer die Frage, wie solche Dienste kontrollierbar bleiben.
Eine absolut berechtigte und wichtig Frage. Nur die Tatsache, dass diese Frage berechtigt und wichtig ist, lässt nicht den Schluß zu dass man Stasi und NSA vergleichen kann oder sollte.
Aus vielerlei Gründen. Einige wurde hier bereits genannt.
\"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit.\" - Montesquieu
Zitat Immer mit der Begründung, es sei zum Besten der Bevölkerung (wie hat die Stasi ihre Aktivitäten verteidigt?).
Ganz meiner Ansicht: Argumentationen werden entweder immer und von jedem missbraucht oder von gar keinem.
Findet auch mein Freund hier:
Zitat von advocatus diaboli Geehrte Zimmerleute,
die Vorstellung, eine Argumentation könne in einem Fall vorgeschoben sein, in einem anderen Fall nicht, ist absurd, ungerecht und geht vermutlich auf die Hybris zurück Kulturen und Länder seien unterschiedlich.
So hat Israel ja auch eine Sicherheitsanlage an der Grenze gebaut, genauso wie die USA zu Mexiko. Wo ist da jetzt noch der Unterscheid zur DDR?
Ach so, Sie meinen in der DDR dienten Zaun und Mauer zum Einsperren der eigenen Bevölkerung, die Maßnahmen der USA und Israels dienten aber dem Schutz vor einer äußeren Gefahr und nicht dem Einsperren der eigenen Bevölkerung? Das hat die DDR aber auch behauptet.
Ach, in den USA sei es aber tatsächlich so? Ja, ähnliches behaupten auch die Stasi-Rentner vom antifaschistischen Schutzwall.
Und selbst wenn, was interessiert Betroffene die Motivation der Täter?
Aus den USA und Israel könne man aber ohne Probleme ausreisen, meinen Sie? In der DDR konnte auch jeder einen Ausreiseantrag stellen, also, wo ist der Unterschied?
Das man nicht jeden Ausreisen lies? Na, das handhabt man doch hier genauso. Wenn Sicherheitsorgane einen näher begutachten wollen und die der Bundesrepublik auch gerne schon, wenn die Exekutive meint sie könnten den Ruf des Landes schädigen...
Sie sehen, es gibt vieles, gegen das sich ein Mensch mit rechtem Gewissen noch heute wenden muss. Mein Auftraggeber ist ein großer, moralischer Unterstützer und Freund des Kampfes gegen Ungerechtigkeit.
Zitat von Martin im Beitrag #9dass in der DDR eine ganze Gesellschaft in Angst gehalten wurde lässt sich aus den Berichten meiner Verwandtschaft nicht ganz nachvollziehen.
Dann haben die Verwandten entweder über gewisse Sachen nicht berichtet (das wäre normal) oder sie waren wirklich ungewöhnlich naiv und realitätsfremd. Es war für den normalen DDR-Bürger selbstverständlich, daß Kritik an der Regierung oder gar dem System insgesamt hochriskant war und zu erheblichen Sanktionen führen konnte.
Zitat Was aber die NSA noch so alles mit ihren Daten macht, neben dem was sie uns erzählt, das wissen wir nicht.
Was immer sie sonst macht - offenbar geht sie nicht gegen System- und Regierungskritiker vor. Denn diese gibt es reichlich und öffentlich und es geschieht ihnen überhaupt nichts - im Gegensatz zur StaSi-Herrschaft.
Zitat Daher stellt sich immer die Frage, wie solche Dienste kontrollierbar bleiben.
Da stimme ich ja völlig zu. Jeder Geheimdienst ist ein potentielles Risiko. Es ist derzeit schwer zu beurteilen, ob die bestehenden Kontrollen ausreichen - jede Diskussion dazu ist nützlich. Aber das ändert nichts daran, daß auch ein perfekt kontrollierter Dienst vertrauliche und private Informationen sammeln muß, um seine notwendige Aufgabe erfüllen zu können. Wenn man also schon diese Tatsache selber mit StaSi-Vergleichen diskreditieren will, geht es offensichtlich nicht um eine konstruktive Diskussion der Kontrollierbarkeit der Dienste.
