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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 37 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2
Kallias Offline




Beiträge: 2.310

16.01.2014 18:34
Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Christoph, bekannt als Forumsmitglied im "Kleinen Zimmer", hat einen Gastbeitrag geschrieben, der sich mit einer Umfrage zum Thema der "Kinderarmut" befasst.

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

16.01.2014 19:20
#2 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Vielen Dank für Ihren Beitrag, lieber Christoph, große Zustimmung!

Zitat von Christoph im Blogbeitrag
Ist ihre Bereitschaft, höhere Steuern zu entrichten, nur ein Lippenbekenntnis, oder sind sie nur dann dazu bereit, armen Kindern zu helfen, wenn auch andere zur Kasse gebeten werden?



Ich vermute sehr stark, daß insbesondere ersteres auch deshalb zutrifft, weil bei solchen (Telefon)Befragungen eigentlich nie der response style der Sozialen Erwünschtheit kontrolliert wird:

Zitat von Wikipedia
Soziale Erwünschtheit (Social-Desirability-Response-Set) ist ein Störfaktor bei Befragungen in Sozialwissenschaft und Marktforschung und somit eine Verzerrung. Soziale Erwünschtheit liegt vor, wenn Befragte Antworten geben, von denen sie glauben, sie träfen eher auf Zustimmung als die korrekte Antwort, bei der sie soziale Ablehnung befürchten [...] Das Ausmaß der Verzerrung durch soziale Erwünschtheit hängt auch vom Thema der Befragung ab. Besonders betroffen sind heikle oder peinliche Fragen, zum Beispiel nach dem Alkoholkonsum oder der politischen Präferenz für Parteien am rechten und linken Rand des Parteienspektrums.



Dabei spielt die Tatsache, daß die Befragungen anonym angelegt sind, interessanterweise kaum eine Rolle. Bei solchen Themen wollen die Leute einfach wohlfeil lieb gehabt werden: Kann in dieser grausamen Welt bitte ENDLICH EINMAL jemand an die Kinder denken!? ...

Herzliche Grüße,
Andreas

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

16.01.2014 19:43
#3 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #2
Kann in dieser grausamen Welt bitte ENDLICH EINMAL jemand an die Kinder denken!? ...

OK, auf die Gefahr hin der sozialen Erwünschtheit nicht genüge zu tun, hier die zwei Gedanken, die mir bei diesem Thema spontan in den Kopf schießen:

1. Den Begriff "Kinderarmut" assoziiere ich mit "Armut an Kindern", d.h. Familien, die wenig oder keine Kinder haben. Ich glaube, das ist die hergebrachte Bedeutung des Begriffs - und durchaus ein Problem für Deutschland (das freilich andernorts in Zettels kleinem Zimmer schon thematisiert wurde).

2. "Kinderarmut" im Sinne von Armut speziell von Kindern ist ein Kampfbegriff gegen die Familie, bei dem Kinder unter Fortlassung ihrer Eltern oder Erziehungsberechtigten als unabhängige und isolierte Einheiten im Staat angesehen werden, um die dieser sich zu kümmern habe. Kinder haben in der Regel kein eigenes Einkommen und könnten, da sie nicht geschäftsfähig sind, auch gar nichts damit anfangen, daher ist der Begriff Armut, auf ein einzelnes Kind bezogen, sinnlos. Es geht also eher um Kinder, die in Familien (oder entsprechenden sozialen Verbunden) aufwachsen, in denen Armut herrscht. Dann ist aber die Armut der Eltern oder Erziehungsberechtigten das Problem, und das Wort "Kinderarmut" zeigt gewissermaßen in die falsche Richtung.
(Der klassische Proletarier war ja durch den eponymen Kinderreichtum in Kombination mit Armut definiert.)
Es drängt sich, wie Döding andeutet, der Verdacht auf, daß der Präfix "Kinder-" hier nur emotionalisierende Funktion hat.

Widder Offline



Beiträge: 61

16.01.2014 19:52
#4 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

"Dabei wird das Problem „Kinderarmut“ kaum zu lösen sein, ohne Einigkeit darüber zu erzielen, worin es überhaupt besteht."

Genau das ist der Punkt! "Kinderarmut" führen die meisten wohl auf ein zu niedriges Haushaltseinkommen zurück. Dies kann aber in D aufgrund der hinreichenden Grundsicherung nicht das Problem sein.

In der Berichterstattung ist mir übrigens aufgefallen, dass die entscheidende Frage häufig falsch wiedergegeben wird. Infratest hat nämlich gefragt: "Wären Sie bereit, mehr Steuern zu zahlen, wenn damit das Problem der Kinderarmut in Deutschland wirkungsvoll bekämpft werden könnte?" (http://www.dkhw.de/cms/images/downloads/...rmut_Einzel.pdf) Das Wörtchen "wirkungsvoll" wurde oft unterschlagen. Grundsätzlich wäre doch jeder bereit, für Maßnahmen zur Bekämpfung eines Problems mehr Geld zu zahlen, wenn das Problem wirkungsvoll gelöst würde. So könnte die 2/3-Zustimmung auch erklärt werden. Schließlich habe ich Zweifel, ob eine solche Fragestellung überhaupt sinnvoll ist, wenn man bedenkt, dass die Wirksamkeit vieler staatlicher Maßnahmen begrenzt ist.

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Widders Ecke

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

16.01.2014 20:01
#5 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #3
Zitat von Doeding im Beitrag #2
Kann in dieser grausamen Welt bitte ENDLICH EINMAL jemand an die Kinder denken!? ...

OK, auf die Gefahr hin der sozialen Erwünschtheit nicht genüge zu tun, hier die zwei Gedanken, die mir bei diesem Thema spontan in den Kopf schießen:

1. Den Begriff "Kinderarmut" assoziiere ich mit "Armut an Kindern", d.h. Familien, die wenig oder keine Kinder haben. Ich glaube, das ist die hergebrachte Bedeutung des Begriffs - und durchaus ein Problem für Deutschland (das freilich andernorts in Zettels kleinem Zimmer schon thematisiert wurde).

