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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 19 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Kallias Offline




Beiträge: 2.300

04.05.2014 22:36
Letztendlich dem Universum egal? Antworten

Ein amerikanisches Jugendbuch mit einer recht interessanten Grundidee bekommt in der deutschen Übersetzung einen unpassenden neuen Titel, wie Ludwig Weimer in seinem Gastbeitrag findet.

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

05.05.2014 07:11
#2 RE: Letztendlich dem Universum egal? Antworten

Der deutsche Titel stellt zweifellos keine kongeniale Übersetzung dar. Aber passt er nicht vielleicht doch ein bisschen zum Buch? Wir sind dem Universum egal, also sind wir unseres eigenen bzw. fremden Glückes Schmied - was der Gestaltenwandler-Protagonist ja z.B. an dem Tag beweist, an dem er den stoffeligen Liebhaber mit Esprit beseelt.

Kann man das, wenn man nicht strikt am Wortlaut "egal" haftet, nicht durchaus auch christlich interpretieren, à la "Christus hat keine Hände, nur unsere Hände ..."? Zum Beispiel die Hand des heiligen Martin, der eben nicht auf die Intervention des Universums gewartet, sondern seinen Mantel geteilt hat, als er den frierenden Bettler sah?

Gott hat - um die Perspektive des Gläubigen anzunehmen - eben nicht für jeden von uns ein Drehbuch geschrieben, dessen Zeilen wir jetzt 1 zu 1 in die Wirklichkeit umsetzen müssen. Im Gegenteil: Er hat uns sogar die Freiheit gegeben, gegen das Gute, das er repräsentiert, zu handeln. Diese Freiheitszumutung (!) muss natürlich keine Gleichgültigkeit sein, fühlt sich für zahlreiche Menschen jedoch so an. Ich möchte niemands religiöse Gefühle verletzen: Aber resultiert das ganze Theodizee-Problem und das An-Gott-Verzweifeln angesichts des Unglücks nicht zu einem beträchtlichen Teil daraus, dass wir es nur schwer verkraften können, dass Gott ... ein Rückenmarksliberaler ist?

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

05.05.2014 09:20
#3 RE: Letztendlich dem Universum egal? Antworten

Zitat von Kallias im Beitrag #1
Ein amerikanisches Jugendbuch mit einer recht interessanten Grundidee bekommt in der deutschen Übersetzung einen unpassenden neuen Titel, wie Ludwig Weimer in seinem Gastbeitrag findet.


Entsteht nicht vor allem dann ein Unwohlsein, lieber Ludwig Weimer, wenn man das Universum nicht als Schöpfung oder Werk Gottes begreift, sondern als Gott selbst? Meine Vorstellung von Gott (jetzt mal unabhängig von der Frage, ob ich glaube) wäre immer die eines Gottes, der außerhalb des Universums steht bzw. von ihm unabhängig existiere und nicht etwa das Universum selbst sei. Ich hätte jedenfalls keine Hoffnung, daß ich einem Schneesturm im Gebirge, in dem ich umzukommen drohe, nicht egal sei. Meine Hoffnungen in dieser Not richteten sich auf anderes, höheres -zunächst aber auf rechtzeitig eintreffende Rettungsmannschaften (was ja dann wieder kompatibel ist mit dem im Deutschen "unterschlagenen" Satz).

Herzliche Grüße,
Andreas

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

06.05.2014 11:03
#4 RE: Letztendlich dem Universum egal? Antworten

Lieber Herr Noricus,
ganz zustimmen kann ich der Vorstellung von der menschlichen Eigenverantwortung. Kein Eingriff aus dem Jenseits kann sie uns abnehmen, und nichts Fremdes determiniert unser Tun außer den Einflüssen von erkennbaren biographischen und psychologischen Umständen.
Dass wir freigelassen sind, ist entweder eine aufgeklärt-positive oder eine jüdisch-christliche Weltanschauung, die nicht selbstverständlich ist. Sie hat ja zur Folge, dass uns etwas Entscheidendes von den Säugetieren unterscheidet und dass uss keine Gestirne oder Naturgeister dirigieren.

Dass wir zum Bösen frei sind, ist für gewöhnliche religiöse Weltbilder ein Problem, da man entweder einen guten Gott belasten muss oder ihm einen bösen zweiten Gott zur Seite stellen muss, z. B. manichäisch als Schöpfer einer bösen Materie. Im Judentum und Christentum wurde eine intelligentere Lösung vorgeschlagen: Der gute Schöpfer lässt das Geschöpf Mensch, weil Liebe Freiheit lässt, ganz frei und dazu gehört notwendig die Freiheit, Böses zu tun. Die Frage wird damit eine neue: Hätte Gott die Schöpfung nicht besser unterlassen müssen?; wer gewinnt auf Dauer: das Böse oder Gott? (Die Identifizierung des Bösen mit einer übermenschlichen personalen Macht in der Gestalt des gefallenen Engels Satan relativiert das Böse zu etwas Kreatürlichem, also einem Nicht-Gott.)

Das Theodizeeproblem ist sozusagen noch unentscheidbar, weil wir noch nicht am Ende der Menschheit und unseres Planeten angekommen sind, um ein Fazit (" allgemeines Weltgericht") zu ziehen. Im Augenblick schaut es nicht gut aus, könnte man denken, aber ist die Menschheit nicht noch sehr jung, in der Kinderstufe, kann sie nicht noch viel lernen?

Für mich stellt sich das Problem der Gottesvorstellung etwas anders. Ich kann Gott nicht "liberal" nennen, sondern kaue an der Frage, wie ich eine Sprache dafür finde, dass Gott verborgen sein muss, um uns frei zu lassen, und dass er damit der materiellen Welt eine solche helle oder auch grausame Präsenz gibt, dass er gegenüber ihr selber gleichsam 'überflüssig', 'beschäftigungslos' erscheint.
Die zwei überzeugenden Antworten, die ich kenne, stammen aus der jüdischen Kabbala ("Zimzum" = Selbstbeschränkung des Schöpfers) und aus der christlichen "ex-nihilo"-Lehre (Schöpfung als mit dem 'Wort' aus dem Nichts ins Dasein rufen). Beim Philosophen Schelling kann man das lebenslange Herumdenken an der Frage ablesen, wie ein transzendenter Gott denn überhaupt etwas Materielles wie unser Universum erschaffen kann (da dieses doch gleichsam irgendwie aus sich losgehen muss, da Eingriffe unlogisch sind). Ich kam zum Ergebnis, dass unsere innerweltlich beschränkte Vernunft die Frage nicht lösen kann und dass notwendig, wenn gilt, dass dieser biblische Gott eine Welt wollte, dieser Wille so alt sein muss wie Gott, also ewig. So entfiele die kindliche Vorstellung, das Entstehen in der Zeit unterscheide den ewigen Gott vom endlichen Kosmos und wir haben keine andere Unterscheidung als die zwischen 'Geist-Person' und Raumzeit-Materie. Die Welt wäre das Andere, das Gott nicht sein kann, aber haben will, weil er dieses andere will; dieser Wille wird dann Liebe genannt, weil Liebe mit andern teilen und den anderen bejahen will.
Ich denke, wir dürfen die Welt sehr sehr lieben, sie ist keine Konkurrenz zu Gott; wenn jemand an den Schöpfer denkt, sogar noch mehr.

Mit Grüßen
Ludwig W.

