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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 47 Antworten
und wurde 5.245 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2
R.A. Offline



Beiträge: 8.171

14.03.2015 11:18
Neo-Kolonialismus Antworten

Aus aktuellem Anlaß.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

14.03.2015 12:06
#2 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #1
Aus aktuellem Anlaß.

Ich weiß, Du magst keine Lobhudelei, lieber R.A., trotzdem: Danke! Super Beitrag.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

14.03.2015 12:43
#3 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Schwieriges Thema, lieber R.A. . Ich habe ja ein paar Jahre im Textilhandel gearbeitet, und das, was Du Kolonialismus nennst, ist in gewisser Hinsicht durchaus berechtigt.

Das Problem ist, dass es in asiatischen Textilfirmen oft an elementarem Sicherheitsbewusstsein fehlt. Der CSR Representative for Asia eines großen deutschen Handelskonzerns hat mir von einem Besuch in so einem Werk erzählt. Das war im Prinzip eine große Halle mit langen Tischen, auf denen die Arbeitsplätze mit den Nähmaschinen waren, dazwischen schmale Gänge. Fluchtweg: Fehlanzeige. Auf den Hinweis, dass die Arbeiterinnen an den nahe zur Wand gelegenen Arbeitsplätzen im Brandfall kaum eine Überlebenschance haben, war der Werksleiter völlig schockiert und versicherte glaubhaft, dass ihm das gar nicht bewusst gewesen ist. Und wo viel Baumwolle ist, brennts manchmal schneller, als man schauen kann.

Das liegt oft nicht mal an böser Absicht oder an größeren Ausbeutungserwartungen der Eigentümer, sondern einfach an fehlenden Standards und dem Bewusstsein dafür.

Sich dabei auf die Behörden und Gesetze vor Ort zu verlassen ist schwierig. Es st oft schon nicht möglich, die Subs und Sub-Subs von so einem Lieferanten zu finden. Und ein Handelsunternehmen in Europa, das einen Ruf in einem sowieso umstrittenen Bereich zu verlieren hat tut gut daran, vor Ort gewisse Standards durchzusetzen.

Der hier vorliegende Fall ist ein spezieller, weil es sich gar nicht um einen Unfall gehandelt hat, und es ist nachvollziehbar, dass kik irgendwo eine Grenze erreicht sieht. Und natürlich ist die Klage eine Symbolaktion. Aber soll man deswegen generell sagen "die Zustände bei meinem Lieferanten gehen mich nix an und sind Sache der pakistanischen Gewerbeaufsicht - alles andere ist Kolonialismus"? Das wird der besonderen Situation der Branche nicht gerecht.

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

14.03.2015 13:08
#4 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #3
Das Problem ist, dass es in asiatischen Textilfirmen oft an elementarem Sicherheitsbewusstsein fehlt.

Ganz sicher. Die Sicherheitsbestimmungen dort sind lausig bzw. werden oft nicht eingehalten, es fehlt an vielen Punkten an elementaren Sachen.
Und natürlich wünsche ich den Leuten dort, daß sich die Verhältnisse verbessern und daß Unfälle dieser Art nicht mehr vorkommen.

Trotzdem: Das KANN nicht unsere Verantwortung sein. Die Problem dort können nur von den Leuten selber gelöst werden. Dabei kann man Hilfestellung leisten, z. B. Expertise liefern - wenn sie angefordert wird von Leuten, die das auch wirklich umsetzen wollen.

Zitat
Sich dabei auf die Behörden und Gesetze vor Ort zu verlassen ist schwierig.


Aber der einzige gangbare Weg. Denn so erreicht man ohnehin nur einige wenige Betriebe, deren Kunden bekannt genug sind, um Druck aufzubauen. Dann werden diese Betriebe vielleicht etwas besser, aber an der übrigen Misere ändert sich erst recht nichts. Es ist völlig unmöglich, von Europa aus generell die Arbeitsbedingungen in Pakistan und der übrigen dritten Welt zu überwachen.

Zitat
Aber soll man deswegen generell sagen "die Zustände bei meinem Lieferanten gehen mich nix an und sind Sache der pakistanischen Gewerbeaufsicht - alles andere ist Kolonialismus"?


Das muß man wohl leider. Auch wenn das im Einzelfall schmerzt.
Denn mit dieser kolonialistischen Vorgehensweise kann man nur einige Äußerlichkeiten ändern (die durchaus natürlich einen Unterschied machen), aber nicht die Denke. Und echte Änderungen können nur kommen, wenn die Leute vor Ort die Probleme selber erkennen und sie abstellen wollen.


Im übrigen: Sollte das Vorgehen gegen KIK doch erfolgreich sein, dann droht noch eine andere Gefahr. Nämlich daß dann der Präzedenzfall geschaffen wird, um noch weitere deutsche Vorstellungen vor Ort durchzudrücken. Bis hin zum Gender-Beauftragten, dem freigestellten Betriebsrat und "nicht-ausbeuterischer" Entlohnung nach deutschem Standard.
Mit anderen Worten: Man sabotiert genau die Kostenvorteile, die diese Betriebe überhaupt konkurrenzfähig halten. Am Ende hat man dann wie beim Mindestlohn: Alle "Probleme" gelöst, und die Betroffenen sind dann nicht mehr zu schlechten Bedingungen Ausgebeutete, sondern Arbeitslose.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

14.03.2015 13:24
#5 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #3

Das Problem ist, dass es in asiatischen Textilfirmen oft an elementarem Sicherheitsbewusstsein fehlt. Der CSR Representative for Asia eines großen deutschen Handelskonzerns hat mir von einem Besuch in so einem Werk erzählt. Das war im Prinzip eine große Halle mit langen Tischen, auf denen die Arbeitsplätze mit den Nähmaschinen waren, dazwischen schmale Gänge. Fluchtweg: Fehlanzeige. Auf den Hinweis, dass die Arbeiterinnen an den nahe zur Wand gelegenen Arbeitsplätzen im Brandfall kaum eine Überlebenschance haben, war der Werksleiter völlig schockiert und versicherte glaubhaft, dass ihm das gar nicht bewusst gewesen ist. Und wo viel Baumwolle ist, brennts manchmal schneller, als man schauen kann.

Das liegt oft nicht mal an böser Absicht oder an größeren Ausbeutungserwartungen der Eigentümer, sondern einfach an fehlenden Standards und dem Bewusstsein dafür.

Wenn wir allerdings meinen das Maß aller Dinge in Bezug auf Standards zu sein, vergessen wir brachliegende Flughäfen und Philharmonien, enorme Baukosten und endlose Bauzeiten. Unser Sicherheitsbewusstsein ist unser größtes Handicap geworden.

Zitat von http://www.morgenpost.de/berlin/article1...-Auftraege.html
Ein Beispiel dafür ist die U-Bahn-Baustelle vor der Deutschen Oper, wo für den nächsten Bauabschnitt Absperrzäune auf der Bismarckstraße verschoben werden mussten. Für die Genehmigung benötigte die VLB mehr als zwei Monate.


