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ZETTELS KLEINES ZIMMER

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Dieses Thema hat 12 Antworten
und wurde 1.902 mal aufgerufen
 Geschichte, Philosophie, Religion
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

30.08.2007 22:53
Gedankens Blässe, Bloggers Bemühen. Oder: On going beyond the information given Antworten

Dieser Beitrag wurde durch einen Kommentar von Libero heute Morgen angeregt. Er handelt von Wissen und Überzeugung, von Zweifeln und Entscheiden.

Und von einem Rabbi, und von einer schönen Erinnerung an meine letzte Paris-Reise.

Ingo_Way Offline



Beiträge: 29

31.08.2007 12:16
#2 RE: Gedankens Blässe, Bloggers Bemühen. Oder: On going beyond the information given Antworten

Einer der schönsten Blogbeiträge, den ich seit langem gelesen habe. Erklärt, warum ich oft wochenlang gar nichts blogge.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

31.08.2007 18:29
#3 RE: Gedankens Blässe, Bloggers Bemühen. Oder: On going beyond the information given Antworten
Hallo Zettel,

ich habe diesen Beitrag sehr aufmerksam gelesen, und finde ihn durchaus diskussionswürdig. Ich versuche jetzt mal, spontan ein paar Gedanken dazu loszuwerden.

Mich erinnert diese Einstellung sehr stark an meine Studienzeit (Philosophie), weil sie gerade unter Philosophen sehr verbreitet ist. Das hat mehrere Gründe:
- Philosophen sind ja durch ihr Fach gezwungen, in eher großen Zusammenhängen zu denken. Deshalb halten sie es oft für nicht der Mühe wert, sich in "alltäglichen" Fragen festzulegen.
- Man kann diese Einstellung erkenntnistheoretisch ("unser Erkenntnisapparat ist eingeschränkt, wir können also gar nix wissen") oder sprachphilosophisch ("unsere Begriffe beziehen sich auf nix") gut begründen.
- Man steht in großer Philosophischer Tradition (Sokrates)
- Es macht einen ungeheuer auf- bzw. auch abgeklärten Eindruck, sich nicht über ein Thema den Kopf heißzureden.

Wenn man so will, ist das also (wertfrei ausgedrückt) eine sehr philosophische Einstellung.

Wenn ich aber weiter an mein Studium zurückdenke, waren gerade diejenigen Kollegen, die diese Einstellung vertreten haben, immer die, mit denen man tunlichst vermieden hat, ein Bier trinken zu gehen. Vielleicht bin ich nicht so missionarisch (deswegen blogge ich auch selbst nicht), aber ich habe nie einen Impetus verspürt, diese Leute von irgendwas zu überzeugen. Wenn ich jemanden überzeugen will, will ich am Ende ein "Du hast Recht" und nicht ein "Ja das kann man so sehen, aber wenn man es differenziert betrachtet usw...". Das fand ich immer fürchterlich blutleer, und gerade bei Studenten, die wirklich noch keinerlei taktische Kompromisse hinsichtlich der offenen Meinungsäußerung einzugehen brauchen, völlig fehl am Platz. Es mag ja sein, dass solch eine Haltung weise ist, aber es macht schlicht und ergreifend keinen Spaß zu diskutieren, wenn man überhaupt keine Reibungsfläche hat. Broder bezeichnet das sehr schön (in anderem Kontext) mit dem Satz "Wir differenzieren uns zu Tode".

Das zweite, was ich selbstverständlich niemandem leichtfertig unterstellen will, ist, dass so eine Einstellung sich sehr häufig als Koketterie erweist, wie auch dem Sokrates häufig Heuchelei hinsichtlich seiner angeblichen Demut zugeschrieben wurde. Man belächelt Menschen, die eine Meinung haben und u. U. auch noch dafür einstehen (geschweige denn sich ans Kreuz schlagen zu lassen) und erscheint vor dem eigenen Auge gleichsam weise, unparteiisch etc. . Dazu kommt, dass diese Form der Arroganz sozial wesentlich akzeptierter ist als das Beharren auf einer Meinung. Das tut der Stammtisch, der heutige Intellektuelle legt sich nicht fest.

