Ironischerweise stellt gerade die Nation einen weiteren großen Teil der Gäste, die vor dem 20. Jahrhundert als "Marktführer" in Sachen Antisemitismus galt: Die Spanier. Aber auch die sehen das ja schon lange anders ...
Zitat von R.A. im Beitrag #1Auf jeden Fall kann man wohl davon ausgehen, daß die Deutschen und Polen im heutigen Kazimierz die jüdische Tradition wirklich respektieren. Die deutschen Gäste allemal, die extra wegen dieser Wertschätzung anreisen. Zwar wären viele von ihnen wohl jederzeit fähig, eine Petition gegen das moderne Israel zu zeichnen. Aber das wäre dann Dummheit, kein bewußter Antisemitismus.
Und das beste - von dort kann man direkt in den Shuttlebus nach Auschwitz einsteigen. Ich habe das Viertel auch vor ein paar Jahren besucht und bin mir ziemlich fehl am Platz vorgekommen (ich wusste das vorher nicht, dass das alles Show ist). Im Nachhinein fand ich Henryk Broders Beobachtung vom Disneyland des Todes bestätigt. Eine Wellnessoase mit drei Punkten bei Anspruch für den braven Deutschen, der "aus der Geschichte gelernt hat".
Da die "Wertschätzung" ja vor allem den toten Juden gilt, die in diesem Schmierentheater künstlich zum Leben erweckt werden, obwohl sie, wie Du richtig beobachtest, gar nicht mehr da wohnen, ergibt sich überhaupt kein Widerspruch zum Antiisraelismus der deutschen Besucher.
Übrigens werfe ich den Polen gar nicht vor, dass sie mit dieser Art von Folklore Geld verdienen. Aber als Besucher muss man sich halt bewusst sein, dass das Ganze auch nix anderes ist als eine "traditionelle" Teppichknüpferei in Antalya oder ein Verkaufsstand mit original tschechischem Muranoglas in Venedig.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #2Und das beste - von dort kann man direkt in den Shuttlebus nach Auschwitz einsteigen.
Das fand ich so schrecklich. Überall in der Innenstadt die kleinen Buchungsbüros mit Reklame für die schönsten Ausflugsziele: Bergwerk, Breslau, Hohe Tatra, Tschenstochau, Auschwitz. Ein Ziel wie alle anderen. Ist aber offenbar nur uns Deutschen speziell unangenehm.
Zitat ich wusste das vorher nicht, dass das alles Show ist
Nun, ich habe mir jetzt nicht jeweils den "Nicht-Arier-Nachweis" aller Teilnehmer zeigen lassen. Bei einem Klezmer-Konzert war der Kopf des Trios (Jascha Liebermann, begnadeter Geigenspieler) bestimmt Jude, die anderen beiden wohl nicht. Bei der Masse der Beschäftigten in den jüdischen Restaurants etc. kann es sich aber nur um "normale Polen" handeln.
Zitat Da die "Wertschätzung" ja vor allem den toten Juden gilt, die in diesem Schmierentheater künstlich zum Leben erweckt werden, obwohl sie, wie Du richtig beobachtest, gar nicht mehr da wohnen, ergibt sich überhaupt kein Widerspruch zum Antiisraelismus der deutschen Besucher.
Ich würde den Klezmer-Konzert-Besuchern in Kazimierz keinen Anti-Israelismus unterstellen. Auch die Linken unter ihnen sind m. E. ganz ehrlich emotional für Juden und Israel engagiert. Die aber trotzdem auf Pallywood reinfallen können - die sind nun mal recht geschickt und bekommen in den deutschen Medien viel Unterstützung von den echten Antisemiten. Darauf fallen eben viele Leute rein, die selber keine Antisemiten sind.
Zitat Übrigens werfe ich den Polen gar nicht vor, dass sie mit dieser Art von Folklore Geld verdienen. Aber als Besucher muss man sich halt bewusst sein, dass das Ganze auch nix anderes ist als eine "traditionelle" Teppichknüpferei in Antalya oder ein Verkaufsstand mit original tschechischem Muranoglas in Venedig.
