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Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 21 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Noricus Offline



Beiträge: 2.362

16.06.2017 21:17
Helmut Kohl ist tot Antworten

Helmut Kohl ist tot. Ein kurzer Nachruf.

hubersn Offline



Beiträge: 1.342

16.06.2017 22:49
#2 RE: Helmut Kohl ist tot Antworten

Danke für ihre Zeilen. Ich habe in meinem Blog auch ein paar Dinge zu Helmit Kohl aufgeschrieben, die mir spontan eingefallen sind: http://politikblog.huber-net.de/2017/06/...hl-ein-nachruf/

Gruß
hubersn

--
Mein Politik-Blog: http://politikblog.huber-net.de/
Mein Mischmasch-Blog: http://miscblog.huber-net.de/

Frankenstein Offline




Beiträge: 891

17.06.2017 10:45
#3 RE: Helmut Kohl ist tot Antworten

Helmut Kohl wurde mir - im Gegensatz zu beispielsweise Margaret Thatcher und Ronald Reagan - auch nach meiner Konvertierung zum Liberalismus nicht wesentlich sympathischer.

Ich halte ihn für stark überschätzt - Biedenkopf, Stoltenberg oder Späth wären mit Sicherheit bessere Kanzler gewesen. Auch Strauß - dem einstigen Gottseibeiuns aller Linken - würde ich aus heutiger Sicht mehr zutrauen.

Edit:
Es gab eine Situation, wo Kohl mir sympathisch war: Nach der Wahlniederlage gegen Schröder. Wie er da mit Schäuble saß und das Ergebnis fair akzeptierte - das hätte ich so nicht unbedingt erwartet. Dass er bei Wanderungen mit anderen Staatsmännern gelegentlich Pullis trug, hatte mir auch gefallen.

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.546

17.06.2017 23:55
#4 RE: Helmut Kohl ist tot Antworten

Zitat
Für den Altkanzler soll es den ersten europäischen Staatsakt überhaupt geben.



http://www.spiegel.de/politik/deutschlan...-a-1152659.html

Es wird höchste Zeit, daß dieses Gebilde an sein Ende gelangt. Was freilich nur eine Frage des WANN, nicht des OB ist. Auch wenn - Hegel hätte seine grimmige Freude daran - Kohls gesamtes Vermächtnis durch die beiden desaströsen Weichenstellungen, die direkt aus seiner Ermöglichung der Wiedervereinigung erwachsen sind, in sein absolutes Gegenteil verkehrt wird. EU nicht als Friedens- sondern Katastrophenprojekt und der apodiktische Primat des Nationalstaats als oberste Priorität für jeden Staat, der seine Zukunft in Zukunft auf Dauer sichern will. (Die beiden Keime waren der Euro als Preis für die Neufünfländer und Kohls Mädchen als scheinbar harmloses, unbelichtetes Zonenquotengirl.)



"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire

Frankenstein Offline




Beiträge: 891

18.06.2017 10:43
#5 RE: Helmut Kohl ist tot Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #4

Zitat
Für den Altkanzler soll es den ersten europäischen Staatsakt überhaupt geben.


http://www.spiegel.de/politik/deutschlan...-a-1152659.html

Es wird höchste Zeit, daß dieses Gebilde an sein Ende gelangt. Was freilich nur eine Frage des WANN, nicht des OB ist. Auch wenn - Hegel hätte seine grimmige Freude daran - Kohls gesamtes Vermächtnis durch die beiden desaströsen Weichenstellungen, die direkt aus seiner Ermöglichung der Wiedervereinigung erwachsen sind, in sein absolutes Gegenteil verkehrt wird. EU nicht als Friedens- sondern Katastrophenprojekt und der apodiktische Primat des Nationalstaats als oberste Priorität für jeden Staat, der seine Zukunft in Zukunft auf Dauer sichern will. (Die beiden Keime waren der Euro als Preis für die Neufünfländer und Kohls Mädchen als scheinbar harmloses, unbelichtetes Zonenquotengirl.)


Der Größenwahn Kohls - missionarisch anmutende politische Träumereien >> jegliche wirtschaftliche Vernunft - steht dabei im merkwürdigen Kontrast zum Realitätssinn seines sozialdemokratischen Vorgängers (auch wenn letzterer mit seiner keynesianischen Politik auf seine sprichwörtliche Schnauze gefallen ist).