In der Zeit wird anderswo ein kompletter Wolkenkratzer gebaut.http://www.welt.de/videos/article1382915...n-19-Tagen.html

Viele Grüße, Erling Plaethe

adder Offline




Beiträge: 1.073

14.03.2015 13:28
#6 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #4
Zitat von Meister Petz im Beitrag #3
Das Problem ist, dass es in asiatischen Textilfirmen oft an elementarem Sicherheitsbewusstsein fehlt.

Ganz sicher. Die Sicherheitsbestimmungen dort sind lausig bzw. werden oft nicht eingehalten, es fehlt an vielen Punkten an elementaren Sachen.
Und natürlich wünsche ich den Leuten dort, daß sich die Verhältnisse verbessern und daß Unfälle dieser Art nicht mehr vorkommen.

Trotzdem: Das KANN nicht unsere Verantwortung sein. Die Problem dort können nur von den Leuten selber gelöst werden. Dabei kann man Hilfestellung leisten, z. B. Expertise liefern - wenn sie angefordert wird von Leuten, die das auch wirklich umsetzen wollen.


Als Mitarbeiter einer großen Firma, die sehr viel Wert auf Corporate Social Responsibility und Compliance legt, kann ich nur sagen: doch, wenn man mit solchen Firmen zusammenarbeitet, obwohl man von konkreten Problemen bei dieser Firma weiß, ist man auch dafür verantwortlich. Man kann nämlich etwas machen - und sei es nur, den Vertrag nicht abzuschließen oder zu kündigen.

Zitat

Zitat
Sich dabei auf die Behörden und Gesetze vor Ort zu verlassen ist schwierig.


Aber der einzige gangbare Weg. Denn so erreicht man ohnehin nur einige wenige Betriebe, deren Kunden bekannt genug sind, um Druck aufzubauen. Dann werden diese Betriebe vielleicht etwas besser, aber an der übrigen Misere ändert sich erst recht nichts. Es ist völlig unmöglich, von Europa aus generell die Arbeitsbedingungen in Pakistan und der übrigen dritten Welt zu überwachen.




Eine Firma, die einen Vertrag mit einer Zulieferer- oder Fertigungsfirma in einem Schwellen- oder Drittweltland abschließt, sollte immer die Herstellungsstätten auditieren. Wenn alles zumindest örtlichen Regularien entspricht, und bestimmte zusätzlich von der westlichen Firma gewünschte Standards per Vertrag und entsprechenden Zahlungen ermöglicht werden, spricht nichts gegen eine Zusammenarbeit. Bekommt man aber gar nicht erst die Fertigungshalle zu sehen, dann sollte man den Vertrag gleich zerreissen. Viel zu gefährlich für das eigene Image - und auch aus dem Integritätsprinzip nicht verantwortbar.

Zitat
Das muß man wohl leider. Auch wenn das im Einzelfall schmerzt.
Denn mit dieser kolonialistischen Vorgehensweise kann man nur einige Äußerlichkeiten ändern (die durchaus natürlich einen Unterschied machen), aber nicht die Denke. Und echte Änderungen können nur kommen, wenn die Leute vor Ort die Probleme selber erkennen und sie abstellen wollen.



Nein, wenn man Verträge schließt, kann man die Bedingungen verhandeln. Daher geht eine Änderung für den konkreten Fall natürlich schon.


Zitat
Im übrigen: Sollte das Vorgehen gegen KIK doch erfolgreich sein, dann droht noch eine andere Gefahr. Nämlich daß dann der Präzedenzfall geschaffen wird, um noch weitere deutsche Vorstellungen vor Ort durchzudrücken. Bis hin zum Gender-Beauftragten, dem freigestellten Betriebsrat und "nicht-ausbeuterischer" Entlohnung nach deutschem Standard.
Mit anderen Worten: Man sabotiert genau die Kostenvorteile, die diese Betriebe überhaupt konkurrenzfähig halten. Am Ende hat man dann wie beim Mindestlohn: Alle "Probleme" gelöst, und die Betroffenen sind dann nicht mehr zu schlechten Bedingungen Ausgebeutete, sondern Arbeitslose.



Die Klage hingegen finde ich unsinnig - es sei denn, KiK hätte die Bedingungen fahrlässig oder vorsätzlich nicht nur in Kauf genommen, sondern auch noch ermutigt.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

14.03.2015 13:37
#7 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #4
Trotzdem: Das KANN nicht unsere Verantwortung sein. Die Problem dort können nur von den Leuten selber gelöst werden. Dabei kann man Hilfestellung leisten, z. B. Expertise liefern - wenn sie angefordert wird von Leuten, die das auch wirklich umsetzen wollen.

Hm, Verantwortung ist vielleicht hochgegriffen. Wobei - bei militärischen Interventionen wird genau diese als Begründung genannt. Lass es uns neutral eine Aufgabe nennen.

Mir geht es ja gar nicht darum, dass die "westliche Konsumgesellschaft" diese Zustände verursacht oder unterstützt. Aber rein aus humanitären Gründen finde ich es durchaus eine gute Sache.
Zitat von R.A. im Beitrag #4

Zitat
Sich dabei auf die Behörden und Gesetze vor Ort zu verlassen ist schwierig.

Aber der einzige gangbare Weg. Denn so erreicht man ohnehin nur einige wenige Betriebe, deren Kunden bekannt genug sind, um Druck aufzubauen. Dann werden diese Betriebe vielleicht etwas besser, aber an der übrigen Misere ändert sich erst recht nichts. Es ist völlig unmöglich, von Europa aus generell die Arbeitsbedingungen in Pakistan und der übrigen dritten Welt zu überwachen.

Zitat
Aber soll man deswegen generell sagen "die Zustände bei meinem Lieferanten gehen mich nix an und sind Sache der pakistanischen Gewerbeaufsicht - alles andere ist Kolonialismus"?


Das muß man wohl leider. Auch wenn das im Einzelfall schmerzt.
Denn mit dieser kolonialistischen Vorgehensweise kann man nur einige Äußerlichkeiten ändern (die durchaus natürlich einen Unterschied machen), aber nicht die Denke. Und echte Änderungen können nur kommen, wenn die Leute vor Ort die Probleme selber erkennen und sie abstellen wollen.



Der Druck der Kunden ist durchaus eine gute Sache. Denn dadurch entsteht das Bewusstsein, und wenn in einigen Unternehmen die Bedingungen besser sind, kann das nur gut für die Standards sein, weil dann die Forderungen erst entstehen.

Überleg mal: Ist es weniger kolonialistisch anzunehmen, dass die da unten ja so unterentwickelt sind, dass sie kein Interesse daran haben, dass sich was ändert? Bzw., dass die Arbeiter so verzweifelt sind, dass sie dankbar sind, unter miesen Bedingungen zu arbeiten.