Vorwurf natürlich nicht. Aber es gibt da schon einen entscheidenden Unterschied: Wenn die Venezianer nicht mehr die Original-Ware verkaufen, dann liegt das nicht daran, daß ihre Großväter die Murano-Glasbläser totgeschlagen hätten ...
Zitat von Meister Petz im Beitrag #2Und das beste - von dort kann man direkt in den Shuttlebus nach Auschwitz einsteigen.
Das fand ich so schrecklich. Überall in der Innenstadt die kleinen Buchungsbüros mit Reklame für die schönsten Ausflugsziele: Bergwerk, Breslau, Hohe Tatra, Tschenstochau, Auschwitz. Ein Ziel wie alle anderen. Ist aber offenbar nur uns Deutschen speziell unangenehm.
Darauf wollte ich gar nicht raus, sondern das Makabere ist, dass diese ganze Klezmerei ja ohne die Nähe zu Auschwitz nicht denkbar ist. Ein All-Inclusive-Package - tagsüber Betroffenheit an der Gaskammernruine und abends Gejiddel im Shtetl-Themepark. Das finde ich so gruslig, und das kenne ich eben nur von da.
Zitat ich wusste das vorher nicht, dass das alles Show ist
Nun, ich habe mir jetzt nicht jeweils den "Nicht-Arier-Nachweis" aller Teilnehmer zeigen lassen. Bei einem Klezmer-Konzert war der Kopf des Trios (Jascha Liebermann, begnadeter Geigenspieler) bestimmt Jude, die anderen beiden wohl nicht. Bei der Masse der Beschäftigten in den jüdischen Restaurants etc. kann es sich aber nur um "normale Polen" handeln.
Es ist trotzdem Show, die Stammeszugehörigkeit ist sekundär. Wenn im Hofbräuhaus eine Schuhplattlergruppe auftritt, wird die Show davon, dass die feschen Burschen echte Oberbayern sind, nicht weniger. Das ist ja alles legitim, aber es bekommt halt ein Geschmäckle, wenn ein deutscher Besucher das Ganze nicht als solche empfindet, sondern als authentisches jüdisches Leben begreift. Wie du ja sagst, die reisen extra deswegen an.
Zitat
Zitat Da die "Wertschätzung" ja vor allem den toten Juden gilt, die in diesem Schmierentheater künstlich zum Leben erweckt werden, obwohl sie, wie Du richtig beobachtest, gar nicht mehr da wohnen, ergibt sich überhaupt kein Widerspruch zum Antiisraelismus der deutschen Besucher.
Ich würde den Klezmer-Konzert-Besuchern in Kazimierz keinen Anti-Israelismus unterstellen. Auch die Linken unter ihnen sind m. E. ganz ehrlich emotional für Juden und Israel engagiert. Die aber trotzdem auf Pallywood reinfallen können - die sind nun mal recht geschickt und bekommen in den deutschen Medien viel Unterstützung von den echten Antisemiten. Darauf fallen eben viele Leute rein, die selber keine Antisemiten sind.
Natürlich sind die ganz ehrlich für Israel engagiert - dass es endlich seine kriegstreiberische Besatzerregierung loswird und seine Atomwaffen abrüstet, damit die friedliebenden Nachbarn nix mehr zu befürchten haben. Du weißt ja, Kritik unter Freunden...
Zitat Übrigens werfe ich den Polen gar nicht vor, dass sie mit dieser Art von Folklore Geld verdienen. Aber als Besucher muss man sich halt bewusst sein, dass das Ganze auch nix anderes ist als eine "traditionelle" Teppichknüpferei in Antalya oder ein Verkaufsstand mit original tschechischem Muranoglas in Venedig.
Vorwurf natürlich nicht. Aber es gibt da schon einen entscheidenden Unterschied: Wenn die Venezianer nicht mehr die Original-Ware verkaufen, dann liegt das nicht daran, daß ihre Großväter die Murano-Glasbläser totgeschlagen hätten ...
Nein, es liegt in beiden Fällen daran, dass es den Kunden völlig wumpe ist, ob das "echt" ist oder nicht. Die Frage, ob man an den Verkäufer in dem Fall einen Pietätsanspruch stellen muss, ist scheinheilig.
Zitat von R.A. im Beitrag #3... Auschwitz. Ein Ziel wie alle anderen.