Zitat von R.A. im Beitrag #1Es kommt nicht oft vor, daß ich der Bundeskanzlerin zustimmen muß. Aber sie hat natürlich recht - zu viele Leute verwischen bewußt den Unterschied zwischen NSA und StaSi.
Schön, daß Frau Merkel Ihrer Meinung ist, lieber R.A. Freilich - was Frau Merkel in dieser Sache auch von sich gibt, ist vollkommen wumpe. Jedenfalls solange sie nicht im Rahmen eines Gerichtsverfahrens befragt wird, aus dessen Ausgang sich vielleicht Konsequenzen ergeben - für sie oder, wie hierzulande üblich, "die Partei". Ansonsten darf man davon ausgehen, daß Frau Merkel unzureichend informiert ist, daß die Fachleute, die zutreffende (sachlich zutreffende, nicht politisch opportune) Informationen liefern könnten, nicht gefragt worden sind, und daß sie das, was ihr mitgeteilt wurde, weder als Sachverhalt noch in seiner Tragweite verstanden hat. Frau Merkel hat beständig bewiesen, daß ein solches Verhalten für sie Richtschnur ist - von Sarrazin bis ESM; da ist sie als Wiederholungstäterin ausgewiesen.
Davon ab: wenn Sie einmal sämtliche politischen Knackpunkte & Großen Ereignisse der letzten 100-120 Jahre Revue passieren lassen, dann war dies stets die Lage, in der sich die entscheidenden Politiker befanden - ob bei den Haupt- & Nebenstaatsaktionen gegen den militanten Islam (von Khomeini bis Golfkrieg II, Stichwort WMD), die Kubakrise, den Vietnamkrieg, die Bedrohung durch roten wie braunen Faschismus, bis hin zur Urkatastrophe des Jahrhunderts, Stil August 1914 - sowohl in der völligen Unterschätzung der Bedrohungen wie auch in den Panikreaktionen darauf. (Kann auch gerne weiter nach hinten verlängert werden: der siebenjährige Krieg, der Spanische Erbfolgekrieg, 1618/48, Abfall der Niederlande, 100-Jähriger Krieg: alles nicht so geplant). Man darf davon ausgehen, daß dies eine Gesetzmäßigkeit darstellt. Erste Inaugenscheinnahme bietet Barbara Tuchman, The March of Folly.
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #14Schön, daß Frau Merkel Ihrer Meinung ist, lieber R.A.
Aber es ist hoffentlich klar geworden: Nur was den StaSi-Vergleich betrifft. Was die Kanzlerin sonst zu diesem Thema von sich gibt ist weniger glaubhaft. Ihre Überraschung über die NSA-Tätigkeit ist ebenso wenig glaubwürdig wie bei den anderen wahlkämpfenden (Ex-)Kabinettsmitgliedern.
Zitat Erste Inaugenscheinnahme bietet Barbara Tuchman, The March of Folly.
Das wäre jetzt ein großes Thema für sich. Ich möchte hier nur anmerken, daß ich Tuchmans Darstellung hier nur ganz wenig teile. Sie ist eine ordentliche Historikerin, hat aber wenig Ahnung und Verständnis von politischen Entscheidungsprozessen. Und in diesem Buch geht sie m. W. auch recht einseitig vor - als hätten die Protagonisten wissen müssen, wie es hinterher ausgeht. Da hat man es als Nachgeborener eben immer etwas einfacher ... Sie ignoriert ganz systematisch die durchaus vorhandenen und oft viel wahrscheinlicheren anderen möglichen Entwicklungsalternativen. Oft ist es reine Glückssache, ob ein Entscheider hinterher als Genie oder Volltrottel dasteht.
Zitat von R.A. im Beitrag #13Dann haben die Verwandten entweder über gewisse Sachen nicht berichtet (das wäre normal) oder sie waren wirklich ungewöhnlich naiv und realitätsfremd. Es war für den normalen DDR-Bürger selbstverständlich, daß Kritik an der Regierung oder gar dem System insgesamt hochriskant war und zu erheblichen Sanktionen führen konnte.
