Mozart wird in der heutigen Komponistenszene offenbar nicht besonders geschätzt. Ein Fall für Spengler? Eine kleine Verteidigung des großen Salzburgers.
Als jemand, der nicht nur Musik, sondern Kunst überhaupt nur danach beurteilt, ob sie ihm gefällt oder nicht, sage ich herzlichen Dank für diesen interessanten Ausflug, der mich wieder ein paar Zehntel Prozentpünktchen Banausentum gekostet hat. Auch auf die Gefahr hin, damit das rhetorische Element des Elefantenwurms anzuwenden, möchte ich hier die Assoziationen loswerden, die mir beim Lesen im Kopf begegneten, und die haben mit der von mir am liebsten gehörten Musik zu tun, die in Richtung Jazz geht ("der" Jazz ist mindestens so falsch wie "der" Islam...).
Ist nicht so, dass unter Jazzern eigentlich Bach der beliebteste Komponist ist? Auf den ersten Blick erscheint es ja widersprüchlich, dass der so Formenstrenge gerade die Individualisten unter den Musikern begeistern soll, aber ich meine, das mal so gelesen zu haben.
Und was die scheinbare Leichtigkeit betrifft, kann ich nur zustimmen. Eine meiner Lieblingsbands ist Spryo Gyra, die seit jeher Fusion Jazz zum besten geben. An dieser Combo gefällt mir, wie melodiös die Stücke einerseits in der Regel sind, dass es aber andererseits für mich fast bei jedem neuen Hören etwas Neues zu entdecken gibt. Es klingt vieles einfach so locker-flockig. Aber zum einen bestätigen mir Leute mit Ahnung von Musik, wie anspruchsvoll es tatsächlich ist, das so präzise auf die Bühne zu heben, auf der anderen Seite sah ich mal auf einem Youtube-Video, wie jemand versucht hat, allein nur den Schlagzeug-Part aus dem so heiter und unbeschwert klingenden "Island Time" nachzuspielen - mein lieber Scholli. Insofern liegt schon aus eigener Anschauung bei mir der Verdacht nahe, dass es höchstes Können voraussetzt, mit Musik dauerhaft zu begeistern, und zwar ohne dass man eine Gebrauchsanweisung dazu braucht. Sogar beim durchgängig auf Konsumierbarkeit setzenden "Smooth Jazz" kann man, wenn man anders als ich Ahnung von der Sache hat, diverse Schmankerl verzeichnen, die einen Meister seines Fachs (oder eine Meisterin des ihren) voraussetzen.
Nun will ich die genannten Richtungen und Herren keinesfalls mit dem Genie Mozart gleichsetzen, aber ich mag es einfach, wenn ich auf solche Parallelen stoße. Und jetzt können die Klassik-Experten ran
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Der große Salzburger hat Musik geschaffen, die zeitlos ist und ganz offensichtlich Menschen verschiedenster Kulturkreise anzusprechen und über Jahre hinweg und immer wieder zu rühren vermag. Aber auch da gibt es herausstechende Kompositionen und etwas sperrigere. Genau so ist es bei anderen Künstlern, Beethoven, Wagner, Johnny Cash - bei vielen von denen ist ein hoher Output feststellbar, auch mit viel mittelmäßigem dabei. Ich darf von mir behaupten, ein recht musikalischer Mensch zu sein - und ich erlebe Musik dieser Kategorie vor allem als stimmig. Das "stimmt" einfach alles, die Musik (und oft abhängig von der Interpretation) ist perfekt, genauso muss man es machen, das ist, wenn man so will, nicht der Schatten, sondern die Platon'sche Idee. Und meist, und das ist das überraschende, wird der Effekt der Stimmigkeit nicht mit Vielfalt und Bombast erzeugt, sondern mit der Reduktion auf das Wesentliche, auf die Essenz. Das, genau das ist große Kunst - die Essenz herauszuarbeiten.
Und das hat Mozart geschafft. Nachhaltig. Und einen hohen Preis dafür gezahlt.
Ich glaube nicht, daß man Mozart verteidigen muß. Er ist so beliebt und wird so oft gespielt, das spricht für sich selber.