Dazu passend: Verwandtschaft aus Kanada möchte uns nächste Woche für einige Tage besuchen. Und wo sie schon mal im Rhein-Main-Gebiet sind, möchten sie auch ein paar typisch deutsche Sehenswürdigkeiten in der Umgebung besichtigen: Neuschwanstein, das Rheintal, den Schwarzwald, Auschwitz und die Berliner Mauer. (Und außerdem wollen sie "the train" anschauen. Völlig unklar, was sie damit meinen).
Außerhalb von Deutschland und Israel ist Auschwitz halt eine normale Touristenattraktion ...
Zitat von R.A. im Beitrag #5(Und außerdem wollen sie "the train" anschauen. Völlig unklar, was sie damit meinen).
Da es sich herumgesprochen haben dürfte, daß der Transrapid nur noch Museumswert hat (& eher als "maglev" geläufig sein dürfte), könnte es sich um ein Transportmittel handeln, das dafür sorgt, daß die genannten Orte tatsächlich in der Nachbarschaft liegen & das seit einem kurzen Gastpiel 1993 id Staaten dort eine gewisse Aura der coolness besitzt.
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #6... könnte es sich um ein Transportmittel handeln, das dafür sorgt, daß die genannten Orte tatsächlich in der Nachbarschaft liegen
Denkbar. Wobei das "dafür sorgt" eher das theoretische Potential beschreibt, nicht das, was der Bahnfahrplan praktisch daraus macht.
Mit den touristischen Auschwitz-Ausflügen einschl. Kaffee und Kuchen ist es womöglich so ähnlich bestellt wie mit den historischen Schlachten, die heutzutage als Gaudi und Kostümfest nach"gespielt" werden. Wie z.B. das hier (Belgien-Tourismus). Bei der Originalveranstaltung gab's immerhin 40.000 Tote und Verwundete - wie lustig.
In diesem Sinne wird auch Auschwitz peu à peu historisiert, sprich: Es wird zunehmend Routine, sobald gar keine Zeitzeugen mehr leben. Vermutlich geht das nicht anders, ist vielleicht sogar produktiv, obwohl sich das blasphemisch anhört. Andernfalls müsste man doch à la Schopenhauer das Menschengeschlecht als ein komplett vermaledeites und gänzlich unheilbares Desaster abschreiben.
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #8ist es womöglich so ähnlich bestellt wie mit den historischen Schlachten, die heutzutage als Gaudi und Kostümfest nach"gespielt" werden.
Wobei man bei "Waterloo" (die korrekte deutsche Bezeichung ist natürlich "Belle-Alliance") schon einen gehörigen zeitlichen Abstand hat und keine Zeitzeugen mehr leben. Solche "Kostümfeste" gibt es aber auch zum zweiten Weltkrieg. Nicht in Deutschland, da wäre das wohl ein Skandal, wohl aber in anderen Ländern, insbesondere Polen und Rußland. Wobei es dort besonders beliebt ist, die deutsche Seite zu spielen, vorzugsweise die Waffen-SS.
Zitat von R.A. im Beitrag #9Solche "Kostümfeste" gibt es aber auch zum zweiten Weltkrieg. Nicht in Deutschland, da wäre das wohl ein Skandal, wohl aber in anderen Ländern, insbesondere Polen und Rußland. Wobei es dort besonders beliebt ist, die deutsche Seite zu spielen, vorzugsweise die Waffen-SS.
Ich kenne ein paar Leute, die sich in der "Reenactment"-Szene rumtreiben, sogar relativ ernsthaft - das ist schon mehr experimentelle Archäologie, einer von denen war am Bau der römischen Galeere in Regensburg beteiligt: http://www.landkreis-regensburg.de/Freiz...cheGaleere.aspx
Von daher weiß ich, dass es in Deutschland sogar verboten ist, den 2. Weltkrieg nachzustellen (in der Regel wg. Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen). So wie die Diskussion in den USA momentan läuft, wird Bürgerkriegs-Reenactment in den USA bald auch nicht mehr möglich sein, weil niemand die Konföderierten spielen darf: http://www.bbc.com/news/world-us-canada-33420598
Aber der zeitliche Abstand ist gar nicht so das Thema, ich bin mal auf einer Spazierfahrt in der südlichen Oberpfalz auf ein "Vietnam-Reenactment" gestoßen, wo irgendwelche Leute mit alten Jeeps im Gelände rumgeheizt sind . Ob die aber lieber die Vietcongs gespielt haben (Ist anzunehmen ), konnte ich nicht ermitteln.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #10Ich kenne ein paar Leute, die sich in der "Reenactment"-Szene rumtreiben, sogar relativ ernsthaft - das ist schon mehr experimentelle Archäologie,
Ich bin zufällig darauf gestoßen und habe mir im Laufe der Zeit mittlerweile die meisten Videos angeschaut.