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

19.06.2017 02:41
#6 RE: Helmut Kohl ist tot Antworten

Es ist schwer noch etwas über Helmut Kohl zu sagen, was nicht bereits an anderer Stelle in hundertfacher Menge irgendwo geschrieben wurde. Dennoch:

Helmut Kohl war vermutlich der bedeutendste Politiker der Nachkriegsgeschichte im positiven Sinne. Seine Kanzlerschaft hatte ihre Fehler, vergleicht man aber den Zustand von Deutschland zu Beginn und am Ende, so war es (im Unterschied beispielsweise zum absoluten Fehlgriff Merkel) eine gute bis sehr gute Zeit für das Land. Interessant ist daran, dass Kohl dies vor allem aus einem Talent heraus erreichte, dass eigentlich weder zu den Kernkompetenzen eines Kanzlers gehört, noch ihm je von linker Medienseite zugetraut wurde: Kohl war ein begnadeter Außenpolitiker. Sicher hatte er Zeit seiner Regierung auch fähiges Außenpersonal an seiner Seite (man denke an Genscher), nichtsdestotrotz ist es Kohl gelungen eine persönliche Freundschaftsbande zu einigen der mächtigsten Leute seiner Zeit aufzubauen.
Entgegen der inzwischen hinreichend oft wiederholten Legende, Kohl sei die Wiedervereinigung in die Hände gefallen, muss man eher dazu kommen festzustellen, ohne Kohl hätte es diese Wiedervereinigung nie gegeben. Ohne persönliche Bindung zu Gorbatschow und Bush und ohne zumindest die nicht völlige Antipathie mit Mitterand und Thatcher, wäre es dazu nie gekommen. Jetzt muss man die deutsche Einigung (genauso wie die europäische) nicht unbedingt als richtig oder erstrebenswert definieren (die Welt würde sich auch mit zwei deutschen Staaten weiterdrehen), aber das Meisterstück dieser Einigung, wenn man diese für richtig hält, brauchte schon einen Außenpolitiker mit besonderem Talent. Eben Helmut Kohl.

Innenpolitisch gesehen war Helmut Kohl leider nicht mit dem selben Talent gesegnet, oder wie ein Freund von mir mal so passend sagte: Innenpolitik fand in dieser Zeit kaum statt. Die schon damals drängendsten Probleme von Verschuldung, Rentenunterdeckung und mangelndem Nachwuchs wurden im Wesentlichen ignoriert, auch unter Kohl nahmen die Geburten nicht zu, die Schulden stiegen und die "Rentenreform" kam viel zu spät und viel zu schwach. Kohl machte den "Fehler" Versagern vom Schlage Norbert Blüm in zentrale Verantwortung zu stellen. Vielleicht hat es ihn nicht interessiert, vielleicht war es ihm zu kompliziert. Mit persönlichem Charisma einen Staatschef von etwas zu überzeugen schien ihm vielleicht einfacher, als eine komplizierte Reform in der Gesellschaft durchzubringen. Dennoch war es nicht die schlimmste Zeit. Gemessen an der ersten Regierung Schörder (mit Lafontaine als Finanzminister) waren die Zeiten wirtschaftlich stabil. Und durch die kluge Aussenpolitik nahmen die Exportüberschüsse, die 1980 schon fast zum Erliegen gekommen waren, wieder zu. Kohls Regierung erzielete ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 2%. Trotz deutscher Einheit. Das sind Zahlen von denen eine Merkel Zeit ihrer bleiernen Regierung fast nur träumen kann (Ausnahmejahre gibt es).
Insgesamt leistete sich die Regierung Kohl wenig schwere Fehler, insgesamt wurde sehr viel aufgebaut. Innenpolitisch nahm der Reichtum der Deutschen weiter zu (nicht im selben Maße wie in den Jahrzehnten zuvor, aber immerhin), aussenpolitisch wurde Kapital geschaffen. Mit Schaffung der EU und Wiedervereinigung wuchs die Macht des Landes deutlich an. Alles in allem eine gute Zeit für das Land.

Nach meinem persönlichen Dafürhalten hat Helmut Kohl nur einen einzigen, wirklich schwer wiegenden Fehler begangen: Die Förderung von Angela Merkel. Aber ich will annehmen, dass er nicht ahnen konnte, welchen Preis das Land einmal dafür bezahlen würde.

Er möge in Frieden ruhen.

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 2.007

19.06.2017 10:04
#7 RE: Helmut Kohl ist tot Antworten

Zitat von Frankenstein im Beitrag #3
Ich halte ihn für stark überschätzt - Biedenkopf, Stoltenberg oder Späth wären mit Sicherheit bessere Kanzler gewesen. Auch Strauß - dem einstigen Gottseibeiuns aller Linken - würde ich aus heutiger Sicht mehr zutrauen.

