Lieber Sparrowhawk,
vielen Dank für diesen sehr informativen Beitrag und die Fortsetzung über die Nomotheten (das wußte ich alles gar nicht). Nur ein paar kurze Anmerkungen und vor allem Fragen:
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Andererseits erscheint mir die Frage schon interessant, welche Gemeinsamkeit eigentlich die attische Demokratie (oder die römische Republik) mit unseren heutigen demokratischen Rechtsstaaten haben, und wo fundamentale Unterschiede liegen.
Ein paar der Unterschiede nannte ich bereits... Sklaverei, kein Frauenwahlrecht, keine Gleichheit der Stimmen. Die Losbestimmung der Beamten, die du anführst, ist natürlich auch ein sehr wichtiger Unterschied. Ich stelle mir gerade vor, unsere Staatsanwälte, Richter oder Regierungs-Angehörigen würden durch das Los bestimmt. Nein, lieber nicht, da kommt zu viel Unheil bei heraus.
Es scheint mir, lieber Sparrowhawk - ich bin aber nicht sicher, weil ich mich da zu wenig auskenne -, daß die Verschiedenheit viel tiefer geht. Daß sie nicht nur in solchen einzelnen Merkmalen besteht, sondern sozusagen im Kern der Sache liegt, in der Konzeption von Demokratie:
Die attische Demokratie war - soweit ich das jetzt meine durchschaut zu haben - eine Ausweitung der Stammesdemokratie à la Thing auf die Verhältnisse in einer Polis; sozusagen ein gigantischer Stammesrat. Die moderne Demokratie, wie sie zuerst in den USA entstanden ist, ist dagegen so etwas wie eine durch die Skepsis der Aufklärung demokratisierte Aristokratie. Der US-Präsident ist ein Monarch auf Zeit. Der Senat ist so etwas wie ein demokratisches House of Lords.
Die US Constitution ist eine Verfassung, die - wie sollte es auch anders sein - die Elemente verwendete, die man vorfand. Die diese aber so modifizierte, daß drei Ziele erreicht wurden: Die Beschneidung jeglicher Macht durch eine Gegenmacht, die Rechtsstaatlichkeit und die Garantie der Freiheit des Einzelnen.
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Zur Zeit der Könige gab es einen Adelsrat, den "Areopag" (der, wie der Name sagt, auf dem Ares-Hügel tagte). Dieser Adel gewann im Laufe der Jahrhunderte immer mehr an Bedeutung, und es war der Areopag und nicht der König, der z.B. die Beamten und die Militärkommandeure ernannte.
Das war, nehme ich an, Ausdruck des Kampfs zwischen Adel und Zentralmacht, wie er den ganzen Feudalismus durchzog? - Der Feudalismus hatte ja (anders als zB der altägyptische und der altchinesische Beamtenstaat) ein in gewisser Hinsicht "demokratisches" Element, nämlich die Machtbalance zwischen den Feudalherren.
Oder anders gesagt, es gab historisch zwei Wege zur Demokratie:
Der eine war - wie du es für Griechenland schilderst - die Ausweitung der Rechte des Adels auf immer mehr Bürger. Sozusagen der sanfte Übergang zur Demokratie.Die andere ist der Sturz des Adels; die Vernichtung seiner Macht und das Etablieren einer neuen Macht. Das war der Weg der Französischen Revolution.
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Allerdings genügte das wohl nicht, und so entschied Solon sich, noch einen Schritt weiter zu gehen. Die solonischen Reformen zielten auf einen Augleich zwischen Adel und Stadtbürgertum ab. Die Bürger Athens wurden in die von mir schon angesprochenen 4 Klassen eingeteilt, und neben der Staffelung des aktiven Wahlrechts wurde damit auch das passive Wahlrecht festgelegt, denn nur die oberste Klasse, die Fünfhundertscheffler, durften politische Ämter bekleiden.
Woraus dann, wie du ja sehr gut erläuterst, ein immer egalitäreres System wurde. (So gut und umfassend habe ich das kaum irgendwo dargestellt gefunden).
Was mich noch interessieren würde: Wieweit wurde diese Entwicklung durch das begleitet, was wir heute politische Theorie nennen würden? Mir kommt es so vor, als gäbe es auch da einen interessanten Unterschied zu modernen Demokratien:
Diese waren die Umsetzung politischer Theorien, die ihnen vorausgingen. Locke, Hobbes, Adam Smith, Montesquieu, auch noch Kant haben ja alle ihre Überlegungen zum demokratischen Rechtsstaat angestellt, als sie selbst noch in mehr oder weniger absoluten Monarchien lebten. Und die US-Verfassung war die getreuliche Umsetzung dieser Ideen in die Praxis. (Kant hat umgekehrt auch teilweise schon die amerikanischen Erfahrungen verwertet)
Die attische Demokratie dagegen scheint "urwüchsig" (wie Marx das nannte) entstanden zu sein. Und ihre Theorie bekam sie gewissermaßen nachgeliefert, durch Aristoteles und Platon.
Die beide an ihr mehr zu kritisieren als zu loben hatten. Platon aus der Position eines Aristokraten heraus, der er ja auch von Herkunft war. Aristoteles eher als der nüchterne Skeptiker, der nicht Platons "Grundformen" in den Blick nimmt, sondern die vielen realen Varianten seiner Zeit, und der die jeweiligen Vor- und Nachteile analysiert.
In anderer Hinsicht hat Platon seinen fürchterlichen Vollender in Marx gefunden. Beide hatten die phantastische Vorstellung von einer idealen Gesellschaft. (Die von Platon war freilich besser durchdacht als die von Marx).
Platon hatte zum Glück keine Schüler und Anhänger, die versuchten, das zu realisieren. Marx hatte sie leider, und das hat fast ein Jahrhundert fürchterlichen Leides vieler Millionen Menschen nach sich gezogen.
Herzlich, Zettel