Meine These: Das Prinzip des Rechtsstaats ist bei den Deutschen nie so richtig angekommen.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat) Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)
Zitat von Rayson im Beitrag #2Meine These: Das Prinzip des Rechtsstaats ist bei den Deutschen nie so richtig angekommen.
Wenn man nach dem auslösenden Exempel geht: doch, zumindest in Teilen; aber mit besonderer Schlagseite. Landesrecht soll vorgehen, jedenfalls solang es unseren Interessen aufhilft. Mia san mia. Wozu hat man sonst ein föderales Prinzip, wenn es nicht mal zum Widerstand gegen saupreißische Okkupation taugt?
Zitat von Rayson im Beitrag #2Meine These: Das Prinzip des Rechtsstaats ist bei den Deutschen nie so richtig angekommen.
Die völlig zutreffend ist. Viele erwarten ihn gar nicht. Der paternalistische Obrigkeitsstaat hat seine Akzeptanz nie eingebüßt. Die Verachtung, die Noricus so treffend in seinem Artikel beschreibt, wird artikuliert von denen, die antreten die Demokratie zu verteidigen, ja sie retten zu wollen. Durch direkte Demokratie. Nun kann man aber den Eindruck gewinnen, dass Volksabstimmungen anstelle bisheriger Strukturen politische Ideen in Gesetzesform bringen sollen. Ausgepfiffen wird, was ausgetauscht werden soll.
Um es auf den Punkt zu bringen: Wie der Herr, so's Gescherr!
-- Political language – and with variations this is true of all political parties, from Conservatives to Anarchists – is designed to make lies sound truthful and murder respectable, and to give an appearance of solidity to pure wind – Eric A. Blair
Ich erkenne eine zunehmende Ablehnung gegen die obersten Organe der Bundesrepublik. Als ich noch ein Kind war, wurden die Bundesgerichte geradezu Gott-gleich verehrt. Wer sich öffentlich gegen ein Urteil eines Bundesgerichts aussprach, musste schon Mumm haben. Neben den Bundesgerichten war auch die Bundesbank eine geachtete Instanz. Ja, sogar der Bundespräsident hatte noch Gewicht. Es gab auch politische Ämter, deren Bedeutung weit über einen Titel als Minister hinaus ging. Außenminister, Finanzminister: wenn solche Leute sprachen, dann hörte das Land zu.
All das ist aber Jahrzehnte her. Heute gibt es keine "Autoritäten" mehr. 30, 40 Jahre lang hat die linke Presse mit dem Straßenmob zusammengearbeitet; hat 1000 geistig verwirrte Anarchisten zur "Stimme des Volkes" verklärt oder linken Terroristen ein wiliges Sprachror geliefert, die von "Widerstandsrecht" phantasierten. Politische Korrektheit und Gutmenschentum wurde als Begründung gefeiert, um juristisch und politisch einwandfreies Verhalten zu brandmarken und die Menschen mit der "falschen Gesinnung" aus Amt und Würden zu jagen. Wer erinnert sich noch an Jenninger? Dieser Skandal war ein Menetekel, das unbeachtet blieb. Naja, nicht ganz unbeachtet: der linke Mob erkannte, dass es nicht mehr nötig war, Recht und Gesetz auf seiner Seite zu haben.
Der Verfall der Institutionenautorität wurde noch dramatisch dadurch beschleunigt, dass auch Bundestag und Bundesrat auf Gesetz und Recht gepfiffen haben. Verträge wurde nach belieben gebrochen, eindeutige Handlungsaufträge der Richter ignoriert. Spitzenpolitiker zeigten sich lieber an der Spitze von "Demonstrationen" als am Rednerpult des Bundestages.
Generell hat alles, was in Deutschland im öffentlichen Leben Rang und Namen hat, Jahrzehnte daran gearbeitet, jede Ausprägung von nationalen Symbolen und Institutionen so massiv wie möglich zu demontieren. Das letzte mal, dass ein zaghafter Versuch gestartet wurde, sich diesem Trend entgegenzusetzen, war der Kohlsche Wahlkampf für die "Moralische Wende". Danach kam nichts mehr. Im Gegenteil: Autorität, Gesetzestreue, Disziplin und Fachwissen wurden als "Sekundärtugenden" beschimpft, die man auch einem "Aufseher im KZ" bescheinigen könne.