Das glaube ich auf keinen Fall und das macht sich vor allem an der Aussenpolitik fest, die für das Entstehen eines im Frieden stabilen Europas essentiell war. Es gab dabei zwei Merkmale an Kohl, die ihn in meinen Augen aus heutiger Sicht herausragend machten:

1) Er war der letzte, ernstzunehmende Verfechter eines gesellschaftlichen Gegenentwurfs zu rotgrünem Zeitgeist. Er hatte damit eine Identität Deutschlands vor Augen, die ihm wichtig war und alles andere als beliebig und die vor allem wichtig war für ein subsidiäres Europa. Er verstand das Wort „Freiheit“, verstand den Wert individueller Verantwortung und sie waren integraler Bestandteil seines Gesellschaftsentwurfs. Genauso wie die Westbindung und die Wehrhaftigkeit der Demokratie unverhandelbar waren.

2) Er war ein Historiker mit profundem Wissen und geschichtlichem Bewußtsein, das ihn in längeren Zeiträumen denken lies, nicht von der Hand in den Mund. Er erlebte den Krieg, die Entwicklung danach und er Verstand die Sehnsüchte der europäischen Länder. Aus Anschauung und Studium.

„Gott schütze unser deutsches Vaterland.“ Dieser Satz ist von Merkel, die Gröhe beim Wahlsieg eine Deutschlandfahne aus der Hand riss, ebenso undenkbar, wie dass sie Hand in Hand mit dem frz. Präsidenten in Verdun stehen würde. Pathos, Empathie und Sympathie sind wesentlicher Teil von Aussenpolitik. Das wird Merkel nie begreifen. Kohl war es in Fleisch und Blut.

Zitat von Frankenstein im Beitrag #3
Es gab eine Situation, wo Kohl mir sympathisch war: Nach der Wahlniederlage gegen Schröder. Wie er da mit Schäuble saß und das Ergebnis fair akzeptierte - das hätte ich so nicht unbedingt erwartet.
Er war Demokrat und respektierte die Freiheit, so Autoritär er im Umgang auch gewesen sein mochte. Da erscheint er mir Reziprok zu der heutigen Politikernorm.

Zitat von Frankenstein im Beitrag #3
Dass er bei Wanderungen mit anderen Staatsmännern gelegentlich Pullis trug, hatte mir auch gefallen.
Kohl verstand sich nicht als Elite, so wie das Politiker heute gerne tun, sondern als der der er war und er verstand auch, dass Aussenpolitik mit Freundschaften zu machen ist.

Zitat von Llarian im Beitrag #6
Nach meinem persönlichen Dafürhalten hat Helmut Kohl nur einen einzigen, wirklich schwer wiegenden Fehler begangen: Die Förderung von Angela Merkel.
“Sie macht mir noch mein schönes Europa kaputt.“, ist von ihm überliefert. Es muß, soweit es ihm bei seiner schweren Krankheit noch ins Bewußtsein drang, eine Qual gewesen sein, dieser Frau, eine Repräsentantin des von ihm so vehement bekämpften rot grünen Zeitgeistes, zuzuschauen, wie sie ohne jegliches historisches Bewußtsein, Deutschland begann gleichzeitig aufzulösen und wieder zu einer (moralischen) Hegemonialmacht zu machen und damit in eine (partielle) europäische Isolation zu treiben.

Kohl hatte einen Sinn für Macht. Diesen hat er wohl auch in Angela Merkel erkannt, sie deswegen als Hoffnungsträgerin für seine Partei protegiert. Die schlimme Wirkung der kommunistischen Sozialisation hat er – wenn überhaupt -, wie viele andere, erst viel zu spät begriffen.

Zitat von Llarian im Beitrag #6
ohne Kohl hätte es diese Wiedervereinigung nie gegeben.
Das ist in meinen Augen absolut sicher. Nicht nur, weil er das aussenpolitische, handwerkliche Geschick hatte, sondern auch weil es neben ihm schon damals nur rotgrünen Zeitgeist als ernsthafte politische Alternative gab und dieser niemals ein wiedervereintes Deutschland zugelassen hätte.

