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Dieses Thema hat 6 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Kallias Offline




Beiträge: 2.309

21.12.2014 09:09
Samuel Beckett – Zum 25. Todestag Antworten

Heute jährt sich Samuel Becketts letzter Lebenstag zum 25. Mal. Zur Erinnerung an den Dichter ein Gastbeitrag von Ludwig Weimer.

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.334

21.12.2014 19:18
#2 RE: Samuel Beckett – Zum 25. Todestag Antworten

Zitat Ludwig Weimer


Beckett wollte die Stücke nicht tragisch, sondern komisch-lustig gespielt wissen. Ich habe dies 1967 bei der von ihm inszenierten Aufführung des Endspiels in Berlin selber gesehen. Wo kein Erlöser (hin)kommt, kann nur das Lachen befreien, das alle Grenzen hintergeht, hilft nur ein Galgenhumor, das Schreckliche, die Vergänglichkeit zu überwinden.


Da trifft sich Beckett mit dem Autoren, der für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts den Existentialismus verkörpert*:

http://www.stimmen-der-zeit.de/zeitschri...beitrag=3471188

Franz Kafka lachte beim Vortrag des ersten Kapitels seines "Proceß"-Romans "so sehr, dass er weilchenweise nicht weiterlesen konnte", erinnert sich Max Brod. Als Autor wollte Kafka andere zum Lachen bringen und hat vieles geschrieben, was auf einen komischen Effekt hin berechnet ist. Selbst beim Pessachfest mit der Familie überkamen ihn zwanghafte Lachkrämpfe. Der Beamte Kafka wurde zur Legende durch einen Lachanfall, der ihn bei seiner Ernennung zum Koncipisten der Prager Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt schüttelte


Aber:

Zitat
"Auch der komische Kafka ist lediglich eine Facette. Mag Kafka komisch sein und komisch sein wollen, bleibt er doch Kafka, ein ruheloser, immer aufs neue und fast zwanghaft scheiternder Mensch, ein Schriftsteller, zu dessen Kosmos Folter- und Suizidphantasien gehören, Parabeln unabschließbarer Suche und Maschinen, die durch Schrift töten. Lachen befreit, Kafka nicht"



* Die Vokabel ist mit Bedacht gewählt. Sowohl bei Kafka wie Beckett zeichnet sich "die Welt" durch eine benehmende Schäbigkeit, durch Brüchigkeit aus, der nur durch das Wegstreichen alles Konkreten, der Reduktion auf reine Abstrakta ohne Ort und Zeit beizukommen scheint (eine Fluchtbewegung, die natürlich aussichtlos ist) - & dem Trieb, vom Körper weg zu einer rein geistigen Regung, einer im Nichts zu sich selber sprechenden Stimme. In gewisser Weise, so könnte man sagen, vertreten sowohl Kafka wie Beckett die Welt- & Leibfeindlichkeit, die dem Christentum seit jeher nachgesagt wird, in letzter Konsequenz: nämlich nach dem Tod Gottes & der Aussicht auf eine wie immer geartete Transzendenz. Eine atheistische Haltung ist dies nicht - zumindest keine bewohnbare: Wer davon ausgeht, daß es sich dabei um Chimären, um Illusionen (seien es tröstliche, seien es schädliche) handelt, tut nicht gut daran, seinen Lebenssinn darin zu suchen, sich an der Haltlosigkeit dieser Versprechen abzuarbeiten.

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

21.12.2014 19:40
#3 RE: Samuel Beckett – Zum 25. Todestag Antworten

Ja, lieber Herr Elkmann,


"In gewisser Weise, so könnte man sagen, vertreten sowohl Kafka wie Beckett die Welt- & Leibfeindlichkeit, die dem Christentum seit jeher nachgesagt wird, in letzter Konsequenz: nämlich nach dem Tod Gottes & der Aussicht auf eine wie immer geartete Transzendenz. Eine atheistische Haltung ist dies nicht - zumindest keine bewohnbare."
Sie haben das schön formuliert "nachgesagt": Das bedeutet, die Wirklichkeit als Wahrheit ist vielleicht ein wenig anders, sollte anders sein.

Ich denke, Beckett kritisierte ein Christentum, das kein authentisches war, sondern in seiner Praktizierung abgesunken war zu einer bloßen unkatholischen und leibfeindlichen ‚Jenseits-Religion‘, so dass die Bibel und die Dogmen der Kirchen zur unverständlichen Sprache geworden waren.