Und jetzt wundert sich irgendjemand, dass Gerichte beschimpft werden und es keinen Respekt mehr vor diesen Institutionen und deren Vertretern gibt? Die Deutschen ernten, was sie säen.
Zitat von Frank2000 im Beitrag #6Das letzte mal, dass ein zaghafter Versuch gestartet wurde, sich diesem Trend entgegenzusetzen, war der Kohlsche Wahlkampf für die "Moralische Wende".
Die "geistig-moralische Wende" von 1983 war ja selbst schon eher Teil des Problems als Teil der Lösung. Ein schwammiges "irgendwie ist das jetzt nicht voll gut" ohne konkrete Zielsetzungen oder Beispiele, galt die Kampagne ja auch im eigenen Lager als Lachnummer, als Beispiel für Kohls pfälzisches Provinzlertum, der schlicht nicht in den coolen Achtziger Jahren angekommen war, anstatt in Botho Strauß sein Spiegelbild zu finden. (Karl-Heinz Bohrer stand da exemplarisch für den soignierten Konservatismus, als er Kohl "eine in jeder Hinsicht subalterne Gestalt" nannte). Der realistische Konservative hatte sich mit der Neuen Bunten Lebenswelt so abzufinden wie der realistische Polit-Ticker mit der Existenz des Realsozialismus. Der letzte Politiker, der hier in praxi Kontur und Standfestigkeit gezeigt hat, war Helmut Schmidt mit seiner Haltung im Deutschen Herbst und in der Nachrüstungs"debatte".
auch ich sehe die Dinge so wie Sie, nur war für mich ein Rubikon überschritten, als die Blockierer in Wackesrdorf damals nicht wegen Nötigung verurteilt wurden und deren Form von Aktivismus zu höheren Beweggründen verklärt wurde. Ab da war nur noch das Vorhandensein von nahezu beliebigen "Höheren Beweggründen" nötig, um als Rechtfertigung für den Bruch des Rechtes zu dienen.
Herzlich, Thomas
Calimero
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gelöscht
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Beiträge:
20.02.2014 11:56
#9 RE: Meckerecke: Wenn der Rechtsstaat ausgepfiffen wird
Zitat von Frank2000 im Beitrag #6Der Verfall der Institutionenautorität wurde noch dramatisch dadurch beschleunigt, dass auch Bundestag und Bundesrat auf Gesetz und Recht gepfiffen haben. Verträge wurde nach belieben gebrochen, eindeutige Handlungsaufträge der Richter ignoriert. Spitzenpolitiker zeigten sich lieber an der Spitze von "Demonstrationen" als am Rednerpult des Bundestages.
Nicht zu vergessen die Delegation sämtlicher Verantwortung "nach Brüssel". Auch das BVerfG delegiert ja mittlerweile einfach mal zum EuGH. Die Bundesregierung untersagt den EVU mal eben locker den Betrieb ihrer KKW, aber ansonsten drückt man sich gern vor jeglicher Verantwortung. Eigentlich käme man ganz prima ohne Regierung aus. Einfach eine Einzugsermächtigung für EU und Eurogruppe ausstellen und dann könnten alle wohlversorgt in den Urlaub gehen.
Wenn hier noch jemand unbedingten Gestaltungswillen an den Tag legt, dann sind es die ideologiegetriebenen Linken. Die toben sich bevorzugt in der Bildungspolitik aus oder sinnieren über neue Steuern, Verbote und Gesinnungsrichtlinien. Bürger sehen sich teils schon in Versuchung staatliche Kernaufgaben zu übernehmen, damit sich überhaupt noch jemand drum kümmert und vor Gericht hängt das Strafmaß weniger von der Schwere der Tat, als vom persönlichen -hintergrund ab. So hat es zuweilen jedenfalls den Anschein.
Alle in allem liefern unsere Institutionen nicht mehr unbedingt in Gänze ein vertrauenerweckendes Bild ab. Wenn also die Gegner eines Urteils im Gericht Krawall machen, dann folgen sie damit nur einem allgemeinen Trend. Nur wer am lautesten plärrt hat überhaupt noch die Chance gehört zu werden. Die Ruhigen und die Leisen gehen sang- und klanglos unter.
Beste Grüße, Calimero
------------------------------------------------------- Vertrauen in das Volk ist fast immer unbegründet; Kultur ist das Werk weniger. - Zettel
mittlerweile scheint man sogar die originäre Staatsaufgabe "Sicherheit" per "Fensterabwrackprämie" outsourcen zu wollen.