Zitat
Im übrigen: Sollte das Vorgehen gegen KIK doch erfolgreich sein, dann droht noch eine andere Gefahr. Nämlich daß dann der Präzedenzfall geschaffen wird, um noch weitere deutsche Vorstellungen vor Ort durchzudrücken. Bis hin zum Gender-Beauftragten, dem freigestellten Betriebsrat und "nicht-ausbeuterischer" Entlohnung nach deutschem Standard,


Ich wünsche mir gar nicht, dass es Erfolg hat. Aber man muss auch nicht so verschreckt dvon sein, jede Bemühung, bessere Standards durchzusetzen, als Kolonialismus abzutun. Dann lassen wir Putin, den IS und die Hamas auch weitermachen. Und wenn die Unternehmen das machen, liegt es oft auch im eigenen Interesse - einen Kinderarbeitsskandal fürchtet die Branche wie sonst wenige Sachen

Zitat
Mit anderen Worten: Man sabotiert genau die Kostenvorteile, die diese Betriebe überhaupt konkurrenzfähig halten. Am Ende hat man dann wie beim Mindestlohn: Alle "Probleme" gelöst, und die Betroffenen sind dann nicht mehr zu schlechten Bedingungen Ausgebeutete, sondern Arbeitslose.


Wenn Du Dir mein Beispiel anschaust, geht es da gar nicht um Kosten - im Gegenteil, der Nutzen steigt oft ohne messbaren Aufwand.

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

14.03.2015 14:35
#8 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat
Ist es weniger kolonialistisch anzunehmen, dass die da unten ja so unterentwickelt sind, dass sie kein Interesse daran haben, dass sich was ändert? Bzw., dass die Arbeiter so verzweifelt sind, dass sie dankbar sind, unter miesen Bedingungen zu arbeiten.



Die sind offenbar so verzweifelt, sonst würden die da wohl nicht in Massen arbeiten. Eine moralische Bewertung dieser sachlichen Festellung ("kolonialistisch") halte ich für verfehlt.

Druck die Bedingungen noch besser zu machen kann aber natürlich trotzdem sinnvoll sein.

______________________________________________________________________________

“Being right too soon is socially unacceptable.”
― Robert A. Heinlein

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

14.03.2015 14:44
#9 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat von Techniknörgler im Beitrag #8
Zitat: Die sind offenbar so verzweifelt, sonst würden die da wohl nicht in Massen arbeiten. Eine moralische Bewertung dieser sachlichen Festellung ("kolonialistisch") halte ich für verfehlt.

Gegen die sachliche Feststellung, dass da Menschen arbeiten, habe ich ja gar nichts. Nur gegen den Subtext, dass sie das auch tun würden, wenn sie die Wahl hätten.

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

Llarian Offline



Beiträge: 6.920

14.03.2015 15:04
#10 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #7
Mir geht es ja gar nicht darum, dass die "westliche Konsumgesellschaft" diese Zustände verursacht oder unterstützt. Aber rein aus humanitären Gründen finde ich es durchaus eine gute Sache.

Ist es denn besser, wenn die Leute verhungern, lieber Petz ? Denn nichts anderes ist am Ende die Alternative. Westliche Standards sind eine tolle Sache: Standards für Sicherheit, Standard für Umweltverschmutzung, Standards für Arbeiterbehandlung, Standards für alles mögliche. Diesen Standards ist vor allem eins gemein: Sie kosten Geld. Dieses Geld, diese Kosten, sind am Ende der Standortnachteil den Deutschland gegenüber Pakistan hat, oder, von anderer Seite betrachtet: Das nicht Vorhandensein dieser Standards ist der (einzige) Wettbewerbsvorteil Pakistans.
Würde sich Pakistan nach deutschen Standards richten, dann wäre Kleidgung aus Deutschland (!) weit billiger als aus Pakistan, denn hier kommt als Standortvorteil die Infrastruktur, die Qualifikation der Mitarbeiter, die politische Stabilität, ja selbst das Klima zur Sprache. Unter diesen Bedingungen hat die Fabrik in Pakistan genau null Chance. Und das Ergebnis ist, dass die Fabrik in Pakistan schliesst und am Ende die Menschen im sprichwörtlichen Sinne verhungern.

Man sollte sich durchaus bewusst sein, dass der Wohlstand Deutschlands nicht auf Standards aufgebaut ist sondern nicht zuletzt darauf, dass es diese Standards eben früher nicht gegeben hat. Mit den heutigen Umwelt- und Arbeitsschutzgesetzen hätte es eine industrielle Revolution nie gegeben. Sie anderen mit Hinweis darauf zu verwehren sehe ich tatsächlich als ein bischen bigott an. Denn ganz doof gesprochen: Die Pakistanis sind auch nicht blöde. Die lesen auch Zeitung und wissen, dass Leute in solchen Sweat-Shops sterben. Und arbeiten dort trotzdem. Weil es besser ist dort zu schwitzen als auf dem Land zu verhungern. Wenn wir die furchtbaren Verhältnisse für Arbeiter während der industriellen Revolution in Europa sehen, dann darf man nicht vergessen, dass das die bessere (!) Alternative gegen das Verhungern auf dem Land gewesen ist.

Ich finde die Verhältnisse in Pakistan ebenso furchtbar, wie wohl alle Anwesenden. Ich sehe nur in europäischen Standards keine Antwort auf diese Not. Ganz im Gegenteil. Europäische Standards dort unten durchzusetzen entspricht vor allem der Garantie (!), das die Verhältnisse morgen dort noch nicht besser sind, allenfalls noch schlechter.

Zitat
Bzw., dass die Arbeiter so verzweifelt sind, dass sie dankbar sind, unter miesen Bedingungen zu arbeiten.


Davon bin ich zutiefst überzeugt. Ich war noch nie in Pakistan. Aber in Afrika habe ich tatsächlich mal echte Armut gesehen. Nicht dieses Zerrbild, dass man hier versucht als solche zu verkaufen, weil sich jemand nur eine kleine Mietwohnung und kein Haus leisten kann. Echte Armut. Und ich bin ganz sicher, dass viele dieser Menschen liebend gerne unter solchen Bedingungen gearbeitet hätten.

Zitat
Wenn Du Dir mein Beispiel anschaust, geht es da gar nicht um Kosten - im Gegenteil, der Nutzen steigt oft ohne messbaren Aufwand.


Was am Ende unterstellt, dass die Pakistanis zu blöde sind. Das sind sie aber nicht. Da wo man mit minimalen Kosten viel erreichen kann, passiert das auch in Pakistan. Schon alleine weil ein Feuer auch eine Menge Kosten verursacht. Das Problem ist um einen echten Arbeitsschutz zu erhalten, wie er uns Europäern als normal erscheint, kannst Du erst einmal ganz andere Kosten ansetzen. Wie gesagt: Die Pakistanis sind nicht blöde. Fabrikbesitzer, Prokuristen und Ingenieure aus Pakistan haben auch studiert. Die kalkulieren ihre Kosten schon sehr genau und Unmenschen sind es mit aller Sicherheit auch nicht. Wenn die auf Arbeitsschutz verzichten dann hat das handfeste Gründe.

moise trumpeter Offline



Beiträge: 236

14.03.2015 15:10
#11 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #9
Zitat von Techniknörgler im Beitrag #8
Zitat: Die sind offenbar so verzweifelt, sonst würden die da wohl nicht in Massen arbeiten. Eine moralische Bewertung dieser sachlichen Festellung ("kolonialistisch") halte ich für verfehlt.