Ihnen ein frohes Fest wünschend
Ludwig Weimer

Daska Offline




Beiträge: 245

21.12.2014 20:31
#4 RE: Samuel Beckett – Zum 25. Todestag Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #3
Ja, lieber Herr Elkmann,


"In gewisser Weise, so könnte man sagen, vertreten sowohl Kafka wie Beckett die Welt- & Leibfeindlichkeit, die dem Christentum seit jeher nachgesagt wird, in letzter Konsequenz: nämlich nach dem Tod Gottes & der Aussicht auf eine wie immer geartete Transzendenz. Eine atheistische Haltung ist dies nicht - zumindest keine bewohnbare."
Sie haben das schön formuliert "nachgesagt": Das bedeutet, die Wirklichkeit als Wahrheit ist vielleicht ein wenig anders, sollte anders sein.

Ich denke, Beckett kritisierte ein Christentum, das kein authentisches war, sondern in seiner Praktizierung abgesunken war zu einer bloßen unkatholischen und leibfeindlichen ‚Jenseits-Religion‘, so dass die Bibel und die Dogmen der Kirchen zur unverständlichen Sprache geworden waren.

Ihnen ein frohes Fest wünschend
Ludwig Weimer


und aus dem Gastbeitrag selbst:

Zitat
Die meisten Zeitgenossen leben nur so in den Tag hinein. Nicht dass sie von der wohligen Lähmung zur Passivität des Vagabunden „Molloy“ angesteckt wären (Roman 1951), denn sie gehen jeden Tag weiter brav zur Arbeit, - oder quälen sie sich dorthin? Wahrscheinlich teilen sie mit Beckett die Sehnsucht nach einem anderen glücklicheren Leben.



Darf ich etwas laut nachdenken? Woher hatte Becket die Erkenntnis, die Sehnsucht, dass alles ganz anders gemeint gewesen sein könnte, als es verstanden und gelebt wurde? Und: Mit seinem steten Warten war Becket ja ziemlich adventlich drauf. Mit seinem Tod am 22.12. hat er Weihnachten nicht mehr erlebt. Wie treffend, ... .
Daska

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

21.12.2014 23:11
#5 RE: Samuel Beckett – Zum 25. Todestag Antworten

Liebe(r) Daska,

"Woher hatte Becket die Erkenntnis, die Sehnsucht", fragen Sie. Ich bin kein Experte und Spezialist, nur Leser. Vielleicht meldet sich ein Kundiger. Sein Leben zeigt Folgenes:

Beckett entstammte einer protestantischen Familie, besuchte in Dublin eine protestantische Schule, seine Mutter war eine praktizierende Kirchgängerin.
Daraus schließe ich: Sein Wissen über die sogenannte Ursünde (=Erbsünde) war entsprechend pessimistisch, wie es dieses Dogma im Unterschied zum optimistischeren katholischen ist. Der 25jährige schrieb in seinem Essay „Proust“: „Tragödie ist die Darstellung einer Sühne, aber nicht einer armseligen Sühne. (…) Die tragische Figur repräsentiert die Sühne der Ursünde, ihrer und ihrer ‚soci malorum‘ ursprünglichen und ewigen Sünde, der Sünde, geboren zu sein.“ Natürlich ist das auch schon nicht mehr protestantischer, sondern zum poetisch-universalen gesteigerter Pessimismus.
Man kann Beckett so deuten, seine Schmerzleider, seine Vagabunden und Krüppel, seine im Dunkel und Schlamm „durch den Erbdreck“ (Prosawerk „Wie es ist“) kriechenden Ichs.
Aber es gibt auch die Komik im Schmerz bei ihm. Und ich persönlich kann ihn nicht anders lesen als einen, der mit der Klage protestiert und hofft. Sonst gäbe man sich nicht die Mühe, auf den Kern der Leiden zu kommen.
Beckett hatte sich engagiert: Seit 1941 aktives Mitglied der Résistance in Paris, Flucht vor der Gestapo, versteckter Landarbeiter. 1945 Freiwilliger für das Rote Kreuz in Irland, dann zurück in Frankreich Dolmetscher in einem Lazarett.
Sein Mitleid mit den Menschen ist sehr groß, man darf sich durch die deftige Sprache nicht täuschen lassen. Ärzte schneiden auch in die Wunde, Propheten verkünden sogar den Untergang und meinen pädagogisch das Gegenteil, die mögliche Rettung.

Ein frohes Weihnachtsfest!

