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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 24 Antworten
und wurde 2.976 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
R.A. Offline



Beiträge: 8.171

02.04.2015 16:11
Phantomschmerzen Antworten

Aus wieder einmal aktuellem Anlaß - was ist los in Griechenland?

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

02.04.2015 16:36
#2 RE: Phantomschmerzen Antworten

Das sind beeindruckende und sprechende Zahlen. Aber es bleibt doch das Problem, daß die Syriza-Regierung mit dem Programm, Troika, Austerity & Co ohne Rücksicht auf Verluste über Bord zu werfen, zur Wahl angetreten ist und sich nun dazu demokratisch legitimiert fühlt. Der Souverän hat das larmoyante Narrativ vom durch die EU geknechteten armen griechischen Volk abgesegnet, dagegen haben nüchterne Zahlen wenig zu sagen. Wenn man die Mehrheit* um ihre Meinung fragt, bekommt man eben nicht immer eine logische oder vernünftige Antwort.

(* wobei die Syriza-Koalition ja nur durch die dem Prinzip der Wahlgleichheit widersprechende Regel der geschenkten Mandate für die stimmkräftigste Partei zustandekam, also nicht einmal rechnerisch eine Mehrheit des griechischen Wahlvolks repräsentiert.)

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

02.04.2015 16:50
#3 RE: Phantomschmerzen Antworten

Zitat von R.A.
Der griechische Durchschnittslohn (25500 €) ist immer noch höher als der in Estland (18940), der Slowakei (20300), der Tschechei (20340), in Ungarn (20950), in Polen (22650) und in Portugal (23690).

Nur damit das keiner mißversteht: Davon sind lediglich die Slowakei, Estland und Portugal €-Länder. Tschechien hat noch die Krone, Ungarn den Forint und Polen den Złoty.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

02.04.2015 18:06
#4 RE: Phantomschmerzen Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #2
Aber es bleibt doch das Problem, daß die Syriza-Regierung mit dem Programm, Troika, Austerity & Co ohne Rücksicht auf Verluste über Bord zu werfen, zur Wahl angetreten ist und sich nun dazu demokratisch legitimiert fühlt.

Das ist aber alleine das Problem von Syriza. Man kann auch mit dem Programm antreten, die lästige Schwerkraft abzuschaffen. Bekommt man vielleicht auch mit demokratischer Mehrheit durch. Wenn die Realität das dann hinterher irgendwie nicht zuläßt, wird das halt nichts mit dem Wahlversprechen.
Ziemlich jeder EU-Regierungschef dürfte reichlich damit Erfahrung haben, wie lockend die Versuchung ist, vor der Wahl mit großen Sprüchen Wähler anzulocken - und wie schwer es ist, dann hinterher zu liefern. Da wird Tsipras kein Mitgefühl erwarten können, nur weil er sich noch viel weiter aus dem Fenster gelehnt hat, als das bei Wahlen halt üblich ist.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

02.04.2015 18:07
#5 RE: Phantomschmerzen Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #3
Davon sind lediglich die Slowakei, Estland und Portugal €-Länder. Tschechien hat noch die Krone, Ungarn den Forint und Polen den Złoty.

Das ist natürlich richtig, aber für die Beurteilung des griechischen Wohlstandsniveaus ziemlich unerheblich. Sondern zeigt eher, daß es bei der Griechenkrise eben nicht wirklich um den Euro geht, sondern schlicht um verantwortungslose staatliche Ausgabenpolitik.

Aversion Offline



Beiträge: 6

02.04.2015 21:35
#6 RE: Phantomschmerzen Antworten

Vielen Dank für den aufschlussreichen Artikel.

Was ich aber in dem Artikel über "Griechenland leidet" vermisse ist eine Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Gesundheitssektor. Wirtschaftsleistung hin oder her, wenn man sich die Berichte über die Gesundheit der Griechen anschaut/anhört, die in den Medien verbreitet werden, ist die Lage wohl nicht mehr so rosig. Die 2010 eingeleitete Maßnahme die öffentlichen Gesundheitsausgaben unter 6% des BIPs (Deutschland 10%, OECD 9%) zu drücken hat scheinbar zu einer Steigung der Kindersterblichkeit, der Selbstmordraten, der HIV Neuinfektionen, Tuberkuloseerkrankungen usw. geführt. Krankenhäuser wurden geschlossen, etc.pp. (SPON & Krautreporter). Und mir ist bis dato immer noch nicht klar, wer diese Misere im öffentlichen Gesundheitssektor zu verantworten hat. Die Drosselung der Gesundheitsausgaben wurde --- so heißt --- von den Geldgebern (Troika, EZB, EU)(?) gefordert. Griechenland habe dies dann nur notgedrungen umgesetzt. Hat da irgendjemand mehr Informationen dazu oder möchte das kommentieren? Statt im Gesundheitssektor so drastisch zu kürzen, hätte man doch auch bei den Militärausgaben sparen können?