Zum dritten schließlich gibt es auch aus philosophischer Sicht ein gutes Argument für die Einnahme von und das Einstehen für Meinungen, und die möchte ich ebenfalls an Hand meines Lieblingswitzes schildern: "Warum lecken sich Hunde die Eier? - Weil sie es können!". In der Tradition der Aufklärung wird auf die Frage, was den Menschen vom Tier unterscheidet, sehr einseitig das Vermögen herausgestellt, zu erkennen, zu reflektieren, Schlüsse zu ziehen. Viel weniger, weil gar nicht so bedacht, wird das Vermögen herausgestellt, Behauptungen aufzustellen, zu sagen "Es ist so [und nicht anders]". Obwohl ersteres ohne letzteres nicht denkbar ist! Ich kann nichts erkennen, keinen Schluss ziehen, ohne letztendlich, zumindest für mich selbst, zu behaupten, dass es so ist. Insofern wäre doch ohne das Vertreten von Meinungen unser ganzes schöne Erkenntnisvermögen verschenkt?

Darum muss ich die Frage, warum es gut ist, Meinungen zu habe, nicht nur damit beantworten, dass es mehr Spaß macht und dass es meist authentischer ist, sondern auch mit dem ganz einfachen Satz: "Weil wir es können!"
str1977 ( gelöscht )
Beiträge:

31.08.2007 20:39
#4 RE: Gedankens Blässe, Bloggers Bemühen. Oder: On going beyond the information given Antworten

Also ich halte diese Ansicht der Ansichtslosigkeit für grundverkehrt.

Niemand kann in der Welt neutral sein, will er denn leben.

Das wäre wie ein Schauen ohne zu erkennen, ohne zu unterscheiden - einfach nur das Fließen von Impulsen durch die Sehnerven (und nicht zufällig gibt es ja "Philosophien" - eher dumme Meinungen - die genau darauf hinauslaufen, den Menschen in so etwas wegzureduzieren).

Ja, Hamlet hat unter seiner Entschlußlosigkeit (oder vielmehr Unsicherheit) gelitten ... aber man sieht auch, daß sein zu langes Zögern (verbunden mit recht üblen Hintergedanken) am Ende zu seinem und aller anderen Tod führt.

Mit Erkenntnistheorie kann das begründet werden, doch das geht fehl. "Wir können nichts wissen." Ja, sicher können wir nichts wissen und ohne das Glauben erst recht nicht, weil jede Erkenntnis auch auf Axiomen beruht. (Sokrates hier zu beanspruchen ist nur ein weiteres Mißverständnis - Sokrates hat seine "Unwissenheit" zum Ausgang genommen, aber all zu wörtlich sollte man grade ihn nicht dabei doch nicht nehmen.)

Auf Zwischenmenschliches übertragen, wie bei dem Mann an der Theke, offenbart sich, daß dies ein ganz großes Elend des modernen Menschen ist. Ja, bleibt er halt allein - nicht weil er das wollte, sondern weil sich nicht entscheiden wollte.

Feynman ( gelöscht )
Beiträge:

31.08.2007 21:51
#5 RE: Gedankens Blässe, Bloggers Bemühen. Oder: On going beyond the information given Antworten

In Antwort auf:
Also ich halte diese Ansicht der Ansichtslosigkeit für grundverkehrt.


Sehe ich auch so.

Es gibt auch andere Gründe eine Diskussion nicht mitzumachen.

Es soll ja einige Leute geben, die in Gesellschaft nicht die Gesprächigsten sind. Natürlich kommt dann die Frage warum man nichts sagt, alle Augen sind auf einem gerichtet, manche bringen jetzt gar nichts mehr heraus, eine kurze, vorher zurecht gelegte Antwort, entschärft die Situation. Vielleicht tritt dieser in Internetdiskussionen ganz anders auf, ...

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.09.2007 22:42
#6 Erkenntistheoretischer Nihilismus, Kultur-Relativismus usw. Antworten

Lieber Meister Petz,

danke für diesen sehr lesenswerten Beitrag!

Zitat von Meister Petz
Mich erinnert diese Einstellung sehr stark an meine Studienzeit (Philosophie), weil sie gerade unter Philosophen sehr verbreitet ist. (...) Wenn man so will, ist das also (wertfrei ausgedrückt) eine sehr philosophische Einstellung.