Finde ich wirklich spannend und lehrreich. Deshalb an dieser Stelle eine ganz deutliche Empfehlung, da mal reinzuschnuppern.
Es gibt einige kleine Filme, in denen Schlachten nachgestellt werden. Und dann sehr detailliert erklärt wird, wie und warum da vorgegangen wird.
Dann jede Menge historische Militär-Details. Da wird zum Beispiel der Aufbau der Phalanx erklärt. (Soweit kannte ich das aus dem Geschichtsunterricht). Aber dann schildert er ganz praktisch, welche Probleme bestehen, wenn man in einer Phalanx kämpft (weil er das selber ausprobiert hat). Ob man den Speer über- oder Unterarm hält. Oder: welchen Zweck genau die Schilder in der Phalanx haben. (Nämlich: Sie dienen zu großen Teilen dazu, den rechten Nachbarn zu decken. Das hat interessante Folgen. Zum Beispiel wird das linke Ende der Phalanx deshalb immer weiter zurückweichen und sich die beiden Phanlanxreihen langsam gegen Uhrzeigersinn umeinander drehen. Und: Das Phalanx-Schild ist komplett nutzlos im Einzelkampf. Es erzwingt also einen Formationskampf und verhindert, dass Phalanx-Mitglieder die Flucht ergreifen (weil sie dann auf sich alleine gestellt wären und das wäre bei dieser Bewaffnung selbstmörderisch). usw.usf.
Bis hin zu größeren historischen Erörterungen. Zum Beispiel ein echter Augenöffner für mich: Offene Feldschlachten waren in Antike und Mittelalter extrem seltene Ereignisse. Ganz überwiegend bestanden Kriege aus Belagerungen. War mir so nicht bewusst (ist aber plausibel. Man braucht bloß mal die Annalen durchgehen und die tatsächlichen Schlachten durchzählen). Und es wird auch gut begründet, warum das so ist.
Nicht zuletzt auch jede Menge Details zu historischen Waffen.
(Und nicht zuletzt noch ein nettes Detail: Der Engländer "Lindybeige" ist politisch ein Typ, wie wir ihn in Deutschland kaum kennen. Aufgrund Habitus, akademischen Hintergrund und Lebensstil wäre er in Deutschland vermutlich ein Grüner (der so weit geht, seine Hemden selbst zu färben). Aber gleichzeitig sehr liberal bis libertär. Komplett frei von der linken Attitüde der deutschen Grünen.)
Laut John Keegan diente die griechische Phalanx hauptsächlich dazu, den Nachbarn am Fortlaufen zu hindern. Praktisch verwandelte das einen Heerhaufen in einen Rammbock, ging aber mit extrem hohen Verlusten einher, wenn der Gegner nicht, wie im Fall der Barbaren, über den Haufen gerannt werden konnte, sondern selbst als Phalanx auftrat. Es wäre mal der Untersuchung wert, ob das griechische Ideal, allein im Krieg Fleißbienchen sammeln zu können (mit der entsprechenden Abwertung der Brotberufe) zur Verstärkung dieses verpeilten Ansatzes gedacht war. Das Ziel von Belagerungen war in vielen Fällen nicht die Einnahme von Städten (deswegen bildete sich ja ab em Spätmittelalter die Option der Brandschatzung heraus, also die Möglichkeit, sich durch Tribut von der anstehenden Plünderung freizukaufen), sondern die Verheerung des versorgenden Umlandes.
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Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #12Laut John Keegan diente die griechische Phalanx hauptsächlich dazu, den Nachbarn am Fortlaufen zu hindern.