Zitat Auf Informationstagen vor allem im Berliner Speckgürtel demonstrieren Techniker der Polizei und von Privatfirmen, wie wirksam Mehrfachsicherungen an Festern und Türen sind.
Das ist ja nun nichts Neues. In der 70ern hieß das "Die Polizei hilft - vorbeugen mußt DU", wenn auf lokalen Messen mit freundlicher Beratung durch uniformierte Herren (damals noch 100%) Zylinderschlösser an den Mann gebracht werden sollten. Also zu einer Zeit, als der nachwachsenden Generation noch selbstverständlicher Heidenrespekt vorm Herrn Wachtmeister beigebracht wurde. Lebenspraktisch gestaltete sich das eher paradox, wenn die Dorfschulzen aus der Statistenriege zu Don Camillo & Peppone rekrutiert schienen.
Was flegelhaftes Verhalten im Gerichtsaal betrifft, stimme ich Ihrer Beurteilung zu, lieber Noricus.
Anders sehe ich nur das Detail mit der Bayernhymne.
Ich weiß nicht, ob man in das Absingen der Bayernhymne zu viel hineininterpretieren sollte. Aber wenn ich das interpretieren sollte, dann würde ich das als ein Symptom für eine sehr positive Entwicklung werten.
Als Demonstrant drückt man damit ja aus: ich bin vielleicht gegen eine konkrete politische/juristische Entscheidung. Und vielleicht lehne ich sogar bestimmte staatliche Institutionen ab. Aber ich bin dennoch Patriot. Ich will, dass es meinem Land gut geht - auch dann, wenn ich damit in Oppostion zur herrschenden Mehrheit stehe.
Anders als in Europa ist z.B. in den USA eine solche Grundhaltung recht verbreitet. Auch ein sehr radikaler Gegner des "Washingtoner Establishments" wird in der Regel kein Problem damit haben, seine Rede unter einer US-Flagge zu halten. (Dies gilt auch für sehr linke Radikale). Hingegen gibt es speziell in Deutschland ja die Tendenz, den Staat mit seinen Vertretern und Institutionen gleichzusetzen. Bei einer linksextremen Demonstration erwartet man typischerweise keine Deutschland-Fahnen (es sei denn, diese würden verbrannt).
Auf europäischer Ebene ist die Begriffsverwirrung ja sogar noch ausgeprägter. Sobald jemand auch nur einzelne EU-Maßnahmen ablehnt, gilt er gleich als "EU-Gegner" (und empindet sich auch oft selbst so). Die Vorstellung, dass jemand "überzeugter Europäer" sein kann und ZUGLEICH z.B. den Euro ablehnt, ist nicht weit verbreitet.
Diese Unterscheidung zwischen der Nation/dem Staat einerseits und seinen Institutionen und deren Vertretern (und deren politischen Entscheidungen) andererseits empfinde ich als zivilisatorischen Fortschritt. In sofern finde ich das Absingen der Bayernhymne in Protest gegen ein Gerichtsurteil bemerkenswert positiv.
Zitat von Frank2000 im Beitrag #6Ich erkenne eine zunehmende Ablehnung gegen die obersten Organe der Bundesrepublik. Als ich noch ein Kind war, wurden die Bundesgerichte geradezu Gott-gleich verehrt. Wer sich öffentlich gegen ein Urteil eines Bundesgerichts aussprach, musste schon Mumm haben. Neben den Bundesgerichten war auch die Bundesbank eine geachtete Instanz. Ja, sogar der Bundespräsident hatte noch Gewicht. Es gab auch politische Ämter, deren Bedeutung weit über einen Titel als Minister hinaus ging. Außenminister, Finanzminister: wenn solche Leute sprachen, dann hörte das Land zu.
All das ist aber Jahrzehnte her. Heute gibt es keine "Autoritäten" mehr.
Und? Das hört sich nun an wie: «wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wieder ha’m». Ich kann aber keinen Rückschritt darin erkennen, daß Gerichte heute keine gottgleichen Autoritäten mehr sind. «Nicht das Amt erhöht den Mann; der Mann erhöht das Amt».
Zitat 30, 40 Jahre lang hat die linke Presse mit dem Straßenmob zusammengearbeitet; hat 1000 geistig verwirrte Anarchisten zur "Stimme des Volkes" verklärt oder linken Terroristen ein wiliges Sprachror geliefert, die von "Widerstandsrecht" phantasierten.