Herzlich


nachdenken_schmerzt_nicht

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

nocheiner ( gelöscht )
Beiträge:

19.06.2017 10:11
#8 RE: Helmut Kohl ist tot Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #6
Es ist schwer noch etwas über Helmut Kohl zu sagen, was nicht bereits an anderer Stelle in hundertfacher Menge irgendwo geschrieben wurde. Dennoch:

Ihnen, lieber Noricus und lieber Llarian, möchte ich für die Nachrufe danken. Ich bin nun schon etwas älter, (auch älter als Ihre verehrten Eltern, lieber Llarian), habe die zerstörten deutschten Städte, die Nachkriegszeit im Westen Deutschlands mit den Lebensmittelmarken und die Bonner Republik erlebt. Sie lag mir eher, trat bescheidener auf, war fast dörflich. Auch ich hatte ein ambivalentes Verhältnis zu Kohl. Keiner ist fehlerfrei. Die Möglichkeit einer Wiedervereinigung am Zipfel gepackt zu haben, halte ich aber für sein Verdienst. Das sollte man ihm nicht nehmen. Insofern möchte ich mich ganz Ihrer Wertung anschließen, lieber Llarian. Möge er in Frieden ruhen.

Mit besten Grüßen

nocheiner

DrNick Offline




Beiträge: 809

19.06.2017 10:36
#9 RE: Helmut Kohl ist tot Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #6
Ohne persönliche Bindung zu Gorbatschow und Bush und ohne zumindest die nicht völlige Antipathie mit Mitterand und Thatcher, wäre es dazu nie gekommen.


Daß es zwischen Kohl und Thatcher etliche Spannungen gab, ist bekannt. Aber ich war immer davon ausgegangen, daß Kohl und Mitterand (trotz politischer Unterschiede) eng miteinander befreundet waren.

Florian Offline



Beiträge: 3.179

19.06.2017 11:25
#10 RE: Helmut Kohl ist tot Antworten

Lieber Llarian, lieber Noricus

danke für die schönen Beiträge.
Ich könnte es nicht so gut formulieren - deshalb schließe ich mich Ihnen einfach an.

Leider ist diese Qualität nicht selbstverständlich.
Es will mir nicht so ganz einleuchten, warum so viele Menschen Kohl immer mit so viel Gehässigkeit begegnen.
Dass er politische Gegner hatte, die sich politisch an ihm reiben, ist natürlich logisch. Und es ist auch absolut in Ordnung, wenn politische Gegner auch in ihren Nachrufen Kohl nicht verklären sondern auch die Schattenseiten erwähnen (und auch Sie haben in Ihren Beiträgen zu Recht auch Schwächen von Kohls Regierungszeit genannt).
Das kann man aber dennoch auf eine faire Art tun, die dem Mann seine Würde lässt.
Gerade bei einem Nachruf wäre das angemessen.
Für Schläge unter die Gürtellinie war bei einem 87-jährigen zu Lebzeiten wahrlich genug Zeit. Und wird auch in Zukunft bei historischen Rückblicken noch genügend Gelegenheit sein. Bei Nachrufen selbst sollte aber ein Mindestmaß an Anstand gewahrt bleiben.

Vorbildlich hat das z.B. Cem Özdemir (der Kohl politisch ja nicht gerade nahe steht) auf dem Grünen Parteitag gemacht.
http://www.zeit.de/news/2017-06/16/deuts...opaeer-16180010
"Özdemir würdigt Kohl als "großen Europäer" ".
Er hat das gut formuliert und musste sich dabei auch nicht verbiegen. Zum Beispiel so:
Bei allem Streit sei Kohl jemand gewesen, "auf den wir uns in der Vergangenheit verlassen konnten".
Da macht man klar, dass man politisch durchaus nicht auf einer Linie war - aber dass man den Verstorbenen als Mensch geschätzt hat. Gut gemacht, Herr Özdemir.

Wenn man sich aber mal ein geradezu verstörend gehässiges Beispiel anschauen will, dann wird man (natürlich) bei der taz fündig: https://dl.taz.de/taz/shop/download_acti...0102&typ=seite1
(oder vielleicht etwas dauerhafter hier: https://www.facebook.com/tazamwe/photos/...?type=3&theater)

An bornierter Kleinkariertheit nicht zu überbieten ist übrigens auch Kurt Beck.
(Hier sein Nachruf im Wortlaut: http://www.mrn-news.de/2017/06/16/ludwig...ut-kohl-330352/ )
Kaum zu glauben, oder?
Helmut Kohl stirbt - und Kurt Beck beklagt sich in seinem Nachruf darüber, dass er bei einer Veranstaltung irgendwann vor über 25 Jahren von Kohls Kanzleramt am Rande der ersten Reihe platziert wurde statt in der Mitte. Wie selbstzentriert, kleingeistig und verbiestert muss man eigentlich sein, um so eine Lappalie in einem Nachruf zu erwähnen?