Vielen Dank und beste Grüße,

Aversion

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

02.04.2015 23:21
#7 RE: Phantomschmerzen Antworten

Zitat von Aversion im Beitrag #6
Was ich aber in dem Artikel über "Griechenland leidet" vermisse ist eine Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Gesundheitssektor.

Tut mir leid, aber genau über solche Einzelfragen möchte ich überhaupt nicht diskutieren.
Ich habe keine Ahnung, wie gut das Gesundheitswesen in Griechenland 2001 war. Ich weiß auch nicht, welche der kolportierten Geschichten nun überhaupt wahr sind, geschweige denn repräsentativ.
Aber klar ist: Wenn es ein Problem mit dem griechischen Gesundheitswesen gibt, dann ist es alleine Aufgabe der griechischen Regierung, das zu ändern. Und es liegt nicht an der Troika oder den Reformen, wenn sie dies nicht tut - die estnische oder portugiesische Regierung bekommen mit weniger Geld ihr Gesundheitswesen auch geregelt.

Zitat
Die Drosselung der Gesundheitsausgaben wurde --- so heißt --- von den Geldgebern (Troika, EZB, EU)(?) gefordert. Griechenland habe dies dann nur notgedrungen umgesetzt.


Das ist schlicht falsch.
Es kann schon sein, daß die EU-Experten alle möglichen Vorschläge gemacht haben (und es kann in einem solchen Fall auch sein, daß die nicht alle schlau waren).
Aber letztlich hatte die griechische Regierung die Entscheidung, wie genau das Maßnahmenpaket aussehen soll. Solange die Summe stimmt, haben die Geldgeber diese Entscheidung akzeptiert. Aber dann auch hinterher darauf geschaut, daß genau die versprochenen Maßnahmen umgesetzt werden.

Das sieht man doch auch in der aktuellen Diskussion: Es wird erwartet, daß die griechische Regierung eine Planung vorlegt. Wenn sie dies endlich täte, kann die alte Planung ersetzt werden. Aber sie tut es nicht. Sie gibt das Heft des Handelns selber aus der Hand - und jammert dann hinterher über fehlende Selbstbestimmung.

otto ( gelöscht )
Beiträge:

03.04.2015 02:53
#8 RE: Phantomschmerzen Antworten

Sehr geehrte/r RA,

zuerst Dank für Ihre Darlegungen, für den anderen Blickwinkel.

Was mich noch interessieren würde, da Sie doch über gute (zumindest bessere) Zahlen verfügen, ist gegebenenfalls eine Korrektur meiner folgenden Aufstellung:
Da sich die Größenordnung Milliarde meiner Vorstellungskraft entzieht, alles in Millionen.

Die Grieche haben erhalten ca :
Staatsschulden öffentliche Kreditgeber 30.000 mio
Staatsschulden private Kreditgeber 11.500 mio
Hilfspakete 23.700 mio
EU Subventionen 1991-2008 13.300 mio

Summe 78.500 mio
Einwohner 10 mio (Bayern 12 mio)
ergibt 7850 € pro Einwohner

Das ergibt für einen durchschnittlichen 3 Personenhaushalt 23550,-- €, das heißt für den Zeitraum der Mitgliedschaft mindestens ein Jahreseinkommen zusätzlich.
Zum Vergleich:
Durchschnittsrente Oberpfalz Frauen 458,40 € = 5500,-- € Jahresrente.
Durchschnittsrente Oberpfalz Männer 982,90 € = 1179,-- € Jahresrente
(Zeitung Neuer Tag vom 22.08.2014)

xanopos ( gelöscht )
Beiträge:

03.04.2015 07:25
#9 RE: Phantomschmerzen Antworten

Zitat von Aversion im Beitrag #6
Griechenland habe dies dann nur notgedrungen umgesetzt. Hat da irgendjemand mehr Informationen dazu oder möchte das kommentieren? Statt im Gesundheitssektor so drastisch zu kürzen, hätte man doch auch bei den Militärausgaben sparen können?
Das ist doch passiert:
This year, Greece plans to spend €3.25 billion on defense, down 46 percent from the 2010 figure. Procurement spending in 2015 will amount to €700 million, down 65 percent from 2010 http://www.defensenews.com/story/defense...-cuts/22484505/

TF Offline



Beiträge: 281

03.04.2015 16:00
#10 RE: Phantomschmerzen Antworten

Griechenland hatte 2013 die höchste Staatsquote aller EU-Staaten (59,2% lt. Eurostat) und hat auch die relativ höchsten Rentenausgaben aller EU Staaten (17,5% des BIP 2012, Deutschland 12,3%). Die Lebenserwartung in Griechenland ist höher als in Deutschland. Die Selbstmordrate war 2011 nicht einmal halb so hoch wie in Deutschland und die staatlichen Gesundheitsausgaben waren schon vor der Krise relativ niedrig und sind immer noch höher als in einigen anderen EU-Staaten. Auch interessant: 2013 schätzten immer noch 46,7% der Griechen ihren Gesundheitszustand als sehr gut ein und nur 17,2% der Deutschen (schlecht: 7,1 bzw. 6,6%). Das Syriza-Geheule ist haltlos und wie RA schon richtig sagte, wo die Staaten ihr Geld ausgeben, ist deren Sache. Wenn ein Land z. B. sehr viel für Renten und Bürokratie ausgibt und relativ wenig für Gesundheit und gar keine Sozialhilfe kennt, dann sind das eigene Prioritätensetzungen, für die man nicht das böse Ausland verantwortlich machen kann.

Florian Offline



Beiträge: 3.179

03.04.2015 16:44
#11 RE: Phantomschmerzen Antworten

Als erstes einmal:
Vielen Dank an R.A. für die gute Zahlen-Zusammenstellung.
(Hatte ich so klar und deutlich noch nirgendwo gelesen).

Und dann inhaltlich:
ich stimme der Grundaussage des Artikels zu.
Aber etwas Mitleid für Griechenland halte ich schon für angebracht.
Das Problem ist, dass es in der realen Welt einen Ausgabe-Hysterese-Effekt gibt.

Das gilt für jeden einzelnen von uns:
Wir passen unsere Ausgaben an unsere Einnahmen an. Und manche dieser Ausgaben sind nicht so leicht wieder zurückzufahren, wenn die Einnahmen sinken.
Entweder, weil man sich dauerhaft vertraglich gebunden hat. Oder schlicht, weil man sich daran gewöhnt hat.
Das gleiche gilt auch für ganze Volkswirtschaften.

Das ist auch kein Problem der griechischen Mentalität.
Uns Deutschen geht es ganz genauso.
Einmal erreichte "Besitzstände" werden von den Begünstigten mit Zähnen und Klauen verteidigt.
Viele Ausgaben sind faktisch zementiert und Kürzungen wären sogar verfassungsrechtlich problematisch (etwa bei Beamtenpensionen).
Und keiner will das Argument hören, dass es doch früher auch mit den niedrigeren Ausgaben wunderbar geklappt hat.

Nota bene:
Selbstverständlich hat R.A. Recht, dass sich hieraus keinerlei Anspruch Griechenlands auf Alimentierung aus dem Ausland ergibt.
Und entsprechenden Forderungen Griechenlands sollten wir auch nicht nachgeben.

Aber deshalb kann man dennoch etwas Mitgefühl für die griechische Lage aufbringen.

TF Offline



Beiträge: 281

03.04.2015 17:12
#12 RE: Phantomschmerzen Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #11

Das gilt für jeden einzelnen von uns:
Wir passen unsere Ausgaben an unsere Einnahmen an. Und manche dieser Ausgaben sind nicht so leicht wieder zurückzufahren, wenn die Einnahmen sinken.
Entweder, weil man sich dauerhaft vertraglich gebunden hat. Oder schlicht, weil man sich daran gewöhnt hat.
Das gleiche gilt auch für ganze Volkswirtschaften.