Gegen die sachliche Feststellung, dass da Menschen arbeiten, habe ich ja gar nichts. Nur gegen den Subtext, dass sie das auch tun würden, wenn sie die Wahl hätten.

Gruß Petz


Mal gut österreichisch angesetzt,sie haben die Wahl und offensichtlich ziehen sie die Arbeit in diesen Fabriken den bestehenden Alternativen vor. Zusammen mit dem Preisbewusstsein der westlichen Konsumenten führt dies zu den derzeitigen Zuständen bei der Produktion von Bekleidung und Schuhwerk in Entwicklungsländern. Markt ist Markt und Moral kann man nicht essen.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

14.03.2015 15:19
#12 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #10
Zitat von Meister Petz im Beitrag #7
Mir geht es ja gar nicht darum, dass die "westliche Konsumgesellschaft" diese Zustände verursacht oder unterstützt. Aber rein aus humanitären Gründen finde ich es durchaus eine gute Sache.

Ist es denn besser, wenn die Leute verhungern, lieber Petz ? Denn nichts anderes ist am Ende die Alternative. Westliche Standards sind eine tolle Sache: Standards für Sicherheit, Standard für Umweltverschmutzung, Standards für Arbeiterbehandlung, Standards für alles mögliche. Diesen Standards ist vor allem eins gemein: Sie kosten Geld. Dieses Geld, diese Kosten, sind am Ende der Standortnachteil den Deutschland gegenüber Pakistan hat, oder, von anderer Seite betrachtet: Das nicht Vorhandensein dieser Standards ist der (einzige) Wettbewerbsvorteil Pakistans.
Würde sich Pakistan nach deutschen Standards richten, dann wäre Kleidgung aus Deutschland (!) weit billiger als aus Pakistan, denn hier kommt als Standortvorteil die Infrastruktur, die Qualifikation der Mitarbeiter, die politische Stabilität, ja selbst das Klima zur Sprache. Unter diesen Bedingungen hat die Fabrik in Pakistan genau null Chance. Und das Ergebnis ist, dass die Fabrik in Pakistan schliesst und am Ende die Menschen im sprichwörtlichen Sinne verhungern.

Genau. Darin zeigt sich auch der eigentliche Sinn der vielen tollen Standards. Ihre Setzungen sind mittlerweile das Mittel der Wahl den Protektionismus auszuweiten und den Freihandel einzuschränken. Alles Bestrebungen die sie als neokolonialistisch zu bezeichnen, den Nagel auf den Kopf trifft. Genau diese Tradition wird fortgesetzt, nur mit dem Anstrich einer geheuchelten Sorge um das Wohl der Arbeiter.
Adder hat zwar völlig recht damit, dass Firmen natürlich ihren möglichen Einfluss auf akzeptable Arbeitsbedingungen bei den Tochterfirmen geltend machen sollten. Nur kann das nicht soweit gehen, dass diese sich zu Arbeitsministern im Außeneinsatz aufspielen.
Es müssen einfach auch mal die landesüblichen Gepflogenheiten akzeptiert werden. Und selbst in Deutschland kann kaum einer der Geld verdienen will, sich nach den mittlerweile abstrusen Arbeitsvorschriften richten.
Oder er landet bspw. als Pilot dann eben nicht am Zielflughafen, sondern da wo er pünktlich Feierabend machen kann.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

14.03.2015 15:26
#13 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #10
Zitat von Meister Petz im Beitrag #7
Mir geht es ja gar nicht darum, dass die "westliche Konsumgesellschaft" diese Zustände verursacht oder unterstützt. Aber rein aus humanitären Gründen finde ich es durchaus eine gute Sache.

Ist es denn besser, wenn die Leute verhungern, lieber Petz ? Denn nichts anderes ist am Ende die Alternative. (...)

Es geht ja nicht um westliche Standards, sondern um überhaupt welche. Ich bin mir sicher, dass die von mir beschriebene Arbeitsstätte (ich weiß nicht mehr, in welchem Land sie war), auch nach dortigen Sicherheitsbestimmungen problematisch war.

Und ich glaube nicht, dass die Pakistanischen Ingenieure und Fabrikbesitzer blöde sind und nicht studiert haben. Aber wir reden hier nicht über ein Hightech-Cluster in Karachi, sondern vorrangig über kleine Klitschen mit 20 oder 50 Leuten auf irgendeinem Kaff in der Provinz, die ihre Produkte über 2, 3 Zwischenhändler an den abliefern, der studiert hat und mit dem Kunden im Westen verhandelt. Du kannst die Textilherstellung nicht mit der Technologiebranche vergleichen.

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

14.03.2015 15:37
#14 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #12
Es müssen einfach auch mal die landesüblichen Gepflogenheiten akzeptiert werden.

Was ich nicht verstehe: Wieso vertretet ihr alle in der Wirtschaft eine Meinung, die ihr im politischen Bereich bekämpft? Das ist doch der gleiche Kulturrelativismus, mit dem Frau Roth Hinrichtungen von Ehebrecherinnen im Iran verharmlost.

Zitat
Adder hat zwar völlig recht damit, dass Firmen natürlich ihren möglichen Einfluss auf akzeptable Arbeitsbedingungen bei den Tochterfirmen geltend machen sollten. Nur kann das nicht soweit gehen, dass diese sich zu Arbeitsministern im Außeneinsatz aufspielen.


Mehr habe ich auch nicht verlangt. Aber noch mal extra: Es geht nicht um EU-Standards und ich will auch keinen Genderbeauftragten. Trotzdem ist es im Interesse aller Beteiligten, die Bedingungen zu verbessern. Und wenn die Vertragspartner dafür sorgen, ist es wesentlich effektiver als die Behörden in Ländern mit einem dreistellingen Platz im Korruptionsranking.

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

Llarian Offline



Beiträge: 6.920

14.03.2015 16:04
#15 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #13
Es geht ja nicht um westliche Standards, sondern um überhaupt welche. Ich bin mir sicher, dass die von mir beschriebene Arbeitsstätte (ich weiß nicht mehr, in welchem Land sie war), auch nach dortigen Sicherheitsbestimmungen problematisch war.

Dann ist es znächst einmal Sache der pakistanischen Justiz dagegen vorzugehen. Ich habe vernommen das die deutlich heftiger drauf sind als ihre deutschen Pendants.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #14
Was ich nicht verstehe: Wieso vertretet ihr alle in der Wirtschaft eine Meinung, die ihr im politischen Bereich bekämpft? Das ist doch der gleiche Kulturrelativismus, mit dem Frau Roth Hinrichtungen von Ehebrecherinnen im Iran verharmlost.

Zunächst glaube ich nicht, dass man irgendjemanden in Deutschland verklagen kann, weil im Iran eine Ehebrecherin hingerichtet wird. Zum anderen sehe ich hier eine klare Alternative: Das Steinigen von Ehebrecherinnen (oder Ermorden von Homosexuellen an Baukränen) ist kein Standortvorteil. Es ist auch zum Überleben nicht notwendig. Zu schlechten Arbeitsbedingungen in Ländern die wenig Infrastruktur und Bildung aufweisen, sehe ich wenig Alternativen. Aber mir ist nicht klar wie man mit der Scharia in der Hand das Verhungern verhindert.

