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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 22 Antworten
und wurde 2.835 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Noricus Offline



Beiträge: 2.362

16.09.2017 10:52
Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

Eine Woche vor der Bundestagswahl bläst Angela Merkel aus dem Blätterwald ein inzwischen ungewohnter Gegenwind ins Gesicht. Eine kurze Reflexion über das politische Klima im September 2017, zwei Jahre nach der Hochblüte des Mehltaus.

Llarian Offline



Beiträge: 7.117

16.09.2017 12:32
#2 RE: Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

Ich biete mal eine ganz simple Erklärung auf, lieber Noricus:

Den Jungs geht inzwischen die Düse, wenn sie für zwei Minuten die Scheuklappen ablegen und sehen was sich wirklich im Land tut. Die Kriminalitätsstatistik liegt offen. Inzwischen glaubt auch der dümmste (nichtmal Martin "Goldstücke" Schulz) nicht mehr daran, dass man einen riesigen Haufen agressiver, junger, bildungsferner (euphemistisch ausgedrückt) Männer innerhalb kürzester Zeit in den ersten Arbeitsmarkt wird integrieren können. Die völlig unkontrollierte Einwanderung hat uns tausende potentieller Attentäter ins Land gespült, so dass Attentate inzwischen einen ähnlichen Stellewert einnehmen wie Massenkarambolagen. Es ist einfach eine Mischung aus Verkaterung und der Realisierung, dass man durchaus einen eigenen Anteil an diesen Entwicklungen hält. Und wenn man eins gelernt hat, dann, dass wenn man vielleicht an etwas eine Mitschuld trägt, man super vor sich und anderen damit fährt, einen echten Schuldigen auszumachen. Wenn in mehreren Jahren (die Frage ist wie schnell es wirklich kommt), die ganze Katastrophe sich mehr und mehr abzeichnet, dann wird der Stern Merkel affenartig sinken und sie wird als die Regierungschefin bezeichnet werden, die sie tatsächlich ist. Aber die ganzen Journalisten, Gutmenschen, Promis, Kirchenfürsten, sie alle werden die Finger weit von sich weisen und damit nix zu tun haben wollen. Journalisten haben fast nie irgendwo Verantwortung für das übernommen, was sie anrichten, das wird hier nicht anders sein. Insofern, auch wenn ich deine grundsätzliche Einschätzung der Mehltauentwicklung teile, bin ich der Meinung, dass es sich hier weniger um bewusst aufbrechenden Mehltau handelt, sondern schlicht die Kapitulation vor einer immer offensichtlicher werdenden, hässlichen Realität.

Als Randbemerkung erlaube ich mir etwas zum Studiopublikum zu sagen: Wer noch glaubt, dass da ernsthaft ein Bevölkerungsschnitt sitzt und nicht eine choreographierte Menge an Jubelpersern, den erlaube ich mir tatsächlich als naiv zu bezeichnen. Wenn es nach Publikum in solchen Sendungen gibt, würde die AfD kaum im Promille-Bereich rumkrebsen, die Frau Bundeskanzler hätte eine absolute Mehrheit und würde trotzdem mit den Grünen regieren. Das ist derart schlecht gemacht, dass es einen anbrüllt. Und es brauchte nichtmal unbedingt einen Versprecher vom Schlage Mutlu, der damals bei Plasberg fragte "Wurde der denn gar nicht gebrieft?", um das klar zu machen. Solche Sendungen sind genauso echt wie das Dschungelcamp, Big Brother oder andere "Reality" Formate. Durch und durch geskriptet. Warum? Weil es geht.

patzer Offline



Beiträge: 359

16.09.2017 14:16
#3 RE: Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

17.09.2017 10:34
#4 RE: Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #2
Den Jungs geht inzwischen die Düse, ...

Das glaube ich nicht. Dazu leben die viel zu weit weg von gewissen Realitäten, und wenn sie Angst hätten, würden sie die entsprechenden Themen bringen.

Die Erklärung ist noch viel einfacher: Der Wahlkampf ist langweilig. In erster Linie wegen Merkels Dominanz.
Und Langeweile ist das Allerletzte, was ein Journalist aushalten kann. Dann wird sogar gegen die Kandidatin gekeilt, die sie eigentlich politisch gut finden.

Zitat
Journalisten haben fast nie irgendwo Verantwortung für das übernommen, was sie anrichten ...


Richtig.
Wobei: Wenn sie (solange sie nicht direkt lügen) auch nicht die Verantwortung tragen. Etwas durch öffentliches Loben oder Kritisieren fördern oder behindern beeinflußt zwar viel, aber verantwortlich sind letztlich die Politiker, die genau dafür gewählt und bezahlt werden. Und wenn sie ihrer Verantwortung gerecht werden (ich rede also nicht über die Kanzlerin), dann müssen sie immer wieder auch mal gegen die veröffentlichte Meinung entscheiden.

Zitat
Insofern, auch wenn ich deine grundsätzliche Einschätzung der Mehltauentwicklung teile, bin ich der Meinung, dass es sich hier weniger um bewusst aufbrechenden Mehltau handelt, sondern schlicht die Kapitulation vor einer immer offensichtlicher werdenden, hässlichen Realität.


Klar. Kein Mehltau-Verursacher läßt freiwillig davon ab, dazu zwingen ihn die Umstände.

Zitat
Als Randbemerkung erlaube ich mir etwas zum Studiopublikum zu sagen: Wer noch glaubt, dass da ernsthaft ein Bevölkerungsschnitt sitzt ...