2. "Kinderarmut" im Sinne von Armut speziell von Kindern ist ein Kampfbegriff gegen die Familie, bei dem Kinder unter Fortlassung ihrer Eltern oder Erziehungsberechtigten als unabhängige und isolierte Einheiten im Staat angesehen werden, um die dieser sich zu kümmern habe. Kinder haben in der Regel kein eigenes Einkommen und könnten, da sie nicht geschäftsfähig sind, auch gar nichts damit anfangen, daher ist der Begriff Armut, auf ein einzelnes Kind bezogen, sinnlos. Es geht also eher um Kinder, die in Familien (oder entsprechenden sozialen Verbunden) aufwachsen, in denen Armut herrscht. Dann ist aber die Armut der Eltern oder Erziehungsberechtigten das Problem, und das Wort "Kinderarmut" zeigt gewissermaßen in die falsche Richtung.
(Der klassische Proletarier war ja durch den eponymen Kinderreichtum in Kombination mit Armut definiert.)
Es drängt sich, wie Döding andeutet, der Verdacht auf, daß der Präfix "Kinder-" hier nur emotionalisierende Funktion hat.


Meiner Ansicht nach drängt sich hier noch ein ganz anderer Verdacht auf. Wie Sie m.E. völlig zutreffend herleiten, lieber Fluminist, werden mit dem Begriff Kinderarmut die Kinder "unter Fortlassung ihrer Eltern oder Erziehungsberechtigten als unabhängige und isolierte Einheiten im Staat angesehen". Das heißt er tritt in Konkurrenz zu den Eltern auf und baut sich als deren Substitut auf, wenn er feststellt dass bestimmte Kinder arm sind.
So habe ich das noch gar nicht gesehen, aber der Begriff Kinderarmut hat mich immer schon irritiert.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

16.01.2014 20:14
#6 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Zitat von Widder im Beitrag #4
"Dabei wird das Problem „Kinderarmut“ kaum zu lösen sein, ohne Einigkeit darüber zu erzielen, worin es überhaupt besteht."

Genau das ist der Punkt! "Kinderarmut" führen die meisten wohl auf ein zu niedriges Haushaltseinkommen zurück. Dies kann aber in D aufgrund der hinreichenden Grundsicherung nicht das Problem sein.

In der Berichterstattung ist mir übrigens aufgefallen, dass die entscheidende Frage häufig falsch wiedergegeben wird. Infratest hat nämlich gefragt: "Wären Sie bereit, mehr Steuern zu zahlen, wenn damit das Problem der Kinderarmut in Deutschland wirkungsvoll bekämpft werden könnte?" (http://www.dkhw.de/cms/images/downloads/...rmut_Einzel.pdf) Das Wörtchen "wirkungsvoll" wurde oft unterschlagen. Grundsätzlich wäre doch jeder bereit, für Maßnahmen zur Bekämpfung eines Problems mehr Geld zu zahlen, wenn das Problem wirkungsvoll gelöst würde. So könnte die 2/3-Zustimmung auch erklärt werden. Schließlich habe ich Zweifel, ob eine solche Fragestellung überhaupt sinnvoll ist, wenn man bedenkt, dass die Wirksamkeit vieler staatlicher Maßnahmen begrenzt ist.


Vielen Dank für den link, lieber Widder. Ich leg jetzt nochmal ne Schippe drauf. Die Untersuchung ist ein Witz. Die Items sind alle gleich gepolt, soll heißen, daß zustimmende Antworten immer im Sinne des interessierenden Merkmals ausgewertet werden. Man muß nur stets "Ja" sagen oder "voll zustimmen". Diesen Response style nennt man Akquieszenz, und der wirkt sich noch viel schlimmer aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Akquieszenz
Wenn man nicht 50% der Fragen umpolt ("Ich bin der Meinung, daß der Staat genug für die Kinder armer Eltern tut"), dann kann man die Umfrage vergessen. Ganz ehrlich, ich hätte nicht gedacht, das Infratest einen solchen Anfängerfehler macht.

Ich darf abschließend, lieber Widder, noch auf Ihren, wie ich finde, exzellenten Artikel zur Crux mit der Armutsdefinition hinweisen?
http://widdersecke.wordpress.com/2013/11...e-armutszahlen/

Herzliche Grüße,
Andreas

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 2.007

16.01.2014 20:20
#7 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Das erste was ich damals bei Lesen dieser Meldung dachte war: Es ist wie immer.

Die Moral, die dem Ziel innewohnt verhindert eine sachliche Auseinandersetzung mit Inhalten. Nämlich die, die hier besprochen werden. Ein schönes Beispiel für teleologische Ethik (danke Erling Plaethe) und ihr Mißbrauch in der Politik.

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

16.01.2014 20:32
#8 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Lieber Christoph, vielen Dank für Ihren sehr lesenswerten Beitrag und auch für die exzellenten Fragen die Sie stellen. Es ist schon richtig auffällig wie erst Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, dann Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Manuela Schwesig und nun ein Begünstigter aus der Sozialindustrie höhere Steuern für sich fordert.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Widder Offline



Beiträge: 61

16.01.2014 22:05
#9 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #6
Die Items sind alle gleich gepolt, soll heißen, daß zustimmende Antworten immer im Sinne des interessierenden Merkmals ausgewertet werden. Man muß nur stets "Ja" sagen oder "voll zustimmen". Diesen Response style nennt man Akquieszenz, und der wirkt sich noch viel schlimmer aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Akquieszenz
Wenn man nicht 50% der Fragen umpolt ("Ich bin der Meinung, daß der Staat genug für die Kinder armer Eltern tut"), dann kann man die Umfrage vergessen. Ganz ehrlich, ich hätte nicht gedacht, das Infratest einen solchen Anfängerfehler macht.


So wie ich als Laie die Erklärung der Akquieszenz verstehe, liegt sie möglcherweise bei Frage 1 und 3 vor; bei 2 und 4 kann ich dafür aber keine Anzeichen erkennen.

Zitat von Doeding im Beitrag #6
Ich darf abschließend, lieber Widder, noch auf Ihren, wie ich finde, exzellenten Artikel zur Crux mit der Armutsdefinition hinweisen?
http://widdersecke.wordpress.com/2013/11...e-armutszahlen/


Selbstverständlich. Danke fürs Kompliment!

