Vergangenen Sonntag haben Teile des Publikums der Kölner Philharmonie die Darbietung eines iranischen Musikers ausgebuht (genaugenommen aber wohl eher die eigenwillige Zusammenstellung des Programms durch den Veranstalter). Könnte die Vorlage für die Medien steiler sein?
Find ich gut. Je mehr, desto besser. Zurzeit spielen die Unfehlbaren teile und herrsche. Gerade sind wir Sachsen von allem Schlimmen das Schlimmste. Politiker, Professoren, Pfaffen, Ginstler und Staatskomiker prügeln uns rechtsradikalen ausländerphoben dumpfen Hinterwäldler, begleitet vom Gröhlen des aufgeklärt, tolerant, weltoffen-intelligenten Mob. Deshalb kann uns nichts besseres passieren als solche Rundumschläge. Da hat es wohl einige lange Gesichter gegeben, wenn die sich gerade noch aufgeklärt, tolerant, weltoffen-intelligenten dünkenden einen Schlag mit der Nazi-Keule kriegen. Vielleicht wird so ein Nachdenken in Gang gesetzt.
Reich auf dem Cembalo geht aber auch gar-nicht. In den 16tel-Läufen ist der Nachhall beim Pianofall zwar sehr verkürzt, aber eben doch vorhanden. Das lässt sich einigermaßen an Keith Jarretts Bemühungen am Clavichord hören. Was da bespielsweise im "Köln Concert" (eben...) wunderbar funktioniert, wirkt da sofort so splittrig & zerhackt. Wie Haferflocken ohne Milch. Das hat auch kein Glissando.
Wird man auch ausgebuht, wenn man fragt, ob C.P.E. Bach (Schreibweise analog zu P.D.Q. Bach) noch unter "Barock" fällt oder schon Vorklassik/Style galant? (Die einzigen, die da schlimmer - - sind, sind erfahrungsgemäß die Jazz-Leute. Und komischerweise die post-Pop-Fraktion, die anscheinend auch nichts anderes zu tun hat, als zwischen "deep house" & "hard bounce" u.a. zu differenzieren, wo unsereinem bloß nach "Buh" ist.) Vielleicht hätten sie Stockhausen aufs Programm setzen sollen, wg. "Heimspiel." Und da merkt wenigstens keiner mehr, ob das falsch gespielt ist. Bei Leuten wie Reich oder Glass (der immer dann genießbar wird, wenn er Filme unterlegt), die ja das Adorno'sche Kriterium erfüllen, daß ein Wort wie "Ohrenschmaus" den unheilbaren Spießer entlarvt, sind die technischen Hürden für die Spieler ja trotzdem enorm - schon wg. den gletscherhaft langsamen Permutationen der repetierten Läufe. Hat irgendwer schon mal bemerkt, daß das die musikalische Entsprechung zur Op-Art genau derselben Zeit à la Bridget Riley oder Vasarely ist?
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
Psst-psst. Bitte wecken Sie keine Rampensäue auf der Bühne der Moralischen Anstalt (Anstalt? Heißt sicher zurecht so.) Sonst fällt denen noch ein, daß Wagner Sachse war. Und dann kreist der Hammer.
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #3Reich auf dem Cembalo geht aber auch gar-nicht. In den 16tel-Läufen ist der Nachhall beim Pianofall zwar sehr verkürzt, aber eben doch vorhanden. Das lässt sich einigermaßen an Keith Jarretts Bemühungen am Clavichord hören. Was da bespielsweise im "Köln Concert" (eben...) wunderbar funktioniert, wirkt da sofort so splittrig & zerhackt. Wie Haferflocken ohne Milch. Das hat auch kein Glissando.
Könnte aber auch an der meiner Beobachtung nach ausgeprägten künstlerisch-interpretativen Zurückhaltung Jarretts liegen, die er an den Tag legt, wenn er "klassisch" wird, sei es am Cembalo oder am Klavier. Fast spröde, so als habe er Angst, durch sein sonst so ausgesprochen farbenfrohes Kolorit aus dem Jazz die klassische Musik zu kontaminieren. kennst Du sein "Wohltemperiertes Klavier"? Trockener gehts kaum; aber nicht schlecht. Vermutlich wäre Glenn Gould umgekehrt als Crossover-Jazzer ein ganz "zurückhaltender" geworden.
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #3Wird man auch ausgebuht, wenn man fragt, ob C.P.E. Bach (Schreibweise analog zu P.D.Q. Bach) noch unter "Barock" fällt oder schon Vorklassik/Style galant?
Das ist natürlich eine rhetorische Frage, denn CPE Bach ist ja geradezu der Vater der Klassik, ein musikalischer Gigant, der das, was "Musik" sei, gewissermaßen neu definiert hat. Rein intellektuell gesehen ist die Kombination mit modernem Minimalismus nicht einmal völlig abwegig, da CPE mit seiner häufigen Reduktion des Geschehens auf eine einzelne Stimme auch in seiner Art Minimalist war; aber dennoch kann das nicht wirklich gutgehen. Es ist so, als versuchte man eine Ausstellung von Produkten von Leonardo, Botticelli, Michelangelo, Dürer u. dgl. mit ein paar Werken von Tracey Emin anzureichern: in ihrem eigenen Dunstkreis betrachtet mag der eine oder die andere etwas an letzteren finden, aber beim direkten Vergleich wird der qualitative Abstand dann doch eine Idee zu deutlich.