Natürlich kann in Schwierigkeiten kommen, wenn man z. B. seinen Job verliert und ein Haus abzubezahlen hat. Aber öffentliche und private Finanzen sind nicht vergleichbar, weil sehr viele Staaten und insbesondere Griechenland die Ausgaben eben nicht den Einnahmen angepasst und permanent über ihre Verhältnisse gelebt haben. Das können nichtstaatliche Schuldner nicht im gleichen Maße. Die sind schnell pleite. Außerdem ist es sehr wohl ein Ergebnis griechischer Mentalität, dass wie mit denen soviel mehr Scherereien haben als z. B. mit den Iren.

Dennis the Menace Offline




Beiträge: 459

03.04.2015 20:23
#13 RE: Phantomschmerzen Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #11
Als erstes einmal:
Vielen Dank an R.A. für die gute Zahlen-Zusammenstellung.
(Hatte ich so klar und deutlich noch nirgendwo gelesen).

Und dann inhaltlich:
ich stimme der Grundaussage des Artikels zu.
Aber etwas Mitleid für Griechenland halte ich schon für angebracht.
Das Problem ist, dass es in der realen Welt einen Ausgabe-Hysterese-Effekt gibt.

Das gilt für jeden einzelnen von uns:
Wir passen unsere Ausgaben an unsere Einnahmen an. Und manche dieser Ausgaben sind nicht so leicht wieder zurückzufahren, wenn die Einnahmen sinken.
Entweder, weil man sich dauerhaft vertraglich gebunden hat. Oder schlicht, weil man sich daran gewöhnt hat.
Das gleiche gilt auch für ganze Volkswirtschaften.

Das ist auch kein Problem der griechischen Mentalität.
Uns Deutschen geht es ganz genauso.
Einmal erreichte "Besitzstände" werden von den Begünstigten mit Zähnen und Klauen verteidigt.
Viele Ausgaben sind faktisch zementiert und Kürzungen wären sogar verfassungsrechtlich problematisch (etwa bei Beamtenpensionen).
Und keiner will das Argument hören, dass es doch früher auch mit den niedrigeren Ausgaben wunderbar geklappt hat.

Nota bene:
Selbstverständlich hat R.A. Recht, dass sich hieraus keinerlei Anspruch Griechenlands auf Alimentierung aus dem Ausland ergibt.
Und entsprechenden Forderungen Griechenlands sollten wir auch nicht nachgeben.

Aber deshalb kann man dennoch etwas Mitgefühl für die griechische Lage aufbringen.



Schließe mich dem Dank an R.A. an und Hysteresis erinnert mich 'n bissle an meine Auffassung, die ich schon lange vertrete und die da lautet:

Das mit Abstand wichtigste ökonomische Lehrbuch aller Zeiten ist die Geschichte vom Fischer und sine Fru, nachzulesen bei den Brüdern Grimm. So läuft's halt, auch wenn "Hysteresis" für diesen Vorgang etwas gequält ist. Nordischen Ursprungs übrigens - und (dennoch ) von kompletter Unvernunft handelnd (also vom homo oeconomicus - könnten lästerliche Zungen behaupten).

Auch in D werden mit der Draufsattel-Mentalität Wahlen gewonnen und man kann auch nicht unbedingt erwarten, dass Politiker Wahlen zu verlieren wünschen. Die Ressource (der Butt im Märchen) gilt als uninteressant. Sie liefert vermeintlich "automatisch", auf Knopfdruck.

Gibt es in der Wirtschaftsgeschichte irgend etwas Beständigeres als der regelmäßige Kollaps durch Ressourcen-Überforderung (Der Butt verweigert sich zuletzt)? Nach dem Kladderadatsch geht's dann vom herabgesetzten Niveau aus wieder von Vorne los.

Man könnte natürlich auch einem ressourcen-angepassten Hedonismus, wobei es sich nicht um eine Verzichtsagenda handelt, à la Epikur das Wort reden. Aber Epikur hat halt ausdrücklich "den Weisen" adressiert. Immerhin ein Grieche - die waren also offenbar nicht "schon immer so" - das verweist wiederum darauf, dass für Volkscharakter-Theorien wenig bis nix spricht . Auch da gilt: Panta rhei - wenn man schon mal in GR ist.

