In ganz weiten Zusammenhang mit den gerade tobenden Debatten möchte ich an Mediävistik und Wissenschaftsgeschichte interessierte Foristen auf die Rezension der Berliner Wissenschaftshistorikerin Sonja Brentjes zum Begleitkatalog der Ausstellung „1001 Islamic Inventions“ hinweisen, Aestimatio 10 (2013), 119-153, online abrufbar hier http://www.ircps.org/node/1266.
Warum?
1) Die Rezension ist ein kleines Meisterstück wirklicher „Aufklärung“ – kritisches Denken, Fachkenntnis, ressentimentfrei, in der Sache vernichtend. Daher ein intellektuelles Vergnügen für sich.
2) Die Rezensentin setzt sich mit den populären Mythen zum Thema isl. Zivilisation im Mittelalter auseinander, die es mittlerweile im Westen in solche groteske Ausstellungen, öffentliche Debatten, grottenschlechte BBC-Dokumentationen und selbst in das Programm der Bundeszentrale für politische Bildung geschafft haben. Zu diesen Mythen gehören all die Geschichten von den „Universitäten“ von Cordoba oder Timbuktu über die „Entdeckung“ des Blutkreislaufes oder der „Erfindung“ der Chemie bis hin zum „Haus der Weisheit“ und dem Mäzenatentum abbasidischer Kalifen im Bagdad des 9. Jahrhunderts. Mittelalter, auch frühes Mittelalter, war, in all seiner Faszination und bei Beachtung aller Unterschiede und Gemeinsamkeiten, Mittelalter, in Kairo, in Konstantinopel und in Köln.
3) Das entkontextualisierte Zusammenfantasieren einer großen Vergangenheit als Gegenbild zu einer als trist empfunden Gegenwart in Verbindung mit dem aus der westlichen Aufklärung übernommenen Narrativ einer vermeintlich dunklen und verbrecherischen Geschichte (finsteres Mittelalter, „Unvernunft“, Kreuzzüge, Inquisition, später auch Kolonialismus, Imperialismus) Europas ist ein toxisches Gebräu („We wuz robbed!“). Es ist der geistige Betriebsstoff des arabischen Nationalismus und des politischen Islam, von der ISIS bis zu den Islamfunktionären im Westen und ihren Apologeten. Dieser Trank sorgt für Flugzeuge in Wolkenkratzern.
4) Es ist ein faszinierendes Lehrstück, wie Sprache sinnentkernt, mit Propaganda aufgeladen und dadurch als "Herrschaftsinstrument missbraucht" werden kann. Der absurde Isl.zentrismus des Begleitbands kommt oberflächlich recht harmlos im Gewande des herrschenden Diversitätsjargons daher. Man will ja nur Vielfalt und kulturellen Austausch zeigen, Beispiele für „Toleranz“ geben. Wer widerspricht, so schnell die Vermutung, ist eben nicht „weltoffen“, hat „Vorurteile“, ist wahrscheinlich schlicht ein Rassist. Es ist unglaublich schwer, dagegen anzugehen. Man muss schon profunde Fachkenntnis haben, um sich zu trauen, sowas zu verreißen.
Die weitgehend widerstandlos hingenommene Verdrehung des progressivistischen Geschwafels, dem ja tief vergraben ein berechtigtes Anliegen zu Grunde liegt, zur Propagierung eines extremen Ethnozentrismus wäre an sich amüsant und führt die Inhaltsleere dieser Floskeln der modernen Pop-Philosophie hübsch vor. Es bleibt aber ein Gruselgefühl, weil erwartbar ist, dass sich im Zweifel die Parteilinie durchsetzt. Warum sich nationalistische Araber in eine imaginierte Vergangenheit zurückträumen, ist dabei nicht sachlich, wohl aber psychologisch verständlich und ein eher banales Problem. Warum aber Westler so bereitwillig mitmachen und die Stichworte soufflieren, ist eine beunruhigende Frage.
Eigentlich bin ich dieser ganzen öden Debatten ja so überdrüssig und neige dazu, Medien angewidert abzuschalten oder wegzulegen, wenn in irgendeiner Form das Thema I. aufzukommen droht. Ich gestehe auch offen, dass mich weder diese Religion noch diese Kultur jemals sonderlich interessiert haben, obwohl ich ansonsten eine tiefe Faszination für die Spätantike und das Frühmittelalter habe, auch und gerade für die Religionsgeschichte. Wo ich aber ausflippe, und vielleicht bin ich in diesen Momenten jenen Irren ähnlicher, als mir lieb ist, ist, wenn Geschichte so verfälscht wird, und wenn unter dem Deckmantel „kritischen Denkens“ nur „antiwestliche“, dieser Ausdruck sei nur als sehr grober Oberbegriff gewählt, Ressentiments geschürt werden.
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