Zitat
Trotzdem ist es im Interesse aller Beteiligten, die Bedingungen zu verbessern.


Und wo ist da die Grenze ? Es wird doch am Ende nie genug sein, wenn es nach unseren Weltverbesserern geht, dann ist ein Billonstel Gramm von einem Schadstoff ein Riesenskandal. Wo ist die Grenze ?

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

14.03.2015 16:09
#16 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #14
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #12
Es müssen einfach auch mal die landesüblichen Gepflogenheiten akzeptiert werden.

Was ich nicht verstehe: Wieso vertretet ihr alle in der Wirtschaft eine Meinung, die ihr im politischen Bereich bekämpft? Das ist doch der gleiche Kulturrelativismus, mit dem Frau Roth Hinrichtungen von Ehebrecherinnen im Iran verharmlost.

Zitat
Adder hat zwar völlig recht damit, dass Firmen natürlich ihren möglichen Einfluss auf akzeptable Arbeitsbedingungen bei den Tochterfirmen geltend machen sollten. Nur kann das nicht soweit gehen, dass diese sich zu Arbeitsministern im Außeneinsatz aufspielen.

Mehr habe ich auch nicht verlangt. Aber noch mal extra: Es geht nicht um EU-Standards und ich will auch keinen Genderbeauftragten. Trotzdem ist es im Interesse aller Beteiligten, die Bedingungen zu verbessern. Und wenn die Vertragspartner dafür sorgen, ist es wesentlich effektiver als die Behörden in Ländern mit einem dreistellingen Platz im Korruptionsranking.

Gruß Petz



Das mag zynisch sein, lieber Petz, aber wenn es (gegenwärtig) im Interesse aller Vertragspartner läge, dann wäre es wohl bereits gängige Praxis. So sehr ich Deine Argumente nachvollziehen kann, ich glaube es gibt nur eine (langfristige) Lösung: in Pakistan (und anderen Schwellen- und Dritteweltländern) müssen derart breite Bevölkerungsschichten einen substanziellen Wohlstand aufbauen, daß sich die Menschen dann von alleine Gedanken über ihre Arbeitssicherheit machen. Solange Menschen sich im tagtäglichen "struggle for life" befinden (oder wie in Pakistan fast wöchentlich Attentate mit einer ähnlichen Größenordnung von Toten wie bei dem Brand verübt werden), haben sie so etwas einfach nicht auf der Agenda. Und weil die Menschen es nicht auf der Agenda haben, brauchen auch die dortigen Behörden es nicht auf der Agenda zu haben. Ein Menschenleben zählt dort de facto nicht so viel; vergleichbar vielleicht mit den hiesigen Verhältnissen (etwa in Bergwerken) zu Beginn der Industrialisierung. Da macht m. E. kik nix dran.

Unsere Vorstellungen von Arbeitssicherheit in diese Länder exportieren zu wollen ist nicht viel anders wie der Versuch, unsere Umwelt- und CO2-Standards in Drittewelt- und Schwellenländer zu exportieren. Das klappt ebenfalls nie; aus dem gleichen Grund. Erst wenn die Menschen von den täglichen Pressionen der Nahrungsbeschaffung und Versorgung der Familie befreit sind, fangen sie an, sich um ihre belebte und unbelebte Umwelt Gedanken zu machen und merken, daß Schwermetalleinleitungen in Flüsse wohl doch keine so gute Idee sind. Aber nur so- und nie andersherum. So war es ja auch in unseren Breiten. Umwelt- und Arbeitssicherheit wurden erst ein zunehemend relevantes Thema, nachdem ein solides Wohlstandspolster erarbeitet worden war. Auf der Achse gab es vor einigen Monaten mal einen exzellenten Artikel dazu, den ich jetzt auch die Schnelle leider nicht gefunden habe.
Es geht mir dabei gar nicht um die Kolonialismusfrage, sondern darum daß es einfach nicht funktionieren kann. Man kann von hier nur sehr indirekten Einfluß nehmen, indem man die Globalisierung möglichst regulationsfrei walten läßt, und der Zeit ihre Zeit in diesen Ländern gibt, denke ich.

Herzliche Grüße,
Andreas

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

14.03.2015 16:37
#17 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #14
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #12
Es müssen einfach auch mal die landesüblichen Gepflogenheiten akzeptiert werden.

Was ich nicht verstehe: Wieso vertretet ihr alle in der Wirtschaft eine Meinung, die ihr im politischen Bereich bekämpft? Das ist doch der gleiche Kulturrelativismus, mit dem Frau Roth Hinrichtungen von Ehebrecherinnen im Iran verharmlost.

Geht es denn um Menschenrechtsverletzungen bei denen, und nur bei denen, eine Universalität anwendbar ist und geboten erscheint?
Eigentlich ist ja das mein Steckenpferd auf Doppelmoral aufmerksam zu machen.
Und wie weit trägt dabei der schwerwiegende Vorwurf der Ablehnung von Verantwortung? Und ist das Einklagen der Verantwortung eines Arbeitgebers über seinen Arbeitnehmer nicht schon ein Akt der Wegnahme von persönlicher Verantwortung? Der selbst einen Menschenrechtsverstoß darstellt?
Trotzdem, Dein Argument sticht, lieber Petz. Es spielt eine Rolle und die deutschen Firmen sollten sich bei ihren Zulieferern für besseren Arbeitsschutz einsetzen, als er landesweit üblich ist. Ich stimme Dir zu!

Viele Grüße, Erling Plaethe

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

14.03.2015 17:41
#18 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #14
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #12
Es müssen einfach auch mal die landesüblichen Gepflogenheiten akzeptiert werden.

Was ich nicht verstehe: Wieso vertretet ihr alle in der Wirtschaft eine Meinung, die ihr im politischen Bereich bekämpft? Das ist doch der gleiche Kulturrelativismus, mit dem Frau Roth Hinrichtungen von Ehebrecherinnen im Iran verharmlost.


Nicht ganz, meine ich. Die Alternative zu Rothschem Kulturrelativismus ist mMn nicht die Schulmeisterei. Daß Politiker in China oder in Saudi-Arabien rituell die "Menschenrechtslage ansprechen" dient der Zufriedenstellung der eigenen Medien und wird in diesen Ländern ebenso rituell-brüsk zurückgewiesen. Hat sich nicht Steinmeier die Tage in Saudi-Arabien wieder mal eine veritable Ohrfeige abgeholt? Man kann das alles machen, aber es bringt m. E., abgesehen vom (pseudo)moralischen Feigenblatt für westliche Gutmenschen, nichts; man erreicht möglicherweise sogar eher das Gegenteil des Gewünschten, indem die Motivation dieser Länder zu einem antiwestlichen "jetzt erst recht" möglicherweise sogar steigt und z. B. die Schariagesetze zukünftig noch strenger ausgelegt werden. Gut gemeint ist eben oft nicht gut gemacht.