Zitat von Kölner Symbolik...dass Concerto Köln vor allem mit Blick auf die sog historische Aufführungspraxis alter Musik, insbesondere des Barock, bekannt ist
Mich hat immer gewundert, daß es im Bereich Klassik kein Pendant zum Vinyl-Purismus der Pop/Rock-Fans gibt. Also in dem Bereich, wo Klangtreue seit Erfindung der High Fidelity das A&O war. Als ästhetisches Kriterium wird da ja zumeist auf den "wärmeren Klang", oder "größere Transparenz" abgehoben. Für die frühe Phase der Verbytung war das wohl so (die 1. digital ausgenommene Scheibe war, soweit ich weiß, Ry Cooders "Bop Till You Drop" von 1979), weil die Toningenieure traditionell die Masterbänder hoch/hart aussteuerten, damit beim analogen Übertrag => Druckmatrix => Rumpelscheibe das dadurch erzeugte Grundrauschen klein genug blieb; das schlug dann beim Direktübertrag aufs Digitale ungefiltert durch. Das sollte aber spätestens seit Ende der 80er durch die allfälligen Neuabmischungen hinfällig sein, so daß heute das Etikett mitgeschmeckt wird. (Hmm: Der andere Fetisch in diesem Bereich dürften Vakuum-Verstärkerröhren sein.) Jetzt geht mir auf, dass der "Originalklang"-Rummel diese ökologische Nische besetzt. Wobei das musikarchäologische Interesse an der veränderten Wirkung der Stücke durch die akustische Untermotorisierung & den eingeschränkteren Tonumfängen auch eher bescheiden sein dürfte. Und die Tonsetzer selbst hätten dafür womöglich aber-auch-gar-keine Antenne. Wie bei der Entwicklung des Konzertflügels im 18. Jhdt, um den alten Clavicembeln ganz neue Chromatik zu verliehen. Beim Wolferl findet sich ja in hunderten von Briefen die Verzweiflung über die grausliche Ausstattung, instrumentell wie beim Bedienungspersonal, selbst bei Ensembles, die nicht in der mitternächtlichen Provinz saßen. Komischerweise hat der Revivalenthusiasmus bei den Castrati-Partien, die in der Barockmusik so eine große Rolle spielen, haltgemacht. (D.h. nicht ganz haltgemacht - Philippe Jaroussky, Lascia ch'io pianga)
PS: Stichwort PDQ Bach. Zum Thema. "P D Q Bach - The Short Tempered Clavier and other dysfunctional words for keyboard"
Zitat von IntroductionThe idea that no musician could play with any given orchestra for more than four years at a time would rob players of the most intensely satisfying aspect of their job. Four years is so short: there are many conductors who simply cannot be driven away in that amount of time. It takes at least half a dozen years of constant bickering and grousing and talking during rehearsals and continuing to play after the conductor stops conducting - it can take ten or even fifteen years to make a conductor believe, contrary to everything he knows, that it might be better elsewhere.
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #7Jetzt geht mir auf, dass der "Originalklang"-Rummel diese ökologische Nische besetzt. Wobei das musikarchäologische Interesse an der veränderten Wirkung der Stücke durch die akustische Untermotorisierung & den eingeschränkteren Tonumfängen auch eher bescheiden sein dürfte.
Der ggf. geringere Tonumfang fällt insofern überhaupt nicht auf, als die damals fehlenden Töne in den Kompositionen der Zeit nicht vorkommen. Auf die Idee, auf einem 61-Tasten-Standard-Cembalo Rachmaninoff spielen zu wollen, kommt ja hoffentlich keiner ernsthaft.
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #7Und die Tonsetzer selbst hätten dafür womöglich aber-auch-gar-keine Antenne.
Das wiederum ist eine sehr interessante Frage, deren Antwort, selbst wenn wir sie geben könnten, gewiß vom jeweiligen Tonsetzer abhängen kann. Entgegen den Puristen des "authentischen Klangs" neige ich persönlich oft dazu, den großen Meistern in dieser Hinsicht mehr zuzutrauen. Gerade beim genannten CPE Bach bin ich davon überzeugt, daß er an einem Steinway- oder besser noch Bösendorferflügel einen Haydnspaß gehabt hätte. (Ein etwas fraglicherer Fall ist Domenico Scarlatti, dessen Sonaten die Orthodoxen nur auf Cembalo hören bzw. spielen wollen und dabei die historische Wahrscheinlichkeit, daß der Meister selbst nichts besseres zur Hand hatte, auf ihrer Seite haben; dennoch schreit die innere Evidenz vieler seiner Stücke geradezu nach einem Instrument mit feinerer Ausdrucksmöglichkeit.)
Javad Maroufi was first pianist in Iran who made unforgettable mix Persian folk and European classic music.
