Seit einigen Wochen steht bekanntlich die Anregung, "sich verstärkt mit dem Großen, Ganzen und Grundsätzlichen zu beschäftigen" im Raum. Ludwig Weimer, unser Spezialist für die ganz einfachen Fragen, legt heute hierzu einen Beitrag zum Thema "Gut und Böse" vor. http://zettelsraum.blogspot.com/2016/06/...radies-der.html
Zitat von Ludwig WeimerWarum ist für die Künstler eher das Böse faszinierend als das Gute? Warum müssen aktuelle Inszenierungen Liebesdramen und Opern ins Bordell verlegen?
Klare Sache: Weil es gut für die Dramaturgie ist und deutlich verständlich ist. Das Böse gibt dramaturgisch zuverlässig die Richtung für die ganze tragische Entwicklung vor. So war es schon mit Thebens König. Heute will man freilich gerne auf das "Happy Ending" hinaus, anders als die klassische Tragödie. Da ist das Böse immer noch den Motor für die dramaturgische Entwicklung, und zwar in einer Doppelfunktion, weil das Gute am Ende ja der finale Sieg über das Böse ist; sei es in einer bösen Person (Ramsay Bolton?) oder in deren Abkehr von ihrem üblen Treiben. Das verschafft uns neben Unterhaltung das warme Gefühl der Genugtuung, nämlich daß das Böse sich letztlich nicht lohne und wir uns daher wieder ohne Mißtrauen gegenüber unserem Antrieb, gut zu sein (den Sie ja angesprochen haben), in eine hauptsächlich (laut Kriminalstatistik) harmonische Gesellschaft einfügen können.
Freilich sagt das Buch des Predigers ernüchternderes dazu. Womöglich haben wir hier eine gesellschaftliche Selbsttäuschung, in der die Happy-Ending-Stories gewissermaßen wie das altgriechische Theater eine Art Gottesdienst sind, das nur nicht die Macht des griechischen Pantheons im Drama zelebriert, sondern die Illusion einer 100% Aufklärungsquote im sonntäglichen "Tatort"? Aber da weiß ich zuwenig darüber, welche Dramaturgien wo und warum in Mode waren.
Aber es gibt auch Tragödien ohne offene Unmoral. Vielleicht sind diese für Ihr Thema gerade deswegen interessanter. In Tschechovs "Tod des Beamten" (er nennt so etwas freilich Komödie) entspinnt sich das Unheil ganz ohne Verbrechen: Der kleine Beamte wollte sich ja nur entschuldigen, und der Vorgesetzte hat es sowieso nicht übelgenommen. Etwas weniger Nichtböse aber immer noch unverhältnismäßig tragisch ist es auf dem Gutshof: Ein Grantler, gewiß, kein umgänglicher Mensch, aber daß als Beleidigung endet und seiner Tochter eine gute Partie verdirbt, was sonst den Zusammenhalt unter Standesgenossen gedient hätte, hat er ja nicht beabsichtigt.
Ich glaube, solche Geschichten sind einerseits bestürzender, andererseits sogar noch verständlicher weil noch alltäglicher, als die normale Dramaturgie des Bösen. Gutes zu tun und Böses zu unterlassen im Sinne von Gesetzten oder Normen --seien sie vom Sinai oder vom Bundestag--, bringt noch gar nichts für ein gelingendes Leben. Es ist nur notwendig, nicht hinreichend. Das gewählte Handeln kann trotzdem unzureichend sein. Daher würde ich gerne einen Schritt zurück gehen und argumentieren, daß gut ist, was im Einklang mit der eigenen (sozialen, körperlichen usw) Existenz steht. Ignatius hat formuliert, eine gute Wahl müsse geeignet sein, Gott zu verherrlichen. Da Gott freilich der Unverstandene ist, ist so eine Aussage nicht sehr inhaltsreich, aber vom Kontext seiner Geistlichen Übungen würde ich schließen, daß er eben diesen Einklang gemeint hat, gewissermaßen anthropologisch verstanden. Das Gegenteil wäre die Selbsttäuschung, aber diese sogar noch weiter gefaßt, als Sie es vermutlich meinen:
Zitat Das ‚Sündige‘ fasziniert nicht deshalb, weil es das Schlechte durchschaut, sondern weil es als Gut begehrt und als höchstes Glück vermisst wird. Diese Selbsttäuschung scheint möglich, weil hinter jedem Missbrauch gerade einer unserer lebenswichtigen Grundtriebe glüht.
