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ZETTELS KLEINES ZIMMER

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Dieses Thema hat 5 Antworten
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 Pro und Contra
Realist Offline



Beiträge: 110

30.01.2014 19:45
Außer Spesen nichts gewesen? Antworten

Ist das amerikanische Konzept vom Aufbau gescheiteter Nationen selbst gescheitert? Diese Frage wird von Michael J. Mazarr in einem sehr lesenswerten Beitrag für die aktuelle Ausgabe von „Foreign Affairs" (Jan./Feb. 2014) eindeutig bejaht.
Unter dem Titel „The Rise and Fall of the Failed-State Paradigm" beschreibt er die aus seiner Sicht von Anfang an verfehlte Konzeption, welche darauf abzielte, den von inneren Unruhen oder Problemen zerrissenen Staaten zu helfen und diese nach Möglichkeit zu stabilisieren.

Die Vereinigten Staaten hätten seit den neunziger Jahren viel Zeit, Ressourcen und politisches Kapital in solche Projekte investiert und dafür kaum etwas Brauchbares erhalten. Stattdessen hätten sie sich von wichtigeren Aufgaben ablenken lassen und dementsprechend auf die falschen diplomatischen, militärischen und ökonomischen Prioritäten gesetzt.
Aus der Perspektive des Autors ist es deshalb höchste Zeit, dass die USA sich wieder auf die klassische Großmachtpolitik konzentrieren, um eine mögliche Destabilisierung des internationalen Staatensystems zu verhindern.

Wäre es für die europäischen Verbündeten der westlichen Vormacht nicht gleichfalls an der Zeit, einen ähnlichen Paradigmenwechsel vorzunehmen? Eine Abkehr von kostspieligen und langjährigen Friedensmissionen in abgelegenen Weltregionen, die viele Regierungs- und Volksvertreter nicht einmal auf der Landkarte finden können, läge sicherlich auch in deren Eigeninteresse.
Zur nach wie vor notwendigen Terrorismusbekämpfung kommt man auch ohne den vergeblichen Versuch aus, in Ländern wie Afghanistan oder Mali demokratische Verhältnisse schaffen zu wollen. Immerhin zeichnet sich ein Ende in Afghanistan ab, dessen geopolitische Folgen allerdings noch unklar sind.

Betrachtet man nüchtern das außen- und sicherheitspolitische Verhalten von Russland und China, welches sich in den letzten Jahren als zunehmend revisionistisch erwiesen hat, so ist eine Neuausrichtung der transatlantischen und pazifischen Schwerpunktbildung nur folgerichtig und konsequent. Ob die westeuropäischen Staaten dazu bereit und in der Lage sind, bleibt jedoch mehr als fraglich. Hier sind sowohl die erforderlichen materiellen Kapazitäten als auch der unumgängliche politische Wille noch nicht vorhanden, um eine grundlegende Umkehr bei der Formulierung und Ausgestaltung der sicherheitspolitischen Gesamtstrategie einzuleiten.

In Polen hat man dagegen den Ernst der Lage erkannt und mit einer Umstrukturierung der nationalen Sicherheit begonnen. Sie richtet sich jetzt in erster Linie an den Erfordernissen der Landesverteidigung aus und rückt multilaterale Auslandseinsätze in den Hintergrund. Darauf hat bereits Ende Oktober des vergangenen Jahres John R. Schindler in seinem empfehlenswerten Artikel „Poland, NATO and the Return of History" aufmerksam gemacht, welcher auf der Homepage von „The National Interest" erschienen ist.

Realist

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

31.01.2014 06:27
#2 RE: Außer Spesen nichts gewesen? Antworten

Vielen Dank für diesen Beitrag, lieber Realist.

Sie stellen die entscheidenden Fragen welche auch für die deutsche Außenpolitik bestimmend sein sollten.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Realist Offline



Beiträge: 110

02.02.2014 08:23
#3 RE: Außer Spesen nichts gewesen? Antworten

Danke für Ihre zustimmenden Worte. Ob sich die deutschen Entscheidungsträger auch noch die richtigen Fragen stellen und nach den richtigen Antworten suchen, bleibt leider abzuwarten. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Realist

Paul Offline




Beiträge: 1.285

06.02.2014 16:40
#4 RE: Außer Spesen nichts gewesen? Antworten

Lieber Realist,
diese Frage habe ich mir auch schon gestellt und im Stillen die Antwort gegeben, die Amerikaner hätten es sich leichter machen können. Aber ist aus allem raus halten die richtige Antwort? Da habe ich auch meine Zweifel.

Zumal es auch immer um das Wohl der im jeweiligen Land lebenden Bevölkerung geht. Aber geht es denen danach wirklich immer besser?

Wie würde es den Bewohnern Kuwaits heute gehen, wenn die USA sich nicht eingemischt hätte? Oder den Irakis?
Wie würde es Israel heute gehen ohne die Unterstützung durch die Amerikaner?

Einerseits werden die USA oft aufgefordert sich als "Weltpolizei" zu engagieren, andererseits wird das genau Amerika auch zum Vorwurf gemacht. Insbesondere dann, wenn dies Bemühungen, wie so oft, erfolglos waren oder nicht das erwartete Ergebnis gebracht haben.
Übrigens geht es der UN auch nicht anders und EU wird das auch noch erleben.