Ein Staat, der sich erst von Altnazis regieren lässt, aber 50 Jahre später anfängt halbtote KZ-Aufseher aus den Altersheimen zu zerren; eine Polizei, die die Prügeltruppe eines Diktators verteidigt während ein Kollege einen Studenten erschießt; eine Justiz, die solches ungesühnt lässt, aber die Opfer von Fehlurteilen im Gefängnis schmoren lässt – die brauchen keine linke Presse und die brauchen keinen Straßenmob, um sie zu desavouieren.
Daß Staatsgewalt ab und an mißbraucht wird, ist unvermeidlich, denn sie ist eben eine menschliche Gewalt und keine göttliche. Daraus ergibt sich aber auch, daß es kein Sakrileg bedeutet sondern im Gegenteil die oberste Pflicht des Bürgers ist, Staatsraison und Autorität infrage zu stellen und den Maßstab seiner Vernunft, und sei sie noch so beschränkt, an die Handlungen der Obrigkeit anzulegen.
Zitat Generell hat alles, was in Deutschland im öffentlichen Leben Rang und Namen hat, Jahrzehnte daran gearbeitet, jede Ausprägung von nationalen Symbolen und Institutionen so massiv wie möglich zu demontieren. Das letzte mal, dass ein zaghafter Versuch gestartet wurde, sich diesem Trend entgegenzusetzen, war der Kohlsche Wahlkampf für die "Moralische Wende". Danach kam nichts mehr. Im Gegenteil: Autorität, Gesetzestreue, Disziplin und Fachwissen wurden als "Sekundärtugenden" beschimpft, die man auch einem "Aufseher im KZ" bescheinigen könne.
Diejenigen, die «Autorität, Gesetzestreue, Disziplin und Fachwissen» alle miteinander verwerfen, begehen sicher einen Fehler, aber es wäre nichts damit gewonnen, denselben Fehler nur mit umgekehrtem Vorzeichen zu wiederholen. Disziplin und Fachwissen und Gesetzestreue sind sicher notwendig. Autoritätsgläubigkeit und blinde Treue zum Gesetz können aber zu Kadavergehorsam ausarten.
Auch Aufklärer wie Descartes oder Kant, linken Gutmenschentums und anarchistischer Umtriebe unverdächtig, stellen Autorität in Frage, wenn sie postulieren: «an allem ist zu zweifeln» bzw. fordern «habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen».
Zitat Und jetzt wundert sich irgendjemand, dass Gerichte beschimpft werden und es keinen Respekt mehr vor diesen Institutionen und deren Vertretern gibt? Die Deutschen ernten, was sie säen.
Freilich fehlt es an Respekt, wenn ein Gericht ausgepfiffen wird. Das kann aber verschiedene Gründe haben: 1. Das Gericht hat nicht nach Recht und Gesetz geurteilt 2. Das Gericht hat nach Recht und Gesetz geurteilt.
Im ersten Fall wäre die Kundgebung der Form nach verfehlt, doch inhaltlich berechtigt. Unterstellen wir aber den zweiten Fall, daß das Gericht bloß das Gesetz interpretiert, so mangelt es den Störern gerade nicht an Respekt vor der gerichtlichen Autorität. Im Gegenteil: sie überschätzen diese Autorität sogar, indem sie vom Gericht erwarten, Gewalt willkürlich zu gebrauchen um «das Gute» durchzusetzen, anstatt demütig dem Gesetz zu folgen, was seine Rolle im Rechtsstaat ist.
Zitat von Calimero im Beitrag #9Auch das BVerfG delegiert ja mittlerweile einfach mal zum EuGH.
Nun, "einfach mal" trifft es aus meiner Sicht nicht ganz, denn gemäß Art. 267 AEUV ist das BVerfG in den dort genannten Fällen zur Vorlage an den EuGH verpflichtet. Ob hier ein solcher Fall (konkret ein jusitiziables Handeln der EZB) vorliegt, ist freilich strittig.
Dass das BVerfG gerade diese Frage dem EuGH vorgelegt hat (bisher hat es dies ja nie für erforderlich gehalten), ist mE ein ganz geschickter Schachzug: Denn wie der EuGH auch entscheidet, wird er in dieser Rechtssache eher schlecht dastehen bzw dem BVerfG eine Steilvorlage geben.