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Widders Ecke

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

16.01.2014 22:12
#10 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #3
Es geht also eher um Kinder, die in Familien (oder entsprechenden sozialen Verbunden) aufwachsen, in denen Armut herrscht. Dann ist aber die Armut der Eltern oder Erziehungsberechtigten das Problem, und das Wort "Kinderarmut" zeigt gewissermaßen in die falsche Richtung.
So ist das wohl. Und es handelt sich natürlich um relative Armut, also in Wirklichkeit um einen Maßstab ungleicher Verteilung. Meist vergisst man dabei noch einen durchaus wichtigen Punkt hinzuzufügen, nämlich dass der Sozialstaat ein großer Treiber dieser Ungleichheit ist: Bei Beziehern von ALG II übernimmt immer der Staat die zusätzlichen Kosten. Arbeitgeber pflegen das eher nicht zu tun. Wegen des automatisch steigenden höheren ALG-II-Satzes bei jedem zusätzlichen Kind kommen diese Familien selbst bei einem nicht allzu schlechten Gehalt dann auch schnell in die Zone, wo sie Anrecht auf Aufstockung haben. Es ist ein perfektes System: Der Sozialstaat fördert Kinderkriegen bei den Ärmeren, und er macht Kinderkriegen zu einem Grund für Hilfsleistungen, die dann wiederum ein Hinweis auf Bedürftigkeit sind. Das hat mal ein gewisser Herr Sarrazin ausführlich beschrieben, aber dieses Buch wurde ja viel mehr verdammt als gelesen.

Den schnellsten Weg, Kinderarmut zu beseitigen, hat mal ein gewisser Bill Clinton vorexerziert: für Hilfsleistungen eine Höchstbezugsdauer festlegen.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)

TF Offline



Beiträge: 281

17.01.2014 00:03
#11 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Zitat von Rayson im Beitrag #10
Meist vergisst man dabei noch einen durchaus wichtigen Punkt hinzuzufügen, nämlich dass der Sozialstaat ein großer Treiber dieser Ungleichheit ist: Bei Beziehern von ALG II übernimmt immer der Staat die zusätzlichen Kosten. Arbeitgeber pflegen das eher nicht zu tun. Wegen des automatisch steigenden höheren ALG-II-Satzes bei jedem zusätzlichen Kind kommen diese Familien selbst bei einem nicht allzu schlechten Gehalt dann auch schnell in die Zone, wo sie Anrecht auf Aufstockung haben. Es ist ein perfektes System: Der Sozialstaat fördert Kinderkriegen bei den Ärmeren, und er macht Kinderkriegen zu einem Grund für Hilfsleistungen, die dann wiederum ein Hinweis auf Bedürftigkeit sind. Das hat mal ein gewisser Herr Sarrazin ausführlich beschrieben, aber dieses Buch wurde ja viel mehr verdammt als gelesen.

Den schnellsten Weg, Kinderarmut zu beseitigen, hat mal ein gewisser Bill Clinton vorexerziert: für Hilfsleistungen eine Höchstbezugsdauer festlegen.



So ist es. Und wie Erling Plaethe und Fluminist schon richtig bemerkten, versuchen die Sozialisten Kinder als von den Eltern unabhängige Wesen hinzustellen, mehr Geld bekämen aber die ELTERN, nicht die Kinder. Zweifellos ist ALG2 ausreichend, um ein Kind zu erhähren. Wenn man also Heulgeschichten über Kinder liest, die ohne Frühstück in die Schule kämen, dann ist das die Schuld der Eltern, die ja ausreichend Geld haben, aber das Geld lieber anderweitig ausgeben oder schlicht zu faul sind, sich vor Mittag aus dem Bett zu bequemen. Das würde sich durch eine ALG2-Erhöhung nicht ändern. Und diese Unfähigkeit oder der Unwille der Eltern soll Rechtfertigung dafür sein, diesen Eltern noch mehr Geld zu geben??? Da sieht man die ganze Verkommenheit der pervertierten Sozialstaatsindustrie.

Christoph Offline




Beiträge: 241

17.01.2014 02:17
#12 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Dieses Dreiecksverhältnis zwischen Eltern, Kindern und Staatsbehörden, seien es Lehrer, Kindergarten-Erzieher oder eben Sozialbehörden, ist ein sehr interessanter Aspekt. Da werde ich vielleicht noch einen Beitrag draus stricken (um damit die Kinder hemmungslos für meine menschenverachtende neoliberale Propaganda zu missbrauchen).

Zitat von TF im Beitrag #11
Und wie Erling Plaethe und Fluminist schon richtig bemerkten, versuchen die Sozialisten Kinder als von den Eltern unabhängige Wesen hinzustellen …

Ich vermute, daß ich Ihnen in dem, was Sie (und auch Fluminist und Erling Plaethe) meinen, zustimmen kann. Mit der Formulierung bin ich jedoch nicht einverstanden: Als unabhängige Wesen muss man die Kinder nicht «hinstellen», das sind sie ja tatsächlich. Natürlich sind sie nicht im selben Maß unabhängig wie es Erwachsene sein können, aber sie sind doch Personen und nicht bloß zusätzliche Organe ihrer Eltern.

Sie beschreiben ja selbst, in welcher Weise Eltern ihre Kinder vernachlässigen oder gar misshandeln können. Wenn sie von «Schuld der Eltern» reden – so kann diese Schuld ja nur deshalb bestehen, weil Kinder für sich selbst existieren und nicht bloß als Anhängsel einer Familie.

Zitat von TF im Beitrag #11
Wenn man also Heulgeschichten über Kinder liest, die ohne Frühstück in die Schule kämen, dann ist das die Schuld der Eltern, die ja ausreichend Geld haben, aber das Geld lieber anderweitig ausgeben oder schlicht zu faul sind, sich vor Mittag aus dem Bett zu bequemen. Das würde sich durch eine ALG2-Erhöhung nicht ändern. Und diese Unfähigkeit oder der Unwille der Eltern soll Rechtfertigung dafür sein, diesen Eltern noch mehr Geld zu geben??? Da sieht man die ganze Verkommenheit der pervertierten Sozialstaatsindustrie.