Dennis the Menace Offline




Beiträge: 459

19.06.2017 11:33
#11 RE: Helmut Kohl ist tot Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #6



Kohl machte den "Fehler" Versagern vom Schlage Norbert Blüm in zentrale Verantwortung zu stellen. Vielleicht hat es ihn nicht interessiert, vielleicht war es ihm zu kompliziert.


Es hätte nie eine stabile CDU-Kanzlerschaft gegeben, wenn solches "Versagertum" in dieser Partei nicht immer eine bedeutende Rolle gespielt hätte. Auch Adenauer hat diesbezüglich "versagt", indem er in einer Ad-hoc-Koalition mit der SPD gegen Erhard und gegen die FDP die Rentenreform der 50er durchboxte.

In der liberalen Studierstube kann man dergleichen mit guten Gründen bemängeln, nur hat das wenig mit Politik zu tun, falls man "draußen im Lande" (eine Lieblingsformel Kohls) Mehrheiten anstrebt - das muss man zwar nicht unbedingt (Liberale können Mehrheitsträume eh vergessen), wer Bundeskanzler werden und für etwas länger als ein paar Jahre (also anders als Erhard, der von den eigenen Leuten gefeuert wurde) bleiben will, kann das indessen nicht vermeiden. Bekanntlich wollte Kohl nie (O-Ton) "den Ludwig-Erhard-Preis gewinnen", sondern stattdessen Wahlen. Im Gegensatz zu Kohl kann sich sein unmittelbarer Nachfolger mit dem Preis schmücken .

Zitat von Llarian im Beitrag #6

....., aussenpolitisch wurde Kapital geschaffen. Mit Schaffung der EU und Wiedervereinigung wuchs die Macht des Landes deutlich an. Alles in allem eine gute Zeit für das Land.


Das Ding mit der Macht war von Kohl nie beabsichtigt (O-Ton: Man muss die Tricolore dreimal grüssen), schon eher trifft das auf Merkel zu, wenngleich unabsichtlich. Politische Absichten - im Sinne eines auf längere Strecke angelegten Kompasses - gibt es bei ihr ja sowieso nicht, ganz anders als bei Kohl, der in erster Linie (ähnlich wie Adenauer) Außenpolitiker war, das beschreiben Sie ja auch ganz richtig

Richtig ist natürlich auch, dass eines der bedeutenden Leuchtturmprojekte Kohls Maastricht ("Schaffung der EU") war - in enger Zusammenarbeit mit Delors und Mitterand und gegen Thatcher . Maastricht wurde übrigens schon vor den berühmten Ereignissen 89/90 avisiert und angelegt und keineswegs erst danach und deswegen den Deutschen aufs Auge gedrückt, wie sich das rechte Kreise gerne zurechtlegen. Kohl wollte Maastricht, das nur nebenbei.

Kohl hat die CDU als Europapartei diesbezüglich auf dem Kurs gehalten, der einst von Adenauer in die Wege geleitet wurde.

Das hat er mindestens gut gemacht, eher sehr gut, dafür gebührt ihm Dank.



lich
Dennis

Florian Offline



Beiträge: 3.179

19.06.2017 11:42
#12 RE: Helmut Kohl ist tot Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #6
Kohl machte den "Fehler" Versagern vom Schlage Norbert Blüm in zentrale Verantwortung zu stellen. Vielleicht hat es ihn nicht interessiert, vielleicht war es ihm zu kompliziert.



Ich glaube, dass war kein Fehler, sondern kalkulierte Absicht.
Norbert Blüm hatte für Kohl eine strategisch wichtige Funktion (erkennbar übrigens auch daran, dass er der einzige Minister war, der sein Amt über die Kohls komplette Amtszeit hinweg unverändert innehatte).
Die Aufgabe war, die linke Flanke abzusichern.

Hätte Blüm nicht eine gewisse Narrenfreiheit gehabt um die deutsche soziale Seele zu streicheln, dann hätte es schon viel früher eine linke Mehrheit gegen Kohl gegeben.
Im Prinzip macht Merkel heute das ja ähnlich, nur noch viel krasser: sie nimmt den linken Parteien die Themen weg und besetzt selbst linke Positionen - und macht sich dadurch von dieser Seite praktisch unangreifbar.
Kohls Methode war da im Vergleich zu Merkel ja viel dosierter: er hat die Aufgabe, den linken Flügel zu sichern an Blüm ausgelagert - und konnte so selbst im Kern weiter mittig-konservative Politik betreiben. Merkel hat diese Aufgabe hingegen zur Chef-Sache gemacht und sich selbst innerhalb der CDU an den linken Rand positioniert.