Gut und im Einklang mit unseren lebenswichtigen Grundtrieben ist z.B., eine Sache in Gebrauch zu nehmen, die vorher nicht benutzt wurde. Eine Täuschung wird daraus, wenn dies in Form eines Diebstahls geschieht. Das ist einsichtig. Aber es kann auch sündig sein, wie der kleine Beamte um Entschuldigung zu suchen. Der Unterschied zwischen der guten und bösen Bitte um Entschuldigung kann sehr subtil sein.
Zitat von Kallias im Beitrag #1Seit einigen Wochen steht bekanntlich die Anregung, "sich verstärkt mit dem Großen, Ganzen und Grundsätzlichen zu beschäftigen" im Raum. Ludwig Weimer, unser Spezialist für die ganz einfachen Fragen, legt heute hierzu einen Beitrag zum Thema "Gut und Böse" vor. http://zettelsraum.blogspot.com/2016/06/...radies-der.html
Zitat Der Mensch kann die Leiden eines Fremden mitfühlen, das Mitleid, die Hilfswellen zeigen es immer neu. Oft kostet es ja mehr als eine händchenhaltende Kette zu bilden oder Teelichter aufzustellen.
Zitat Der Mensch kann die Leiden eines Fremden mitfühlen, das Mitleid, die Hilfswellen zeigen es immer neu. Oft kostet es ja mehr als eine händchenhaltende Kette zu bilden oder Teelichter aufzustellen.
Was das Mitleid kosten kann, zeigt die kürzlich bekannt gewordene Rückenmarkspende eines deutschen Offiziers an eine beinahe hoffnungslos an Krebs erkrankte israelische Frau. Die beiden trafen sich. Die Geheilte hat ihren Retter nach Israel eingeladen, um ihm möglichst viel von ihrem Land zu zeigen. (Newsletter des Staates Israel vom 23.06.2016) Das gibt es also: die Lust am Guten. Paradiesisch schön. Mitteilungswert. - Auch ein "Paradies der Verbote"? Nur mal nachgefragt? Simon
Zitat "Es gibt ein Ethos, welches das Erlaubte und Gebotene anders definiert als unsere Konsumgesellschaft. Nicht: Erlaubt ist, was wir abmachen zwischen X und Y, sondern: Erlaubt und geboten ist, was ein objektives Naturrecht, was der Dekalog vom Sinai uns erlaubt, und darüber hinaus gibt es eine selbstlose Liebe, die überhaupt kein Maß besitzt. "
Das ist der Satz, den ich vorgestern nicht fand, als ich um Mitternacht meine Notiz abschickte. Ich hatte nach einem raschen Durchlesen vom Inhalt des Themas nur vage in Erinnerung, das so etwas thematisiert wurde.
Um auf die Notiz zurückzukommen: Es dürfte sich bei dem Spender des Rückenmarks zunächst auch nur um eine Routine-Meldung als potentieller Spender bei der Einberufung des Rekruten gehandelt haben. Was aber daraus wurde, ist beachtenswert: Es verhalf nicht nur einer Erkrankten zur Gesundung, sondern brachte den Rekruten immer mehr ins Staunen: zuletzt, als er vom Rambam-Institut in Haifa angefragt wurde, ob er die Geheilte sehen möchte und was sich dann weiter daraus ergab. - Sollte es uns Hartgesottene, die von Meldungen überschwemmt und natürlich von Groß-Ereignissen wie dem Brexit in Beschlag genommen sind, nicht auch in Staunen versetzen, was auf unserer Welt im Kleinen vor sich geht? - Nun scheint es, dass es sich in dem Fall eher um so eine "Abmachung zwischen X und Y", nicht um " objektives Naturrecht" handelt. - Auch die "selbstlose Liebe, die überhaupt kein Maß besitzt" würde in dem Fall nicht greifen - wenn der Rekrut seinerzeit bei seiner ersten Meldung zum Spenden nur etwas angekreuzt hätte, was sozusagen nicht schaden kann.
Nachfrage: Was hat es mit dem Gutes-Tun (bei dessen Unterlassung man "sündigen" kann)- für Juden und Christen - auf sich? - Auch für jeden x-Beliebigen, der meinetwegen aufgefordert wird, seine Niere oder sonst ein Organ zu spenden und dies dann auch in seinen Pass eintragen zu lassen etc.?
Am einfachsten ist es, ich zitiere erst mal das formale Gebot im sogenanten Schuldbekenntnis in der Eröffnung der römisch-katholischen Gemeindemesse vor dem Kyrie: "Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen, und allen Brüdern und Schwestern, dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe - ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken - durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine große Schuld..."