Da bin ich nicht so sicher, lieber Meister Petz. Oder sagen wir: Es ist vielleicht die Einstellung gewisser, vor allem spätantiker, Lebensphilosophen - der Stoiker, der Epikuräer (zwei Schulen, die nicht so gegensätzlich dachten, wie das manchmal dargestellt wird).

Aber eine erkenntnistheoretisch irgendwie fruchtbare Einstellung ist eine solche indolente Haltung naturgemäß nicht.

Auch diejenigen, die als die großen Zweifler gelten (Sokrates, Descartes) haben den Zweifel ja nur als Mittel zur Erkenntnis eingesetzt. Der Sokrates, wie wir ihn aus Platos Dialogen kennen, ist eine Kunstfigur Platos, der selbst ja keineswegs der Meinung war, nichts zu wissen. Das Zweifeln ist bei diesem großen Pädagogen Platon im Grunde ein didaktisches Instrument. Und für Descartes war der Zweifel ja nur der Ausgangspunkt, der ihn zur Gewißheit führen sollte.
Zitat von Meister Petz
Es mag ja sein, dass solch eine Haltung weise ist, aber es macht schlicht und ergreifend keinen Spaß zu diskutieren, wenn man überhaupt keine Reibungsfläche hat. Broder bezeichnet das sehr schön (in anderem Kontext) mit dem Satz "Wir differenzieren uns zu Tode".

Dem stimme ich sozusagen aus vollem Herzen zu.

Ich habe ja auch diesen Thekenbekannten, den ich in dem Essay Candide genannt habe, nicht als Vorbild geschildert. Wenn man es a bisserl überhöhen will, dann kann man sagen: Er ist sozusagen eine fleischgewordene Variante des Typus des literarischen Helden, der dem Autor nur dazu dient, in ihm sich gewissermaßen die Welt spiegeln zu lassen - der Simplicius Simplicissimus, Hans Castorp, Oskar Matzerath; in gewisser Weise auch Musils Ulrich.

Ich bin schon sehr dafür, Position zu beziehen; und sei es "for the sake of the argument"; was man ja auch mit "um des Streitens willen" übersetzen kann (und vermutlich sollte).

Keine Wissenschaft käme ja auch voran, ohne daß Position bezogen und gestritten wird. "Die Wissenschaftler sind sich nicht einig" - wie wahr. Nur kennen sie Wege, sich einig zu werden.
Zitat von Meister Petz
Dazu kommt, dass diese Form der Arroganz sozial wesentlich akzeptierter ist als das Beharren auf einer Meinung. Das tut der Stammtisch, der heutige Intellektuelle legt sich nicht fest.

Sondern er dekonstruiert.

Ich verabscheue (verachte auch) diesen Kulturalismus, der sich gewissermaßen eine Etage höher ansiedelt als alle die "Konstrukte", über die er sich äußert. Dieses schlaffe "du hast deine Wahrheit, ich habe meine", das jede Diskussion im Grunde sinnlos macht. Und das vor allem ein Freibrief für jeden Obskurantismus, jede Dummheit, jede wilde Spekulation ist.

Alles deklariert man als "die subjektive Wahrheit" desjenigen, der diesen Kokolores glaubt. Was sich "postmodern" nennt, sollte man besser dekadent nennen. Denn das ist es, dieses Denken, im Wortsinn: Ein Zurückfallen in voraufklärerische Zeiten.
Zitat von Meister Petz
Ich kann nichts erkennen, keinen Schluss ziehen, ohne letztendlich, zumindest für mich selbst, zu behaupten, dass es so ist. Insofern wäre doch ohne das Vertreten von Meinungen unser ganzes schöne Erkenntnisvermögen verschenkt?

Exakt. Die meisten jungen Leute, die eine Neigung zur Philosophie haben, geraten ja irgendwann in eine relativistische Phase. Manche - wie Kleist, als er Kant gelesen hatte - trifft diese Einsicht in die Bedingtheit unseres Erkenntisvermögens wie eine Keule.

Mir ist das mit siebzehn, achtzehn Jahren auch so gegangen. Man kann dann in die Lebensphilosophie flüchten - die Nietzsche-Periode, Kierkegaard-Periode, die Sartre- und Camus-Periode. Habe ich auch gemacht, bis ich dahinter gekommen bin, wie sehr diese sogenannte Lebensphilosophie gerade am Leben vorbeigeht - nämlich an den exakten Wissenschaften, der Technik, dem Fortschritt überhaupt.