Ähnliches Ergebnis. Aber Merkel ist letztlich noch radikaler in der Umsetzung. Und wenn wir ehrlich sind: auch machtpolitisch erfolgreicher. Kohls war nach 7 Amtsjahren bereits als politisch tot erklärt - als ihn dann die Wiedervereinigung rettete. Und nach 12 Jahren war seine Wiederwahl eine hauchdünne Angelegenheit.
Bei Merkel waren nach 8 Jahren noch überhaupt keine Verschleißspuren erkennbar (die Union verfehlte nur hauchdünn eine absolute Mehrheit!) und nach 12 Jahren steht ihre Wiederwahl überhaupt nicht in Zweifel.
Selbst für 2021 ist noch nicht so recht sichtbar, wie eine Anti-Merkel-Koalition eine Mehrheit bekommen sollte.

Merkel ist da eine gute Schülerin von Kohls genialem Blüm-Schachzug.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

19.06.2017 12:56
#13 RE: Helmut Kohl ist tot Antworten

Zitat
Zum Schluss seiner Amtszeit wurde der Pfälzer zum Symbol für den seinerzeit viel zitierten innenpolitischen Reformstau.


"Wurde zum Symbol" stimmt zwar, aber wesentlich ist, daß das Ergebnis einer Medienkampagne war, die den Wechsel zur SPD wollte.
Einen "Reformstau" gab es in den Jahren nach 1990 (jedenfalls im Westen, im Osten änderte sich ja sehr viel). Reformen hatten angesichts der Herausforderungen durch die Wiedervereinigung/den Aufbau Ost eben geringere Priorität.
In der letzten Amtszeit Kohls gab es dagegen einiges an Reformen. Sieht man alleine schon daran, daß ein großer Teil des SPD-Wahlkampfs im Versprechen bestand, diese "Zumutungen" wieder zurückzunehmen. Was dann nach Schröders Regierungsübernahme auch geschah. Um dann in den nächsten Jahren die meisten dieser Reformschritte doch wieder zu gehen.

Zitat
Mit Schröder kam eine Wende in der Außen- und Europapolitik, die – wie Merkels Fortsetzung derselben zeigt – weniger parteiabhängig als generationenbedingt zu sein scheint.


Wenn man es als "generationenbedingt" ansieht, daß westliche Werte ihre Priorität verloren ...

Zitat
Doch angesichts des außen- und europapolitischen Porzellans, das Schröder und Merkel zerbrochen haben, ist ihm klar geworden, wo Kohls Qualitäten lagen.


Richtig.
Kohl hat zwar immer darauf geachtet, Wahlen zu gewinnen und entsprechend auch etwas Populismus betrieben. Aber er hatte (wie alle Kanzler vor ihm) etwas, was seinen beiden Nachfolgern völlig abgeht: Echte politische Überzeugungen.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

19.06.2017 14:04
#14 RE: Helmut Kohl ist tot Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #6
Entgegen der inzwischen hinreichend oft wiederholten Legende, Kohl sei die Wiedervereinigung in die Hände gefallen, muss man eher dazu kommen festzustellen, ohne Kohl hätte es diese Wiedervereinigung nie gegeben.

Absolut!
Natürlich wurde er von der Entwicklung innerhalb der DDR ebenso überrascht wie alle Anderen. Er hatte das Glück, eine günstige Gelegenheit zu bekommen. Aber er hat diese eben aktiv genutzt und optimal verwertet.
Denn es war eben keineswegs gesagt, daß die Demos in der DDR wirklich zu einer Wiedervereinigung führen würden. Zu viele Kräfte in Ost und West wollten das überhaupt nicht (z. B. der damalige SPD-Kanzlerkandidat Lafontaine). Wenn man die Verhältnisse Merkel-ähnlich hätte treiben lassen, wäre wahrscheinlich eine Art Österreich-Lösung herausgekommen: Ein weiterer deutschsprachiger Staat mit völliger Selbständigkeit. Ein Staat, der sich nur mühsam hätte entwickeln können und der auch die Entwicklung im übrigen Osteuropa erschwert hätte.

Statt dessen die echte Wiedervereinigung zu forcieren und gegen innen wie außen durchzusetzen, das ist Kohls bleibender Verdienst.