Zitat von Florian im Beitrag #12Ich weiß nicht, ob man in das Absingen der Bayernhymne zu viel hineininterpretieren sollte. Aber wenn ich das interpretieren sollte, dann würde ich das als ein Symptom für eine sehr positive Entwicklung werten.
Als Demonstrant drückt man damit ja aus: ich bin vielleicht gegen eine konkrete politische/juristische Entscheidung. Und vielleicht lehne ich sogar bestimmte staatliche Institutionen ab. Aber ich bin dennoch Patriot. Ich will, dass es meinem Land gut geht - auch dann, wenn ich damit in Oppostion zur herrschenden Mehrheit stehe.
Danke, lieber Florian, für diese Sichtweise, denn unter diesem Blickwinkel hatte ich die Hymnendarbietung noch nicht betrachtet.
Mein Gedankengang war dieser: Über Jahrzehnte hat sich die CSU die Deutungshoheit darüber angemaßt, was bayrisch-patriotisch ist. Und z.T. haben ihr das die anderen Parteien auch leicht gemacht: So waren die bayrischen Grünen in ihren Anfangsjahren vom Habitus her so weit weg vom Durchschnittsbayern, dass es lächerlich gewesen wäre, wenn sie eine solche Interpretationskompetenz für sich in Anspruch genommen hätten. Sie wollten das vielleicht auch gar nicht.
Das hat sich natürlich mittlerweile total geändert. Die Grünen verfügen heute über ein Sammelsurium an Leuten, die so urbayrisch wirken wie waschechte CSU-Mitglieder. Und da von der CSU lernen bedeutet, siegen zu lernen, machen sich diese neuen Grünen auch die schwarze Deutungshoheitsstrategie zu Eigen: Bayrisch ist, was wir bestimmen. Ich finde eine solche Inanspruchnahme von Definitionsmacht immer kritikabel, weil sich mit ihr implizit der Umkehrschluss verbindet: Alles andere ist nicht bayrisch.
Und genau so habe ich den Hymnenvortrag verstanden: Wir richtigen Bayern sind gegen die Startbahn.
Zitat Diese Unterscheidung zwischen der Nation/dem Staat einerseits und seinen Institutionen und deren Vertretern (und deren politischen Entscheidungen) andererseits empfinde ich als zivilisatorischen Fortschritt.
Ich weiß nicht, ob man den Staat von seinen Institutionen trennen kann. Ich bin deshalb ein Befürworter der Bundesrepublik Deutschland und des Freistaats Bayern, weil ich deren verfassungsmäßige Ordnungen, mithin insbesondere auch das Institutionengefüge, grundsätzlich gut finde. Ich bin Verfassungspatriot: Bei allen ihren Unzulänglichkeiten (die man durchaus zu beheben versuchen sollte) sind das Grundgesetz und die Bayerische Verfassung die besten rechtlichen Fundamente, die wir je hatten. Und deshalb sind sie es wert, gegen ihre Feinde verteidigt zu werden.
Die Trennlinie ist m.E. eher zwischen den Institutionen und den Organwaltern zu ziehen: So sind viele Abgeordnete m.E. unfähig bzw. nur zweite Wahl. Die Institution Parlament lehne ich aber gerade nicht ab. M.E. liegt der typisch deutsche Fehler darin, die Institution abzulehnen, wenn man den Organwalter ablehnt (nach dem Motto: "Die Abgeordneten sind alle Schwätzer, also ist das Parlament eine sinnlose Schwatzbude." - "Die Richter haben den Mollath jahrelang in der Psychiatrie gelassen, also sind unsere Gerichte für den Hugo.") Vielleicht sind die Institutionen der USA ja gerade deshalb so beständig, weil der überseeische Bürger diese Trennung geistig vollziehen kann.
Zitat von Christoph im Beitrag #13Ich kann aber keinen Rückschritt darin erkennen, daß Gerichte heute keine gottgleichen Autoritäten mehr sind.
Da bin ich ganz Ihrer Meinung, lieber Christoph. Gerichte gehören kritisiert, wenn sie nach Ansicht des Kritisierenden etwas falsch gemacht haben. Aber vielleicht sollte man den Vorsitzenden erst einmal ausreden lassen, so wie man ein nicht hilfreiches Buch gelesen haben sollte, bevor man es verreißt.