Es stimmt ja schlicht nicht, daß jede Wahrheit "subjektiv", "kulturell bedingt", das Ergebnis einer "gesellschaftlichen Konstruktion" sei. Daß die Erde (annähernd) kugelförmig ist, das ist wahr. Die Idee des Kosmas von der scheibenförmigen Erde mit dem Berg des Nordens ist falsch. Ita est.

Und Eratosthenes hat den Umfang der Erde ziemlich exakt gemessen, mit Hilfe der Trigonometrie und eines genialen Einfalls. Auch wenn er in einer ganz anderen Kultur lebte als wir, ist er zum selben Ergebnis gekommen wie die heutige Wissenschaft. Weil es eben nicht um ein "Konstrukt" geht, sondern ein Faktum.
Zitat von Meister Petz

Darum muss ich die Frage, warum es gut ist, Meinungen zu habe, nicht nur damit beantworten, dass es mehr Spaß macht und dass es meist authentischer ist, sondern auch mit dem ganz einfachen Satz: "Weil wir es können!"

Sic!

Herzlich, Zettel

Ungelt ( gelöscht )
Beiträge:

02.09.2007 02:33
#7 RE: Gedankens Blässe, Bloggers Bemühen. Oder: On going beyond the information given Antworten

Sehr geehrter Zettel,

auch wenn ich in dieser Unterhaltung eindeutig unterqualifiziert bin, so fällt mir doch auf, daß es in dem oben verlinkten "Libero" Kommentar nicht so sehr um Meinungen und Meinungslosigkeit ging. Ich habe den Kommentar jedenfalls so verstanden, daß es darum geht, ob man sich als Multiplikator einer einmal als "richtig" erkannten eigenen Wahrheit versteht, oder ob man immer wieder bereit ist auch unangenehme Argumente in die eigenen Überlegungen mit einzubeziehen und sie auch öffentlich zu diskutieren.

Für meinen Teil: Meinungslosigkeit ist natürlich Unsinn, außer man ist aus objektiven Gründen nicht in der Lage, sich zu einem Thema eine einigermaßen fundierte Meinung zu bilden. Das ist ja auch nicht gerade selten und sicher auch nicht verwerflich. Aber es sollte, wenn es denn eine Meinung gibt, und wenn man sich entschieden hat sie auch öffentlich zu vertreten, eine nach allen Seiten "offene" Meinung sein. Das ist vielleicht auch für einen solchen Blog zu viel verlangt, aber Medien mit berechenbarer Meinung gibt es ja schon genug. Ich würde gerne häufiger in einer solchen Diskussion erleben, daß einer sagt "das habe ich so noch nicht bedacht, das ändert die Lage für mich ein wenig".

Mit freundlichen Grüßen, Ungelt

Feynman ( gelöscht )
Beiträge:

02.09.2007 10:05
#8 RE: Erkenntistheoretischer Nihilismus, Kultur-Relativismus usw. Antworten

In Antwort auf:
Man kann dann in die Lebensphilosophie flüchten - die Nietzsche-Periode, Kierkegaard-Periode, die Sartre- und Camus-Periode.
Diese Herren sagen mir nur vom Namen was. Was ich mir unter Lebesphilisophie vorstellen soll, weiß ich nicht, wahrscheinlich kein Fehler sich damit nicht zu befassen.

In Antwort auf:
Habe ich auch gemacht, bis ich dahinter gekommen bin, wie sehr diese sogenannte Lebensphilosophie gerade am Leben vorbeigeht - nämlich an den exakten Wissenschaften, der Technik, dem Fortschritt überhaupt.

Diese sogenannten exakten Wissenschaften gehen aber ziemlich am Leben vorbei, über den Sinn des Leben, das Sterben (und danach), Gott, ..., können diese Wissenschaften herzlich wenig aussagen. Was nicht heißen soll, dass die exakten Wissenschaften unnütz sind.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.09.2007 15:04
#9 RE: Gedankens Blässe, Bloggers Bemühen. Oder: On going beyond the information given Antworten

Lieber Ungelt,

Zitat von Ungelt
Ich habe den Kommentar jedenfalls so verstanden, daß es darum geht, ob man sich als Multiplikator einer einmal als "richtig" erkannten eigenen Wahrheit versteht, oder ob man immer wieder bereit ist auch unangenehme Argumente in die eigenen Überlegungen mit einzubeziehen und sie auch öffentlich zu diskutieren.

