Beim Stichwort LP fällt mir immer der Begriff "Steampunk" ein: von der Entwicklung überholte Technik, der Nostalgie zuwächst & die durch die Beifügung der Facetten Haltung & Stil den Aufschwung in Cool-Hippe erhält. (Obwohl der Bereich Tontechnik bei den Afocinados eigentlich aussen vor ist. Liegt wahrscheinlich daran, dass die große Ära der LP Woodstock-plus/minus-10-Jahre umfasst; die zentralen Topoi dieser Zukunft-von-gestern: Zahnradmechanik, Dampftrieb, Telegraphen, Angströhren, Hochräder liegen 2 Generationen vorher.*)
Und im Zusammenhang "anders verlaufener Technikgeschichte" (wie wärs mit Luftschiffen oder Norman Bel Geddes Airliner Number 4?) plus "Tschechien" passt diese Fiktion vielleicht: Tony Daniel, "Radio Praha" (Asimov's Science Fiction, März 1998).
Zitat von Inhaltsangabe, Mark R. Kelly, Locus MagazineTony Daniel's „Radio Praha" has a powerful, immediate sense of presence, as its narrator evokes images of mysterious, smoky bars in eastern Europe, a place seemingly stuck in time and immune to progress. The narrator is an advertising consultant for an American tobacco company, and he has a special interest in watching smoke. He hangs out at a certain Prague bar where he meets an infamous entrepreneur named Peter Eastaboga, who in turns tells a story why his career in the CIA came to an end. Peter's tale involves a woman, a glassworks factory, and a secret state project in the early 1980s involving vacuum tubes - complex, beautiful vacuum tubes, employing the finest crystal. The project's engineers stumbled onto an unknown principle: when a radio built with the tubes is activated, time twists and can be made to stop from the perspective of those sitting inside the radio's influence.
The problem, Peter relates, was that the radio's batteries would not last long. The quest to improve the batteries led to a dangerous trick: operating one radio inside another's field. The experiment ended both the project and Peter's affair with his female contact. The story's setting in a technologically backward country gives the vacuum tube premise a steampunk plausibility, and its milieu of smoky bars is well-suited to the doomed, film-noir tale.
Und ja: ich weiß, daß als "Vater des Steampunk-Ästhetik" Karel Zeman gilt.
* Es gibt für die 60er, passgenau auf "swinging London" bezogen, eine erste, parodistische Steampunkwelle: die olle Feudel & Troddeln aufnimmt. Die Dampforgeleinspielungen auf "Penny Lane" & "Sgt. Pepper". Literarisch Moorcocks "Warlord of the Air" und Ronald Clarks "Queen Victoria's Bomb". Austin Powers' Outfit parodiert diese Periflage & fällt deshalb von vornherein flach.
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
Zitat von Meister Petz im Beitrag #3Also dass gerade Du nicht Wells' Time Machine als Offenbarungsevangelium des Steampunks heranziehst, wundert mich geziemend...
Liegt vielleicht daran, daß ich den Text mehr als 20 Mal von A-Z gelesen habe... (mehr als jeden andern; es handelt sich hier wirklich um ein Stück "Literaturklassiker", weil man jedesmal Facetten entdeckt, die einem bislang überhaupt nicht aufgefallen sind.) Wells & Verne stellen ja, nicht die Grundmuster, aber die Figuren, den Zeithintergrund; beim Steampunk handelt es sich aber um Pastiches, um Rückgriffe; im Grund auf Muster, die so lange zurückliegen, daß man mit ihnen frei spielen kann - und die sich, zweitens, noch für heutige Fragen oder Gemütslagen verwenden lassen (da liegt der Unterschied zu den Parodien/Pastiches der klassischen gothic novels, von du Mauriers Rebecca bis McGrath). Für Steampunk gilt wie für Sherlock Holmes: as sind die Uhren auf 1895 festgezurrt. Verne eignet sich natürlich besser: zum einen will der nicht aus seiner Zeit hinaus; & der ästhetische Kosmos ist durch die Illustrationen von Riou u.a. greifbar & bekannt; das ist auch alles schön mit Zahnrad-Mechanik; Wells ist da, in seiner Gegenwart, in den Scientific Romances (also vor In the Days of the Comet, 1906) ziemlich unanschaulich; überdies ländlich (Steampunk braucht Sherlock-Holmes'sche Gaslicht-Atmosphäre); auch Krieg der Welten. (Die Erklärung ist einfach: die Bücher spielen immer genau da, wo gerade sein Schreibtisch stand; & er konnte Metropolen nicht ab, weder finanziell noch vom Temperament). Bei Wells läuft das immer auf biologische Albträume raus, weit vom hier-&-jetzt: das wird alles auf 1 Höhepunkt hin gebaut, wo der Protagonist ins ultimative Dschungelcamp untertaucht (Prendick nach dem nächtlichen Abfackeln von Dr. Moreaus Labor auf der von monströsen Tiermenschen, die gerade ins Raubtierstadium regrediert sind, überlaufenen Insel; Cavor, der von den insektoiden Seleniten ins Mondinnere evrschleppt wird; der Zeitreisende, als er Weena in die "Brunnen"/Lüftungsschächte der Morlocks nachklettert). Wir sehen Wells durch die Optik der Verfilmungen, die das viktorianische Ambiente als Achtergrund haben (Wells selbst hat das aus ganzer Seele gehasst; wie alle die Edwardians): wie bei dem Auftakt von George Pal von 1960; auch bei Harryhausen-Fassung von First Men in the Moon v. 1964; bei ihm selbst sah das eher nach der Ästhetik von Things to Come aus.