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

06.05.2014 12:12
#5 RE: Letztendlich dem Universum egal? Antworten

Lieber Herr Doeding,

diese Außerhalb/Transzendenz-Vorstellung, so kann ich meine Gedanken zu Noricus hier zu Ihren Worten weiterschreiben, hat ihre Probleme. Sie hilft, wenn man sagen will und muss, ein echter Gott greife nicht kausal ein wie ein physikalisches Klötzchen, sondern allein indirekt durch das Mit-ihm-denken von Menschen (Gewissen, Inspiration). Aber sie bringt eine Konkurrenz, die man als unpassend empfindet. Der Pantheismus (nach Heine d i e Religion der Deutschen) löst das Problem auf seine Weise. Man kann ihn verfeinern zu einem Panentheismus (das tat ich als Student, als ich von einer fünfwöchigen Griechenlandreise zurückkam und ins Tagebuch schrieb, ich sei kein Christ mehr, sondern Panentheist). Ich will damit sagen, dass ich nicht abstrakt darüber schreibe, sondern aus Erfahrung.

Die im voranstehenden Beitrag zu Noricus genannte jüdische Zimzum-Vorstellung löst das Problem auf andere Weise. Hans Jonas ("Der Gottesbegriff nach Auschwitz")hat sie aufgenommen (freilich letztlich dann zu einer Ohnmacht Gottes abgewandelt; aber gültig ist:) Dieser Schöpfungs-Mythos der Lurianischen Kabbala von Gottes Selbsteinschränkung, wörtlich Kontraktion, wendet die Distanz auf das ganze Verhältnis zwischen Gott und Welt an: Der Schöpfer begleitet den sich gefährdenden Menschen gleichsam mit angehaltenem Atem. Wunder können nur als Taten von Glaubenden geschehen. Jonas: Gott regiere nicht mit ausgestrecktem Arm, wie die Juden bisher beteten, „sondern mit dem eindringlich-stummen Werben seines unerfüllten Zieles“. Es ist dies eine überzeugende Aktualisierung der „causa finalis“, der aristotelischen und scholastischen Zielursache oder Zweckursache. Anstatt ein Geschehen nach dem Kausalprinzip zu deuten, geht diese Vorstellung teleologisch vor: Es werden die Ursachen von Situationen aus ihrem Ziel oder Nutzen bestimmt. Theologisch: Gott wirbt und lockt, so wie ein Berg den Wanderer zum Besteigen anzieht. "Eindringlich-stummes Werben" ist eine tolle, noch unausgeschcöpfte Findung!

Ich finde das einleuchtend: Es gibt in uns eine Sehnsucht, ein unerfülltes Ziel. Das macht uns zu starken Suchern. Anders kann Gott nicht eingreifen. Ihr Schneesturmbeispiel sehe ich voll berechtigt. Im Alten und Neuen Testament braucht Gott immer Menschen als Helfer. Er will aus Ägyoten befreien und muss dem Mose sagen: Geh du und führe sie heraus. Das ist durchgängig. Selbst der Gottesmann Jesus braucht noch weitere zwölf, die ihm helfen Israel aufzurütteln. Die Idee, dass Gott zum Handeln ein Gottesvolk braucht, katapultiert den biblischen Glauben heraus aus der Welt der üblichen Religonen. Es braucht das geeignete Werkzeug gegen das Böse, das eben auch eine Geschichtsmacht (Staaten als "große Räuberbanden"; so Augustinus) und nicht nur in Herzen und ohnmächtig ist.

Aber nun zum Zentralgedanken des Zimzum-Bildes. Danach ist Gott nicht Außerhalb als Nebenan, sondern Außerhalb mit dem Kosmos in ihm. Gott zieht gleichsam seinen Bauch ein, damit wir Eigentätigkeit und Freiheit haben. Er lässt uns auch Gefährliches und Schlechtes tun.Wir wissen ja um die Verantwortung.
Ich bevorzuge diese Zimzum-Idee, solange mir keine bessere begegnet.
Giordano Bruno wurde dafür verbrannt, dass er sagte, das Universum sei 'unendlich groß' und wenn es Gott gebe, müsse der auch (mindestens so) ausgedehnt sein (weil er sonst weniger wäre als das Universum). Man verstand ihn nicht.
Augustinus hatte schon mal den Gedanken gewagt, vielleicht seien wir mehr in Gott als vor ihm (Geh ein in die Freude deines Herrn"). In jedem Fall ist das besser als die vereinfachende identifizierende Mystik, die viele Denker erfasste: Gott sei (nur) in uns. Da haben Sie, lieber Herr Doeding, dann die viel bessere Metapher: Gott muss, wenn es ihn gibt oder gäbe, außerhalb und unabhängig sein.

Nochmals eine Erinnerung an eine Grundvoraussetzung zum theologischen Formulieren. Das Laterankonzil von 1215 hat gelehrt, alle Sprache, jedes Bild zum göttlichen Bereich habe in Wirklichkeit mehr Unähnlichkeit als Ähnlichkeit zur wahren Sache (da es aus der weltlichen und menschlichen Spähre genommen ist).

Wir sind jetzt alle drei nicht auf meine Hauptthese zu 'David Levithan verdeutscht' eingegangen: Das Urteil "Letztendlich" dürfe man philosophisch nicht zusammen mit dem Begriff "Universum" verwenden, das sei erkenntniskritisch daneben und unerlaubt. Unser Universum (gibt es noch mehrere, viele, milliardenfach viele, nacheinander, nebeneinander?) ist kein "Letztes". Levithan wählt fast immer das Wort Universum, um nicht Gott sagen zu müssen. Das finde ich an sich gut, gegenüber der religiösen Inflation. Aber die beiden Dinge, Universum und Gott, sind eben höchstverschieden, höchstverschieden-geeint meine ich.

Mit Dank für Ihre Anregungen,
Ludwig W.

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

06.05.2014 19:01
#6 RE: Letztendlich dem Universum egal? Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #4

Ich kann Gott nicht "liberal" nennen, sondern kaue an der Frage, wie ich eine Sprache dafür finde, dass Gott verborgen sein muss, um uns frei zu lassen, und dass er damit der materiellen Welt eine solche helle oder auch grausame Präsenz gibt, dass er gegenüber ihr selber gleichsam 'überflüssig', 'beschäftigungslos' erscheint.
Die zwei überzeugenden Antworten, die ich kenne, stammen aus der jüdischen Kabbala ("Zimzum" = Selbstbeschränkung des Schöpfers)


Die Idee der Selbstbeschränkung des Schöpfers gefällt mir sehr gut, lieber Herr Weimer (obwohl ich nicht weiß, ob ich sie so verstehe wie die Kabbala, dafür reicht meine religionswissenschaftliche Bildung nicht). Gott könnte alles, aber er versagt es sich, so wie der Staat letztlich gleichsam unumschränkte Macht über den Menschen ausüben könnte, es aber als Rechtsstaat nicht tut. Wenn der Staat folterte und den Bürger rundum überwachte, wäre die Verbrechensaufklärungsquote zweifellos höher. Unser demokratischer Rechtsstaat tut das aber nicht, weil dem genannten Plus eine schier unendliche Menge an Minora gegenüberstehen würde. Das Folterverbot gilt ausnahmslos und absolut.

Warum greift Gott nicht ein, warum bleibt er untätig? Weil er uns zu seinem Ebenbild gemacht hat und es damit nicht in Einklang zu bringen wäre, wenn er uns bewegte wie Bauern auf dem Schachbrett. Wir können uns ja für das Gute entscheiden, weil Gott uns in den 10 Geboten bzw. im Hauptgebot der Liebe eine recht einfache, von der heutigen weltlichen Gesetzesflut weit entfernte Handlungsanleitung dafür gegeben hat. Gott zwingt uns aber nicht zum Guten, weil er uns damit die Wahlfreheit zwischen Gut und Böse, die ein Abglanz seiner Allmacht ist, abnähme und uns somit von unserer herausgehobenen Position in der Schöpfung und unserer Gottesebenbildlichkeit herabsetzte. Kurz: Gott kann mit einem aus freiem Entschluss bösen Menschen besser leben als mit einem zum Guten gezwungenen Zeitgenossen.