Ja, diese Bereitschaft sollte man haben. Nur kann man - und das wollte ich in dem kleinen Essay verdeutlichen - nicht alles, was man in die eigenen Überlegungen einbezieht, auch in einen Text hineinschreiben.
Zitat von Ungelt
Ich würde gerne häufiger in einer solchen Diskussion erleben, daß einer sagt "das habe ich so noch nicht bedacht, das ändert die Lage für mich ein wenig".

Ich denke, lieber Ungelt, implizit geschieht das gar nicht so selten. Man muß es ja nicht so formulieren - aber oft findet man die Spuren dessen, was einmal diskutiert wurde, in dem wieder, was jemand dann später sagt.

Oder in einem Forum wie diesem schreibt. Wo - was mich sehr freut - ja durchweg sachlich und mit viel Substanz diskutiert wird. Da habe ich was davon. Davon haben vielleicht auch andere etwas. Und zwar durchaus im Sinn einer Veränderung von Meinungen.

Herzlich, Zettel

Libero Offline



Beiträge: 393

03.09.2007 09:07
#10 RE: Gedankens Blässe, Bloggers Bemühen. Oder: On going beyond the information given Antworten

[

Zitat von Ungelt
Ich würde gerne häufiger in einer solchen Diskussion erleben, daß einer sagt "das habe ich so noch nicht bedacht, das ändert die Lage für mich ein wenig".
Zitat von Zettel

Ich denke, lieber Ungelt, implizit geschieht das gar nicht so selten. Man muß es ja nicht so formulieren - aber oft findet man die Spuren dessen, was einmal diskutiert wurde, in dem wieder, was jemand dann später sagt.
Herzlich, Zettel


Lieber Herr Zettel

damit wären wir beim nächsten grundsätzlichen Punkt, den ich ebenso grundsätzlich und von jeder aktuellen Diskussion losgelöst betrachten will. Wir haben Situationen im Leben, wo man nicht mehr befreundet, sondern zerfreundet ist.

Wo man nicht mehr gesellig, sondern ungesellig ist. Wo man nicht mehr friedlich, sondern zerstritten ist, gar sich gegenseitig angreift und tötet.

Das Wiederaufeinanderzubewegen setzt oft das Eingeständnis des Irrtum, des Fehlverhaltens, der Fehlmeinung der notwendigen Veränderung, des notwendigen Neubeginns voraus. Das ist von essentieller Bedeutung. Nicht nur bei Menschen, die durch Sprachen und Geschichte sich voneinander weg bewegten, sondern noch mehr bei Menschen, die sich eigentlich sehr nah sein sollten, die aber nicht miteinander leben, sondern neben- oft auch gegeneinander leben.

Das Wünschenswerte beschreibt Ungelt, Sie beschreiben das Erreichbare. Haben Sie wirklich den Eindruck, das das Erreichbare ausreicht?

Mir fällt eins auf. Das Denken in Lagern nimmt zu. Jeder hockt in seiner Wagenburg des politischen Denkens und tituliert den anderen mit niedlichen sprachlichen Etiketten. Ebenso wie man selbst mit sprachlichen Etiketten versehen wird. So beginnt keine notwendige Veränderung und kein Neubeginn.


Herzlichst
Libero

Ungelt ( gelöscht )
Beiträge:

04.09.2007 10:56
#11 RE: Gedankens Blässe, Bloggers Bemühen. Oder: On going beyond the information given Antworten
Sehr geehrter Zettel
In Antwort auf:
In Antwort auf:
Ich würde gerne häufiger in einer solchen Diskussion erleben, daß einer sagt "das habe ich so noch nicht bedacht, das ändert die Lage für mich ein wenig".


Ich denke, lieber Ungelt, implizit geschieht das gar nicht so selten. Man muß es ja nicht so formulieren - aber oft findet man die Spuren dessen, was einmal diskutiert wurde, in dem wieder, was jemand dann später sagt.