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

19.06.2017 20:23
#15 RE: Helmut Kohl ist tot Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #10
Wenn man sich aber mal ein geradezu verstörend gehässiges Beispiel anschauen will, dann wird man (natürlich) bei der taz fündig: https://dl.taz.de/taz/shop/download_acti...0102&typ=seite1
(oder vielleicht etwas dauerhafter hier: https://www.facebook.com/tazamwe/photos/...?type=3&theater)


Da auch viele TAZ-Leser diesen "Gag" nicht so wirklich lustig fanden, ist man in der Rudi-Dutschke-Straße zurückgerudert.

Zitat von Florian im Beitrag #10
An bornierter Kleinkariertheit nicht zu überbieten ist übrigens auch Kurt Beck.
(Hier sein Nachruf im Wortlaut: http://www.mrn-news.de/2017/06/16/ludwig...ut-kohl-330352/ )


Haben Sie von Beck etwas anderes erwartet?

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

19.06.2017 20:35
#16 RE: Helmut Kohl ist tot Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #13
In der letzten Amtszeit Kohls gab es dagegen einiges an Reformen.


Das stimmt, aber die kamen wohl zu spät, um den in den Jahren zuvor entstandenen Eindruck des Reformstaus zu konterkarieren.

Zitat von R.A. im Beitrag #13

Zitat
Mit Schröder kam eine Wende in der Außen- und Europapolitik, die – wie Merkels Fortsetzung derselben zeigt – weniger parteiabhängig als generationenbedingt zu sein scheint.

Wenn man es als "generationenbedingt" ansieht, daß westliche Werte ihre Priorität verloren ...



Es hat schon etwas mit dem Geburtsjahr zu tun. Kohl (* 1930) hat noch in der Phase seiner politischen Bewusstseinsentwicklung miterlebt, wohin der Totalverlust westlicher Werte führt. Schröder (* 1944) ist dagegen ein Wirtschaftswunderkind. Bei Merkel (* 1954) spielt auch noch die DDR-Sozialisierung eine Rolle.

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.546

19.06.2017 20:51
#17 RE: Helmut Kohl ist tot Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #14
eine Art Österreich-Lösung herausgekommen: Ein weiterer deutschsprachiger Staat mit völliger Selbständigkeit. Ein Staat, der sich nur mühsam hätte entwickeln können und der auch die Entwicklung im übrigen Osteuropa erschwert hätte.


Wenn wir schon mal im Metier der Alternativgeschichte sind: Diese Lösung hätte uns eine Kanzlerin Merkel erspart.



"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

20.06.2017 01:02
#18 RE: Helmut Kohl ist tot Antworten

Zitat von DrNick im Beitrag #9
Daß es zwischen Kohl und Thatcher etliche Spannungen gab, ist bekannt. Aber ich war immer davon ausgegangen, daß Kohl und Mitterand (trotz politischer Unterschiede) eng miteinander befreundet waren.


Thatcher dürfte so ziemlich mit jedem Spannungen gehabt haben, das dürfte an ihrem Character gelegen haben. :)
Entscheidend ging es mir aber eigentlich auch eher um die ersten beiden: Es bedurfte auf jeden Fall der Zustimmung der USA und auch der UDSSR (oder was davon noch übrig war), weder Frankreich noch England hätten sich alleine gegen die deutsche Einheit stellen können. Wenn Kohl, wie Schröder beispielsweise, eine Supermacht vors Schienbein getreten hätte, dann hätte er sich die Einheit von der Backe putzen können. Entscheidend ist, im wichtigen Moment keine echte Gegenstimme zu haben. Das ist ihm gelungen.

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

20.06.2017 01:15
#19 RE: Helmut Kohl ist tot Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #10
Es will mir nicht so ganz einleuchten, warum so viele Menschen Kohl immer mit so viel Gehässigkeit begegnen.

Ich glaube der Grund ist vergleichsweise simpel, lieber Florian: Weil er erfolgreich war. Kohl hat man schon seit Beginn seiner Regierung zum Deppen erklärt. Und sich dann jahrelang darüber geärgert wie erfolgreich dieser vermeintliche Depp seine Sache gemacht hat. Das hat einfach weh getan und sowas verbittert auch. Wer in den neunziger Jahren Spiegel-Leser gewesen ist, hat die Geschichte dieser Verbitterung live verfolgen können. Man hat irgendwann die Geschichte geglaubt, dass Kohl wirklich minderbemittelt sei und konnte sich bis heute nicht erklären, wie es jemand dann so weit bringen konnte.