Herzlichst
Dennis

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

03.04.2015 21:15
#14 manntje manntje timpe tee, buttje buttje in der see Antworten

Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #13
(Der Butt verweigert sich zuletzt)

So hatte ich das zunächst auch verstanden, aber das Ende hat, glaube ich nun, eine andere Bedeutung. Des Fischers Fru wollte sein wie der liebe Gott: also konnte sie auch in der Fischerhütte sitzen, denn Gott ist überall, insbesondere auch dort. Im Kontrast zum vorherigen Zustand als Papst schwingt wohl auch ein bißchen Kritik am Klerus mit.

Aber daß beim Wünschen völlig beiseitegelassen wird, wo der Wohlstand immer herkommen soll, ist in der Tat ein guter Punkt. Am Ende bleibt dann nur der Wohlfühlindex als Wohlstandsersatz und Bhutan als Idealbild. Diogenes statt Epikur.

Jakob Nierstein Offline



Beiträge: 133

03.04.2015 22:06
#15 RE: Phantomschmerzen Antworten

Mir gefällt der Beitrag sehr. Danke, dass die Zahlen schön zusammengetragen wurden. Und ja, es stimmt: Die Griechen jammern momentan auf recht hohem Niveau. Und nicht vergessen darf man die ehemaligen Länder des Ostblocks, die heute in der EU sind. Die waren die ganze Zeit sehr reserviert, was die Rettungsschirme anging. Genau aus diesem Grund: Es ist nicht einzusehen, dass ärmere Länder stärkere unterstützen sollen.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

04.04.2015 10:41
#16 RE: Phantomschmerzen Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #11
Aber etwas Mitleid für Griechenland halte ich schon für angebracht.

Das sehe ich nicht unbedingt.

Mitleid habe ich mit Einzelschicksalen. Bei so krassen Umbrüchen gibt es immer Menschen, die völlig auf dem verkehrten Fuß erwischt und sehr hart getroffen werden - auch wenn sie weder mit ihrer Wahlentscheidung noch ihrem Verhalten mit schuld waren an der Misere. Es wird diese Einzelfälle zu tausenden geben, und die haben persönlich jeweils Mitgefühl verdient.

Aber abgesehen davon, daß es generell schwierig ist, mit einem ganzen Land Mitleid zu haben: Wenn überhaupt, dann hätte ich das eher mit diversen osteuropäischen Staaten. Was hat Polen nicht alles mitmachen müssen unter Nazis und Sowjets, und hat sich doch mit enormer Zähigkeit und Einsatz eine Zukunftsperspektive erarbeitet. Oder noch mehr die baltischen Staaten.

Griechenland hat dagegen jetzt den Kater, und richtig, es ist immer schmerzhaft, Ausgaben zurückfahren zu müssen.
Aber Griechenland hatte vorher eben auch die Party. Über Jahre hinweg, und vom Ausland finanziert - die Kredite werden ja maximal andeutungsweise zurückbezahlt werden. Und viele Milliarden aus dieser Zeit sind ja immer noch als "Beute" vorhanden: In Form von netten Immobilien oder auf irgendwelchen privaten Auslandskonten.

Im übrigen sollte man durchaus auch sehen, daß die Reformen der letzten Jahre viel Positives bewirkt haben. Da sind erhebliche Verkrustungen endlich aufgebrochen worden. Z. B. die Privilegien, mit denen der Transportsektor den Markt ausgeschaltet hatte um bei hohen garantierten Einnahmen schlechten Service zu bieten. Die Betroffenen haben ja mit äußerster Brutalität (straßenschlachtähnliche "Demos") versucht, ihre Pfründen zu verteidigen. Aber sie sind weitgehend gescheitert, das hat den übrigen Bürgern und den Gewerbetreibenden erheblich geholfen.

Bemerkenswert auch, daß unter dem Reformdruck die jahrzehntelange Paranoia der Türkei gegenüber aufgegeben werden mußte. Das ist besonders wichtig für die Ägäis-Inseln, die ja teilweise in Sichtweite Millionen potentielle Urlauber und Handelspartner hatten - mit denen aber jeder direkte Kontakt verboten war.
Inzwischen gibt es endlich normalen Reiseverkehr zwischen den Großstädten an der türkischen Küste und den griechischen Inseln. Und während in Athen linke Besitzstandswahrer ihre Subventionen wiederhaben wollen, nutzen auf den Inseln fleißige und geschäftstüchtige Leute ihre neuen Chancen.