Die Unterlassung eines mir möglichen guten Gedankens, guten Wortes und guten Werkes erscheint mir hier im gegebenen Fall sogar als große Schuld beurteilt zu sein. Es wird an 1. Stelle genannt! Das Nichtgetane vor den Untaten! Es ist Konkretes gemeint: Keine Idee ersonnen zu haben, wie ich zur Abhilfe einer Not beitragen könnte, ein nötiges gutes Wort verschwiegen und stattdessen jemanden verleumdet zu haben. Beim Begriff Werk meine ich, sei zunächst einfach ein konkreter sozialer oder kultureller Beitrag gemeint, den jeder gewissenhafte Humanist als Auftrag verspürt. Dann aber wird es interessant: Weil ein Christ dies bekennen muss, bevor er die Lebenshingabe Jesu feiern kann und damit die Messe kein Hohn ist, muss noch etwas Besonderes gemeint sein, etwas Qualitatives, das nur Christen leisten können, weil sie ein Gedächtnisort und Verbund sind, der das Risiko des angezielten Werkes für den Einzelnen mitträgt, und vor allem, weil sie etwas zusammen tun können, das ein Einzelner gar nicht angehen kann und darf.
Die Theologie hat einen eigenen Namen für Gaben und Leistungen, die einer hat und vollbringt, weil sie seiner Natur und seiner Berufung entsprechen: Wenn er diese Gabe einsetzt f ü r andere, dann heißt dies seit Paulus ein "Charisma". Leider ist es heute ziemlich unbekannt geworden, dass das Christentum überhaupt "ein soziales Charisma ist" (J. Ratzinger), das heißt, dass es ein spezielles Werkzeug darstellt, eine Ortsgruppe oder Personalgemeinschaft, die zusammenwirkt, das positive Gegenstück zur Räuberbande. Inzwischen haben wir eine solche Vereinzelung der Kirchgänger, dass fast jeder wie ein bloßer Kirchensteuerzahler oder Konsument erscheint. Dass sich Geldstücke oder -scheine vieler im Klingelbeutel verbinden, ist kein Gegenbeweis.
Ich erinnere noch daran, dass die "guten Werke" vor etlichen Jahrzehnten plötzlich gar nicht mehr so harmlos ausschauten. Es war, als die Befreiungstheologie auftauchte und auch herüberschwappte nach Europa. Ich glaube, auch heute ärgern sich im Vatikan und sonstwo manche arg, wie Papst Franziskus die guten Werke bis in eine bestimmte Radikalität hinausverlegt. Und mancher deutsche Bischof stammelt, wenn er von einem Journalisten befragt wird. Mein Anliegen, mein Schwerpunkt, liegt nocheinmal etwas anders. Ich stelle ihn in einem Schlusssatz dar:
Das Ärmste auf der Welt ist meiner Ansicht nach die Sache Gottes und Jesu unter den Christen, weil sie vergessen ist und auch weil sie verstellt wird für die Suchenden und für die junge nächste Generation, und ich bezeichne sie vor allem deshalb als das Allerallerärmste, weil damit die Gebete, die Liturgie, das Helfen und Eingreifen Gottes (durch Christen)als Illusionen falsifiziert werden; daher widme ich mein kleines Können der Reform der Theologie aus Empirie, der Wiedererinnerung daran, wie Gott helfen kann.
Zitat von Daska im Beitrag #7Kann denn als böse bezeichnet werden, was gut gemeint ist?
Ja, kann es. Hat JP2 in Veritatis splendor gut erklärt. Er bringt ein Zitat aus dem Römerbrief (3,8) an: "Einige legen uns in den Mund: Laßt uns Böses tun, damit Gutes entsteht. Diese Leute werden mit Recht verurteilt."
Es gibt also Taten, die an sich böse sind und selbst bei bester Absicht nie gut werden können.