Zitat Daraus ergibt sich aber auch, daß es kein Sakrileg bedeutet sondern im Gegenteil die oberste Pflicht des Bürgers ist, Staatsraison und Autorität infrage zu stellen
Ja. Ein gewisses Misstrauen gegenüber der Macht ist durchaus angebracht. Der Rechtsstaat ist seinem Wesen nach ja ein Machtmisstrauensstaat. Aber zwischen dem Infragestellen von Autorität auf dem Niveau von Locke und Montesquieu oder auch Descartes und Kant sowie Pfeifkonzerten, "Wir-sind-das-Volk"-Rufen und Hymnenvorträgen in einem Gerichtssaal, weil das Urteil nicht den eigenen Wünschen entspricht, liegen doch gewisse Unterschiede.
Zitat Freilich fehlt es an Respekt, wenn ein Gericht ausgepfiffen wird.
Um den mangelnden Respekt ging es mir gar nicht einmal. Sondern darum, dass der liberale Rechtsstaat ja durchaus Mittel bereitstellt, gegen dieses Urteil vorzugehen bzw. es in seinen Wirkungen zu neutralisieren.
Zitat Unterstellen wir aber den zweiten Fall, daß das Gericht bloß das Gesetz interpretiert, so mangelt es den Störern gerade nicht an Respekt vor der gerichtlichen Autorität. Im Gegenteil: sie überschätzen diese Autorität sogar, indem sie vom Gericht erwarten, Gewalt willkürlich zu gebrauchen um «das Gute» durchzusetzen, anstatt demütig dem Gesetz zu folgen, was seine Rolle im Rechtsstaat ist.
Dies ist dann aber Respekt vor einer despotisch geglaubten gerichtlichen Autorität, jedoch sicher kein Respekt vor dem Rechtsstaat. Und darin liegt ja der ganze Jammer, den - wenn ich seinen Beitrag korrekt verstehe - Erling Plaethe angesprochen hat: Es ist die Erwartung, dass es der Papa Staat schon richten (!) wird.
Robocop
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gelöscht
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Beiträge:
20.02.2014 21:23
#17 RE: Meckerecke: Wenn der Rechtsstaat ausgepfiffen wird
Zitat von Noricus im Beitrag #16Sondern darum, dass der liberale Rechtsstaat ja durchaus Mittel bereitstellt, gegen dieses Urteil vorzugehen bzw. es in seinen Wirkungen zu neutralisieren.
Welche Mittel das sind, lehrt der Mollath-Fall. Dieser Fall lehrt, dass der Rechtsweg nicht funktioniert, wohl aber der Druck durch die Öffentlichheit. Mithin hat das Publikum im Gerichtssaal rational und vernünftig gehandelt.
Zitat von Noricus im Beitrag #16Sondern darum, dass der liberale Rechtsstaat ja durchaus Mittel bereitstellt, gegen dieses Urteil vorzugehen bzw. es in seinen Wirkungen zu neutralisieren.
Welche Mittel das sind, lehrt der Mollath-Fall. Dieser Fall lehrt, dass der Rechtsweg nicht funktioniert, wohl aber der Druck durch die Öffentlichheit. Mithin hat das Publikum im Gerichtssaal rational und vernünftig gehandelt.
Weil der Rechtsweg im Fall Mollath nicht funktioniert hat, funktioniert der Rechtsweg grundsätzlich nicht? Weil es bisweilen trotz ESP, Seitenaufprallschutz etc. zu tödlichen Unfällen kommt, sind ESP und Seitenaufprallschutz nichts wert?
Was hätte es Mollath gebracht, wenn er im Gerichtssaal gesungen und gepfiffen hätte? Ihm hat die Unterstützung durch die Medien geholfen. Die Startbahngegner hätten es übrigens noch leichter, nämlich indem sie den Münchner Stadtrat davon überzeugen, das Ergebnis des Bürgerentscheids nicht durch einen gegenteiligen Beschluss aufzuheben. Oder vielleicht wäre der noch einfachere Weg, Herrn Seehofer zu überzeugen, da dieser ja ohnehin nicht immer seiner Meinung ist?
Zitat von Noricus im Beitrag #16[…] Aber vielleicht sollte man den Vorsitzenden erst einmal ausreden lassen, so wie man ein nicht hilfreiches Buch gelesen haben sollte, bevor man es verreißt.