Wells-selbst ist also so wenig Steampunk wie Verne. Es gibt aber in der Genese dieses Subgenres ein paar Texte, die die Zeitmaschine aufgreifen, als direkte Fortsetzung: Christopher Priests The Space Machine (1976) & K.W. Jeters Morlock Night (1979) (Jeter hat den Begriff ja für diese Art von Literatur geprägt, 1987, ganz als parodistische Abwandlung von "Cyberpunk", weil der Ausdruck zu der Zeit der absolute Modebegriff war & William Gibson der Bruce Springsteen von Bruce Sterling war [frei nach Verdi ist der Wagner Mozarts]). In der Regel kommt da Wells selbst drin vor, wie in so gut wie allen Fortsetzungen fremder Hand; auch in Time After Time, 1979 - was aber genau kein Steampunk ist. (Wg. "zeitgleich" gibts sogar ein paar Texte, in denen Wells auf Holmes trifft, während die Marsianer London plattmachen; u.a. bei Manly Wade Wellman.)
Das Zeitmaschinenmodell von George Pal ist natürlich so etwas wie ein Archetypus geworden (hier kann man lesen, was aus dem Original geworden ist); ist aber eben nachgereicht. Eins der Dinge, die einem erst bei mehrmaliger Lektüre auffallen, ist, daß Wells die Maschine gar nicht beschreibt ("a glittering metallic framework, scarcely larger than a small clock, and very delicately made. There was ivory in it, and some transparent crystalline substance" für die "kleine Maschine" am Auftakt & "there in the laboratory we beheld a larger edition of the little mechanism which we had seen vanish from before our eyes. Parts were of nickel, parts of ivory, parts had certainly been filed or sawn out of rock crystal. The thing was generally complete, but the twisted crystalline bars lay unfinished upon the bench beside some sheets of drawings..." für die Großversion) & ebensowenig, wies funktioniert: da wird nur die Parallele "Zeit = 4. Dimension" ("alles brucht Dauer, um zu existieren") gezogen & los gehts. Hat lange gebraucht, bis die übrigen SF-Autoren begriffen haben, daß man als fiktionale Beglaubigungsstrategien überhaupt nicht mehr braucht.
PS. Die "kleine Zeitmaschine" (in der der Zeitreisende an Anfang seine Zigarre parkt, um sie in die Zukunft verschwinden zu lassen) ist übrigens von allen Fortsetzungsautoren vergessen worden (so wie Wells die, nachdem sie verschwunden war, anscheinend vergessen hat). Fast alle. Sie spielt eine entscheidende Rolle bei Egon Friedell, der die erste Fortsetzung verfasst hat: "Die Rückkehr der Zeitmaschine", 1946 aus dem Nachlass veröffentlicht - und von den fremdsprachigen Aufgriffen der einzige, der ins Englische übersetzt worden ist (1972 bei DAW Books; durch Eddy C. Bertin, der seinerseits eigentlich eher belgischer Horror-Autor ist, tja...). Den Texts gibts mittlerweile nicht nur bei Diogenes. http://gutenberg.spiegel.de/buch/-4952/1
Und dann blättere ich vor rund 14 Monaten im Katalog der Stuttgarter Antiquariatsmesse 2014 und finde auf S. 74:
Zitat Antiquariat Peter Kiefer (75152 Pforzheim), Stand 51
Friedell, E. Die Reise (sic!) mit der Zeitmaschine. Phantastische Novelle. - Eh. Orig.-Manuskript von Egon Friedell. Umschlag und 63 eins. beschr. Bl. in Orig.-Versandtasche aus der Zeit. (Echt gelaufen, mit tls. gestrichener Absenderangabe (Zsolnay Verlag, Bln. Potsdamer Str. 122 - Empfängeradresse: Egon Friedell, Kufstein/Tirol).
Das Manuskript liegt in einer braunen Kart.-Mappe, die wohl als Umschlag zur Versendung gedient hat. Sie trägt einen Adressaufkleber mit der Adresse "Herrn Dr. Egon Friedell, Kufstein/Tirol" und den Stempel "Rekommenadiert". Das Absenderfeld ist durch Abkratzen weitgehend gelöscht, doch ließ sich aus der übriggebliebenen Adresse "Berlin W 35, Potsdamerstr. 122" als Absender der Verlag Paul Zsolnay ermitteln. Der Poststempel ist überwiegend nicht mehr lesbar (Briefmarke abgelöst), auf der Rückseite der Mappe findet sich aber ein lesbarer Poststempel: "Kufstein 13.IX.35" (Hinsendung?). Die Vorderseite der Mappe trägt die Aufschrift in rotem Farbstift: Friedell Original-Handschrift zur Zeitmaschine.
Preis: schlappe 20.000 Euronen... . Das sind so Momente, wo man sich eine Großmutter wünscht, um sie dem verkaufen zu können...
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Zitat von Meister Petz im Beitrag #3Also dass gerade Du nicht Wells' Time Machine als Offenbarungsevangelium des Steampunks heranziehst, wundert mich geziemend...
Liegt vielleicht daran, daß ich den Text mehr als 20 Mal von A-Z gelesen habe... (mehr als jeden andern; es handelt sich hier wirklich um ein Stück "Literaturklassiker", weil man jedesmal Facetten entdeckt, die einem bislang überhaupt nicht aufgefallen sind.)
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