Nun. Natürlich sollen nicht nur die Eltern mehr Geld bekommen – zum Schluss kämen sie noch auf die Idee, selber für ihre Kinder zuständig zu sein und sich eigene Erziehungsmaßnahmen anmaßen zu dürfen, ohne je in dieser hohen Kunst staatlich unterrichtet und geprüft worden zu sein. Eine solche Verantwortung darf man ihnen nicht aufbürden! Nein. Neben höheren Geldzuwendungen braucht es ja auch dringend mehr Sozialarbeiter, kostenlose Ganztagsbetreuung und kostenloses Frühstück in der Schule. Wann fordert der DGB endlich kostenloses Frühstück am Arbeitsplatz?

Die Verantwortung der Eltern wird in der Pressemitteilung des DHKW (im Artikel verlinkt) bloß beiläufig erwähnt – ganz am Ende des vorletzten Absatzes:

Zitat
Dass vor allem ältere Befragte auch eine Mitschuld von Eltern in einkommensschwachen Familien konstatieren, da sie sich nicht ausreichend um das Wohl ihrer Kinder kümmern, zeigt einen Bruch zwischen den Generationen.



Fast meine ich, ein Befremden der Autoren zu verspüren ob einer so altmodischen, ganz und gar verqueren Ansicht: Schuld? Ein Einzelner? Verantwortlich für irgendetwas sind vielleicht Firmenbosse, Börsenspekulanten oder Steuerhinterzieher, aber alle anderen haben doch wohl eine schwere Kindheit vorzuweisen oder sind irgendwie das Opfer gesellschaftlicher Missstände – wie könnten sie also an irgendetwas Schuld tragen?

xanopos ( gelöscht )
Beiträge:

17.01.2014 08:18
#13 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Zitat von Widder im Beitrag #4
In der Berichterstattung ist mir übrigens aufgefallen, dass die entscheidende Frage häufig falsch wiedergegeben wird. Infratest hat nämlich gefragt: "Wären Sie bereit, mehr Steuern zu zahlen, wenn damit das Problem der Kinderarmut in Deutschland wirkungsvoll bekämpft werden könnte?"

Versuchsaufbau:
Zuerst die Fragestellung "Wären sie bereit gegen Kinderarmut mehr Steuern zu zahlen".
Und dann die Befragten von einem Spendensammler, der rein zufällig für gegen Kinderarmut sammelt, anquatschen lassen.

Martin Offline



Beiträge: 4.129

17.01.2014 09:20
#14 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Zitat von Christoph im Beitrag #12
Ich vermute, daß ich Ihnen in dem, was Sie (und auch Fluminist und Erling Plaethe) meinen, zustimmen kann. Mit der Formulierung bin ich jedoch nicht einverstanden: Als unabhängige Wesen muss man die Kinder nicht «hinstellen», das sind sie ja tatsächlich. Natürlich sind sie nicht im selben Maß unabhängig wie es Erwachsene sein können, aber sie sind doch Personen und nicht bloß zusätzliche Organe ihrer Eltern.


Lieber Christoph,

ich denke, man muss den Kontext sehen. Selbstverständlich sind Kinder Personen. Woran aber macht sich der Begriff 'Armut' fest? In den Armutsstatistiken zählt m.W. das Haushaltseinkommen, evtl. das individuelle Einkommen als Vergleichsgröße, bei beiden Varianten taucht aber das Individuum Kind (außer als Kopf im Teiler) nicht auf.

Demgegenüber ist dem Kind in Sozialgesetzen u.a. ein Grundanspruch zugeordnet (SGB II, Unterhaltsfragen, Einkommensteuer), der weitgehend unabhängig vom elterlichen Einkommen ist, aber in der Regel von den Eltern verwaltet wird. Daraus lässt sich aber kaum eine Armutsstatistik basteln.

Da es Grundansprüche gibt, die medizinische Versorgung, Schule frei sind, Heizkosten und Strom bei Hartz 4 eines Haushalts vom Staat bezahlt werden kann man in Deutschland kaum mit 'Kinderarmut' hausieren gehen. Kleider, Möbel und Spielzeug gibt es in D second hand in einem großen Überfluss zu minimalen Kosten, die Ernährung ist mit den verbleibenden Mitteln locker abgedeckt. Man kann dann vielleicht von bestimmten 'Luxus'-Problemen reden, wenn nicht alle Kinder ein Nintendo, oder einen Privatlehrer fürs Flöten haben, aber 'Armut' hat keine Aussagekraft.

Gruß, Martin

PS: Die Familie meines Bruders hat mal im Haus mit einer 6?-köpfigen Hartz-4 Familie gewohnt. Die Kinder waren mit Handys u.a. überversorgt, allerdings von den Eltern ziemlich vernachlässigt, obwohl diese alle Zeit der Welt gehabt hätten.

Hermes Offline



Beiträge: 59

17.01.2014 09:33
#15 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Kinderarmut im Sinne einer geringen Geburtenrate und im Sinne schlechter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen, unter denen Kinder aufwachsen, sind letztlich zwei Seiten derselben Medaille, nämlich der relativen Schlechterstellung von Familien verglichen mit anderen gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland. Die Reaktion auf diese Schlechterstellung fällt jedoch unterschiedlich aus: Während ein Teil der Menschen die Folgen des Kinderkriegens abschätzt und sich dann in sehr vielen Fällen gegen Kinder entscheidet, was zur Kinderarmut der ersten (und nicht im Artikel diskutierten) Art führt, schätzt ein anderer Teil der Menschen diese Folgen nicht ab, mit dem Ergebnis, dass ihre Kinder sich in der Situation wiederfinden, die der Kinderarmut der zweiten Art, also der hier diskutierten, entspricht.