Ich hoffe, diese Gedanken eines Karteileichen-Katholos, der sich hier ausmalt, wie er eventuell gläubig sein könnte, sind nicht zu verwirrend.


EDIT: Durch Verklickerei entstandenes Frühposting. Die kursiv formatierten Passagen wurden dem Frühposting nachträglich hinzugefügt.

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

07.05.2014 11:06
#7 RE: Letztendlich dem Universum egal? Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #4
Im Judentum und Christentum wurde eine intelligentere Lösung vorgeschlagen: Der gute Schöpfer lässt das Geschöpf Mensch, weil Liebe Freiheit lässt, ganz frei und dazu gehört notwendig die Freiheit, Böses zu tun.
Die Freiheit, die Liebe lässt, kann nicht die ganze Freiheit sein. Nehmen wir zum Beispiel die Freiheit, andere zu versklaven. Wer beide liebt, nicht nur den Sklavenhalter sondern auch den Sklaven, kann diese Freiheit nicht wollen. Das rechtsstaatliche Freiheitsverständnis will bekanntlich die Freiheit aller, und schränkt demzufolge die Freiheit aller entsprechend ein, damit dies möglich wird. Die Freiheit, unumschränkt Böses zu tun, entspricht dagegen eher einem - sagen wir - faschistischen Freiheitsbegriff, der hier anscheinend Gott unterstellt wird. (Nun könnte man sagen: Naja, vielleicht ist Gott ja ein Faschist. Aber bei der Theodizee-Frage geht es nicht darum, wie Gott ist, sondern wie wir uns einen lieben Gott ohne Widerspruch denken können.)

Ein zweiter Einwand, den etwa der Soziologe Peter Berger herausstellt, bezieht sich auf das Leiden, das sich Tiere gegenseitig zufügen. Die sind nicht frei, und daher muss deren Leid vollständig auf Gottes Konto gebucht werden. Diese seine Geschöpfe liebt Gott demnach überhaupt nicht.

Und noch ein dritter Einwand. Die bösen Taten haben einen Einzelfallaspekt und eine statistische Seite. In jeder einzelnen Situation kann sich ein Mensch für das Gute oder das Böse entscheiden. Dennoch ist die Häufigkeit, mit der sich Menschen so oder so entscheiden, von Faktoren abhängig, für deren Vorliegen der Einzelne nicht (in gleichem Maß) verantwortlich ist. Ein krasses Beispiel sind die Pädophilen. Vermutlich können die nichts für ihre sexuelle Veranlagung, aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie Verbrechen an Kindern verüben, ist wesentlich größer als bei Menschen, die nicht pädophil sind. Müsste man nun schlussfolgern, daß Gott den Pädophilen eine Freiheit gibt, die Er den anderen Menschen vorenthält? Oder wäre es nicht wesentlich liebevoller von Ihm gewesen, wenn Er die Pädophilie nicht in unser Herz gelegt hätte?

Die Wesensart des Menschen wirkt sich zudem nicht nur auf die Wahrscheinlichkeit aus, mit der das Böse gewählt wird, sondern auch auf die Schadenshöhe. Ein netter Mensch kann andere vielleicht genausooft beleidigen wie ein Grobian, aber eben weit weniger brutal. Hätte uns Gott etwas sanftmütiger geschaffen, dann wären wir immer noch frei, das Böse zu wählen, würden dabei aber weniger rücksichtlos zulangen.

Die größten Verbrechen folgen ferner erfahrungsgemäß nicht aus einfacher Selbstsucht, sondern stehen in Zusammenhang mit falschen Ideen; wie Rassismus, Etatismus, Imperialismus, Sozialismus, Nationalismus. Hätte Gott uns mehr Verstand gegeben, dann wären wir ebenso frei zum Guten und zum Bösen wie wir es jetzt sind, würden aber solchen Irrtümern nicht verfallen und dann auch die davon motivierten Untaten nicht begehen.

Gott ist in diesem Sinne nicht für die einzelnen bösen Taten verantwortlich, trägt aber als unser Schöpfer die indirekte Verantwortung für das Ausmaß des Übels, das wir einander zufügen.


(Diese Einwände kennen Sie, lieber Herr Weimer, wahrscheinlich zur Genüge von Ihren Erstsemester-Proseminaren her. Sie brauchen wirklich nicht zu antworten, ich kann genausogut in einer ruhigen Stunde mal nachschlagen, was die Theodizee-Forschung dazu meint. Nur so einfach stehenlassen wollte ich diesen Theodizee-via-Freiheit-Gedanken auch nicht, weil er mir eben so gar nicht einleuchtet. )


Um dem noch eine andere Wendung zu geben. Das Judentum und (vielleicht in geringerem Maße) das Christentum beruhen in erster Linie auf einer geschichtlichen Gotteserfahrung, und weniger auf einer metaphysischen Spekulation über das höchste Gute als Person oder dergleichen.

Wenn man sich den biblischen Gott ansieht, dann steht Er den Seinen in der Not zwar bei, läßt sich aber meistens sehr viel Zeit damit. Erst als die ägyptische Kavallerie schon in Sichtweite ist, teilt er den Israeliten das Meer; Seinen Sohn Jesus hat Er erst gerettet, als dieser schon tot war; und in der Apokalypse wird vorausgesagt, dass sich zunächst der Antichrist austoben kann, bevor die Grundübel Staat, Teufel und Tod vernichtet werden. Man könnte sagen, Gott liebt die Menschen, aber nicht sehr.

So, wie Er vermutlich bedauert, daß Ihm die Welt nicht recht geglückt ist, können auch wir bedauern, keinen liebevolleren Gott als Ihn zu haben. Nur was nützt es? Es ist wie es ist.

Herzliche Grüße,
Kallias

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

08.05.2014 10:46
#8 RE: Letztendlich dem Universum egal? Antworten

Lieber Kallias,

Die Theodizee-Fragen sind viel zu interessant, wie die Diskussion zeigt, aber auch schwer zu beantworten. Wir ließen bisher sowohl das Thema Unterschiede zwischen deutscher und amerikanischer Sehweise liegen wie auch meine an den Schluss gestellte Hauptfrage, ob man die Existenz einer Sinnbeziehung zwischen Kosmos und Mensch atheistisch logisch beantworten dürfe („letztendlich egal“) oder doch besser agnostisch dahingestellt sein lassen müsse.

Die Kommentare zeigten, dass der deutsche Buchtitel „Letztendlich sind wir dem Universum egal“ genau das Hauptinteresse in unserem postchristlichen Land trifft: Verdankt sich unser belebter Planet einem Zufall oder liegt ihm ein höherer Wille zugrunde? Die alte religiöse Antwort habe auf einem kindlichen Niveau gelegen und sei nicht mehr zu halten gewesen. Die beste aller möglichen Welten? Diese grausame Welt? Die materialistische Aufklärung sei allzu verständlich. -
Heute wird, anti-fundamentalistisch nach jeder Richtung, entschieden: Unsere Welt stammt weder von Gott noch von einem Teufel, sie ist so wie sie ist, zufällig und ja auch endlich.