Zu meinen Gedanken möchte ich etwas hinzufügen. Ich las heute am Sonntag im Garten einen Text von François Fénelon (1651-1715) über die Willensfreiheit des Menschen, oder, wie Matthias Claudius das Kapitel übersetzte „Von der Willkür des Menschen“. Die Zitate stammen aus „Religiöse Briefe, Kap. XII.“ Der berühmte Erzbischof, der um der Reinheit der Liebe zu Gott willen und vielleicht als Antwort auf den Frühaufklärungs-Vorwurf, Religion vertröste als Opium den gerechten Ausgleich auf den Himmel, einen Lohn im Jenseits ablehnte (Stichwort dieser Reform-Mystik: Quietismus) meinte: Die Zeitgenossen leugnen die Willensfreiheit, weil sie das Joch des Gewissens abschütteln wollen, um als unvermögend zur Tugend zu erscheinen und dem Laster unschuldig wie die Tiere frönen zu können. Ich möchte die prägnantesten Sätze zitieren:
„Wenn die Menschen in dem, was sie Gutes und Böses tun, nicht frei sind; so ist das Gute nicht mehr Gutes, und das Böse nicht mehr Böses.“ „Darf man sich denn wundern, dass Gott den Willen des Menschen nicht so vollkommen gemacht hat, als er ihn hätte machen können? Ja, er hätte ihn gleich anfangs unfähig zu sündigen, selig, und in dem Zustand der himmlischen Geister machen können. Und freilich wären die Menschen in diesem Zustande vollkommner; (…) er hat es aber nicht gewollt.“ Man muss den Hintergrund erklären: Laut der Engelvorstellung entscheiden sich diese Geister in einem Augenblick, Gott zu dienen oder sich, und bleiben immer dabei; wir Menschen hingegen sind lebenslang unterwegs, suchen und irren und kehren um und irren wieder.
Fénelon antwortet, Gott habe dem Menschen mit der Freiheit auch die Vernunft gegeben, zu wählen, ob er durch die Tugend glücklich werden wolle oder durch das Laster unglücklich. Die Freiheit sei der göttliche Zug der Ähnlichkeit mit Gott, deren Größe es sei, „dass er sich benehmen kann, wie es ihm gefällt. (…) In dieser Herrschaft über sich ist ein Charakter von Ähnlichkeit mit der Gottheit, der in Erstaunen setzt. (…) Durch das Verdienst erhebt sich der Mensch, vergrößert er sich, vervollkommnet er sich. (…) Ist es nicht schön und der Ordnung würdig, dass Gott ihm die Seligkeit nicht hat geben wollen, als nachdem er sie ihn hat verdienen lassen? (…) Wenn er den Menschen nicht frei gemacht hätte, so hätte er weder seine Barmherzigkeit noch seine Gerechtigkeit kund tun können; er hätte nicht das Verdienst belohnen, noch das Unverdienst bestrafen, noch den verirrten Menschen bekehren können. (…) Wenn man die Tiefe des göttlichen Rats der Zulassung der Sünde betrachtet, so findet man darin keine Ungerechtigkeit gegen den Menschen.“ (François Fénelon, Gedanken zur reinen Gottesliebe, Schwabe reflexe, Basel 2014, 426-433. Die Übersetzung durch Matthias Claudius von 1818 biete ich in moderner Schreibweise.) Grüße Ludwig Weimer
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #9Zu meinen Gedanken möchte ich etwas hinzufügen. Ich las heute am Sonntag im Garten einen Text von François Fénelon (1651-1715) über die Willensfreiheit des Menschen, oder, wie Matthias Claudius das Kapitel übersetzte „Von der Willkür des Menschen“. Die Zitate stammen aus „Religiöse Briefe, Kap. XII.“ Der berühmte Erzbischof, der um der Reinheit der Liebe zu Gott willen und vielleicht als Antwort auf den Frühaufklärungs-Vorwurf, Religion vertröste als Opium den gerechten Ausgleich auf den Himmel, einen Lohn im Jenseits ablehnte (Stichwort dieser Reform-Mystik: Quietismus) meinte: Die Zeitgenossen leugnen die Willensfreiheit, weil sie das Joch des Gewissens abschütteln wollen, um als unvermögend zur Tugend zu erscheinen und dem Laster unschuldig wie die Tiere frönen zu können. Ich möchte die prägnantesten Sätze zitieren:
„Wenn die Menschen in dem, was sie Gutes und Böses tun, nicht frei sind; so ist das Gute nicht mehr Gutes, und das Böse nicht mehr Böses.“ „Darf man sich denn wundern, dass Gott den Willen des Menschen nicht so vollkommen gemacht hat, als er ihn hätte machen können? Ja, er hätte ihn gleich anfangs unfähig zu sündigen, selig, und in dem Zustand der himmlischen Geister machen können. Und freilich wären die Menschen in diesem Zustande vollkommner; (…) er hat es aber nicht gewollt.“ Man muss den Hintergrund erklären: Laut der Engelvorstellung entscheiden sich diese Geister in einem Augenblick, Gott zu dienen oder sich, und bleiben immer dabei; wir Menschen hingegen sind lebenslang unterwegs, suchen und irren und kehren um und irren wieder.
