Lieber Marian Wirth,
Zitat von Marian Wirth
Ich glaube keiner Umfrage, die ich nicht selber in Auftrag gegeben und bezahlt habe.
Da sind wir einmal verschiedener Meinung.
Ich habe mir vor den letzten US-Präsidentschaftswahlen den Spaß gemacht, die Daten aller Institute, die man bei
Polling Report sehr komplett findet, zu verfolgen und zu vergleichen.
Ich konnte keinen Zusammenhang mit der politischen Präferenz des jeweiligen Auftraggebers feststellen; z.B. waren die Daten, die für den rechtskonservativen Sender Fox News erhoben wurden, für Kerry nicht günstiger und für Bush nicht ungünstiger als die anderen.
Jede Erhebung unterliegt selbstverständlich einem Stichprobenfehler, dessen Größe oft unterschätzt wird. Wirklich aussagekräftig sind deshalb nur aggregierte Daten. Solche Aggregationen wurden von
Polling Report damals zur Verfügung gestellt. Sie zeigten wochenlang einen kleinen, aber konstanten Vorsprung von Präsident Bush vor Kerry, und die letzten aggregierten Daten sagten das tatsächliche Ergebnis mit eine Abweichung von unter einem Prozent voraus.
Wenn ich so etwas schreibe, werden oft Gegenbeispiele genannt, zB die schlechten Vorhersagen vor den letzten Bundestagswahlen.
Aber damals gab es wirklich eine heftige Wählerbewegung in den letzten Tagen vor der Wahl. Der SPD war es gelungen, mit ihrer Kampagne gegen Prof. Paul Kirchhoff und vor allem mit der windigen Geschichte von der Krankenschwester, die genausoviele Steuern zahlen solle wie der Klinikchef, Sozialangst und Sozialneid in einem Maß zu schüren, wie das nicht zu erwarten gewesen war.
Zum zweiten spitzte sich in diesen letzten Tagen alles auf eine Entscheidung zwischen Schwarzrot und Schwarzgelb zu. Viele, die Schwarzgelb wollten (zB ich) wählten statt der CDU die FDP, um die Wahrscheinlichkeit von Schwarzgelb zu erhöhen. Andere, die dem Arbeitnehmerflügel der CDU nahestanden, dürften ähnlich die SPD gewählt haben, um die Wahrscheinlichkeit für eine Große Koalition zu befördern.
So schnitt am Ende die CDU unerwartet schlecht ab, und die FDP ebenso wie die SPD unerwartet gut.
Das sind solche Entwicklungen, vor denen die Demoskopie versagt. Aber in der Regel macht sie nach allem, was ich weiß, einen guten Job.
Übrigens, lieber Marian, ist ja den Demoskopen das Hemd auch näher als der Rock. Sie können nur dann gut im Geschäft bleiben, wenn sie gute Daten liefern. Mehr als 90 Prozent ihrer Auftraggeber sind Unternehmen, die jedes Interesse an objektiven Daten haben. Kommt ein Institut - wie einst die Wickert- Institute in Tübingen - in den Ruf, unseriös zu arbeiten, dann ist es bald weg vom Fenster.
Politische Umfragen sind für die Institute nur interessant, weil sie Publicity bringen. Und weil man bei der Sonntagsfrage am Ende ja anhand des Wahlergebnisses prüfen kann, wie gut ein Institut war, geben sie sich gerad dort Mühe, gute Daten zu liefern; u.a. durch aufwendige Gewichtungen.
Herzlich, Zettel