Auch die neueren Theodizee-Bücher befriedigen nicht ganz. Die Schriftsteller ignorieren sie denn auch. Wohin man schaut, so gut wie alle Literaten glauben weder an Gott noch an ein Leben nach dem Tod (wo die ausgleichende Gerechtigkeit wirken könnte). Wenn es einen Schöpfergott gäbe, so wäre ihm diese Welt jedenfalls missraten, ist der Grundton.
José Saramago (1922-2010), ein portugiesischer Träger des Nobelpreises für Literatur, schrieb 1991 ein von den Frommen heftig bekämpftes „Evangelium nach Jesus Christus“ als radikal kirchenkritischen Roman, in dem das Hauptkapitel in einem Boot auf dem galiläischen See spielt: Gott, Jesus und der Satan diskutieren anhand von alphabetischen Stichworten aus der Geschichte, wer mehr Erfolg auf der Welt hatte, Gott oder der Böse.
Charles Péguy hatte das zum 500. Geburtstag von Jeanne d’Arc in einem Mysterienspiel noch etwas vornehmer ausgedrückt: Was helfen die karitativen Lösungen? Die Kriege hören nicht auf. Um einen Menschen zu erziehen, braucht es 20 Jahre, um ihn umzubringen weniger als eine Minute. Darum werden die Guten immer die Schwächeren sein. Es gibt Heilige, aber die Christenheit funktioniert nicht. Irgendetwas fehlt…
Und Dostojewskij hatte die Frage noch lapidarer und moderner gestellt: Schon ein einziges weinendes Kindlein widerlege den Glauben an den guten Gott.
Was die Rechtsstaatlichkeit ändern kann, haben sie am Sklaverei-Beispiel gesagt.
Was die leidende Tierwelt betrifft, sehe ich so: Wir holen die Braunbären, die Steinadler, sogar die Wölfe zurück. Warum? Die Jäger könnten ja auch das Gleichgewicht schaffen. Da ist noch etwas. Und wir haben eine heimliche Lust an den schönen Bestien im Urwald. Keine Art soll aussterben – was eigentlich ganz unnatürlich ist, die Evolution geht nur nach vorne.
Leben bedeutet einander zu fressen. Die einzige Alternative wäre ein toter, unbelebter Planet, wie die meisten dieser Gattung mit einem ‚falschen‘ Abstand zum Zentralgestirn.
Im Fall von uns Menschen erscheint etwas Neues: Tiere fressen ihre Missgeburten auf, wir können Behinderungen sozial ausgleichen, unsere Stärke ist die Kultur, wir sind nicht auf die körperliche Stärke angewiesen, um unsere Art überleben zu lassen. Wir können fliegen ohne Flügel. Wir könnten auch die Folgen von Verbrechen und Schuld miteinander teilen und tragen. Wir haben die Idee der Gewaltlosigkeit gefunden und politisch praktikable Wege ausgedacht.

Was die –ismen angeht und die Ideologiekritik: Eine Religion, die Gewalt erlaubt, ist keine Religion mehr; ihr fehlt schon die Vernunft. Dieser Grundsatz ist von beiden Seiten her ausgesprochen, von agnostischen Philosophen und von Päpsten.
In der Bibel handelt nicht Gott jeweils zu spät, sondern sein Volk reagiert auf die Erfordernisse oft zu spät. Immerhin feiern die Christen jeden Sonntag rund um die Welt den Tod Jesu, auch, damit die Tötung von Unschuldigen nie mehr passiere. Dass sie so oft versagen, macht ihre Lehre nicht falsch, sondern zeigt, warum sie nötig ist. Schon das Alte Testament hatte aber auch den Optimismus: Ein Verbrechen hat böse Folgen bis in die dritte, vierte Generation; aber eine gute Tat wirkt sich als Segen aus bis in die tausendste Generation.
Schärfer hat es Elie Wiesel gesagt: In Auschwitz sei nicht das Judentum gestorben, sondern das Christentum. – In diesem Sinn lege ich den Akzent auf die menschliche Verantwortung und schiebe die Last nicht auf Gott ab, als sei er entweder böse oder ohnmächtig und nur seine Nichtexistenz könne ihn entschuldigen.

Herzliche Grüße, Ludwig W.

Simon Offline



Beiträge: 334

08.05.2014 19:29
#9 RE: Letztendlich dem Universum egal? Antworten

Herzlichen Dank für die tiefgreifende Diskussion über letzte Fragen auf unserem Planeten. -
Doch möchte ich gern auf das Jugendbuch (gleich unter welchem Titel und in welcher Sprache) zurückkommen, von dem die Diskussion ausging. Ich fürchte nämlich, nachdem ich mir einige Reaktionen Jugendlicher angesehen habe, dass diese bei ihrer anregenden Lektüre anhand von 40 faszinierend geschriebenen Beispielen den eingebauten Hinweis des Autors gegen Ende seines Romans garnicht oder nur oberflächlich wahrnehmen. Einige sind noch gebannt vom Ausgang der Hetero-Liebesbeziehung und werten diese je nach ihrem Geschmack. Andere erfreuen sich an den erhellenden Bewusstseinserweiterungen. Alles in allem: Ein Bewusstsein über einVergessensein im All kommt garnicht auf, da es doch aufgrund des Leseerlebnisses in seinen Möglichkeiten in seinem Erdenleben gerade erst enorm gestärkt wurde. Dass der ethisch erhobene Zeigefinger des im Titel der deutschen Ausgabe unterschlagenen Teilgedankens - „Deswegen dürfen wir einander nicht egal sein“ - in einem Fall wirken, im andern nicht oder weniger wirken könne, ist schwer auszumachen.

Deshalb meine etwas provozierende – vielleicht weiterführende – Frage: Wird die Phantasie und Lebenskraft, nicht nur der 16-jährigen, sondern der gesamten jungen Generation, die sich auf der Höhe der Zeit fühlt, auf bestürzend rasante Weise - unter Hintansetzung metaphysisch-ethischer Fragen – nicht vielmehr, gerade auch im vorliegenden Buch, auf Fragen wie diese gelenkt: wie - in welchem Maße und mit welchem Vorteil - ganz andere „Welten“ oder „Scheinwelten“ über das bisher Bekannte und als lästig und beengend Empfundene hinaus erobert werden können? - vgl. die mannigfaltigen Arten virtueller Welten: am PC, im Kino, in Zeitschriften; die sog. Sozialen Netzwerke; die pharmazeutisch-medizinischen, psychologischen, pädagogischen … und pseudowissenschaftlichen Heilsversprechen, dazu die inflationär sich überbietenden sozialstaatlichen Angebote und Maßnahmen usw. - Ich muss das nicht näher ausführen.


Wer oder was holt die geistbegabte Spezies Mensch auf seinen ihm freundlich gesinnten Lebensraum Erde zurück? Wer oder was beheimatet ihn? Wer oder was führt ihn auch über jegliche Enge „hinaus ins Weite“? Wer oder was garantiert dem Planeten Erde und seinem vornehmsten Bewohner seine Würde, die ihm soweit man heute vergleichend schauen kann zweifelsfrei gebührt?...

Dass die Menschheit als einzige Spezies auf dieser Erde dazu befähigt, beauftragt und unentschuldbar ist, hat m. E. Herr Weimer gerade in seiner Antwort auf Herrn Kallias treffend ausgeführt. - Dazu muss allerdings noch gesagt werden, dass bekanntlich leider auch die beste und richtigste Einsicht nicht schon das richtige Verhalten und Tun herbeiführt oder gar ersetzt.