Beides ist jedoch unmittelbar auf politische Fehlentscheidungen zurückzuführen, so dass die Idee, den Steuerzahler verhaften zu wollen, um Kinderarmut entgegenzutreten, keine sachgerechte Lösung des Problems darstellt. Wichtigster Antreiber der Kinderarmut ist die Arbeitsmarktpolitik, die der Staat betreibt: Offensichtlich wird das Ziel verfolgt, die Erwerbsbeteiligung zu maximieren. Das führt dazu, dass den Menschen die Zeit fehlt, Kinder zu bekommen oder sich um sie zu kümmern. Gleichzeitig führt es aufgrund des gestiegenen Arbeitsangebots zu relativ sinkenden Arbeitseinkommen, die es erschweren, nicht arbeitende Familienmitglieder mit zu versorgen. Sollte ein Arbeitgeber nun auf die Idee kommen, einem Familienvater, von dessen Einkommen mehrere Personen leben, ein höheres Einkommen zahlen zu wollen, wie es in der Vergangenheit üblich war, wird er sich nun wegen Diskriminierung zu verantworten haben, da die alleinstehende Frau, die dieselbe Tätigkeit ausübt, ihm gegenüber nicht schlechter gestellt werden darf. Die Einführung einer Frauenquote dürfte letztlich dazu führen, dass die - tendenziell weniger flexiblen - Familienväter durch alleinstehende Frauen ersetzt werden, was aus Wirtschaftlichkeitserwägungen für die betroffenen Unternehmen rational ist, die Situation für Familien aber weiter verschlechtert.

Hinzu kommt, dass die Warenkörbe, die von Familien nachgefragt werden, erheblich schneller im Preis steigen als die Warenkörbe von Singles. Politisch gewollt ist aktuell u.a. die Konzentration der Bevölkerung in den größeren Städten, die mit einer erheblichen Steigerung der Mieten dortselbst einhergeht. Von dieser Steigerung sind Familien, bei denen das Verhältnis zwischen Mitgliedern und Einkommensbeziehern ungünstiger ist als bei Singles oder DINKs, jedoch in besonderem Maße betroffen. Politische Maßnahmen, die insbesondere Familien begünstigen würden, sind weit und breit nicht erkennbar. Hinzu kommt, dass der Stromverbrauch eines Familienhaushaltes - in dem tendenziell permanent die Waschmaschine läuft, um Kinderkleidung zu reinigen - erheblich über dem von Einzel- oder Paarhaushalten liegt. Infolge der staatlich geförderten Umverteilung von privaten Stromverbrauchern zu den Betreibern von Photovoltaik- und Windkraftanlagen induziert dies jedoch einen erheblichen Kostenblock, der für viele Familien - insbesondere in Verbindung mit Mietsteigerungen - absehbar existenzbedrohend wirken kann. Jede Maßnahme, ökologisch unvorteilhaft produzierte Güter aus dem Markt zu entfernen oder zu besteuern, trifft Familien besonders hart, weil sie diese Güter konsumieren müssen, da sie sich aufgrund des geringeren pro Haushaltsmitglied zur Verfügung stehenden Einkommens die Alternativen nicht leisten kann. Eine wirksame politische Maßnahme wäre die Einführung eines realistischen Steuerfreibetrages für Kinder, sowie eine deutliche Entlastung von Eltern bei den Beiträgen zur Sozialversicherung. Gegenfinanziert werden könnten diese, indem man die Sozialversicherungsbeiträge als de-facto-Steuern (die Versicherungsleistung bei Alter, Arbeitslosigkeit und Krankheit unterscheidet sich mittlerweile kaum noch von steuerfinanzierten Sozialleistungen, die auch nicht versicherten Personen bei Bedürftigkeit gewährt werden - insofern ist die Existenz einer separaten Sozialversicherung zunehmend schlechter zu rechtfertigen) auch de jure zu solchen macht und insofern alle Einkommen und alle Einkommensbezieher zur Finanzierung heranzieht.

In der Zwischenzeit kümmert sich die Politik vorwiegend darum, Wohltaten für die Generation 60+ aus dem Hut zu zaubern. Diese Wohltaten fließen an eine Bevölkerungsgruppe, die - sofern sie selbst eine Familie hat - mit den hier geschilderten Problemen nie etwas zu tun hatte. Sie werden jedoch finanziert von denen, die das Geld eigentlich dringend für den Unterhalt ihrer eigenen Familie brauchen würden. Weiterhin werden sie zum Teil auf Pump finanziert, was den Trend verstärkt, dass öffentliche Haushalte zu einem zunehmend größeren Teil für Leistungen der Vergangenheit eingesetzt werden, also nicht abbezahlte Infrastrukturinvestitionen vor 30 oder 40 Jahren, bei denen die zugehörige Infrastruktur mittlerweile völlig marode ist, Pensionszahlungen für ehemalige Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, Zinsen auf Schulden, mit denen in der Vergangenheit soziale Wohltaten für dieselben Menschen bereitgestellt wurden, denen man jetzt noch den Ruhestand versüßen will. Sowohl staatliche als auch private Investitionen zeigen einen deutlichen Trend: Eine langfristige Zukunftsperspektive wird allenfalls bei visionären Projekten wie der Energiewende verfolgt, langfristige Commitments zum Standort, die sich aus Erhalt oder gar Verbesserung der grundlegenden Infrastruktur erahnen ließen, sind nicht festzustellen. Auch Investitionen in Bildung und Erziehung sollen nicht dem Wohl der Familien dienen und letztlich den Kindern zugute kommen, sondern lediglich heute die Flexibilität der Arbeitnehmer erhöhen und als Nebeneffekt möglichst noch ein paar Arbeitsplätze für relevante Wählerschichten generieren. Die natürliche Reaktion auf einen solchen politischen Rahmen ist selbstverständlich die Kinderarmut der ersten Art. Wer sich dagegen entscheidet, sieht sich und seine Familie in vielen Fällen schon bald der Kinderarmut der zweiten Art ausgesetzt - es sei denn, er verfügt über einen finanziellen Rückhalt, der ihn davor bewahrt, in Form eines großzügig bemessenenen Kapitalstocks oder einer gut bezahlten und sicheren Arbeitsstelle, die aus den oben angeführten Gründen jedoch zunehmend rarer wird. Die Kinderarmut der ersten Art führt insofern dazu, dass Familien zunehmend die Lobby fehlt, was die Kinderarmut beiderlei Art noch verstärken wird.