Ich halte viel von Keegans Einschätzungen, aber das halte ich für sehr übertrieben. Die Peltasten (leiche Truppen in lockerer Formation) der griechischen Heere sind auch nicht davongelaufen, obwohl sie mit ihrer Stationierung auf den Flügeln viel leichter Gelegenheit dazu hatten.
Zitat Praktisch verwandelte das einen Heerhaufen in einen Rammbock, ging aber mit extrem hohen Verlusten einher, wenn der Gegner nicht, wie im Fall der Barbaren, über den Haufen gerannt werden konnte, sondern selbst als Phalanx auftrat.
Da gibt es wenig Unterschied zwischen einer barbarischen und einer Phalanx-Formation. Beim Sieger sind die Verluste relativ niedrig, bis zur Schlachtentscheidung gibt es beidseitig nur wenige Tote. Aber sobald eine Seite bricht und sich zur Flucht wendet, erleiden die fast wehrlosen Flüchtenden meist erheblich Verluste. Das ist aber keine spezielle Eigenschaft der Phalanx, sondern eigentlich bei allen Schlachten der Vor-Feuerwaffen-Zeit so: Wenn man sich so dicht auf die Pelle rückt, kommt man bei Niederlage nicht mehr schnell genug vom Gegner los.
Zitat Es wäre mal der Untersuchung wert, ob das griechische Ideal, allein im Krieg Fleißbienchen sammeln zu können (mit der entsprechenden Abwertung der Brotberufe) zur Verstärkung dieses verpeilten Ansatzes gedacht war.
Sehe ich nicht. Erst einmal gibt es bei den Griechen ja den Gegensatz Krieger-Brotberuf nicht. Berufssoldaten gibt es lange Zeit nur bei den Spartanern, ansonsten braucht der Phalangit einen ordentlichen Beruf, um sich überhaupt seine Ausrüstung leisten zu können. Und ansonsten ist es natürlich eine Konstante der europäischen Geschichte von Homer bis zweiter Weltkrieg, daß Militär Und Kriegsführen sehr hoch geschätzt wird. Die Abwertung der Brotberufe gegenüber den Berufssoldaten kommt dann ab dem Mittelalter.
Ganz hervorragend, vielen Dank für diesen Hinweis! Hat mich schon mal den gestrigen Abend gekostet ;-) Ein erstklassiger Militärhistoriker, aber auch seine Beiträge zu Archäologie, Musik, Sprache und Politik sind ziemlich gut.
Zitat Offene Feldschlachten waren in Antike und Mittelalter extrem seltene Ereignisse. Ganz überwiegend bestanden Kriege aus Belagerungen.
Auch später noch - das ändert sich eigentlich erst ganz in der Moderne, als die Heere so groß wurden, daß sie sich sozusagen in einer permanenten Feldschlacht die ganze Front entlang gegenüberstehen.
Aber vorher, mit meist nur einem Feldheer pro Seite, geht es im Feldzug im wesentlichen darum, irgendwelche Positionen zu erobern (die fast immer befestigt waren). Bis sich dann die beiden Heere finden und es ausfechten. Diese Feldschlachten werden zu Recht als besonders wichtig angesehen, weil sie im Gegensatz zu den Belagerungen den Krieg meist auch entscheiden.
Wobei "Belagerung" nicht unbedingt mit viel Kampf verbunden sein muß. Da gibt es erst einmal den Fall, daß das angreifende Heer vor einer Burg o. ä. einfach nur eine Truppe stationiert, um ungestört weitermarschieren zu können. Das ist dann keine ernsthafte Belagerung, sondern eher nur eine Bewachung. Und auch sonst kommt es nur selten zu größeren Kämpfen mit Erstürmung der Stadt/Burg. Das vermeiden beide Seiten meistens. Die Angreifer, weil die Erstürmung fürchterliche Verluste kostet. Und die Verteidiger, weil eben wegen dieser Verluste die erfolgreiche Erstürmung fast immer zu Massakern und anderen Greueln führen wird.