Viele Grüße
Simon

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

08.05.2014 22:53
#10 RE: Letztendlich dem Universum egal? Antworten

Lieber Kallias,

ein kleiner Nachtrag: Der Absatz über die Tiere ist mir unfreundlich geraten. Ich habe im Auftrag einer Münchner Putzfrau einmal Kardinal Ratzinger fragen müssen, ob ihr Dackel in den Himmel kommen könne. Seine zu überbringende Antwort war bayerisch-dogmatisch formal korrekt: "Wann er brav war."
Und im Ernst: Welcher Nietzsche-Biographie-Leser hält nicht kurz ein, wenn er die Stelle liest, wie jener ein Droschkenpferd, das der Kutscher geschlagen hatte, weinend umarmte auf offener Straße?

Herzlichen Gruß, Ludwig W.


Lieber Herr Simon,

zu der Gefahr Flucht in virtuelle Welten hatten wir ja gerade von Llarian den Beitrag "Von roten und blauen Pillen ..." in zwei Teilen.
Grundsätzlicher gefragt müssten wir auch die Anfrage von Agnostikern an Gläubige als Frage ernst nehmen, ob ein religiöser Mensch in vergleichbarer Weise zu einem tröstenden Gottesbild flieht.
Wenn der Mensch doch sowieso alles tun muss und ein weltjenseitiger Gott gar nicht in das irdische Geschehen eingreifen kann, außer durch den Glauben an ihn, also durch Menschen, entsteht ja die Frage, ob dieser gleichsam physisch beschäftigungslose Gott nicht nur eine Projektion ist, vielleicht positiv als Leitstern, oder negativ als Droge. Gibt es eine Logik, die sagen kann, warum es ihn dennoch braucht und zwar nicht nur als Wunschbild?
Man kann zunächst prüfen: Wozu wird er gebraucht? Antwort: um zu klären, aufzuklären: Ich bin nicht Gott, die Welt ist nicht Gott, die Kunst ist nicht Gott, die Geliebte ist nicht Gott usw. Wenn für mich die Welt usw. das Höchste wäre, könnte ich sie anbeten? So lieben, wie man eine Person lieben kann?
Dann kann man fragen: Warum brauche ich ihn? Wenn er mich liebt und darum schuf, warum sollte ich ihm antworten? Er braucht mein Gebet nicht. Aber ich brauche es, mit ihm zu reden, der immer schweigt. Beten ist herauskriegen, was er meint.
Wenn ich an ihn glaube, kann ich ein Höchstes lieben, über mich hinaus.
Nun stoße ich auf die nicht nur psychologische Frage: Warum habe ich aber Angst vor ihm? Angst, dass seine Existenz mich schmälert? Mein eigener Wille ist mir ja lieber als seiner (warum spüre ich überhaupt einen Gegensatz?).

Ich stoße generell auf die Frage: Was ist das landauf landab: Ein jeder Christ behauptet, Gott sei das Höchste; aber im konkreten Leben spielt er nur die Rolle eines Betthupferls, höchstens die eines Lückenbüßers. Man hat neben dem Leben gar keine Zeit für ihn. Ich frage mich oft, ob wir Postchristen nicht überhaupt zurückgefallen sind in eine heidnische Religion, sodass man den Namen Gottes oder seines Organs Christus beliebig austauschen könnte mit einen der Tausende bekannten Götternamen, ohne dass sich etwas groß ändern müsste.
Damit meine ich nicht, ein jeder echte Christ müsste Waldmönch werden und ihm alles widmen, wenn er ihn denn wirklich glaubt und ernst nimmt. Gott braucht, wie oben gesagt, nicht meine Zeit, Kraft, Emotion für sich. Der Punkt ist, dass das aus dem Judentum erwachsene Christentum etwas Anderes als eine übliche Religion ist. Es entdeckte ein bestimmtes Wollen Gottes: Er will und braucht ein großes Volk als Helfer, und dafür braucht es nicht nur etwas Liebe und Zeit, sondern das ganze Leben selber. Es soll glücken und so zeigen, was er den Menschen geben kann. Es gibt da keine Konkurrenz der Freiheiten, keine zwischen Gott und Welt, auch keine zwischen Vernunft und Glaube.

Über dieses Andere, irgendwie unbekannte Judenchristentum denke ich schon lange nach, auch anhand von vielen Autoren, nicht nur Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer, die in der gleichen Richtung nach einer Reform/Reformation suchten. Und ob des Unterschiedmachens zwischen Religion und biblischem Glauben denke ich auch, geht diese Logik nicht in die Richtung einer bloßen Scheinwelt-Rechtfertigung. Schon bei meiner Doktorarbeit über den Begriff von "Religion und Offenbarung bei Ernst Bloch" war mir eine moderne Utopie als Folge der fehlenden Unterscheidung begegnet, eben in dessen Phantasie einer "Metareligion" aufgrund einer göttlichen Materie und eines atheistisch-messianischen, naturalisierten Humanismus. Interessant war ein kleines Nebenergebnis. Bloch hat seinen Erstling über den Geist der Utopie, eine ganz expressionistisch unter dem Dampf der Jugenbewegungszeit kochende Suppe, später neu herausgegeben, bearbeitet sagte er; und was fand ich? Alles gleich, nur immer, nämlich 120 mal hatte er das Wort "Gott" ersetzt durch ein "es". Das wars, aber brachte es was?

Mit Grüßen, L. Weimer

Martina Offline



Beiträge: 41

09.05.2014 23:01
#11 RE: Letztendlich dem Universum egal? Antworten

Lieber Herr Weimer, liebe Mit-Diskutanten,
ich möchte mir die Freiheit nehmen von der sehr theoretisch philosophisch-theologischen Ebene der Frage, ob wir dem Universum egal sind, auf die aktuelle praktische Anwendung zu kommen mit der Frage: macht es denn einen spürbaren Unterschied, ob "letztendlich" ohnehin nur der Zufall regiert?
Blacky Fuchsberger sagte letzte Woche in der Maischberger-Talkrunde, er glaube nicht an Gott, weil er im Krieg an der Ostfront erlebt habe, wie auf beiden Seiten vor der Schlacht Feldmessen abgehalten wurden und der göttliche Segen auf die eigenen Truppen zur Hilfe gegen den Feind herabgefleht worden sei.
Vor ca. zwei Wochen schrieb eine russische Schriftstellerin in der FAZ über die gegenwärtige hurra-patriotische Stimmung in Rußland: der Unterschied zur Stalin-Zeit sei nur, dass der heutige Nationalist orthodox sei und Gott auf der Seite des heiligen, auserwählten Russland wisse.
Freiheit zum Bösen?
Dazu muss es erst einmal eine Unterscheidung geben!
Aufstacheln zum Hass, Verbreiten von Lügen, Schüren von Feindseligkeit, um selbst größer, stärker, ruhmvoller da zu stehen - das gehört ganz sicher dazu, zum nicht mehr relativierbaren Bösen, meine ich.
Und woher sollte so etwas wie Kraft zur Versöhnung kommen? Jenseits von Taktik oder Strategie?
100 Jahre nachdem Europa in den ersten Weltkrieg taumelte und den Rest der Welt mit sich riß, bricht wieder so etwas wie eine gezielt angezündelte Völkerfeindschaft aus und der postchristliche "Westen" muss - trotz aller Bemühungen (die ich unbedingt richtig finde) - mehr oder weniger hilflos zuschauen.
Die Welt in Gottes Hand? - Oder von allen guten Geistern verlassen?
Wir sind wieder so weit, dass (ehemalige) Christen aufeinander schießen. Der Papst kann zum Frieden aufrufen - aber wo sind seine Legionen, die die Versöhnungskraft zu den Brandherden tragen?
Ich glaube schon, dass es einen Unterschied macht, ob wir dem Universum egal sind oder uns als Geschöpfe vorfinden.

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 13.554

10.05.2014 00:14
#12 RE: Letztendlich dem Universum egal? Antworten

Zitat von Martina im Beitrag #11
Wir sind wieder so weit, dass (ehemalige) Christen aufeinander schießen.