Spannend ist doch ein anderer Aspekt: Wenn das stimmt mit "lehnen sämtliche zeitgenössische Tonsetzer, mit denen sie Kontakt hatte, den großen Salzburger Komponisten ab." - was sagt uns das über diese zeitgenössischen Tonsetzer?
Mein Heimatort gilt ja als Hochburg der "Neuen Musik", die zeitgenössischen Tonsetzer versammeln sich regelmäßig zu den "Ferienkursen für Neue Musik" aus Kosten unseres Steuerbudgets. Diese Veranstaltung gilt als einer weltweiten Höhepunkte der aktuellen Musikproduktion. Da versammeln sich dann weitgehend ohne Beteiligung irgendeiner Öffentlichkeit Leute aus aller Welt und produzieren Geräusche.
Mein persönlicher Eindruck ist, daß das inzwischen nur noch ein abstruses Hobby für wenige Leute ist. Ohne jegliche Breitenwirkung und vor allem ohne Ausstrahlung auf die übrige Musikszene. Es gab schon immer die anspruchsvollere Musik, von hauptamtlichen Profis für Kenner produziert, und die eher schlichte volkstümliche Musik für den täglichen Gebrauch der Masse. Aber das früher ein fließender Übergang. Einen Mozart haben alle gern gehört (wenn auch nicht zu jedem Anlaß), die Trends und viele Hits der "Hochmusik" spiegelten sich in der "Gebrauchsmusik" wieder.
Seit dem Krieg hat sich die "Hochmusik" völlig abgekapselt. Die Klassiker werden durchaus noch gespielt, allgemein wertgeschätzt und gehören zur Musikausbildung selbst für Rocker und Punker. Aber die "Neue Musik" führt nur noch ein steriles Eigenleben, dafür interessiert sich niemand außer einer ganz kleinen Szene und irgendwelche Einflüsse hat sie nicht. Sie ist keine Avantgarde mehr, weil keiner mehr folgt. Kein Wunder, daß sich die Produzenten dieser Musik nicht mit einem Mozart anfreunden können, der damals wie heute den Erfolg hat, der ihnen immer verwehrt bleiben wird.
Zitat von Werwohlf im Beitrag #2Ist nicht so, dass unter Jazzern eigentlich Bach der beliebteste Komponist ist? Auf den ersten Blick erscheint es ja widersprüchlich, dass der so Formenstrenge gerade die Individualisten unter den Musikern begeistern soll, aber ich meine, das mal so gelesen zu haben.
Ich erinnere mich auch, dies einmal gelesen zu haben und auch, dass Bach bei Musikern sämtlicher Stile der beliebteste Komponist sei. Über die statistische Belastbarkeit solcher Aussagen weiß ich jedoch nichts.
Es würde mich aber nicht wundern, wenn Bach ein musicians' musician wäre. Man kann als Komponist bzw. als Musiker von Bach meiner Meinung nach mehr lernen als von jedem anderen Komponisten. Und das gilt natürlich auch für die Jazzer, die heutzutage ja in aller Regel eine hervorragende klassische Ausbildung haben.
Zitat von R.A. im Beitrag #5Ich glaube nicht, daß man Mozart verteidigen muß. Er ist so beliebt und wird so oft gespielt, das spricht für sich selber.
Ein gutes Argument. Schon allein, wenn ich mir vor Augen halte, was die Eintrittskarten für Mozarts Oper La clemenza di Tito in Salzurg bei den aktuellen Festspielen kosten: bis zu 430 Euronen. Andererseits: Der Wert dieser Aufführungen wird von manchen gerade darin gesehen, dass der Regisseur dem ganzen seine ganz persönliche Note aufdrückt, die Geschichte fortschreibt, eben nicht Mozart als Mozart stehen lässt, obwohl der Rezensent genau dies am Ende behauptet:
Zitat Der Kaiser, der sein Volk versöhnt, den Staat befriedet und selbst dem Attentäter verzeiht, dem unglücklichen Sesto: In dieser unbeirrbaren rationalen Humanität erkennt der amerikanische Regisseur Peter Sellars das höchste Ideal, das Europa sich selbst vorspielt und vorhält, das Äußerste an Zivilisation und Aufklärung. „Wie können wir in einer Zeit des Konflikts zusammenleben?“, fragt er. „Wie ist es möglich, in einer Zeit, die voller Zorn ist, eine heilende Geste anzubieten?“ Peter Sellars und der Dirigent Teodor Currentzis schreiben die Geschichte von Mozarts La clemenza di Tito für ihre Salzburger Produktion fort, arbeiten sie abermals um und erweitern die „vera opera“ auch im Sinne Mozarts perspektivisch. So steht Mozarts Titus nach 2000 Jahren mitten unter uns, und es wäre unverzeihlich, ihm nicht zuzuhören. Wolfgang Stähr
Zitat von Frankenstein im Beitrag #8Mein Lieblingsklassiker ist und bleibt jedoch Georg Friedrich Haydn Händel
Mir fällt es ja immer schwer, einen Lieblingskomponisten (-schriftsteller, -schauspieler etc.) zu benennen. Aber Händel ist bei mir mit Sicherheit unter den Top Five der klassischen Komponisten.