Martin Offline



Beiträge: 4.129

17.01.2014 09:50
#16 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Zitat von Hermes im Beitrag #15
Die Kinderarmut der ersten Art führt insofern dazu, dass Familien zunehmend die Lobby fehlt, was die Kinderarmut beiderlei Art noch verstärken wird.


Lieber Hermes,

was genau fehlt denn den Kindern?

Ich frage das ernsthaft, da unsere Tochter gelegentlich Übernachtungsgast beispielsweise bei einer Klassenkameradin mit alleinerziehenden türkischstämmigen Mutter ist, die so wenig flüssige Mittel hat, dass sie sich nicht mal eine Heimreise in die Türkei leisten konnte, als ihr Großvater gestorben war.

Die Kinder gehen aber zur Schule, sind medizinisch versorgt, eher etwas übergewichtig, leben in einer kleinen Mietwohnung, sind aber ansonsten munter und zufrieden. Müssen nun Erwachsene ihnen Armut und eine schlechte Zukunft andichten?

Gruß, Martin

xanopos ( gelöscht )
Beiträge:

17.01.2014 10:05
#17 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Zitat von Hermes im Beitrag #15
dies jedoch einen erheblichen Kostenblock, der für viele Familien - insbesondere in Verbindung mit Mietsteigerungen - absehbar existenzbedrohend wirken kann.
Ich würde sagen, das trifft Personen (und Familien) die tendenziell etwas über den Verhältnissen leben. Dann tun schon geringe Kostensteigerungen weh.

Zitat
sowie eine deutliche Entlastung von Eltern bei den Beiträgen zur Sozialversicherung.

Warum? Für mehr Leistungen (die der Kinder) weniger bezahlen?

Kritiker Offline



Beiträge: 274

17.01.2014 10:45
#18 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Lieber Christoph

Danke für die guten und treffenden Gedanken. Nur in einem Punkt halte ich die Kritik für etwas überzogen.
Das Kinderhilfswerk hat schon sehr viele eigene Initiativen, mit denen Kindern, gerade auch aus sozial niedrigen Schichten, unterstützt werden. Darüber hinaus versteht es sich aber zusätzlich als Lobbygruppe. Und als Lobbyist ist die Berichterstattung und die ganze Aktion vollkommen gerechtfertigt und in Ordnung

Hallo Martin

Zitat von Martin im Beitrag #16

was genau fehlt denn den Kindern?

Ich frage das ernsthaft, da unsere Tochter gelegentlich Übernachtungsgast beispielsweise bei einer Klassenkameradin mit alleinerziehenden türkischstämmigen Mutter ist, die so wenig flüssige Mittel hat, dass sie sich nicht mal eine Heimreise in die Türkei leisten konnte, als ihr Großvater gestorben war.

Die Kinder gehen aber zur Schule, sind medizinisch versorgt, eher etwas übergewichtig, leben in einer kleinen Mietwohnung, sind aber ansonsten munter und zufrieden. Müssen nun Erwachsene ihnen Armut und eine schlechte Zukunft andichten?


Ich glaube man sollte die Probleme, die dadurch entstehen, dass ein Kind in einer niedrigen sozialen Schicht aufwächst, nicht durch Leugnen beiseite wischen. Es gibt ganz reale Probleme.
Das fängt bei dem erwähnten Übergewicht an, das eben aus der niedrigen sozialen Stellung folgt (man hat kein Geld, sich gesundheitsbewusst zu ernähren). Es folgen Konsequenzen für Lebens- und Arbeitsplanung, wie z.B. ein höheres Risiko, einmal bei Hartz 4 zu landen oder straffällig zu werden.

Das sind natürlich alles statistische Effekte und auch über die Größenordnungen und Datenerhebungen kann man streiten. Aber es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, solche Konsequenzen zu betrachten und Maßnahmen zu entwickeln (die auch neoliberal sein können, wie verbesserte Chancen für Menschen ohne Bildung, einen Arbeitsplatz zu erlangen, indem man den Billiglohn-Sektor erweitert).

Aber einfach zu sagen "die sind ja glücklich" zeugt von Blindheit.

Der Kritiker

xanopos ( gelöscht )
Beiträge:

17.01.2014 10:59
#19 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Zitat von Kritiker im Beitrag #18
man hat kein Geld, sich gesundheitsbewusst zu ernähren
Das halte ich für eine gewagte Aussage. Für das Geld einer Tiefkühlpizza kann man sich genauso gut einige Kilogramm Obst und Gemüse kaufen. Man muss halt wollen.

Krischan Offline




Beiträge: 642

17.01.2014 11:12
#20 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Zitat von Kritiker im Beitrag #18

Das fängt bei dem erwähnten Übergewicht an, das eben aus der niedrigen sozialen Stellung folgt (man hat kein Geld, sich gesundheitsbewusst zu ernähren). Es folgen Konsequenzen für Lebens- und Arbeitsplanung, wie z.B. ein höheres Risiko, einmal bei Hartz 4 zu landen oder straffällig zu werden.

Das sind natürlich alles statistische Effekte und auch über die Größenordnungen und Datenerhebungen kann man streiten. Aber es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, solche Konsequenzen zu betrachten und Maßnahmen zu entwickeln (die auch neoliberal sein können, wie verbesserte Chancen für Menschen ohne Bildung, einen Arbeitsplatz zu erlangen, indem man den Billiglohn-Sektor erweitert).



Lieber Kritiker,
ich fürchte, Sie verwechseln da die Korrelation mit einer Kausalität. In der Tat liegt das Übergewicht nicht an einer niedrigeren sozialen Stellung, sondern recht einfach am Dreisatz aus den Erbanlagen, zuviel Essen und zuwenig Bewegung. DAS macht dick, nicht der soziale Status. Und ebensowenig bestimmt der soziale Status der Eltern die eigenen Chancen im Leben - das mag auf Gruppen in ihrer Gesamtheit zutreffen, ist jedoch kein Indikator für einzelne Personen.
Die Korrelation weist dagegen auf eine gemeinsame Ursache hin - das kann ein bestimmtes Verhalten sein, eine Lebenseinstellung, die Bildung, viele Möglichkeiten eben.