Die (nur durch ein verkorkstes Wahlsystem mögliche) Regierungsübernahme durch den widerlichen Tsipras mit seinem Stinkefinger-MInister und seinen rechtsextremen Partnern hat Griechenland schwer geschadet. Die Reformpolitik ist gestoppt, wesentlich Verbesserungen drohen wieder zurückgedreht zu werden, und mit der blinden Hau-Drauf-Rhetorik werden nur die Syriza-Hardliner befriedigt, dem Land aber droht nun der komplette Kollaps.

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.547

04.04.2015 12:52
#17 RE: Phantomschmerzen Antworten

Bei Krisenpolitik zeichnet sich der Schritt von 11:55 auf 11:56 dadurch aus, daß Aktionismus & Kasperletheater ununterscheidbar werden. Soweit sichtbar oder angekündigt oder angedroht oder angedacht ist, gibt Tsipras jetzt den Fidel. Wann werden die ersten Atomraketen auf Kreta stationiert?

TF Offline



Beiträge: 281

04.04.2015 15:23
#18 RE: Phantomschmerzen Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #16
Die (nur durch ein verkorkstes Wahlsystem mögliche) Regierungsübernahme durch den widerlichen Tsipras mit seinem Stinkefinger-MInister und seinen rechtsextremen Partnern hat Griechenland schwer geschadet. Die Reformpolitik ist gestoppt, wesentlich Verbesserungen drohen wieder zurückgedreht zu werden, und mit der blinden Hau-Drauf-Rhetorik werden nur die Syriza-Hardliner befriedigt, dem Land aber droht nun der komplette Kollaps.


Tsipras wurde eben nicht wegen des Wahlsystems Premier. Die absolute Mehrheit hat Syriza, ANEL oder noch Schlimmeres gewählt. Vor allem aber gibt es keine einzige relevante Partei, die aus Einsicht und Überzeugung wirklich zu Änderungen bereit ist, die über allgemeine Lippenbekenntnisse hinausgehen. Wenn sich etwas ändern soll, MUSS Griechenland pleite gehen. Nur wenn wirklich gar kein Ausweg mehr bleibt, wird Tsipras wider Willen vernünftig wirtschaften. Wenn die übrigen Euroländer den Geldhahn zudrehen, wird Griechenland keinen anderen Dummen finden, der ständig viel Geld in dieses Fass ohne Boden schüttet. Ich habe aber absolut kein Vertrauen in Merkel. Dass sie mal was richtig macht, glaube ich erst, wenn es soweit ist.

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

04.04.2015 18:11
#19 RE: Phantomschme Antworten

Zitat von TF im Beitrag #18
Wenn sich etwas ändern soll, MUSS Griechenland pleite gehen. Nur wenn wirklich gar kein Ausweg mehr bleibt, wird Tsipras wider Willen vernünftig wirtschaften. Wenn die übrigen Euroländer den Geldhahn zudrehen, wird Griechenland keinen anderen Dummen finden, der ständig viel Geld in dieses Fass ohne Boden schüttet.
Die Lage ist ein bißchen anders. Niemand hätte lieber, daß Griechenland pleite geht, als die griechische Regierung. Dann sagen sie: "Wir sind pleite, liebe Gläubiger, bitte schreibt eure Forderungen gegen uns ab." Danach kann Griechenland bei Null wieder anfangen. Mit dem gegenwärtigen Einnahmen und ohne Zinszahlungen und Tilgungen kommt die griechische Regierung aus. Zur Not könnte man nach einer Pleite moderat neue Kredite auf dem Markt aufnehmen. Dort hat schon jetzt Griechenland fast keine Verbindlichkeiten mehr, weil ja alle diese wertlosen Schuldverschreibungen von der EU den Banken abgekauft wurden. Dadurch wurde die griechische Staatsverschuldung von einer zivilrechtlichen zu einer politischen Verbindlichkeit: Die Banken hätten ihr Geld einklagen können, und sich notfalls an griechischer Staatsaktiva schadlos halten können (z.B. Militärgüter, Immobilien), wenn das die Gerichte entscheiden. Schäuble und Merkel können aus politischen Gründen nicht so einfach vorgehen. Mit der ganzen Eurorettungspolitik hat man weder den Euro gerettet, noch die verschuldeten Staaten, sondern die Gläubiger und die Möglichkeit, weiter Schulden aufnehmen zu können.