Zitat von Noricus im Beitrag #9 Mir fällt es ja immer schwer, einen Lieblingskomponisten (-schriftsteller, -schauspieler etc.) zu benennen. Aber Händel ist bei mir mit Sicherheit unter den Top Five der klassischen Komponisten.
Ja klar, das überzeugt insbesondere deswegen, weil "die Musik" oder auch "die Literatur" jeweils wenig kohärente Grundmengen kennzeichnen, die man also erstmal in sinnvolle Teilmengen (Epochen, Genres) auseinander klabüstern muss, bevor man sich eventuell gewisse Lieblinge zu Herzen nehmen kann. Schon bei "Klassik" gibt es natürlich allerlei Untergruppen. Am Ende des Tages steht jedes Werk, sofern beachtlich, eh für sich. Kein Wunder: Das Alleinstellungsmerkmal ist wichtig, damit aus irgendetwas "Kunst" wird .
In diesem Sinne scheint mir die Konfrontation Mozart versus Neue Musik des 20.Jahrhunderts (mittlerweile f.), wie im verlinkten cicero-Artikel, auch nitt soooo überzeugend, zumal man aus der Tatsache, dass Mozart, sozusagen in genialistischer Hinsicht, nicht leicht zu toppen ist, m.E. nicht den Schluss ziehen kann, dass man deswegen die Produktion postmozartianisch eigentlich beenden müsste, weil nurmehr "Kleineres" zu erwarten sei.
Und dass Publikumsrenner ein Qualitätsmerkmal sind, wurde übrigens im Beitrag betreffend Bestsellerlisten unlängst noch verneint .
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #10... zumal man aus der Tatsache, dass Mozart, sozusagen in genialistischer Hinsicht, nicht leicht zu toppen ist, m.E. nicht den Schluss ziehen kann, dass man deswegen die Produktion postmozartianisch eigentlich beenden müsste, weil nurmehr "Kleineres" zu erwarten sei.
Das behauptet m. W. auch niemand. Alleine schon, weil es allgemeiner Konsens ist, daß nach Mozart noch viel sehr gute Musik gemacht wurde. Je nach Geschmack können das Bramhs, Wagner oder Weill sein - oder Webber, Gershwin oder Léhar. Manche zählen auch die Beatles, Edith Piaf oder Astor Piazzolla dazu ... Man kann also auch nach Mozart und heute noch wirklich gute Musik machen.
Die Probleme der "Neuen Musik" haben offenbar nichts damit zu tun, daß Mozart nicht mehr zu toppen wäre.
Zitat Und dass Publikumsrenner ein Qualitätsmerkmal sind, wurde übrigens im Beitrag betreffend Bestsellerlisten unlängst noch verneint .
Das stimmt ja auch. Publikumserfolg alleine macht keine Qualität. Aber die Umkehrung stimmt eben auch nicht: Es ist kein Qualitätsmerkmal, wenn es niemand hören mag.
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #10Und dass Publikumsrenner ein Qualitätsmerkmal sind, wurde übrigens im Beitrag betreffend Bestsellerlisten unlängst noch verneint .
Und dabei bleibt es auch, lieber Dennis. R.A. hat dazu bereits sehr Richtiges geschrieben. Künstlerische Qualität und Publikumsgunst stehen in keiner Korrelation zueinander. Entgegen dem, was ökonomisch gescheiterte Künstler so gern vorbringen, kann qualitativ hochwertige Kunst den Zuspruch einer großen Rezipientenschar genießen. Das schließt einander nicht aus, bedingt einander aber auch nicht.