Die normale Belagerung bedeutet eigentlich nur, daß der Angreifer seine Truppen rund um das zu erobernde Ziel aufbaut und damit klarmacht, daß er die Machtmittel und die Entschlossenheit hat, es auf eine Erstürmung ankommen zu lassen. Wenn der Verteidiger nicht sehr begründete Hoffnungen hat, dies verhindern zu können (in der Regel dann, wenn er ein Hilfsheer erwartet), wird er in Verhandlungen treten und nach entsprechenden Zusicherungen des Angreifers kapitulieren. Das war in der Regel auch überhaupt nicht ehrenrührig für den kapitulierenden Kommandanten, sondern wurde zur Vermeidung unnötigen Blutvergießens durchaus erwartet.
Es geht daher bei den Feldzügen im wesentlichen um den Zeitfaktor: Wieviele Burgen/Städte wird der Angreifer in Besitz nehmen können, bevor der Verteidiger sein Heer gesammelt und herangeführt hat und der Krieg dann durch Feldschlacht entschieden wird.
Zitat von R.A. im Beitrag #9Solche "Kostümfeste" gibt es aber auch zum zweiten Weltkrieg. Nicht in Deutschland, da wäre das wohl ein Skandal, wohl aber in anderen Ländern, insbesondere Polen und Rußland.
Juri Andruchowytsch heute id FAZ zum "Reenactment":
Zitat von Fürst Igor und die MörsergranatenDer Krieg in der Ukraine ist von Politikern angezettelt worden, die in historische Mythen verliebt sind. Die Verbindungen des Konflikts ins Mittelalter sind aber wirklich frappierend.
Die monumentale Gegenwart von Fürst Igor und seinen Mannen im Einzugsgebiet unseres heutigen „hybriden Krieges“, in direkter Nähe zur Frontlinie, ist schrecklich symbolisch.
Ich versuche mir vorzustellen, wie die Kämpfenden von beiden Seiten des Siwerskyj Dinez auf den Fürsten Igor blicken. Für die ukrainischen Soldaten ist der Fürst fraglos ein Held der nationalen Vergangenheit. Sein Reiterstandbild mit großkalibrigen Waffen beschießen, das werden sie wohl auch unter kritischen Umständen kaum tun. Jede Geste mit Anspruch auf Symbolträchtigkeit oder wenigsten Theatralität erhält in diesem „hybriden Krieg“ entscheidende Bedeutung. Vergessen wir auch nicht das für solche Exzesse immer empfängliche russische Fernsehen mit seinen „Informationsanlässen“. Die Vernichtung des Fürsten Igor durch ukrainische Soldaten wäre ein Geschenk von unschätzbarem Wert für die russische Propaganda. Ich sehe die Schlagzeilen schon vor mir: „Die ukrainischen Faschisten haben die gemeinsame Vergangenheit unserer Brüdervölker zerschossen.“
Von der anderen Seite, der Seite der sogenannten „Separatisten“, ist es komplizierter. In ihren Reihen kämpfen viele Nichtslawen – Söldner aus dem Nordkaukasus oder genetisch mit den alten Polowzern verwandte Burjaten. Für sie ist Fürst Igor ein völlig fremder Held. Für die Burjaten, Kalmücken und anderen asiatischen Völker ist er nicht einfach nur fremd, er ist ein Feind. Er und sein Heer ermordeten einst ihre Vorfahren. Und jetzt ist er vor allem bronzebeschlagener Beton, hinter dem hervor man ungefährdet das gegenüberliegende Ufer des Flusses beschießen kann.
Die ganze Episode wird also zur absurden Metapher mit einem starken Schuss Archaik. Nicht von ungefähr handelt es sich bei den Schöpfern des Krieges im Donbass vor allem um in historische Mythen verliebte Kreml-Geopolitiker und Fantasy-Autoren. Ihren Anstrengungen ist es zu verdanken, dass das 21.Jahrhundert aus dem Donbass vertrieben und ausgebrannt wurde. Die Raumzeit füllt sich mit einem neuen, entsetzlichen Mittelalter – Seufzern, Klagen, Gebeten und abgerissenen Gliedmaßen.
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #15Juri Andruchowytsch heute id FAZ zum "Reenactment":
Der Nachkomme schwedischer Einwanderer als gemeinsamer Held von Russen und Ukrainern ...
So ein bißchen Geschichtsklitterung gehört ja immer dazu, wenn sich ein Herrscher oder ein Volk ihre nationale Vergangenheit konstruieren. Aber Putin ist da besonders "kreativ" - scheint aber inzwischen an die eigenen Lügen zu glauben.