[…]zwischen dem Infragestellen von Autorität auf dem Niveau von Locke und Montesquieu oder auch Descartes und Kant sowie Pfeifkonzerten, "Wir-sind-das-Volk"-Rufen und Hymnenvorträgen in einem Gerichtssaal, weil das Urteil nicht den eigenen Wünschen entspricht, liegen doch gewisse Unterschiede.
Um den mangelnden Respekt ging es mir gar nicht einmal. Sondern darum, dass der liberale Rechtsstaat ja durchaus Mittel bereitstellt, gegen dieses Urteil vorzugehen bzw. es in seinen Wirkungen zu neutralisieren.
[…]
Dies ist dann aber Respekt vor einer despotisch geglaubten gerichtlichen Autorität, jedoch sicher kein Respekt vor dem Rechtsstaat. Und darin liegt ja der ganze Jammer, den - wenn ich seinen Beitrag korrekt verstehe - Erling Plaethe angesprochen hat: Es ist die Erwartung, dass es der Papa Staat schon richten (!) wird.
Lieber noricus,
Ich stimme Ihnen zu. Mein Beitrag bezog sich auch weniger auf die «Meckerecke» als auf den Kommentar von «Frank2000», denn mir scheint, daß es bei aller gebotenen Höflichkeit doch legitim ist, die Autorität eines Richters und auch die Institution an sich in Frage zu stellen. Im konkreten Fall ist es genauso falsch den Aufstand im Gerichtssaal zu proben, wie es falsch wäre, der Autorität eines Richters blind zu folgen, nur weil er Richter ist und eine schmucke Robe trägt. Man sollte ihn, wohlverstanden, ausreden lassen – aber deshalb, weil er Mensch ist, und nicht, weil er ein hohes Amt bekleidet. (so wie es in der Zauberflöte heißt: «Er ist Prinz.» – «Mehr noch: er ist Mensch!»). Daher kann ich der Einschätzung nicht folgen, daß die Insubordination der 68er-Generation gegenüber Staat, Nation, Institutionen und Autoritäten die Wurzel des Übels sei.
Lieber Christoph, ohne hier jetzt den Unterschied zwischen demokratischen Institutionen die, um demokratisch funktionieren zu können, ein gewisses Maß an Amtzeptanz einfach benötigen und den Personen die sie repräsentieren lang auszubreiten: Ein Gericht fordert Achtung ein, zu Recht. Denn mit dieser Achtung ist die Akzeptanz des Urteils, welches dieses Gericht spricht, verbunden. Wenn man dem Gericht seine Verachtung entgegenbringt, richtet sich diese nicht gegen den Richter sondern gegen die Autorität und Zuständigkeit des Gerichts selbst. Den Leuten die da Rabatz gemacht haben, schwebt wahrscheinlich so eine Art Volksgericht vor oder sie meinen gänzlich auf diese Institution verzichten zu können. Selbstverständlich im Namen aller.
Zitat von Noricus im Beitrag #16[…] Aber vielleicht sollte man den Vorsitzenden erst einmal ausreden lassen, so wie man ein nicht hilfreiches Buch gelesen haben sollte, bevor man es verreißt.
[…]zwischen dem Infragestellen von Autorität auf dem Niveau von Locke und Montesquieu oder auch Descartes und Kant sowie Pfeifkonzerten, "Wir-sind-das-Volk"-Rufen und Hymnenvorträgen in einem Gerichtssaal, weil das Urteil nicht den eigenen Wünschen entspricht, liegen doch gewisse Unterschiede.
Um den mangelnden Respekt ging es mir gar nicht einmal. Sondern darum, dass der liberale Rechtsstaat ja durchaus Mittel bereitstellt, gegen dieses Urteil vorzugehen bzw. es in seinen Wirkungen zu neutralisieren.
[…]
Dies ist dann aber Respekt vor einer despotisch geglaubten gerichtlichen Autorität, jedoch sicher kein Respekt vor dem Rechtsstaat. Und darin liegt ja der ganze Jammer, den - wenn ich seinen Beitrag korrekt verstehe - Erling Plaethe angesprochen hat: Es ist die Erwartung, dass es der Papa Staat schon richten (!) wird.
Lieber noricus,
Ich stimme Ihnen zu. Mein Beitrag bezog sich auch weniger auf die «Meckerecke» als auf den Kommentar von «Frank2000»
Lieber Christoph,
so habe ich das auch aufgefasst. Ihr Beitrag bot mir aber eine schöne Gelegenheit für eine Präzisierung, was ich mit meinem Artikel aussagen wollte und was nicht.
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