Ach wo, der Durchschnittsbürger ist selten großer Regimekritiker. Die Leute wussten, was sie tunlichst zu vermeiden hatten, rissen ihre Witze darüber, aber 'Angst' hatten sie nicht. Wir sagen ja auch nicht, die Leute gehen nicht geradewegs über eine befahrene Straße, weil sie Angst vor Autos haben. Sie nehmen einfach einen sichereren Übergang.
Zitat Was immer sie sonst macht - offenbar geht sie nicht gegen System- und Regierungskritiker vor. Denn diese gibt es reichlich und öffentlich und es geschieht ihnen überhaupt nichts - im Gegensatz zur StaSi-Herrschaft.
Man kann auch sagen, was juckt es den Mond, wenn ihn der Hund anbellt. Die öffentliche Kakophonie aller Couleur in westlichen Ländern hält sich in der Regel selbst in Schach. Ein effizienter Staatsapparat konzentriert sich auf kritische Einzelpersonen. Im Übrigen dürfte wohl der Druck der USA auf Regierungen, die Snowden potentiell Asyl anbieten könnten, nicht nur der Strafverfolgungen dienen, sondern vor allem der Abschreckung. Snowden zeigt, welche Register die USA zu ziehen bereit sind, um künftige Lecks in ihrem Apparat zu stopfen. Wie ich schon an anderer Stelle schrieb, ein flüchtiger Massenmörder hätte weniger Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter R.A., dies hier: "...in seiner Zeit als gehorsamer DDR-Untertan..." nehme ich sehr interessiert zur Kenntnis - sind wir "Geistesverwandte"?! Ich finde diese momentane Erregung einfach nur peinlich, die - leider übliche - "Welle" von Leuten, die sich nicht vorstellen können, daß Sonntagmorgen auch mal jemand anderes als der Zeitungsausträger oder Milchmann (hierzulande eh' ausgestorben) an der Tür klopft... Nun ja, das Niveau sinkt leider überall, da hat der Sarrazin schon recht. Wirklich schwer, optimistisch zu bleiben. Aber man muß ja irgendwie - die Kinder... Gruß, MW
Zitat von R.A. im Beitrag #15Was die Kanzlerin sonst zu diesem Thema von sich gibt ist weniger glaubhaft. Ihre Überraschung über die NSA-Tätigkeit ist ebenso wenig glaubwürdig wie bei den anderen wahlkämpfenden (Ex-)Kabinettsmitgliedern.
In diesem Fall hat sie wenigstens mein "vollstes Vertrauen, unbesehen". Michael Dobbs berichtet in seinem Buch über die Kuba-Krise, "One Minute to Midnight: Kennedy, Khrushchev and Castro on the Brink of War" (2008), daß JFK mehr als ein Jahr nach Amtantritt den Verbindungsoffizier im Weißen Haus, General Chester Clinton, gefragt habe, ob es wirklich wahr sei, daß die ganze Nacht im Vorzimmer zu seinem Schlafzimmer ein Geheimdienstmann auf Posten sitze, der ihn im Fall einer Bösen Überraschung sofort wecken & instruieren würde - er hatte das in einem Thriller gelesen (es handelte sich um Fletcher Knebel & Charles W. Baileys Seven Days in May, 1962) - worauf der ihm bescheinigte, dem sei nicht so; in solchem Fall würden sich die Dienstvorgesetzten im Kellerbüro kurzschließen, auf Rückmeldung des Militär warten & erst bei Ausbleiben einen Offizier losschicken ("He'll be upstairs - we've timed it many times; he can make it even if he has to run up the stairs and not use the elevator - in a minute and a half"); ohne Atomkoffer (den es nicht gab), aber mit Aktenkoffer: den Autorisierungscodes für die Erklärung des Ernstfalls: "If he knocks at your door some night and comes in and opens the valise, pay attention." (S. 227; Quelle: Richard Reeves, President Kennedy: Profile of Power [1993], 305.)
Zitat von Martin im Beitrag #16Die Leute wussten, was sie tunlichst zu vermeiden hatten, rissen ihre Witze darüber, aber 'Angst' hatten sie nicht.