Man muss Mozart gerade deshalb verteidigen, weil ihm aus seiner Beliebtheit offenbar ein künstlerischer Strick gedreht wird.
Die Frage ist ungeklärt: was ist denn qualitativ hochwertige Kunst?
Hier wird darauf abgestellt, daß sie die Jahrhunderte überdauere. Was heißt, daß sie immer genügend Publikum gefunden hat. Das ist eher widersprüchlich zu der Aussage, Qualität und Publikumsgunst hätten nichts miteinander zu tun.
Sie haben doch. Und Mozart ist einer der Komponisten, die in der Klassikszene ganz vorn mitspielen (z.B. Zauberflöte als meistgespielte Oper, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:...%C3%A4ren_Opern). Man muß ihn nicht verteidigen gegen einen winzigen Haufen abgedrehter Lärmproduzenten (aka "Tonsetzer"). Damit tut man diesem Häuflein zu große Ehre an.
Es gibt übrigens auch gute zeitgenössische Komponisten, z.B. Arvo Pärt oder Frederico Maria Sardelli.
Offtopic: daß Bach so gut zusammen mit Jazz geht, liegt an der Struktur der Musik (Kontrapunkt), viele Jazzer haben immer mal wieder auf Bach zurückgegriffen (Jacques Loussier, Oscar Peterson, The Nice, Jethro Tull...)
Zitat von schattenparker im Beitrag #13Hier wird darauf abgestellt, daß sie die Jahrhunderte überdauere. Was heißt, daß sie immer genügend Publikum gefunden hat.
Das ist nicht gesagt! Zum Einen gibt es ja durchaus Beispiele von Künstlern, die völlig in Vergessenheit geraten sind (oder zu Lebzeiten überhaupt nicht reüssierten), aber dann Generationen später (wieder-)entdeckt wurden und große Beachtung fanden. Und zum Anderen reicht oft auch eine kleine Anhängerschar, wenn die nur überzeugt genug ist.
Es gibt bestimmt viele sehr gute Sachen, die durch unglückliche Umstände zu Unrecht in der Versenkung verschwunden sind. Aber umgekehrt ist m. E. klar: Wenn das Werk eines Künstlers noch nach Jahrhunderten von einer nennenswert großen Anzahl von Menschen wertgeschätzt wird, dann wird das ziemlich sicher hohe Qualität sein.
Zitat Es gibt übrigens auch gute zeitgenössische Komponisten, z.B. Arvo Pärt oder Frederico Maria Sardelli.
Vielen Dank. Das ist ein Tip, dem ich auf jeden Fall nachgehen werde.
Zitat von R.A. im Beitrag #14Zum Einen gibt es ja durchaus Beispiele von Künstlern, die völlig in Vergessenheit geraten sind (oder zu Lebzeiten überhaupt nicht reüssierten), aber dann Generationen später (wieder-)entdeckt wurden und große Beachtung fanden.
Wäre zu überprüfen. Die Bach-Forschung ist ja seit 120 Jahren damit beschäftigt, daß JSB keineswegs so verschollen war, wie es der romantische Mythos um Felix M.-B. will. Vivaldi war Tages- bzw. Wochenbedarf, und eigentlich erst seit den Ausgrabungsarbeiten im Weichbild um Ezra Pound überhaupt für ein weiteres Publikum greifbar. Und ob Monteverdi wirklich wiederbelebt worden ist, außer als Museumsstück? Bei "leichter Muse" wäre Scott Joplin ein analoger Fall. "Treemonisha" ist als Reprise exakt so versackt wie beim 1. Durchgang. Geschriebenes: In Erinnerung vllt. aus dem Quartett, M.R.-R., die Fälle Eduard v. Keyserling und Sandor Márai. Hat sich auch nicht gehalten (die EvK-Leser waren schon vorher zur Stelle). Wirklich zu reüssieren scheint das nur, wenn irgendeine notorische Avantgarde sich da einen Gründervater ausguckt und Bohei macht. Comte de Lautréamont in Sachen der Surrealisten etwa.
"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire
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