Sehr hübsch und gefällig, liebe Nola. Ich glaube, man darf dem Kölner Publikum aber durchaus die Fähigkeit zum Verdauen größerer Kontraste zutrauen. Vielleicht war es wirklich eine unglückliche Entscheidung, wie auch Fluminist weiter oben schreibt, Bach Vater/Sohn ausgerechnet mit einem Minimalisten zu kombinieren (ich selbst hätte, je nachdem, was zunächst von den Bachs gespielt worden ist, nach der Pause möglicherweise Pendereckis Anaklasis for Strings spielen lassen). Ich mag solche Kontraste tatsächlich.
Vielleicht aber, und das ist jetzt eine gewagte Hypothese, war das Vorgang von Köln tatsächlich nicht ganz zufällig? Vielleicht hat das "Bildungsbürgertum" (vulgo Steuerzahler, Leistungsträger und Melkkuh) in den gegenwärtigen, oft unruhigen und verunsichernden Zeiten, ein erhöhtes Bedürfnis nach Rückzug in Altbekanntes, einen Wunsch, Konzertbesuche wieder mehr "zur Ehre Gottes und zur Recreation des Gemüths" (Bach) zu erleben, ohne mehr oder weniger anstrengende Herausforderungen für das Ohr des Rezipienten? Verständlich wärs...
Zitat von Doeding im Beitrag #10Vielleicht aber, und das ist jetzt eine gewagte Hypothese, war das Vorgang von Köln tatsächlich nicht ganz zufällig? Vielleicht hat das "Bildungsbürgertum" (vulgo Steuerzahler, Leistungsträger und Melkkuh) in den gegenwärtigen, oft unruhigen und verunsichernden Zeiten, ein erhöhtes Bedürfnis nach Rückzug in Altbekanntes, ...
Ich weiß nicht, ob das Bedürfnis nach Altbekanntem größer geworden ist. Aber vielleicht ist die Bereitschaft zurückgegangen, sich irgendetwas vorsetzen zu lassen, was man nicht haben möchte.
Was übrigens jahrzehntelang als linke Tugend gepredigt wurde. Wenns jetzt Andere auch machen, ist es natürlich nicht recht ...
Zitat Man lese noch einmal aufmerksam die oben verlinkte Schilderung Mahan Esfahanis: "Most of the people who walked out or catcalled tended to be older men who clearly felt some sort of anger about having to listen to this piece. They were being shouted down by younger people – mostly women, in fact." In fact: DIESES Pandämonium kann ich mir tatsächlich lebhaft und überaus plastisch vorstellen.
Dabei ist Hysterie heilbar. Mein Vorschlag zur Güte: Bei Wikipedia findet man einen längeren Eintrag zum Stichwort "Theaterskandale".
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #3... ob C.P.E. Bach (...) noch unter "Barock" fällt oder schon Vorklassik/Style galant?
Hierzu doch noch einmal eine Anmerkung. Man darf sich von der landläufigen Bedeutung der Adjektive nicht irreführen lassen. Der "empfindsame Stil" Carl Philipp Emanuel Bachs hat sehr wenig mit der leichten und oberflächlichen Gefälligkeit des "galanten Stils" seines jüngeren Bruders Johann Christian Bach (der direkt auf Mozart gewirkt hat) zu tun, aber sehr viel mit anarchischer Experimentierfreude und romantisch-ungestümer Expressivität, und ist hierin das musikalische Analog zum zeitgenössischen "sentimental style" Laurence Sternes. Es ist gewissermaßen praktische Psychologie, der Versuch, Emotionen durch Musik direkt abzubilden und zu erzeugen; C.P.E. Bach hat dadurch der Musik eine neue Aufgabe zugewiesen ("nicht die Ohren zu füllen, sondern das Herz zu bewegen", wie er selbst schrieb) und damit die Klassik begründet.
Als Kostprobe empfehle ich diese Aufnahme des Clavier=Concerts d-moll W.23 (1748); der dritte Satz nimmt nicht nur Motive der 9. Symphonie Beethovens mehr als ein halbes Jahrhundert vorweg, sondern deutet stellenweise (wie C.P.E. Bach passim) auf die Moderne.
C.P.E. Bach war übrigens seinerzeit (m.E. zu recht) der "große Bach", erklärtes verehrtes Vorbild von Joseph Haydn und auch noch von Mozart und Beethoven, allerdings schon etwas zähneknirschend, als Vater ihrer Kunst anerkannt. Er wurde dann Opfer einer völlig unverdienten schleichenden damnatio memoriae. Die nächste Generation der Romantiker vergaß sein Verdienst, vermutlich im Zuge der allgemeinen Ablehnung des Geistes der Aufklärung zugunsten mystischer Dunkelheit; so machte ihn E.T."A." Hoffmann, bekanntlich Mozart-Verehrer und selbst ein mittelmäßiger Komponist, mit einiger Akribie, aber natürlich ohne wirkliches Argument, lächerlich. Die zweite Welle der Romantiker "entdeckte" dann an seiner Statt seinen Vater J.S. Bach, und seither wird der Nachname in erster Linie mit diesem assoziiert.
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