Zitat von R.A. im Beitrag #16Aber Putin ist da besonders "kreativ" - scheint aber inzwischen an die eigenen Lügen zu glauben.
Wobei Putin, wie üblich in Autokratenkreisen, das ja nur abgreift.
Zitat von Timothy Snyder im InterviewDer Chefideologe des Eurasianismus ist Alexander Dugin. Dessen grundlegende Idee lautet, dass Liberalismus, Demokratie und Recht allesamt leere Gefäße sind, dass sie nicht mehr als Projektionen irgendeiner Form von amerikanischer Weltordnung darstellen. Es ist offensichtlich, dass sich Putin diese Perspektive mittlerweile in der einen oder anderen Form zu eigen gemacht hat.
Dugin vertritt die Idee, dass es die Ukraine nicht wirklich gibt; dass sie, wenn überhaupt, nur existiert, um kolonisiert zu werden; dass die Ukrainer keine wirklichen Menschen sind. Aus welchen Gründen auch immer scheint Putin diese Ideen nun übernommen zu haben. Dasselbe gilt für Dugins Idee, dass Russland den Ehrgeiz haben sollte, nicht allein Russland selbst, sondern den gesamten eurasischen Kontinent zu transformieren. Das ist inzwischen die Leitdoktrin der russischen Außenpolitik, wenn auch nicht in einer dramatischen Art und Weise. Aber immerhin: Die Russen verfolgen heute das Konzept einer neuen Eurasischen Union, die sich von Lissabon bis Wladiwostok erstrecken soll.
Und Dugin bedient sich da aus dem ziemlich weiten Feld der Slavophilen des 19. Jhdt.s. Eine Ironie liegt darin, daß die, als die auf der Suche nach irgendeinem Großen Gründervater waren, sich auf Fürst Igor eingeschossen hatten, weil Ivan d. Gr. & Peter I. entweder nur als Ungeheuer galten oder eben im Fall des letzten zu stark nach Evropa ausgerichtet waren: der war zwar der gewünschte Gewaltherrscher, hatte aber alles, was die für nationales Tätärä brauchten, in den Staub getreten bzw. in die Newa-Sümpfe (Puschkins "Eherner Reiter" bringt dieses schizophrene Verhältnis auf den Punkt) & deshalb auf ein legendenhaftes Mittelalter rekurrierten. Die Idee ist natürlich 1:1 bei der deutschen Romantik abgegriffen. Die einzige Quelle ist das Igor-Lied, & es gibt die These, daß es sich dabei um eine Fälschung des 18. Jhdt.s handelt.
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Zitat von R.A. im Beitrag #3... Auschwitz. Ein Ziel wie alle anderen.
Dazu passend: Verwandtschaft aus Kanada möchte uns nächste Woche für einige Tage besuchen. Und wo sie schon mal im Rhein-Main-Gebiet sind, möchten sie auch ein paar typisch deutsche Sehenswürdigkeiten in der Umgebung besichtigen: Neuschwanstein, das Rheintal, den Schwarzwald, Auschwitz und die Berliner Mauer. (Und außerdem wollen sie "the train" anschauen. Völlig unklar, was sie damit meinen).
Außerhalb von Deutschland und Israel ist Auschwitz halt eine normale Touristenattraktion ...
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von Welt.online, 31.08.Niemand hat eine Lösung für die Flüchtlingsproblematik. Ich schon. Lasst uns doch einfach Auschwitz wieder eröffnen, wobei, es ist ja offen. Aber nein, so wie früher. Lasst uns all diejenigen, die Steine werfen, Häuser anzünden und auf Menschen urinieren, in Viehwaggons packen, Richtung Osten transportieren. Sie an der Rampe in Auschwitz empfangen, sie ausziehen lassen, ihnen ihr Hab und Gut wegnehmen, rasieren muss man sie ja nicht mehr – und sie in die Gaskammern schicken. Hinter ihnen die Türen verriegeln und dann, statt Gas, über die Lautsprecherboxen Helene Fischers "Atemlos" spielen.