Zitat
Wenn man sich aber mal ein geradezu verstörend gehässiges Beispiel anschauen will, dann wird man (natürlich) bei der taz fündig:


Kinderstürmer aus Kreuzberg. Was will man da erwarten? Ich hatte mal im Bestatterwebblog einen äusserst unangenehmen Streit mit einem "Aktivisten", der es unheimlich wichtig fand auf der Beerdigung eines vermeintlichen "Nazis" über Nazis aufklären zu müssen. Die Idee, dass das pietätlos sein könnte oder vielleicht nicht unbedingt das, was man Angehörigen auf einer Beerdigung antut, ist der gar nicht gekommen. Anstand ist anerzogen, man hat ihn, oder eben nicht. Die TAZ ist was sie ist. Und das peinliche Rückgeruder nach der Entgleisung ist auch wieder allzu typisch. Ich glaube Kohl hätte es nicht gekratzt.

Zitat
An bornierter Kleinkariertheit nicht zu überbieten ist übrigens auch Kurt Beck.
(Hier sein Nachruf im Wortlaut: http://www.mrn-news.de/2017/06/16/ludwig...ut-kohl-330352/ )
Kaum zu glauben, oder?


In der Tat. Man fragt sich, warum nicht irgendjemand das mal gegen gelesen hat. Und der wollte mal Kanzler werden ....

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

20.06.2017 01:25
#20 RE: Helmut Kohl ist tot Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #12
Ich glaube, dass war kein Fehler, sondern kalkulierte Absicht.
Norbert Blüm hatte für Kohl eine strategisch wichtige Funktion (erkennbar übrigens auch daran, dass er der einzige Minister war, der sein Amt über die Kohls komplette Amtszeit hinweg unverändert innehatte).
Die Aufgabe war, die linke Flanke abzusichern.

Das mag seine Aufgabe gewesen sein. Das schlimme an Blüm war aber nicht unbedingt seine Ausrichtung, sondern sein totaler Drall zur Unwahrheit, um nicht zu sagen, zur Lüge. Denn natürlich waren das alles Märchen, die er erzählt hat und die Rentenbombe, die wir heute erleben, ist unter Blüm halt ganz gut angewachsen. Als es dann gar nicht mehr ging, kam er dann mit dem Generationsfaktor (ich meine der hiess so). Aber locker zehn Jahre zu spät. Unter Schröder hat sich dann witzigerweise die selbe Nummer in einem Drittel der Zeit wiederholt.

Zitat
Merkel ist da eine gute Schülerin von Kohls genialem Blüm-Schachzug.


Das sehe ich eigentlich nicht ganz so. Selbst wenn wir unterstellen, dass Kohl genau so gehandelt hat, so war Macht für Kohl kein Selbstzweck. Politik lebt bekanntlich von Kompromissen und wenn Blüm der Kompromiss an die linke Seite des Bürgertums war, dann war das eben der Preis dafür. Angela Merkel ist aber kein Kompromiss. Sie verfolgt ein einziges Ziel und das ist die Macht Angela Merkels. Deshalb hat sie die CDU entkernt und deshalb hat sie sie zu einer sozialdemokratischen, ja linken, Partei umgebaut. Es geht einzig und alleine um ihren Posten. Um beim Schach zu bleiben: Kohl mag einen Läufer geopfert haben, um seinen Turm zu retten, aber Angela Merkel wirft jede Figur in den Weg, um das Spiel möglichst lange herauszuzögern. Kohl spielte auf Sieg, Merkel rein auf Zeit.

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.546

20.06.2017 01:55
#21 RE: Helmut Kohl ist tot Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #19
Man hat irgendwann die Geschichte geglaubt, dass Kohl wirklich minderbemittelt sei und konnte sich bis heute nicht erklären, wie es jemand dann so weit bringen konnte.


An welchen aktuellen politischen Buhmann erinnert mich das jetzt?

Zitat
Angela Merkel ist aber kein Kompromiss. Sie verfolgt ein einziges Ziel und das ist die Macht Angela Merkels.



Sie ist aber irgendwann Gefangene der von ihr geschaffenen Verhältnisse. Die Griechenlandrettung zu kippen könnte man sich gerade noch vorstellen. Aber die Invasion zu stoppen: das wird sie nicht. Kann sie nicht. Da steckt zu viel Kader in ihr.



"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire

moise trumpeter Offline



Beiträge: 245

27.06.2017 23:16
#22 RE: Helmut Kohl ist tot Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #21

Sie ist aber irgendwann Gefangene der von ihr geschaffenen Verhältnisse.



Frau Merkel sollte mal die Oper besuchen und sich den Ring des Nibelungen anschauen, da sieht man schön wie sowas endet.

 Sprung  



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