Das ist jetzt Definitionssache. Natürlich haben die Leute nicht in permanenter Angst gelebt, daß morgens um 5 Uhr die StaSi vor der Tür steht. Weil sie eben vermieden haben, irgendwie auffällig zu werden.
Aber dieses "tunlichst vermeiden" ist ja schon die Folge davon, daß man Angst hat, bei anderer Handlungsweise Ärger zu bekommen.
Zitat von MartinAch wo, der Durchschnittsbürger ist selten großer Regimekritiker. Die Leute wussten, was sie tunlichst zu vermeiden hatten, rissen ihre Witze darüber, aber 'Angst' hatten sie nicht. Wir sagen ja auch nicht, die Leute gehen nicht geradewegs über eine befahrene Straße, weil sie Angst vor Autos haben. Sie nehmen einfach einen sichereren Übergang.
I woiß net, lieber Martin. Angst und Mut sind ja durchaus als gegenseitige Maßstäbe aufeinander beziehbar. Es hat verdammt viel Mut gebraucht zu versuchen, der DDR den Rücken zu kehren (sei es durch Flucht oder Ausreiseantrag), entsprechend groß war wohl die Angst. Umgekehrt konnte man 1989 sehen, wie viele Menschen eigentlich gerne der DDR den Rücken zukehren wollten. Daß die allermeisten dies in den 40 Jahren zuvor nicht hatten versuchen wollen, da es ihnen (aus völlig verständlichen Gründen) zu riskant war und ihnen hierfür der Mut fehlte, scheint mir schon ein Maßstab für die dahinter stehende Angst zu sein. Aus der Tatsache, daß man sich mit dem Leben auch in einer Diktatur arrangieren kann und somit nicht täglich in manifester Angst lebt, sollte man, glaube ich, nicht auf Angstfreiheit schließen.
Eine Frage am Rande: Was soll das sein: "StaSi"? Die Staatsanwaltschaft Singen vermute ich mal, welche es in der DDR aber nicht gab.
EDIT Im Alltagsgebrauch lief dieses Ministerium, meiner Erinnerung nach, unter "Sicherheit", "Firma", "horch + guck" oder "schwarze Hand". "Stasi" kenne ich erst seit der "Wende". Und was Ängste angeht, da hat wohl jede Zeit ihre besonderen Muster. Für mich waren die miserablen Lebensbedingungen, die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit bedrückend. mfG
----------------------------------------------------- Mehr Liberalismus wäre dringend vonnöten. Zettel
Zitat von Hausmann im Beitrag #21Eine Frage am Rande: Was soll das sein: "StaSi"? Die Staatsanwaltschaft Singen vermute ich mal, welche es in der DDR aber nicht gab.
EDIT Im Alltagsgebrauch lief dieses Ministerium, meiner Erinnerung nach, unter "Sicherheit", "Firma", "horch + guck" oder "schwarze Hand". "Stasi" kenne ich erst seit der "Wende". Und was Ängste angeht, da hat wohl jede Zeit ihre besonderen Muster. Für mich waren die miserablen Lebensbedingungen, die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit bedrückend. mfG
Ich habe dazu - als zwar gebürtiger "Wessi", der aber zwischen 1995 und 2011 durchweg in Sachsen-Anhalt und Thüringen gelebt hat - zwei Anmerkungen:
1) Stasi ist tatsächlich im Westen geläufiger als im Osten. Aber auch in der Region Mansfelder Land/Halle und auch Jena/Weimar ist das durchaus ein gängiger Begriff. (siehe auch "Elsterglanz: der Kaltmacher" - an einer Stelle sagt Günter, um seine Mitmieter einzuschüchtern: "hör mal, meiner, die sind alle von der Stasi, die ziehn dich nackig aus"). 2) Im Alltagsgebrauch in der DDR wurde natürlich ein nicht so eindeutig zuordnenbarer Begriff benutzt.
Zitat von Martin im Beitrag #16 Ach wo, der Durchschnittsbürger ist selten großer Regimekritiker. Die Leute wussten, was sie tunlichst zu vermeiden hatten, rissen ihre Witze darüber, aber 'Angst' hatten sie nicht. Wir sagen ja auch nicht, die Leute gehen nicht geradewegs über eine befahrene Straße, weil sie Angst vor Autos haben. Sie nehmen einfach einen sichereren Übergang.