Ein Satz, der recht exemplarisch zeigt, warum Atheisten mit der gesamten Theodizeefrage schlicht nichts, gar nichts, anfangen können. "Wir sind wieder soweit" impliziert, daß es je anders war. Und das ist schlicht historische Blindheit, die anzeigt, daß, wer so fragt, alles historische Wissen über Bord geworfen hat oder es prinzipiell hintan stellt, um statt dessen schnell zur moralischen Coda "die Welt / die Zeiten sind schlecht" gelangen zu können: die denkbar schlechteste Voraussetzung für die Behandlung sowohl der Geschichte als auch der theologischen Dimension. Die theologischen Überlegungen zur Theodizeefrage setzen die menschliche Freiheit hier als zentralen Punkt: der Antwort, daß dies der Preis für die menschliche Autonomie ist, kann auch der Gottlose wohl etwas abgewinnen (wenn er zB statt der "göttlichen Vorherbestimmung" das "Diktat der Gene" oder auch [pseudo-]marxistische Geschichtsteleologien wie Klassenkampf u.dgl. setzt) - auch wenn er sie für heillos verkürzt hält.

Die Tatsache ist, daß Religion keinen Einfluß auf die Fragen von Krieg und Frieden hat & noch nie ein Garant von Frieden oder Eierkuchen war (von Freude wollen wir angesichts der eingebauten Tendenz aller Religionen, die eigenen Gläubigen in großer Zahl kreuzunglücklich zu machen, und mitunter die Nachbarn auch*, erstmal auch nicht reden): weder im Mittelalter, noch im 30-jährigen Krieg, weder bei Napoleon noch im amerikanischen Bürgerkrieg. Das 20. Jahrhundert setze ich als bekannt voraus. Besonders schick wird die Frage dadurch, daß in ihr die Gleichsetzung von Religion mit Christentum mitschwingt.

Was das mit der Theodizee verknüpft: in beiden Fällen wird - für den Atheisten - in die Frage eine Instanz eingeschoben, die ihm illusorisch erscheint: ob nun die angeblich friedensstiftende Wirkung des Glaubens oder "das Wesen, das das Böse zuläßt" - ohne daß es den kleinsten Fingerzeig gibt, daß sie existiere oder wirkmächtig sei.

OT: * historisch gesehen kommt an dieser Stelle in der vulgären Religionskritik der Hinweis auf die christliche Missionierung. Wahrscheinlicher scheint, daß das, zumindest in der Neuzeit, bei den Kriegen in den Kolonialgebieten, keine verstärkende Rolle gespielt hat neben den anderen Faktoren wie skrupelloser Imperialismus & indigene Kriegstraditionen (eine Ausnahme könnte der Taiping-Aufstand darstellen, der sicher durch seine milleniaristische Spielart der Christentums eine Dymanik erhielt, durch die er seine verheerenden Dimensionen annehmen konnte - aber hier handelt es sich eben nicht um einen Kolonialkrieg, sondern im Kern um eine der zahllosen Bauernrebellionen, die sich durch die chinesische Geschichte ziehen).

Erling Plaethe Offline




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10.05.2014 11:12
#13 RE: Letztendlich dem Universum egal? Antworten

Zitat von Martina im Beitrag #11
Lieber Herr Weimer, liebe Mit-Diskutanten,
ich möchte mir die Freiheit nehmen von der sehr theoretisch philosophisch-theologischen Ebene der Frage, ob wir dem Universum egal sind, auf die aktuelle praktische Anwendung zu kommen mit der Frage: macht es denn einen spürbaren Unterschied, ob "letztendlich" ohnehin nur der Zufall regiert?
Blacky Fuchsberger sagte letzte Woche in der Maischberger-Talkrunde, er glaube nicht an Gott, weil er im Krieg an der Ostfront erlebt habe, wie auf beiden Seiten vor der Schlacht Feldmessen abgehalten wurden und der göttliche Segen auf die eigenen Truppen zur Hilfe gegen den Feind herabgefleht worden sei.
Vor ca. zwei Wochen schrieb eine russische Schriftstellerin in der FAZ über die gegenwärtige hurra-patriotische Stimmung in Rußland: der Unterschied zur Stalin-Zeit sei nur, dass der heutige Nationalist orthodox sei und Gott auf der Seite des heiligen, auserwählten Russland wisse.
Freiheit zum Bösen?
Dazu muss es erst einmal eine Unterscheidung geben!
Aufstacheln zum Hass, Verbreiten von Lügen, Schüren von Feindseligkeit, um selbst größer, stärker, ruhmvoller da zu stehen - das gehört ganz sicher dazu, zum nicht mehr relativierbaren Bösen, meine ich.
Und woher sollte so etwas wie Kraft zur Versöhnung kommen? Jenseits von Taktik oder Strategie?
100 Jahre nachdem Europa in den ersten Weltkrieg taumelte und den Rest der Welt mit sich riß, bricht wieder so etwas wie eine gezielt angezündelte Völkerfeindschaft aus und der postchristliche "Westen" muss - trotz aller Bemühungen (die ich unbedingt richtig finde) - mehr oder weniger hilflos zuschauen.
Die Welt in Gottes Hand? - Oder von allen guten Geistern verlassen?
Wir sind wieder so weit, dass (ehemalige) Christen aufeinander schießen. Der Papst kann zum Frieden aufrufen - aber wo sind seine Legionen, die die Versöhnungskraft zu den Brandherden tragen?
Ich glaube schon, dass es einen Unterschied macht, ob wir dem Universum egal sind oder uns als Geschöpfe vorfinden.

Ich finde, es ist beides möglich. Nicht nur das. Beides ist nötig, möchte ich behaupten.
Die Geschichte geht weiter, sie macht keine Pause. Es gibt Kriege die sind unvermeidlich, sei es weil man angegriffen wird oder weil man der drohenden Ausbreitung von Barbarei und Massenmord Einhalt gebieten will.
Die Welt ordnet sich in Cluster. Die EU ist so einer, Amerika ist einer und in Asien ist China bemüht einen zu bilden. Wie solch eine Bildung vonstatten geht, hängt stark von der Verfasstheit des Kernstaates ab. Im Falle Chinas und Russlands sind vordemokratische Mächte die treibende Kraft, aber auch die Bildung des Cluster in Europa legt demokratische Defizite offen.
Es scheint schwierig, die Bildung großer Gruppierungen von Staaten, welche durch die Globalisierung vorangetrieben wird, mit einem Gewinn für wirtschaftliche und politische Freiheit zu realisieren.
Die notwendigen oder vermeintlich notwendigen Regulierungen greifen spürbar in die individuellen Freiheiten ein.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Martina Offline



Beiträge: 41

11.05.2014 09:15
#14 RE: Letztendlich dem Universum egal? Antworten

Zitat
Das Gewissen der Christen hat zum Prüfstein einen Gott, dessen Wille mit Jesus identifiziert wird; und dieser packte das Leid in der Welt an. Auch die Nichtgläubigen haben ein Gewissen, ohne Gott, aber mit dem Prüfstein Menschenwürde. Es gibt die gemeinsame Schnittfläche.