Ludwig Weimer

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.334

18.01.2015 23:58
#6 RE: Samuel Beckett – Zum 25. Todestag Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #2
Da trifft sich Beckett mit dem Autoren, der für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts den Existentialismus verkörpert ... Kafka


Wie es der schiere Zufall will, fiel mir gestern, völlig ungesucht, in die Hände: Dirk Van Hulle & Mark Nixon, "Samuel Beckett's Library" (Oxford University Press, 2006), das, angesichts des fragmentarischen Zustands von Becketts nachgelassener Bibliothek, einen irreführenden Titel trägt & sich mit seiner Lesewelt befasst, wie sie aus Zitaten, Anspielungen im Werk, vor allem aus der Korrespondenz sichtbar wird. Das Buch ist nach Sachgebieten geordnet; nicht überraschend nehmen Theologica einen gewissen (wenn auch nicht überragenden) Raum ein. In Abschnit IV., "German Literature" - Beckett las geläufig Deutsch - heißt es auf S. 100:

Zitat
Beckett's reading of Kafka, or, to be more, precise, the dating of his reading of Kafka has troubled scholars for some time now. It is possible that Beckett would have first encountered Kafka's work in the pages of transition, especially in those issues that carried work by both authors. Between 1928 and 1932, its editor Eugene Jolas, who was an admirer of Kafka, published "Das Urteil", three stories from Beim Bau der chinesischen Mauer and, in three installments, Metamorphosis. It also appears as if Beckett was familiar with the two novels Das Schloss and Der Prozess, as both are mentioned in a letter Beckett wrote to Morris Sinclair advising him on potantial academic research topics (21 October 1945, LSB II 22). The most telling statement of Beckett's response to Kafka is found in a letter he wrote to the translator Hans Neumann:

"All I've read of his, apart from a few short texts, is about three quarters of The Castle, and then in German, that is, losing a great deal. I felt at home, too much so - perhaps that is what stopped me from reading on. Case closed and then ... I remember feeling disturbed by the imperturbable aspect of his [= Kafka's] approach. I am wary of disasters that let themselves be recorded like a statement of accounts." (17 Fenruary 1954; LSB II 464-5)


Ansonsten ist Becketts Begegnung mit deutscher Literatur zumeist über die klassische Musik gelaufen; von Fontane hat er Ellernklipp, Unwiederbringlich & Effi Briest gelesen; die zeitgenössische Abteilung besteht zumeist aus Widmungsexemplaren (d.h. solchen, die die Post ungefragt ins Haus brachte), Goethes Spruch von "ungestraft unter Palmen" kommt in allerlei Variationen in der Korrespondenz vor.

Johanes Offline




Beiträge: 2.588

18.04.2015 17:05
#7 RE: Samuel Beckett – Zum 25. Todestag Antworten

Ich musste bei den Stück "Warten auf Godot" auch lachen, zumindest an einigen Stellen, so absurd-komisch schien mir die Handlung. Natürlich kann ich verstehen, dass es jemanden sehr wehtun muss, die ganze Welt als so sinn- und zielloser Ort zu sehen. Aber die Situation ist doch komisch.
Vor allen Dingen die wenigen Figuren und die räumliche Begrenztheit tragen zur surrealen Komik bei.
Einen anderen Effekt hatte bei mir z. B. das Werk Sartres, aber der ist mit der zugrundeliegenden Problematik auch anders umgegangen.
Nun bin ich kein Experte auf diesen Gebiet und es würde mir vielleicht gut zu Gesicht stehen, zu diesem Thema zu schweigen, aber könnte es nicht sein, dass man zwischen den Existenzialismus auf der einen Seite und den absurden Theater auf der anderen Seite schon unterscheiden muss?

Vielleicht dokumentiert das absurde Theater, dass sich mit dem Thema Sinnlosigkeit und Vergeblichkeit auseinandersetzt nur eine Art Übergangsform, die dann durch ein andere Ersetzt wird? Tauchen beim späten Beckett vielleicht andere Themen auf?
Demnach wäre das erschüttert-absurde Weltbild des absurden Theaters und Kafkas nur eine Vorstufe vor den späteren existenzialistischen Weltbildern von Camus und Sartre, die wieder mehr Fokus auf den freien Menschen als tatkräftigen Macher legen?

Weihnachtlich scheint mir diesen Thema auf jeden Fall zu sein und es passt auch sehr schön zu der Zeit zwischen den Jahren, wo man zugleich zurückschaut, feiert und in die Zukunft blickt. Für nur wenige Leute ist das neue Jahr eine echte Cäsur und die meisten Neujahrsgrundsätze werden spätestens Mitte Januar über Board geworfen, doch gemahnt uns das Jahresende: Was hab ich erreicht? Wo geh ich hin?

Verzeiht mir mein Fehl!

Herzlichst,

Johanes

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