Ich glaube, man soll sehr vorsichtig mit den inneren Angelegenheiten anderer Länder verfahren. Das hat nichts mit Kulturrelativismus zu tun.

Herzliche Grüße,
Andreas

Emulgator Offline



Beiträge: 2.833

15.03.2015 12:28
#19 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #7
Zitat von R.A. im Beitrag #4

Zitat
Sich dabei auf die Behörden und Gesetze vor Ort zu verlassen ist schwierig.

Aber der einzige gangbare Weg. Denn so erreicht man ohnehin nur einige wenige Betriebe, deren Kunden bekannt genug sind, um Druck aufzubauen. Dann werden diese Betriebe vielleicht etwas besser, aber an der übrigen Misere ändert sich erst recht nichts. Es ist völlig unmöglich, von Europa aus generell die Arbeitsbedingungen in Pakistan und der übrigen dritten Welt zu überwachen.

Zitat
Aber soll man deswegen generell sagen "die Zustände bei meinem Lieferanten gehen mich nix an und sind Sache der pakistanischen Gewerbeaufsicht - alles andere ist Kolonialismus"?

Das muß man wohl leider. Auch wenn das im Einzelfall schmerzt.
Denn mit dieser kolonialistischen Vorgehensweise kann man nur einige Äußerlichkeiten ändern (die durchaus natürlich einen Unterschied machen), aber nicht die Denke. Und echte Änderungen können nur kommen, wenn die Leute vor Ort die Probleme selber erkennen und sie abstellen wollen.


Der Druck der Kunden ist durchaus eine gute Sache. Denn dadurch entsteht das Bewusstsein, und wenn in einigen Unternehmen die Bedingungen besser sind, kann das nur gut für die Standards sein, weil dann die Forderungen erst entstehen.



Weder noch. Eine Anekdote aus einem deutschen Technologieunternehmen: Im Betrieb ist regelmäßig eine Brandschutzunterweisung von der Feuerwehr. Der Feuerwehrausbilder erklärt, wie wichtig es ist, die Brandschutztüren nicht durch Keile o.ä. zu blockieren. Also nicht das zu machen, was er auf dem Flur gerade gesehen hat. Die Mitarbeiter grinsen sich an, weil das permanente Praxis ist, obwohl fast nie Mitarbeiter beidhändig Dinge durch die Türen tragen müssen (was für eine temporäre Blockierung ja ein vernünftiger Grund wäre). Der Feuerwehrmann geht. Die Türblockierung bleibt.

Fazit: Sicherheitsbewußtsein können weder Kunden noch Behörden erzwingen. Natürlich wird sowohl in dem deutschen Technologiebetrieb wie in dem pakistanischen Sweat-shop das Geschrei groß sein, wenn wegen Rauchgasen unnötig Leute sterben. Aber es sind genau die Leute, die auf die große Tragik hinterher zum Preis der kleinen Bequemlichkeit für den Augenblick nicht verzichten wollen. Haken wir das unter "evolutionärer Prozeß" ab!

Meister Petz Offline




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15.03.2015 12:28
#20 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #15
Zitat von Meister Petz im Beitrag #13
Es geht ja nicht um westliche Standards, sondern um überhaupt welche. Ich bin mir sicher, dass die von mir beschriebene Arbeitsstätte (ich weiß nicht mehr, in welchem Land sie war), auch nach dortigen Sicherheitsbestimmungen problematisch war.

Dann ist es znächst einmal Sache der pakistanischen Justiz dagegen vorzugehen. Ich habe vernommen das die deutlich heftiger drauf sind als ihre deutschen Pendants.

Wie gesagt, Pakistan ist im Korruptionsindex auf Platz 127. Darauf würde ich mich nicht verlassen.
Zitat von Llarian im Beitrag #15
Zitat von Meister Petz im Beitrag #14
Was ich nicht verstehe: Wieso vertretet ihr alle in der Wirtschaft eine Meinung, die ihr im politischen Bereich bekämpft? Das ist doch der gleiche Kulturrelativismus, mit dem Frau Roth Hinrichtungen von Ehebrecherinnen im Iran verharmlost.

Zunächst glaube ich nicht, dass man irgendjemanden in Deutschland verklagen kann, weil im Iran eine Ehebrecherin hingerichtet wird. Zum anderen sehe ich hier eine klare Alternative: Das Steinigen von Ehebrecherinnen (oder Ermorden von Homosexuellen an Baukränen) ist kein Standortvorteil. Es ist auch zum Überleben nicht notwendig. Zu schlechten Arbeitsbedingungen in Ländern die wenig Infrastruktur und Bildung aufweisen, sehe ich wenig Alternativen. Aber mir ist nicht klar wie man mit der Scharia in der Hand das Verhungern verhindert.

Verklagen kann man alles und jeden, die Frage ist nur, ob die Klage zugelassen wird - ist das überhaupt schon entschieden?. Aber lass uns mal einen Fall konstruieren, der auch schön das Dilemma aufzeigt: Eine deutsche Firma im Iran erlässt auf Rat der Genderbeauftragten ein Kopftuchverbot an einer Arbeitsstätte im Iran. Die Religionspolizei kriegt das mit und bestraft eine Arbeiterin, weil sie sich daran hält. Nun verklagt die Arbeiterin ihren deutschen Auftraggeber auf Schadenersatz.

So weit muss man aber gar nicht gehen,denn es gibt Menschenrechtsverletzungen, die durchaus ein Standortvorteil sind. Zwangsarbeit zum Beispiel. Ich gebe die Frage zurück - wo ist die Grenze?

Was die Einklagbarkeit vor einem deutschen Gericht geht: Die Argumentation ist die: Weil kik der Hauptauftraggeber ist, ist diese Firma sozusagen als "scheinselbständig" zu betrachten und die Sorgfaltspflicht für die Zustände geht an kik über. Finde ich auch ein bisschen weit hergeholt, aber wir werden sehen.

Dabei gibt mir noch ein Punkt Rätsel auf:

Zitat
Juristisch ist der Fall heikel, das deutsche Recht sieht eigentlich kein Schmerzensgeld für Angehörige vor. Da der Schaden jedoch in Pakistan verursacht wurde und das beklagte Unternehmen seinen Sitz in Deutschland hat, soll, so die Argumentation der Anklage, vor dem Landgericht Dortmund nach dem common law Pakistans geurteilt werden.

http://www.zeit.de/wirtschaft/2015-03/kik-brand-klage

Wie geht das? Ist es nicht so, dass deutsche Gerichte nach deutschem Recht urteilen müssen und pakistanische Gerichte nach pakistanischem Recht? Und bezogen auf mein an den Haaren herbeigezogenes Beispiel, müsste dann die Arbeitnehmerin Recht bekommen?

Zitat von Llarian im Beitrag #15

Zitat
Trotzdem ist es im Interesse aller Beteiligten, die Bedingungen zu verbessern.

Und wo ist da die Grenze ? Es wird doch am Ende nie genug sein, wenn es nach unseren Weltverbesserern geht, dann ist ein Billonstel Gramm von einem Schadstoff ein Riesenskandal. Wo ist die Grenze ?