TF Offline



Beiträge: 281

04.04.2015 19:03
#20 RE: Phantomschme Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #19
Zitat von TF im Beitrag #18
Wenn sich etwas ändern soll, MUSS Griechenland pleite gehen. Nur wenn wirklich gar kein Ausweg mehr bleibt, wird Tsipras wider Willen vernünftig wirtschaften. Wenn die übrigen Euroländer den Geldhahn zudrehen, wird Griechenland keinen anderen Dummen finden, der ständig viel Geld in dieses Fass ohne Boden schüttet.
Die Lage ist ein bißchen anders. Niemand hätte lieber, daß Griechenland pleite geht, als die griechische Regierung. Dann sagen sie: "Wir sind pleite, liebe Gläubiger, bitte schreibt eure Forderungen gegen uns ab." Danach kann Griechenland bei Null wieder anfangen. Mit dem gegenwärtigen Einnahmen und ohne Zinszahlungen und Tilgungen kommt die griechische Regierung aus. Zur Not könnte man nach einer Pleite moderat neue Kredite auf dem Markt aufnehmen.

Die Schulden Griechenlands bleiben selbstverständlich auch bei einer Pleite bestehen. Dass die Griechen nicht zahlen können und wollen, ändert daran gar nichts. Einen Primärüberschuss hatten die Griechen auch bei Samaras allenfalls mit Statistiktricks und bei Tsipras ist daran gar nicht zu denken - es sei denn er wird durch eine Staatspleite dazu gezwungen. Ein offener Bankrott wird ihn in jedem Fall zu unpopulären Maßnahmen zwingen, womit seine parlamentarische Mehrheit schnell futsch sein dürfte. Am Markt erhielte Griechenland schon jetzt kein Geld oder höchstens zu sehr hohen Zinsen und das wird nach einem offenen Bankrott und bei dieser Regierung erst recht der Fall sein. In einer neuen Ramschwährung wird sich Griechenland kein Geld im Ausland beschaffen können. Drachmen-Anleihen wären praktisch unverkäuflich.

Zitat
Dadurch wurde die griechische Staatsverschuldung von einer zivilrechtlichen zu einer politischen Verbindlichkeit: Die Banken hätten ihr Geld einklagen können,


Rein theoretisch. Ich erinnere nur an Kaupthing, wofür der isländische Staat gebürgt hatte.

Martina Offline



Beiträge: 41

06.04.2015 21:53
#21 RE: Phantomschmerzen Antworten

Sehr gute, klare Analyse - vielen Dank dafür!

Paul Offline




Beiträge: 1.285

09.04.2015 14:25
#22 RE: Phantomschmerzen Antworten

Heureka, ich habe eine Erleuchtung.

Habe soeben nebenbei im Fernsehen die Ankündigung von MONITOR für heute Abend gesehen. Es geht wohl auch um den Reichtum der Katholischen Kirche.
Das hat bei mir einen Gehirnüberschlag ausgelöst und ich habe ganz nebenbei die Lösung für die Finanzkrise Griechenlands gefunden.
Immer wieder wird die Kirche auf ihren Reichtum hingewiesen und auf die Armut in der Welt. Sie wird aufgefordert ihre Kunstschätze zu verkaufen, um den Hunger in der Welt zu lindern.

Das wäre doch für Griechenland auch eine gute Lösung?

Könnte sich Deutschland nicht auch von seinen Schulden, derzeit mehr als 2,46 Billionen Euro, befreien?
http://www.silberknappheit.de/schulden/staat.php

LG; Paul

___________________________
JE SUIS JUIF

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.547

09.04.2015 14:59
#23 RE: Phantomschmerzen Antworten

Zitat von Paul im Beitrag #22
Immer wieder wird die Kirche auf ihren Reichtum hingewiesen und auf die Armut in der Welt. Sie wird aufgefordert ihre Kunstschätze zu verkaufen, um den Hunger in der Welt zu lindern.


Da waren wir doch schon mal?