Fénelon antwortet, Gott habe dem Menschen mit der Freiheit auch die Vernunft gegeben, zu wählen, ob er durch die Tugend glücklich werden wolle oder durch das Laster unglücklich. Die Freiheit sei der göttliche Zug der Ähnlichkeit mit Gott, deren Größe es sei, „dass er sich benehmen kann, wie es ihm gefällt. (…) In dieser Herrschaft über sich ist ein Charakter von Ähnlichkeit mit der Gottheit, der in Erstaunen setzt. (…) Durch das Verdienst erhebt sich der Mensch, vergrößert er sich, vervollkommnet er sich. (…) Ist es nicht schön und der Ordnung würdig, dass Gott ihm die Seligkeit nicht hat geben wollen, als nachdem er sie ihn hat verdienen lassen? (…) Wenn er den Menschen nicht frei gemacht hätte, so hätte er weder seine Barmherzigkeit noch seine Gerechtigkeit kund tun können; er hätte nicht das Verdienst belohnen, noch das Unverdienst bestrafen, noch den verirrten Menschen bekehren können. (…) Wenn man die Tiefe des göttlichen Rats der Zulassung der Sünde betrachtet, so findet man darin keine Ungerechtigkeit gegen den Menschen.“ (François Fénelon, Gedanken zur reinen Gottesliebe, Schwabe reflexe, Basel 2014, 426-433. Die Übersetzung durch Matthias Claudius von 1818 biete ich in moderner Schreibweise.) Grüße Ludwig Weimer
Lieber Herr Weimer, ich kann nicht umhin, an dieser Stelle noch einmal Ihren ganzen letzten Beitrag zu zitieren, weil ich aus dem jetzigen Zeitgeist herauszuhören meine, dass kaum noch jemand diese Fragestellung kennt: Gott in reiner Liebe zu Diensten zu sein (ohne auf einen Ausgleich in einem Jenseits zu schielen) oder das Gegenteil davon: dem Bösen zu dienen, (im theologischen Sinne zu sündigen). Der Mensch fühlt sich vielmehr - dem Zeitgeist nach - absolut frei.
Ein Beispiel: In dem eben in den Kinos anlaufenden amerikanischen Film "Ein ganzes halbes Jahr" nach dem Bestsellerroman "Me before you" von Jojo Moyes - nach Expertenmeinung trotz hochkarätiger Besetzung und Dramaturgie eher einer Schnulze (aber das nur nebenbei) - geht es am Ende um den selbstbestimmten Tod eines nach einem Unfall querschnittgelähmten Mannes, Sohn einer superreichen Familie, die um sein Wohlergehen minutiös besorgt ist. - Er erfährt unverhofft ein ganzes halbes Jahr lang allen nur erdenklichen freien Dienst eines jungen Mädchens aus einer Familie der englischen Mittelschicht, das eigentlich nur einen bezahlten Job gesucht hatte, aber in der Aufgabe, einen Menschen am Leben zu erhalten, und zwar in der buntesten Bandbreite, die man sich vorstellen kann (der Film versucht es zu veranschaulichen) immer mehr aufgeht. (Dass das Mädchen aus einer christlichen Familie stammend gezeigt wird, wirkt eigentlich nur marginal und lässt beim Zuschauer kaum das mögliche Motiv eines freien Dienstes um Gottes willen aufkommen!) Trotzdem beharrt er auf seiner Willensfreiheit auf einen selbstbestimmten Tod, in den er - so wird es gezeigt - in einem ganz egoistisch-natürlichem Sinne auch das Mädchen (wunschgemäß "von Angesicht zu Angesicht") mithineinziehen möchte.
M.a.W.: in dem Tun des Mannes erscheint eine Willkür-Freiheit, die nicht erst etwas abschütteln muss, um dann säuisch (pardon: frei - undankbar ...) "wie ein Tier" sein zu können. Es ruht fest auf einem gesellschaftlich tolerierten Recht auf, das vermeintlich durch eine Menschenrechts-Charta abgesegnet erscheint. - So stellt es jedenfalls der Film dar. Im Buch mag es anders sein. Weiß Gott, was sich die Dramaturgin dabei gedacht haben mag. Vielleicht - im besten Falle, dass der Zuschauer zu einem eigenen Urteil angeregt wird?
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