Das ist eigentlich der Kernsatz im Gastbeitrag von Herrn Weimer, auf den ich mit meiner Stellungnahme eingehen wollte.
Also weder geht es mir um ein Sprechen über Religion im allgemeinen, noch um ein Lamentieren über die ach so schlechten Zeiten, sondern um die Frage, inwieweit es eben doch in der Geschichte besonders Europas durch viele grausame Irrtümer und schreckliche Verbrechen hindurch so etwas wie eine Hinbewegung zu dem gegeben hat, was die Präambel unseres Grundgesetzes die "Verantwortung vor Gott und den Menschen" nennt. Davon bräuchten sich auch Atheisten nicht brüskiert zu fühlen, wenn sie die oben genannte gemeinsame Schnittfläche erkennen können.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

11.05.2014 09:34
#15 RE: Letztendlich dem Universum egal? Antworten

Zitat von Martina im Beitrag #14

Zitat
Das Gewissen der Christen hat zum Prüfstein einen Gott, dessen Wille mit Jesus identifiziert wird; und dieser packte das Leid in der Welt an. Auch die Nichtgläubigen haben ein Gewissen, ohne Gott, aber mit dem Prüfstein Menschenwürde. Es gibt die gemeinsame Schnittfläche.


Das ist eigentlich der Kernsatz im Gastbeitrag von Herrn Weimer, auf den ich mit meiner Stellungnahme eingehen wollte.
Also weder geht es mir um ein Sprechen über Religion im allgemeinen, noch um ein Lamentieren über die ach so schlechten Zeiten, sondern um die Frage, inwieweit es eben doch in der Geschichte besonders Europas durch viele grausame Irrtümer und schreckliche Verbrechen hindurch so etwas wie eine Hinbewegung zu dem gegeben hat, was die Präambel unseres Grundgesetzes die "Verantwortung vor Gott und den Menschen" nennt. Davon bräuchten sich auch Atheisten nicht brüskiert zu fühlen, wenn sie die oben genannte gemeinsame Schnittfläche erkennen können.


Atheisten sind mir ähnlich fremd wie religiös fundamental orientierte Menschen. Beide fühlen sich recht schnell brüskiert.
Aber die gemeinsame Schnittfläche existiert zweifelsohne. Nur ist Gut und Böse eine Frage der Perspektive. Ihre, liebe Martina, und meine haben ziemlich sicher eine gemeinsame Schnittfläche und ich kann auch die Hinbewegung zur von Ihnen zitierten Präambel des GG erkennen.
Trotzdem, die pauschale Verurteilung von Kriegen ist aus meiner Sicht inakzeptabel, weil es eben gerade dem Bösen Vorschub leistet.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

11.05.2014 19:21
#16 RE: Letztendlich dem Universum egal? Antworten

Ich komme gerade von einem Wochenende mit hauptsächlich jungen Menschen zurück, an dem wir uns mit Herta Müllers "Der König verneigt sich und tötet" (vor allem über die Diktatur in Rumänien) und mit einem 3 000 Jahre alten Stück aus der Bibel (Richterbuch Kap. 19-21) beschäftigt haben, d. h. mit zwei Ethiken zur politischen Freiheit und zur Befreiung des Menschen von seinem Hang zum Raubtierhaften und Perversen. Die weitergegangene Diskussion zu meinem Blogbeitrag beklagt Fehler der Religionen, die ich dem Typ jenes 'Religiösen' zuordne, den ich ebenso heftig angreife.

Die Diskutandin Martina stellt diese Gemeinsamkeit bei der Kritik von Agnostikern und meiner Position heraus, und sie sucht nach meinem Zentralpunkt. Der liegt in der Tat in der religionskritischen Entlarvung und in der neuen Praxis Jesu, doch findet man in der faktischen Christenheitsgeschichte davon nur wenige gelebte Spuren. Die Atheisten greifen daher zu Recht die zu hohen Worte der Christen an, denen keine Taten entsprechen. Ich finde es schade, dass viele Agnostiker diese Schwäche der Christen, den Widerspruch zwischen Reden und Tun, dulden, indem sie das Christentum auf der herabgestuften Ebene Allzumenschlich-wie-sonst-auch-alles verstehen. Das ist doch auch ein Urteil über die vorgeblich beste, absolute Religion.

Da z. B. der von mir erwähnte Hans Jonas aus der Auschwitz-Tragödie (Wo war Gott in Auchwitz?) folgert, Gott sei ohnmächtiger als gedacht, aber n i c h t dann hinzufragt: Wo waren die Christen angesichts von Auschwitz?, muss ich doch bestürzt folgern: Der Jude Jonas erwartete also von den Christen gar keine Solidarität (weil diese nur oberflächlich Getaufte sind oder eben auch den Gedanken töteten, Brüder der Juden zu sein?). Er erwartete das gar nicht von den Christen, dass sie Christen sind! Dann ist das das schlimmste Urteil über die Christenheit des 20. Jhs.

Jesu wiederausgegrabene authentische Lehre, also das echte Christentum, ist "das Leid in der Welt anpacken", richtig, Frau Martina. Ich füge aber noch die Erklärung hinzu, er wollte Israel mit den Zwölfen neu sammeln, weil er erkannte, dass Gott ein Volk braucht als Friedens-Werkzeug. Es reichen nicht fromme Herzen. Das Böse ist eine geschichtliche harte Macht, oft eine verbündete Bande. Dieser Punkt, der ewige Gott braucht etwas, und gleich ein ganzes Volk als Gegenkraft (und dies ohne Lügen und Waffen), sonst ist er ohnmächtig, bezeichne ich als die vergessene Wahrheit in den Kirchen.

Bei einem Treffen zwischen Katholiken und Juden (alle Kibbutzniks, einer gläubig, die andern alle säkular) erlebte ich eine erschütternde Szene: Einer erzählte von seinem Vater, der auf der russischen Seite im Weltkrieg über die Köpfe hinwegschoss, weil auf der Feindesseite auch Juden mitkämpften; da erkannte ein anderer an der genauen Ortsschilderung, dass dort sein Vater kämpfte, von dem er wusste, dass dieser auch auf diese Weise den Brudermord vermied; beide Söhne umarmten sich, der religiöse und der säkulare, weil es einen von beiden oder beide sonst vielleicht nicht gegeben hätte. Wir Christen saßen beschämt dabei.

Vielleicht verdeutlicht dies ein wenig meine Position. Vielen Dank allen!
Ludwig Weimer

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

11.05.2014 20:49
#17 RE: Letztendlich dem Universum egal? Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #16

Ich finde es schade, dass viele Agnostiker diese Schwäche der Christen, den Widerspruch zwischen Reden und Tun, dulden, indem sie das Christentum auf der herabgestuften Ebene Allzumenschlich-wie-sonst-auch-alles verstehen. Das ist doch auch ein Urteil über die vorgeblich beste, absolute Religion.

Wenn es eine Schwäche der Christen wäre, müsste es dann nicht eine Gruppe geben, die eine weitaus stärkere Integrität aufweist? Die ist aber m.W. nicht vorhanden. Also warum sollte ein Agnostiker jeden einzelnen Christen an Jesus messen, von dessen Heiligkeit zu wissen, er ja bestreitet?

Ist es nicht eher eine Stärke, zu erkennen, dass die eigene Integrität unvollkommen ist?