Die Grenze ist nicht sehr hoch, mir ist die deutsche "Helmpflicht-am-Bildschirm"-Denke auch zuwider. Aber ein Arbeitgeber hat, unabhängig von den Standards, eine Sorgfaltspflicht für seine Mitarbeiter und soll sie nicht fahrlässig gefährden. Damit wäre schon viel gewonnen.

Gruß Petz

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Meister Petz Offline




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15.03.2015 12:41
#21 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #18
Zitat von Meister Petz im Beitrag #14
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #12
Es müssen einfach auch mal die landesüblichen Gepflogenheiten akzeptiert werden.

Was ich nicht verstehe: Wieso vertretet ihr alle in der Wirtschaft eine Meinung, die ihr im politischen Bereich bekämpft? Das ist doch der gleiche Kulturrelativismus, mit dem Frau Roth Hinrichtungen von Ehebrecherinnen im Iran verharmlost.
Nicht ganz, meine ich. Die Alternative zu Rothschem Kulturrelativismus ist mMn nicht die Schulmeisterei. Daß Politiker in China oder in Saudi-Arabien rituell die "Menschenrechtslage ansprechen" dient der Zufriedenstellung der eigenen Medien und wird in diesen Ländern ebenso rituell-brüsk zurückgewiesen. Hat sich nicht Steinmeier die Tage in Saudi-Arabien wieder mal eine veritable Ohrfeige abgeholt? Man kann das alles machen, aber es bringt m. E., abgesehen vom (pseudo)moralischen Feigenblatt für westliche Gutmenschen, nichts; man erreicht möglicherweise sogar eher das Gegenteil des Gewünschten, indem die Motivation dieser Länder zu einem antiwestlichen "jetzt erst recht" möglicherweise sogar steigt und z. B. die Schariagesetze zukünftig noch strenger ausgelegt werden. Gut gemeint ist eben oft nicht gut gemacht.

Ich glaube, man soll sehr vorsichtig mit den inneren Angelegenheiten anderer Länder verfahren. Das hat nichts mit Kulturrelativismus zu tun.
Mit was denn sonst? Ihr dürft Kolonialismus sagen (wegen einer vergleichsweise harmlosen Sache, wir reden hier über einen Streitwert von 120000 Euro, soviel kostet wahrscheinlich eine Reise von Steinmeier plus Entourage), aber ich nicht Kulturrelativismus?

Klar, was gehen uns die inneren Angelegenheiten des großrussischen Reiches an? Und die Syriens? Nur nicht provozieren?

Aber Du hast Recht, ich nehme den Begriff Kulturrelativismus zurück. Das ist schon beinhartes Appeasement. Der Schatten von München.

Gruß Petz

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Meister Petz Offline




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15.03.2015 12:47
#22 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #19
Fazit: Sicherheitsbewußtsein können weder Kunden noch Behörden erzwingen. Natürlich wird sowohl in dem deutschen Technologiebetrieb wie in dem pakistanischen Sweat-shop das Geschrei groß sein, wenn wegen Rauchgasen unnötig Leute sterben. Aber es sind genau die Leute, die auf die große Tragik hinterher zum Preis der kleinen Bequemlichkeit für den Augenblick nicht verzichten wollen. Haken wir das unter "evolutionärer Prozeß" ab!

Ich kenne so etwas auch, und sehe es auch zwiespältig. Eine andere Anekdote aus einem Industrieunternehmen in Deutschland: Da hat die Geschäftsführung eine Prämie für eine gewisse Anzahl unfallfreier Arbeitstage hintereinander ausgelobt - das hat dazu geführt, dass die Arbeiter Unfälle nicht mehr gemeldet haben.

Aber darum geht es mit gar nicht, sondern um die Sorgfaltspflicht des Arbeitgebers. Viele Gefahren kann man beseitigen, ohne das Bewusstsein zu verändern (in meinem Ursprungsbeispiel hätte eine andere Aufstellung der Arbeitsplätze schon genügt.

Gruß Petz

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Meister Petz Offline




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15.03.2015 13:03
#23 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #17
Und wie weit trägt dabei der schwerwiegende Vorwurf der Ablehnung von Verantwortung? Und ist das Einklagen der Verantwortung eines Arbeitgebers über seinen Arbeitnehmer nicht schon ein Akt der Wegnahme von persönlicher Verantwortung? Der selbst einen Menschenrechtsverstoß darstellt?

Sehe ich nicht so. Auf die Sicherheit seines Arbeitsplatzes hat der Arbeiter nur begrenzten Einfluss, weshalb es eine Sorgfaltspflicht gibt. Die Frage ist natürlich die, ob der Auftraggeber dafür verantwortlich ist, dass der Auftragnehmer diese einhält.

In meiner Firma ist das so. In unsere Unfallstatistik gehen auch Unfälle bei unseren Auftragnehmern ein, und es ist Aufgabe des Einkaufs, entsprechende Verträge abzuschließen, die die Arbeitsbedingungen festlegen, sowie Aufgabe der Projektleiter vor Ort, die Einhaltung zu kontrollieren. Das ist natürlich nicht ganz uneigennützig hinsichtlich der Reputation, denn wenn ein Unfall auf unserer Baustelle passiert, interessiert es die Öffentlichkeit nicht, ob der Unfall von einem Mitarbeiter unserer Firma oder von einem Subunternehmer verursacht wurde. Aber es ist eben auch eine Pflicht, Arbeitsbedingungen herzustellen, die die Arbeiter nicht gefährden.

Gruß Petz

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dirk Offline



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15.03.2015 13:10
#24 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #14
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #12
Es müssen einfach auch mal die landesüblichen Gepflogenheiten akzeptiert werden.

Was ich nicht verstehe: Wieso vertretet ihr alle in der Wirtschaft eine Meinung, die ihr im politischen Bereich bekämpft? Das ist doch der gleiche Kulturrelativismus, mit dem Frau Roth Hinrichtungen von Ehebrecherinnen im Iran verharmlost.



Ich denke da sind zwei Dinge. Erstens ist der Vorwurf "Neokolonialismus" wohl bewusst provokativ und gerade vor dem Hintergrund der "Rassismus" und sonstiger Vorwürfe, die man sich einfängt, wenn man sich in die Kulturen ander Länder einmischt. Und andern einen Widerspruch vorzuhalten bedeutet nicht, dass man selber dem gegenteiligen Widerspruch erliegt. Ich erinere mich beispielsweise an Interviews von Michel Friedman, der einen Politiker erst von links kritisiert und dann von rechts und dann den Widerspruch in den Ausweichmanövern der Politiker aufgreift, woraufhin einer (weiss leider nicht mehr wer) böse wurde und sich darfaüber beschwert hat einmal quasi von links und dann rechts sich verteidigen zu müssen.