Mir ist, kurz gesagt, etwas unwohl, wenn den handelnden Personen ihr eigener Wille so apodiktisch abgesprochen wird - nach dem Motto "Die sind Hartz4, die können ja nicht anders". Können sie schon. Wollen sie nur nicht. Und müssen ja auch nicht. Beispiele von "wenn sie müssen, dann können sie auch" gibt es genügend, siehe den bereits zitierten Bill Clinton, oder auch das dänische Modell.

Freundlichst,
Krischan

Deutsche Wurst - alles andere ist Käse.

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

17.01.2014 12:41
#21 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Zitat von Widder im Beitrag #9
Zitat von Doeding im Beitrag #6
Die Items sind alle gleich gepolt, soll heißen, daß zustimmende Antworten immer im Sinne des interessierenden Merkmals ausgewertet werden. Man muß nur stets "Ja" sagen oder "voll zustimmen". Diesen Response style nennt man Akquieszenz, und der wirkt sich noch viel schlimmer aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Akquieszenz
Wenn man nicht 50% der Fragen umpolt ("Ich bin der Meinung, daß der Staat genug für die Kinder armer Eltern tut"), dann kann man die Umfrage vergessen. Ganz ehrlich, ich hätte nicht gedacht, das Infratest einen solchen Anfängerfehler macht.


So wie ich als Laie die Erklärung der Akquieszenz verstehe, liegt sie möglcherweise bei Frage 1 und 3 vor; bei 2 und 4 kann ich dafür aber keine Anzeichen erkennen.



Das lese ich anders, aber vielleicht stehe ich da auf dem Schlauch. Wenn ich das richtig sehe, bestand die Befragung aus 17 Aussagen bei einem vierfach gestuften, geschlossenen Antwortformat von "stimme überhaupt nicht zu" bis "stimme voll und ganz zu" (bzw. analoge Formulierungen, je nach konkreter Frage). Und alle Aussagen sind ausnahmslos so formuliert, daß Zustimmung im Sinne des "Merkmals" (Der Staat sollte mehr gegen Kinderarmut tun) zu interpretieren sind; ein klares Einfallstor für Akquieszenz/Jasagetendenzen also. Zusammen mit der hohen "moralischen Valenz" des Themas (Soziale Erwünschtheit), ergibt sich mMn, jenseits der völlig richtigen inhaltlichen Einwände von Christoph, der methodische Schluß: ab in Tonne.

Herzliche Grüße,
Andreas

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

17.01.2014 12:42
#22 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Zitat von Martin im Beitrag #16
Zitat von Hermes im Beitrag #15
Die Kinderarmut der ersten Art führt insofern dazu, dass Familien zunehmend die Lobby fehlt, was die Kinderarmut beiderlei Art noch verstärken wird.


Lieber Hermes,

was genau fehlt denn den Kindern?

Ich frage das ernsthaft, da unsere Tochter gelegentlich Übernachtungsgast beispielsweise bei einer Klassenkameradin mit alleinerziehenden türkischstämmigen Mutter ist, die so wenig flüssige Mittel hat, dass sie sich nicht mal eine Heimreise in die Türkei leisten konnte, als ihr Großvater gestorben war.

Die Kinder gehen aber zur Schule, sind medizinisch versorgt, eher etwas übergewichtig, leben in einer kleinen Mietwohnung, sind aber ansonsten munter und zufrieden. Müssen nun Erwachsene ihnen Armut und eine schlechte Zukunft andichten?


Ja, und da das so absurd ist muss gegen Kritiker mit besonderen persönlichen Angriffen und Ausgrenzung vorgegangen werden, während diejenigen, welche dieses framing übernehmen sich als moralische Kämpfer für das Gute sehen können - und sich Gegenseitig darin bestärken.

Der Aspekt des Übergewichtes zeigt dies ganz gut. Das ist nämlich "ekelhaft". Also nicht das Übergewicht selber, sondern das sie das

a) ansprechen
und
b) als ein Argument gegen die Wahrnehmung der Betroffenen als arm anführen.

Beleibtheit als Zeichen von Wohlstand zu sehen ist heutzutage in unserer Gesellschaft out. Mehr noch: Sie stehen damit im Verdacht der Unterschicht vorzuwerfen sich ungesund zu ernähren - und selber dafür verantwortlich zu sein. Was ja auch ein nicht ganz abwegiger Gedanken wäre: Warum findet sich ausgerechnet in der Unterschicht so viel Übergewicht?

Linke Erklärung: Ungesundes Essen sei billiger und die Unterschicht wird von "interessierten Kreisen" der Oberschicht mit Werbung extra zu ungesunder Nahrung verführt (wobei dick mit ungesund gleichgesetzt wird).

unanständige/ekehlhafte Erklärung: Ungesunde Nahrung ist zwar meistens teurer als deutlich weniger ungesunde Nahrung, aber viele Angehörige der Bildungsunterschicht achten nicht so auf ihre Essgewohnheiten - da kann noch so intensiv der fettarme Biojoguhrt beworben werden. Chips schmecken besser.

Die Linke Erklärung ist natürlich moralisch korrekt und nur darauf kommt es an: Ob es stimmt, also richtig ist, spielt keine Rolle. Der gute Mensch von heute bewertet Tatsachenbehauptungen nicht nach richtig oder falsch, sondern gut oder böse. Es seien böse Tatsachenbehauptungen, die historisch zu bösen Werteentscheidungen/verwerflichen Maßnahmen geführt haben.

Die unanständige Erklärung würde zwar erklären, warum die wenigsten Studenten mit niedrigen Einkommen übergewichtig sind, ja sogar die meisten Studenten mit im Vergleich zu anderen Studenten geringem Einkommen nicht Übergewichtig sind, die bildungsferne Unterschicht mit zum großen Teil mehr Geld als ein Bafög-Empfänger allerdings überdurchschnittlich stark zum Übergewicht neigt, selbst in jungen Jahren. Aber so einleuchtend sie ist - das macht sie nur um so primitiver und vor allem unanständig: Sie halten sich selber deshalb vermutlich für etwas besseres, da sie sich vermutlich bewusster ernähren, wenn sie diese Erklärung überzeugt. Für was besseres darf man sich aber nur halten, wenn man anderen moralisch überlegen ist und das sind halt nur "Progressive".