Das sind alles Fragen, die mich beschäftigen, die mich aber auch davon abhalten derzeit ein abschließendes Urteil zu fällen.

LG, Paul

___________________________
In dubio, pro reo.

Realist Offline



Beiträge: 110

09.02.2014 18:12
#5 RE: Außer Spesen nichts gewesen? Antworten

Hallo Paul,

Ihre Überlegungen sind mehr als berechtigt. Die Vereinigten Staaten haben in den letzten Jahrzehnten mit ihrer aktiven Außenpolitik sicherlich eine ganze Menge erreicht und wesentlich dazu beigetragen, dass sich in vielen Regionen der Welt demokratische und marktwirtschaftliche Verhältnisse entfalten konnten.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges entwickelten sich unter dem amerikanischen Schutzschild in Europa, Japan, Südkorea oder Taiwan Demokratien, die ohne die westliche Supermacht nicht entstanden wären oder es zumindest erheblich schwerer gehabt hätten. Die Redewendung von der „freien Welt“ war keine leere Worthülse. Dennoch leisteten die USA ihre Unterstützung nicht aus reiner Nächstenliebe, sondern aufgrund ihrer geopolitischen Interessenlage.

Die Ressourcen der „unentbehrlichen Nation“ sind eben auch nicht unbegrenzt. Deren nationale Interessen müssen deshalb möglichst eindeutig definiert werden, um die vorhandenen Machtmittel nicht sinnlos zu vergeuden. Die Frage, ob es den Menschen nach einer amerikanischen Intervention besser geht oder nicht, darf allerdings kein Maßstab für die US-Außenpolitik sein. Man gerät ansonsten schnell in eine unhaltbare Situation, aus der es kaum noch ein vernünftiges Entkommen gibt. Der Ausstieg aus einer Intervention ist dann meistens weitaus schwieriger, als es sich die Entscheidungsträger vorgestellt haben. Die jüngsten Beispiele im Irak und in Afghanistan sind hierfür leider charakteristisch.

Die Vereinten Nationen, die in Wirklichkeit gar nicht so „vereint“ sind, tun sich noch deutlich schwerer bei derartigen Missionen, da es ihnen sowohl an der nötigen Einheit als auch an den notwendigen Ressourcen fehlt. In den ganz seltenen Fällen, wo die UN tatsächlich einmal als Hüterin der kollektiven Sicherheit in Erscheinung trat, nämlich in Korea zu Beginn der fünfziger Jahre und in Kuwait zu Beginn der neunziger Jahre, waren es auch die Vereinigten Staaten, welche die Führung übernahmen und ohne deren massives militärisches Eingreifen es keinen positiven Ausgang gegeben hätte. Zum „Weltpolizisten“ taugen die USA aber dennoch nicht, weil solche Aktionen lediglich in historischen Ausnahmesituationen funktionieren, wie etwa dem Anfang oder dem Ende des Kalten Krieges.

Die EU, die weder über die militärischen Kapazitäten noch über einen gemeinsamen Willen verfügt, ist in ihren Handlungsoptionen ohnehin enorm eingeschränkt. Ihre sogenannte „gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ besteht in der Regel aus einer idealistischen Rhetorik, der die nötige Substanz vollkommen abgeht. Amerikanische Frustrationen mit Brüssel, wie sie sich beispielsweise in der jüngsten Äußerung von Victoria Nuland („Fuck the EU“) manifestieren, sind durchaus nachvollziehbar und verständlich.

Umso wichtiger wäre es, dass die begrenzten Mittel, die den Vereinigten Staaten und ihren europäischen und asiatischen Verbündeten zur Verfügung stehen, so effektiv wie möglich genutzt werden. Dies bedeutet aus meiner Sicht, dass sie vorwiegend zur Abschreckung verwendet werden sollten. Mit Russland und China sind gleich zwei konkurrierende Großmächte zur Zeit damit beschäftigt, erheblich aufzurüsten und aggressiv gegen ihre jeweiligen Nachbarn vorzugehen. Um dem außen- und sicherheitspolitisch begegnen zu können, bedarf es einer entsprechenden militärischen Rückendeckung, da die Diplomatie ansonsten ins Leere läuft und nicht ernst genommen wird.
Hierauf sollten sich die westlichen Staaten strategisch konzentrieren und dem alten Grundsatz folgen, dass derjenige, der den Frieden erhalten will, für den Krieg gut gerüstet sein muss.

Mit „Soft Power“, „Human Security“ und einem zum Dogma erhobenen Multilateralismus ist es also nicht getan.
Ich hoffe, meine Ausführungen waren jetzt nicht zu ausschweifend und haben wenigstens ein wenig zur Klärung beitragen können.

Viele Grüße

Realist

Realist Offline



Beiträge: 110

18.02.2014 11:41
#6 RE: Außer Spesen nichts gewesen? Antworten

Noch ein kleiner Nachtrag, der absolut lesenswert ist.
Heute hat auf National Review Online Thomas Sowell unter dem Titel "A Galling Betrayal - In Iraq and Afghanistan we won the war and lost the peace" einen sehr empfehlenswerten Beitrag veröffentlicht, der die hier angesprochene Problematik sehr gut thematisiert.

Realist

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