Die Leute hatten keine Angst so lange sie nichts wussten. Und es wussten eine ganze Menge nichts. Wenn aber klar war, dass sie unter Beobachtung standen habe "die Leute" sehr unterschiedlich reagiert. Die einen wurden zu Spitzeln und die anderen konnten ihre Karriere vergessen. Lieber Martin, wir hatten diese Diskussion ja schon einmal. Ich habe keine Ahnung woher Sie Ihre Informationen beziehen, aber die Praxis des Entzugs des Personalausweises der DDR und seiner Substitution durch einen PM 12 und der gängigen Praxis von Aufenthaltsbeschränkungen macht schon die entscheidenden Unterschiede deutlich. Die durch das MfS geführte Spitzeltätigkeit von Kindern, auch gegen ihre Eltern, habe ich ja schon verlinkt.
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #23Lieber Martin, wir hatten diese Diskussion ja schon einmal. Ich habe keine Ahnung woher Sie Ihre Informationen beziehen, aber die Praxis des Entzugs des Personalausweises der DDR und seiner Substitution durch einen PM 12 und der gängigen Praxis von Aufenthaltsbeschränkungen macht schon die entscheidenden Unterschiede deutlich. Die durch das MfS geführte Spitzeltätigkeit von Kindern, auch gegen ihre Eltern, habe ich ja schon verlinkt.
Lieber Erling Plaething,
ich habe meine Informationen von Menschen, die in der DDR lebten. Ich bestreite nicht das Instrumentarium und die Methoden der Stasi, mein Kommentar war lediglich auf R.A.s Beitrag gezielt, in dem die Stasi mit "...hat mit ihren Machtmitteln eine ganze Gesellschaft in Angst gehalten" beschrieben wurde. "ganze Gesellschaft" trifft die Realität wohl kaum.
Zitat von Martin im Beitrag #24 ich habe meine Informationen von Menschen, die in der DDR lebten. Ich bestreite nicht das Instrumentarium und die Methoden der Stasi, mein Kommentar war lediglich auf R.A.s Beitrag gezielt, in dem die Stasi mit "...hat mit ihren Machtmitteln eine ganze Gesellschaft in Angst gehalten" beschrieben wurde. "ganze Gesellschaft" trifft die Realität wohl kaum.
Lieber Martin, doch, das beschreibt die Realität. Wenn man über politische Themen nur flüsternd redet, Kritik an der Regierung sich nicht traut zu artikulieren, weil das zu gefährlich ist und man den Westen als faschistische Bedrohung nicht in Frage stellen kann, ohne mit den Stasi-Methoden Bekanntschaft zu machen, hat man Angst. In der DDR lernte man damit zu leben, mit dieser Angst. Sie wurde verdrängt, bestimmte die Körperhaltung, das motorische Verhalten und die Art sich auszudrücken. Es machte aus vielen Menschen Untertanen, die ihren Mut zum Risiko gänzlich verloren. Vieles konnten die Bürger der betroffenen Generationen korrigieren, manches wirkt bis heute. Keiner schaut gerne analysierend auf sich, so etwas schmerzt mehr als ein Leben mit psychischen Schäden. Glauben Sie es mir, oder nicht, ich könnte Ihnen solche Beispiele auf der Strasse zeigen. Die Körpersprache und die Augen erzählen es mir. Manche haben heute noch Angst, haben sich richtig eingerichtet in ihr, dass man glauben könnte, sie bräuchten sie. Und sie wird gefüttert mit solchen Vergleichen. Mit der Mär, alle Bürger Deutschlands und Europas würden von Amerikanern und Briten überwacht, rund um die Uhr. Schlimmer noch als damals, weil es ja jetzt mehr Möglichkeiten gibt, welche die Stasi gar nicht hatte. Schon ist der Unterschied weg und die geknechteten Untertanengeister fühlen sich wieder besser. War doch gar nicht so schlimm damals in der DDR…
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