______________________________________________________________________________

“Being right too soon is socially unacceptable.”
― Robert A. Heinlein

Martin Offline



Beiträge: 4.129

17.01.2014 12:43
#23 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Zitat von Kritiker im Beitrag #18
Aber es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, solche Konsequenzen zu betrachten und Maßnahmen zu entwickeln (die auch neoliberal sein können, wie verbesserte Chancen für Menschen ohne Bildung, einen Arbeitsplatz zu erlangen, indem man den Billiglohn-Sektor erweitert).

Aber einfach zu sagen "die sind ja glücklich" zeugt von Blindheit.

Der Kritiker


Lieber Kritiker,

die gesellschaftliche Aufgabe heißt, dass administrative Jobs entstehen, erwachsene Menschen gegängelt werden, behördliche Tatigkeiten dokumentiert werden müssen. Der Staat, der Schlaumeier, der nicht in der Lage ist Qualität zu kontrollieren (s. Lebensmittelüberwachung, u.a.), bringt am Ende kein besseres, dafür aber deutlich teureres Ergebnis. Ich möchte daran erinnern, dass die Menschen, die den heutigen Lebensstandard durch ihre Leistung geprägt haben, unter vergleichbar schlechteren Randbedingungen (Medizin, Schadstoffen, Rauchen, Zugang zu Information, u.a.) aufgewachsen sind, und die staatlich bevormundete Gesellschaft erst mal zeigen muss, dass sie bessere Beiträge leisten kann. Allerdings wachsen die heutigen Kinder zugegebenermaßen unter schlechteren Randbedingung dahingehend auf, dass sie andauernd geistig vergiftet werden (dass sie Schuld am Untergang der Erde sind, sie ungerecht behandelt werden, politisch unkorrekt sind, u.a), weil die sogenannte Gesellschaft meint, nicht die Kinder, sondern eine Welt auf ihren Schultern tragen zu müssen, von der sie eigentlich keine Ahnung haben.

Gruß, Martin

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

17.01.2014 12:52
#24 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Lieber Christoph,

vielen Dank für diesen exzellenten Beitrag!

Zitat von Christoph in ZR
Hoffen sie stillschweigend darauf, dass eine höhere Steuerlast nicht sie, sondern vor allem andere trifft, wie die Besserverdiener oder gar die Superreichen?



M.E. trifft das genau den Punkt. Es stößt mir immer wieder auf, wenn sich manche Leute über die sie betreffenden Zumutungen des Abgabensystems lauthals beschweren, aber dies mit der Forderung verbinden, doch den Reichen mehr wegzunehmen und ihnen selbst weniger. Das ist wohl eine Erscheinung des Sankt-Florians-Prinzips, die man frei nach Sartre, "Huis clos", folgendermaßen in Worte kleiden könnte: "Die Reichen - das sind die anderen."

In meinem Wahrnehmungsfeld ist es auch wirklich so, dass etatistisch eingestellte Menschen tendenziell sehr zurückhaltend sind, was freiwillige Spenden oder Hilfeleistungen betrifft, selbst wenn sie mit der Misere eines Mitmenschen persönlich konfrontiert werden. Dafür ist ja der Staat zuständig, und bezahlen sollen das Ganze diejenigen, die mehr haben als man selbst.

Martin Offline



Beiträge: 4.129

17.01.2014 13:09
#25 RE: Höhere Steuern gegen Kinderarmut Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #21
Zitat von Widder im Beitrag #9
Zitat von Doeding im Beitrag #6
Die Items sind alle gleich gepolt, soll heißen, daß zustimmende Antworten immer im Sinne des interessierenden Merkmals ausgewertet werden. Man muß nur stets "Ja" sagen oder "voll zustimmen". Diesen Response style nennt man Akquieszenz, und der wirkt sich noch viel schlimmer aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Akquieszenz
Wenn man nicht 50% der Fragen umpolt ("Ich bin der Meinung, daß der Staat genug für die Kinder armer Eltern tut"), dann kann man die Umfrage vergessen. Ganz ehrlich, ich hätte nicht gedacht, das Infratest einen solchen Anfängerfehler macht.


So wie ich als Laie die Erklärung der Akquieszenz verstehe, liegt sie möglcherweise bei Frage 1 und 3 vor; bei 2 und 4 kann ich dafür aber keine Anzeichen erkennen.



Das lese ich anders, aber vielleicht stehe ich da auf dem Schlauch. Wenn ich das richtig sehe, bestand die Befragung aus 17 Aussagen bei einem vierfach gestuften, geschlossenen Antwortformat von "stimme überhaupt nicht zu" bis "stimme voll und ganz zu" (bzw. analoge Formulierungen, je nach konkreter Frage). Und alle Aussagen sind ausnahmslos so formuliert, daß Zustimmung im Sinne des "Merkmals" (Der Staat sollte mehr gegen Kinderarmut tun) zu interpretieren sind; ein klares Einfallstor für Akquieszenz/Jasagetendenzen also. Zusammen mit der hohen "moralischen Valenz" des Themas (Soziale Erwünschtheit), ergibt sich mMn, jenseits der völlig richtigen inhaltlichen Einwände von Christoph, der methodische Schluß: ab in Tonne.

Herzliche Grüße,
Andreas


Was wäre das Ergebnis, wenn die Frage beispielsweise lautete "Was meinen Sie, warum gibt es relativ wenig Kinderarmut in Deutschland?" Weil a)sich die Politik dem Problem ausreichend widmet? b)Die wirtschafliche Lage in Deutschland gut ist? ...

Allein in der Fragestellung, die Kinderarmut als gegeben, signifikant (wozu sonst eine Umfrage) voraussetzt (der Interviewte kann das nicht mal bezweifeln) liegt doch schon eine Präposionierung vor. Das Ergenis ist vorhersehbar.

Gruß, Martin

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