Das reicht mir leider nicht ganz. Eine Unterhaltung, und so verstehe ich das Medium, lebt doch von Rückkopplung. So haben nur Sie (u.U.) einen Gewinn aus den Beiträgen Anderer, nicht aber die, die auch ihren Teil beitragen. Im Gegenteil, bei denen muß doch der Eindruck entstehen, daß sie meilenweit daneben liegen, aus Ihrer Sicht. Die können (und wollen) doch nicht warten, ob vielleicht in einigen Wochen eine etwas modifizierte Haltung in einem Ihrer Kommentare vorkommt.

Ich gebe zu, auch ich schaffe es oft nicht, auf einen äußeren Impuls hin unmittelbar so zu reagieren, wie ich es mir wünschen würde. Aber verteidigen würde ich das nicht, ich sehe es schon als eine menschliche Schwäche. Es mag in einem Umfeld, daß auf die kleinen Fehler und Unzulänglichkeiten der Anderen lauert, noch schwieriger zu sein. Wenn man es aber nicht tut, entsteht eben das, was wir leider heute in der öffentlichen Diskussion haben. Alle beharren auf ihren exklusiven Wahrheiten und blockieren sich gegenseitig.

Mit freundlichen Grüßen, Ungelt
ex-blond Offline




Beiträge: 155

04.09.2007 21:49
#12 RE: Gedankens Blässe, Bloggers Bemühen. Oder: On going beyond the information given Antworten

Hallo Ungelt,

ich denke, jede Diskussion zwischen zwei Menschen besteht aus zwei Elementen: erstens den Sachargumenten und zweitens den Emotionen (z.B. das Gefühl der inneren Sicherheit).

Ich glaube, es ist dem Menschen sozusagen emotional angeboren, zunächst einmal an seiner Position festzuhalten, auch wenn die Argumente, die gegen die eigene Position sprechen, erdrückend sind. Eine Meinungsänderung ist nicht nur eine rein sachliche Angelegenheit, sondern auch emotional muss eine solche vollzogen werden, aus psychologischen Gründen (denke ich). Daher ist jede Meinungsänderung ein längerer bis langer Prozess, v.a. wenn es um grundsätzliche Frage geht.

Ich finde, wenn man sich dessen bewusst ist, kann man gut damit umgehen, dass man (zumindest an der Oberfläche, manchmal auch komplett) auf Granit stößt, selbst wenn man die besten Argumente der Welt präsentiert.

Zettel sagte: „..oft findet man die Spuren dessen, was einmal diskutiert wurde, in dem wieder, was jemand dann später sagt..“

Zusammen mit meinen Gedanken erinnert mich das an das Bibel-Zitat: „Ihr seid das Salz der Welt“

Viele Grüße, Ex-Blond

Ungelt ( gelöscht )
Beiträge:

05.09.2007 10:24
#13 RE: Gedankens Blässe, Bloggers Bemühen. Oder: On going beyond the information given Antworten

Hallo Ex-Blond

In Antwort auf:
ich denke, jede Diskussion zwischen zwei Menschen besteht aus zwei Elementen: erstens den Sachargumenten und zweitens den Emotionen (z.B. das Gefühl der inneren Sicherheit).


Im Prinzip stimme ich schon zu, aber es hängt wohl sehr stark vom Thema ab, welche Komponente ausschlaggebend ist. Wenn ich selbst betroffen bin, sieht es ja anders aus, als wenn es um Stammessitten der Indianer geht. (Außer, ich bin selber einer ;-)

Ich meinte in meinem Beitrag die zweite Sorte. Aber ich gebe natürlich zu, daß das Maß, in dem sich die Menschen auch bei einem eher unverfänglichen Thema persönlich attakiert fühlen können, unterschiedlich ist.

Ich selber bin in sehr viellen Dingen nicht so wahnsinnig stark festgelegt, wenn ich z.B. die ganzen Europa-Angelegenheiten nehme. Ich sehe hier, glaube ich, sowohl das positive, als auch Gefahren. Und denke mir, naiv wie ich wohl bin, daß man darüber doch reden können muß. Ohne gleich die eigene Identität dabei aufgeben zu müssen.

Schönen Gruß, Ungelt

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