Selbst wenn die Besucher extra wegen dem jüdischen Viertel kämen, würde es nicht viel aussagen, denn läge natürlich ein selection bias vor. Wer sich für so etwas interessiert, hat im Mittel eine weitaus positivere Einstellung zum Judentum als der Rest der Deutschen. Wer nach Israel reist, hat natürlich auch tendenziell eine positivere Einstellung zum Land als die Deutschen, die nie da waren. Die Antisemiten sind ja eher nicht die, die das Land ihrer Obsession bereisen. Realistischerweise ist das jüdische Viertel halt eine Sehenswürdigkeit unter vielen, die halt bei einem Aufenthalt in Krakau abgeklappert wird - wenn man denn überhaupt nach Polen kommt. Das hat mit Wertschätzung auch nicht unbedingt etwas zu tun.
Schon eher überrascht, dass man als Deutscher in Israel überhaupt nicht mit negativen Reaktionen rechnen muss.
Zitat von Jay LoomingsIn Minden gab es vor sechs Jahren zum 250. Jahrestag der Schlacht eine große Feier. Mit ➱re-enactment. Engländer waren auch da. Aber niemand von der Familie Sackville. Vor sechs Jahren war ich noch kein Blogger, sonst hätte das hier schon am 1. September 2009 in SILVAE gestanden.
Zitat Weltgeltung für einen Tag, das ist doch etwas. Dies ist ein Krieg, der über den Kabinettskrieg des 18. Jahrhunderts hinausgeht, weil er weltweit geführt wird. Aber eben auch bei Minden. Kein toller Ort für eine Schlacht, die Weser ist ein Hindernis. Von den moorigen Wiesen ganz zu schweigen. Der Historiker Frank McLynn hat mit seinem Buch 1759: The Year Britain Became Master of the World gezeigt, dass das Jahr 1759 für die englische Geschichte vielleicht wichtiger ist als das Jahr 1066.
Die vielen Kriege im 18. Jahrhundert sind gut für die englische Malerei. Wer adelig ist - oder Geld hat - lässt sich malen, wenn er ins Feld zieht. Man weiß ja nicht, ob man zurückkommt. Wenn man ein Held wird, dann lässt man sich wieder malen. Am besten von Joshua Reynolds und dann in einer Pose wie General Granby unten. Bei dem Bild oben von Sackville hat sich Reynolds nicht besonders angestrengt. Der Pferdekopf kostet den Kavalleristen zwar extra, stammt aber aus der Retorte. Das ist beim Pferd vom Marquess Granby ganz anders. Die Portraitmaler in dieser Zeit haben häufig einen kleinen Pferdestall neben ihrem Studio. Man möchte ja sein Pferd in voller Schönheit auf dem Bild haben. Nicht so mickrig wie bei Sackville. Lieber so wie das Pferd von ➱Major William Clunes, das Raeburn hier gemalt hat. ... Politiker vergessen schnell. Oder die Öffentlichkeit vergisst zu schnell. Aber irgendwie sind Politiker Stehaufmännchen, die hoffen, dass man alles vergessen hat. Mir fällt zu diesem Vergessen immer der Otto Wiesheu ein. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich gerade einen Artikel von Gabriele Goettle (auf diesem Bild ist sie ganz links, neben ihr Enzensberger) gelesen habe. Die ist im Juli von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung mit dem Johann Heinrich Merck Preis ausgezeichnet wird worden. Was ich rein zufällig von ihr gelesen hatte, war die Geschichte, wie der Wiesheu Otto den polnischen Rentner Josef Rubinfeld totgefahren hat. Der polnische Jude hatte Dachau überlebt, aber nicht mit seinem Polski Fiat die bayrische Autobahn und den Mercedes von Dr jur. ➱Otto Wiesheu. Der natürlich hackevoll war, das versteht sich für einen bayrischen Politiker. Er wurde in zweiter Instanz in einem skandalösen Prozess (in dem die Verteidigung versuchte, Wiesheu als ein Opfer darzustellen) zu zwölf Monaten Freiheitsstrafe zur Bewährung und zu einer Geldstrafe verurteilt. Wenige Jahre später war er Staatssekretär. Und wurde dann, und das ist selbst für bayrische Verhältnisse ein wenig zynisch, Verkehrsminister.
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