Ja, auch Christen sind auch nur Menschen. Dies als eine Herabstufung zu sehen ist sehr kühn. Jedenfalls für einen Agnostiker. Mein Nichtwissen um die Existenz von Gott impliziert keine extraordinäre Sicht auf die Christen im Allgemeinen. Verbindend wirken dabei die gemeinsamen Werte, nicht der Glaube an etwas Transzendentes.
Bei einer evtl. Beurteilung der Umsetzung von Reden und Taten Anderer, werden, als Beweis gewachsener persönlicher Integrität, keine anderen Maßstäbe angelegt, als die an sich selbst.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

12.05.2014 00:04
#18 RE: Letztendlich dem Universum egal? Antworten

Das ist, lieber Herr Plaethe, sehr höflich und menschenfreundlich,

aber von uns Katholiken her gesehen ist es eine Katastrophe, wenn die Kirche, die uns nicht gehört wie ein Hausbesitz, nicht mehr als "Salz der Erde" (Bergpredigt) wahrgenommen wird, sondern als ein religiöser Verein im pluralistischen Reigen zahlloser Heilslehren. Wir hätten dann gleichsam ein Geschenk veruntreut, das wir für andere erhalten haben.
Die Argumentationsebene ist unterschiedlich. "Wenn das Salz nicht mehr Salz ist, ist es unnütz" (Bergpredigt) - ist Sprache an uns und unsere Sprache; Ihre Sprache ist die der Sphäre abgeklärt-wohlwollender Menschheitserfahrung. Was Sie als "Herabstufung" empfinden, ist für uns Christen "Anpassung" bis "Abfall".

Die integre Gruppe gibt es übrigens; meine Kath. Kirche verlangt einerseits von allen Mitgliedern ein heiliges Leben (die reformierten Kirchen sind da pessimistischer: alle bleiben immer Sünder, auch wenn sie gerechtfertigt sind durch das Leiden Jesu für die Menschen), andererseits führt sie eine Liste, wo sie bekanntere Personen als Heilige und Vorbilder ehrt und im Heiligenkalender memorieren lässt (es sind, meine ich derzeit schon ziemlich über 4000), und sie rechnet zusätzlich die unbekannten vielen kleinen Leute beim Fest "Allerheiligen" hinzu.

Ihren letzten Sätzen stimme ich auch auf der Sprachebene zu.
Das Kath. Kirchenrecht kennt den Grundsatz zur Moral: Du kannst von keinem etwas verlangen, was seine Person überfordert.
Thomas von Aquin nannte die Wege von Gottes Weisheit "suaviter", zart, angenehm, lieb (Aus diesem Wort sind lat. auch küssen und Kuss gebildet).
Ich verstehe meine Äußerungen nicht als fanatisches Christentum, sondern als Liebespflicht, nicht zu verkleinern, was groß ist, und den Menschen nicht vorzuenthalten, was entdeckt wurde. Und im Sinn von "Das Christentum ist noch jeden Augenblick möglich" (Nietzsche).

Ludwig Weimer

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

12.05.2014 06:44
#19 RE: Letztendlich dem Universum egal? Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #18

Die integre Gruppe gibt es übrigens; meine Kath. Kirche verlangt einerseits von allen Mitgliedern ein heiliges Leben (die reformierten Kirchen sind da pessimistischer: alle bleiben immer Sünder, auch wenn sie gerechtfertigt sind durch das Leiden Jesu für die Menschen), andererseits führt sie eine Liste, wo sie bekanntere Personen als Heilige und Vorbilder ehrt und im Heiligenkalender memorieren lässt (es sind, meine ich derzeit schon ziemlich über 4000), und sie rechnet zusätzlich die unbekannten vielen kleinen Leute beim Fest "Allerheiligen" hinzu.

Vielen Dank für Ihre Antwort, lieber Ludwig Weimer,

allerdings erhält meine agnostische Skepsis immer wieder Nahrung durch Informationen wie die in diesem Artikel beschriebenen:
http://www.welt.de/vermischtes/article11...er-Teresa.html#
Was für mich dann bleibt, ist der Satz: "Tutti i santi hanno i loro difetti."
Und nicht nur das. Ich vergleiche. Beispielsweise mit dem Wirken derer, die zu ihren finanziellen Gewinnen stehen und sie dennoch in den Dienst am Wohl der Menschheit geben - und sich dabei (natürlich) auch der Kritik ausgesetzt sehen. http://de.wikipedia.org/wiki/Bill_%26_Me...ates_Foundation

Viele Grüße, Erling Plaethe

Simon Offline



Beiträge: 334

12.05.2014 12:29
#20 RE: Letztendlich dem Universum egal? Antworten

Erkenntnisklitterung

Wir sind wieder so weit, dass (ehemalige) Christen aufeinander schießen. Das ist nicht egal.

Es ist egal.
Die Geschichte geht weiter. Auch ohne den Willen des homo sapiens A. wie Adam, den Erdenmann.
Auch ohne den Atem, den Geist, der ihm eingegeben ist. Wie auf der Orgel: cluster auf cluster.
Die Orgel spielt sich selbst.

Ein Geist-, ein Willensbefähiger ist nicht „beweisbar“ auszumachen, da sollte man fair sein:
gegenüber dem Agnostiker und dem, der glaubt. Oder sollte man sagen: ...dem, der glauben will?
Aber wo verbleibt dann Gott?, schreien beide unisono: Der eine Logik-versessen und auf staatspolitische Macht-Verhältnisse setzend, der andere, prinzipientreu - polymath, an der bestehenden „Hoffnung“ - aufgrund von anhaltenden Versäumnissen - beinahe irre werdend und trozdem penibel das Wie des verborgenen Gottes in der Welt erklären wollend. -

Sollte man doch noch einen Himmel der Tiere einrichten – auf Erden natürlich -,
bevor die Welt zugrunde geht? Der Mensch hätte dort gefälligst draußen zu bleiben.
„Brav sein“ müsste der Dackel dort auch nicht – es sei denn, er wäre final dressiert.
Und dann – es wäre aus dieser Sicht egal - wann und wie Mensch und Vieh zugrunde gehen:
vom Vieh, final dressiert, auf den Knopf gedrückt oder primitiv: aus Unachtsamkeit. -


Auf gelegentlichen Spaziergängen durch städtische Anlagen meines Wohnorts begegne ich fast regelmäßig einem Türken, dessen Söhne nach seiner stolzen Aussage Anwärter auf aussichtsreiche Berufe sind. Er verrichtet – fachfremd: er war Tischler - „brav“ seine Arbeit im deutschen Stadtgarten. Dass er Türke und Moslem ist, hat er mir erst nach längerem Abtasten in gelegentlichen Gesprächen anvertraut. Er versicherte, dass er gern arbeite und sich wohl fühle an der frischen Luft. -
Kürzlich offenbarte er mir, er werde mit seiner Familie wieder in die Türkei zurückkehren. - Wieso? Aus welchem Grund? - Er sieht sich ängstlich um und vergewissert sich, dass niemand zuhört: „Hier heiratet Mann mit Mann!“ -
Ist dieser Mann nur naiv? Oder drückt sich in dessen lakonischer Antwort vielmehr die geballte perverse Schwäche des gebildeten Westens aus – egal, ob er sich in einer Präambel auf einen Gott oder diffuse Werte bezieht? -
ArrivederLa
Simon

P.S. Die Bibel kennt den Begriff des „Gerechten“. - Die Gedenkstätte Yad Vaschem in Jerusalem hütet nicht nur das Andenken der Millionen jüdischen Opfer, sondern auch das der „Gerechten unter den Völkern“. Es lohnt sich „nachzuschlagen“, wie bedächtig die Gedenk- und zugleich Forschungsstelle mit der Beurteilung umgeht, welche Voraussetzungen es braucht und ob es dem Menschen überhaupt möglich ist, „gerecht“ zu sein. Umsomehr lohnt es sich wahrzunehmen, was dort – auch statistisch abgesichert – an „heroischem“ Tun nachgewiesen ist. - Meint „Heilig“-Sein in der Katholischen Kirche noch mehr, das Gleiche, oder weniger? Lohnte es sich – im Sinne einer heilsamen Motivierung - angesicht unseres Themas und angesichts der immensen Vorarbeit der Biblischen Erfahrung gepaart mit den jüngsten jüdischen Erfahrungen darüber nachzudenken?

 Sprung  



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