Zweitens sehe ich Unterschiede in moralischen Fragen wie Freiheit des Individuums und Gleichberechtigung von Mann und Frau - da sind westliche Werte für mich die einzig zulässigen (E.g. der Westen ist der einzige Kulturkreis, der es ermöglicht dass andere Kulturen in ihm leben) - und dem etwas profaneren Baurecht. Eine Einmischung in letzerem ist schon allein aus praktischen Gründen nicht möglich.
Es zeigt mir aber auch wie gegensätzlich mein Denken zu dem von etwa den Grünen ist. Den Kern westlicher Werte (sagen wir die Amerikansiche Unabhängigkeitserklärung) setze ich als absolut; alles weitere sollte möglichst jedem selbst (oder wenn schon dann jedem Land) überlassen werden. Bei den Grünen ist es umgekehrt. Relativismus bei Menschenrechten; aber Universalismus wenn es darum geht in das Leben der Bürger einzugreifen. Die Unabhängigkeitserklärung von Grünen verfasst würde wohl beginnen mit "Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht: Den Klimawandel. Die deutschen Arbeitnehmerrechte,..."

Llarian Offline



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15.03.2015 14:07
#25 RE: Neo-Kolonialismus Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #20
Wie gesagt, Pakistan ist im Korruptionsindex auf Platz 127. Darauf würde ich mich nicht verlassen.

Im selben Index liegt Russland auf Platz 136. Machen wir jetzt keine Geschäfte mehr mit Russland ? (Unabhängig von der aktuellen Krise). Selbst Italien liegt auf Platz 69. Das ist schon "ziemlich korrupt". Müssen wir jetzt überprüfen wie die Niederlassungen deutscher Firmen in Italien arbeiten ? Ab wann vertrauen wir anderen Ländern ihre Angelegenheiten selbst zu regeln ?

Zitat
Aber lass uns mal einen Fall konstruieren, der auch schön das Dilemma aufzeigt: Eine deutsche Firma im Iran erlässt auf Rat der Genderbeauftragten ein Kopftuchverbot an einer Arbeitsstätte im Iran. Die Religionspolizei kriegt das mit und bestraft eine Arbeiterin, weil sie sich daran hält. Nun verklagt die Arbeiterin ihren deutschen Auftraggeber auf Schadenersatz.


Zurecht. Denn keine deutsche Firma kann Bestimmungen erlassen, die jemandem zum Rechtsbruch auffordern. Ich sehe nur den Bezug nicht so recht. Nehmen wir doch den viel realistischeren Fall: Die iranische Firma xyz erlässt für ihre deutsche Niederlassung ein Kopftuchgebot und vielleicht noch das Verbot das Frauen Auto fahren. Wollen wir den Iran nun gewähren lassen ? Oder verbitten wir uns zurecht die Einmischung in die innerdeutsche Ordnung ?

Zitat
So weit muss man aber gar nicht gehen,denn es gibt Menschenrechtsverletzungen, die durchaus ein Standortvorteil sind. Zwangsarbeit zum Beispiel. Ich gebe die Frage zurück - wo ist die Grenze?


Da wo die lokale Bevölkerung sie zieht. Vor gar nicht so viel Zeit war Zwangsarbeit in Deutschland (Stichwort Zuchthaus) auch nichst so ungewöhnliches und durchaus gesellschaftlich gewollt. (Bitte erspare uns beiden an der Stelle Godwins Law, wir müssen jetzt nicht über die Nazis reden.) In vielen Ländern der Welt ist es vollkommen üblich das Gefängnisse mit Zwangsarbeit funktioneren. Wollen wir nun den Handel mit diesen Ländern einstellen ?
Sieh es mal umgekehrt: Es wird über kurz oder lang Länder geben, die ein bedingungsloses Grundeinkommen definieren. Dort kann dann jeder existieren, unabhängig davon, was er tut. In Deutschland dagegen wird man indirekt zum Arbeiten gezwungen, weil auch Harz4 so weit gekürzt werden kann, dass man sich nicht mehr ernähren kann. Real verhungert natürlich trotzdem noch niemand, aber von einer formalen Definition Zwangsarbeit sind wir deutlich weniger entfernt, als ein Land mit besagtem Grundeinkommen. Dürfen die dann auch die Regeln für uns bestimmen ? Wir machen uns die Welt so schön, weil wir meinen die höchsten Standards zu haben. Was ist, wenn andere anfangen uns die Standards zu definieren ?

Zitat
Aber ein Arbeitgeber hat, unabhängig von den Standards, eine Sorgfaltspflicht für seine Mitarbeiter und soll sie nicht fahrlässig gefährden. Damit wäre schon viel gewonnen.


Wo fängt bei Dir die Fahrlässigkeit denn an ? In meiner Branche kommt es immer wieder zu tödlichen Unfällen. Nicht unbedingt oft, aber das kommt vor. Das hat einfach damit zu tun, dass die Dinge mit denen wir uns beschäftigen, halt tatsächlich prozessbedingt sehr gefährlich sind. Ab wann ist mein Arbeitergeber denn fahrlässig ? Oder ist es nicht vielmehr so, dass eine Gefährdung schon dann ensteht, wenn ich ein Werk betrete ? Fahrlässigkeit ist in dem Sinne kein binärer Zustand, es ist eine lange Strasse zwischen "Todesjob" und "In Watte gepackt". Ein Standard definiert immer nur eine Stufe auf dieser langen Strasse. Wir haben uns in Deutschland irgendwo hingesetzt und definieren implizit so etwas wie "ein Toter pro xyz Arbeitsstunden ist akzeptabel", auch wenn das nie so aufgeschrieben wird (wer die Maschinenrichtlinie kennt, kann das problemlos nachvollziehen). Es läuft aber dennoch genau darauf hinaus. In Pakistan definiert man das nahezu genauso. Nur das Verhältnis ist ein anderes. Man kann anderen ein anderes Verhältnis befehlen, nur ist das nicht mehr oder weniger willkürlich als wir selber die Grenze definieren.
Ganz simpel wie blöd: In Deutschland ist es fahrlässig eine Leiter an einer Maschine zu konstruieren, die mehr als sechs Meter hoch ist, ohne ein Haltepodest oder einen Anschlagshaken. Das definiert eine DIN Norm. Das kann man machen, aber es kostet selbstredend Geld. Das Geschirr muss beschafft werden, der Haken muss da hin, das Haltepodest muss konstruiert werden, kostet alles Geld. In Pakistan hat man das Geld dafür vielleicht nicht und verzichtet darauf. Nach deutscher Sicht nicht nur fahrlässig sondern sogar grob fahrlässig. Trotzdem waren in Deutschland Leitern von mehr als 10 Metern etwas völlig undramatisches. Und die Leute sind nicht reihenweise in den Tod gestürzt. Ich habe auch keine grosse Angst eine Leiter von 10 Metern zu erklettern. Aber, wie gesagt, grob fahrlässig. Hat also der deutsche Arbeitgeber, im Rahmen seiner Sorgfasltspflicht, nun den Pakistanis zu erklären, das Leitern ab sechs Metern Haltepodeste brauchen ? Bevor Du übrigens darüber lachts: Das sind tatsächlich Fragestellungen mit denen ich mich beruflich beschäftige und bei weitem nicht so absurd, wie es klingt.

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