Zitat
Paul VI. ließ sich nach seiner Wahl zum Papst 1963 zwar noch mit der dreistufigen, mit Diamanten verzierten Tiara aus Silber krönen. Doch schon 1964 legte er diese Krone als überholtes Symbol päpstlicher Macht und kirchlich-triumphalistischen Glanzes ab und verschenkte sie für einen sozialen Zweck. Seine Demut setzt Zeichen: Kein neuer Papst hat sich seither mehr krönen lassen.


http://www.badische-zeitung.de/kommentar...--92919470.html

Herbert Rosendorfer hat darum herum die Kurzgeschichte "Eine Krone für die Armen der Welt" gestrickt (in Buchform im Band Ball bei Thod, 1980), in der zwei Münchner Herren, die gewohnheitsmäßig unter Brücken nächtigen & sich daher als anspruchberechtigt erachten, auf Schusters Rappen zum Hl. Stuhl pilgern & schlußendlich sogar von einem Kämmerer empfangen werden.

Zitat

"Am 14. November 1964 hat der Heilige Vater in einer - wie es in der Presse hieß - bewegenden Geste seine edelsteinbesetzte Tiara den Armen der Welt zum Geschenk gemacht. Wir, mein Freun Adami und ich, gehören zu den Armen der Welt, wie Sie sich Herr Geheimkämmerer, unschwer durch Augenschein überzeugen können. Wir sind gekommen, unseren Anteil abzuholen, bitte."
....
Der Geheimkämerer nahm einen Zettel vom Tisch.
"Die Tiara des Heiligen Vaters, die er, das ist richtig, den Armen der Welt zum Geschenk gemacht hat, ist nach vorsichtiger Schätzung fünfzigtausend Mark wert. Das ist der reine Materialwert. Alterttumswert hat sie nicht, denn sie wurde erst nach der Thronbesteigung Seiner Heiligkeit angefertigt. Wenn wir davon ausgehen, daß es nur - das ist eine unverantwortlich niedrige gegriffene Zahl - fünfzig Millionen Arme auf der Welt gibt, so entfallen auf jeden Armen 0,1 Pfennig. Ihr, meine lieben Söhne, habt jeder einmal übernachtet. Setzen wir dafür jeweils zehn Mark an. Und hier hat jeder von euch noch tausend Lire, das sind ungefähr sechs Mark. Sechzehn Mark sind das Sechzehntausendfache des euch zustehenden Betrages."
"Mehr ist die Tiara nicht wert?" fragte der heilige Georg.
"Den würdigen Ehrenschutz, den euch nun unverzüglich die Schweizergarde bis zur Porta Sant'Anna gewähren wird, stelle ich dabei gar nicht in Rechnung. Im übrigen läßt euch Seine Heiligkeit seinen väterlichen Segen übermitteln und -," sagte der Geheimkämmerer, "- ich zähle auf eure Verschwiegenheit. Nicht daß jetzt alle kommen."



https://books.google.de/books?id=Z0svBwA...%20welt&f=false

Im Fall der Griechen wäre wohl als Voraussetzung nötig, daß sie sich endlich daran erinnern würden, daß auf dem Konzil von Konstanz 1419 das Schisma von 1095, das zur formellen Spaltung von Ost- und Westkirche führte, mit Brief & Siegel für erledigt erklärt wurde. Das ist zwar ohne praktische Folgen geblieben & hat dem winzigen Rest des Byzantinischen Reichs auch nichts gebracht, aber welchen Spruch hören wir anitzt fortwährend? Pacta sunt servanda.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

09.04.2015 15:11
#24 RE: Phantomschmerzen Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #23
Herbert Rosendorfer hat darum herum die Kurzgeschichte "Eine Krone für die Armen der Welt" gestrickt (in Buchform im Band Ball bei Thod, 1980), in der zwei Münchner Herren, die gewohnheitsmäßig unter Brücken nächtigen & sich daher als anspruchberechtigt erachten, auf Schusters Rappen zum Hl. Stuhl pilgern & schlußendlich sogar von einem Kämmerer empfangen werden.

Das ist aber erst die zweite Assoziation. Die erste wäre der Film "In den Schuhen des Fischers" mit Anthony Quinn und Oskar Josef Bschließmayer (aka Werner), in dem neben der ökonomischen Heilung der Welt durch die Verscheuerung kirchlicher Eigentümer auch noch die politische (Lösung eines atomaren Konfliktes) und die Beseitigung der christlich-jüdischen Spannungen (Papst betet das Shema Yisrael mit einer jüdischen Familie) angeboten wird.

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

14.04.2015 12:50
#25 RE: Phantomschmerzen Antworten

Eine ziemlich ausführliche und interessante Analyse der geschichtlichen Hintergründe von Günter Ederer.

 Sprung  



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