Das ZDF hat ja längst zugegeben, daß da selektiert wird. Was ja grundsätzlich in Ordnung ein kann - wenn man das auch offen kommuniziert und nicht so tut, als würde "Volkes Stimme" zu Wort kommen.
Und dann stellt sich natürlich die Frage, ob Merkel über die Fragen informiert wurde und wie stark das Kanzleramt da vorher Einfluß ausübt.
Da dementiert das ZDF ganz entschieden, aber ich glaube ihnen das nicht.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

17.09.2017 10:36
#5 RE: Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

Zitat von Noricus im Beitrag #1
Eine Woche vor der Bundestagswahl bläst Angela Merkel aus dem Blätterwald ein inzwischen ungewohnter Gegenwind ins Gesicht.

Den Cicero würde ich da nicht als Beleg nehmen - der ist schon immer Merkel-kritisch gewesen und hat auch wenig Einfluß.
Aber ansonsten ist der Überdruß der Journalisten am Wahlkampf und an der Unausweichlichkeit Merkels tatsächlich zu spüren.

Ich habe ja schon vor einiger Zeit die Behauptung aufgestellt, diese wäre die letzte Amtszeit Merkels - und es ist auch nicht gesagt, daß sie die vier Jahre durchhält.
Und für ein vorzeitiges Absägen Merkels ist die genaue Zusammensetzung des Bundestags wichtig.

Dennis the Menace Offline




Beiträge: 459

17.09.2017 12:03
#6 RE: Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

Is ja ganz nett, was der zitierte Hans-Olaf Henkel da so schreibt, nur hat er - wie so viele - offenbar vergessen, dass Kohl und nicht Merkel den Euro promoviert und dessen Einführung wesentlich bewirkt hat, unter Inkaufnahme des Geburtsfehlers, dass die für ein einheitliches Währungsgebiet unerlässliche Akkordierung der Finanz- Haushalts- und Steuerpolitiken in keiner Weise gegeben war. Diese unzulängliche Sachlage bestand bereits bei Euro-Einführung, die Henkel seinerzeit im Übrigen richtig gut fand.

Die Kohlsche Devise offenbar: Erstmal vollendete Tatsachen schaffen, hinter die man nicht mehr zurückgehen kann, die zu ergänzenden Kleinigkeiten kommen später. Sie sind bis heute im Wesentlichen nicht gekommen, aber Kohl ist ja auch bekanntlich '98 abgetreten (worden). Sodann kam die erste, ich sach mal, kreative Auslegung der Euro-Regeln - durch die Regierung Schröder. Das fand Henkel seinerzeit offebar nitt so schlimm, er hat sich jedenfalls nicht gemeldet.

Er konnte mit Schröder ja auch ganz gut.
O-Ton Henkel:

Zitat
wir zwei könnten einen Konsens in allen wirklich wichtigen Fragen finden


Der Weg zum Euro nebst Erreichung des Ziels bedurfte eines politischen Kompasses, den Merkel eh nicht hat, und eines politischen Willens, der über taktische Fisimatenten weit hinausgeht, was allerdings nicht Fehlerresistenz bedeutet, eher im Gegenteil. Das hatten wir bei Kohl, aber nicht bei Merkel.

Zitat von Noricus im Blog
"Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben";Wahlkampfslogan und Titel des Regierungsprogramms der CDU/CSU, ist reinstes Biedermeier.


Klar, nur dass halt ALLE Wahlkampfparolen seit knapp 70 Jahren so ähnlich klingen. Beliebt war häufig "Muss Kanzler bleiben" oder so was bzw. dass es auf den Kanzler "ankommt" (Kiesinger). Unter weg-mit-Mehltau Gesichtspunkten muss das Ergebnis '69 mit Kanzler Brandt übrigens schon annähernd ein Idealfall gewesen sein; das sehen konservative Gemüter vermutlich eher nitt so, es muss halt allemal das Motto gelten: Was Mehltau ist, bestimme ich.

Dann gab's da noch das berühmte, allgemein als genial geltende "keine Experimente - CDU" von 1957. Wenn das keinen Mehltau repräsentiert, frag ich mich, was Mehltau eigentlich sein soll. Früher gab's also auch schon Lametta, indessen man sich zwar unter Lametta was vorstellen kann, beim Mehltau dagegen wird's eher schwierig, wenn man mal von der Botanik absieht, womöglich ein Synonym für "mir passt die ganze Richtung nicht" , die momentan allerdings die demokratische Mehrheit repräsentiert , was natürlich nicht heißt, dass man nicht dagegen sein darf. Die Mehltau-Theorie kommt indessen - so ähnlich wie der Bankberater - scheinbar neutral daher, indem der arme Mehltau ja ganz unschuldig ist, also keine politische Richtung impliziert, sondern lediglich aussagt: Richtung egal, Hauptsache nicht langweilig. Es müsste also darauf hingewiesen werden, dass es verschiedene Mehltau-Sorten gibt; die, die einem gefallen und die, die nitt so schön sind.

Wenn übrigens demnächst Rot-rot-grün käme, würden die Dinge in Berlin zweifelsohne interessant und kurzweilig, fetzige, bisher nicht gewohnte Maßnahmen wären zu erwarten, großes Geschrei allenthalben mit allem drum und dran, also, Mehltau wech und alles gut. Das wäre dann vermutlich - bedingt durch die Abwesenheit von Mehltau - so richtig attraktiv, nehme ich an.


lich
Dennis

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

17.09.2017 12:14
#7 RE: Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #6
... unter Inkaufnahme des Geburtsfehlers, dass die für ein einheitliches Währungsgebiet unerlässliche Akkordierung der Finanz- Haushalts- und Steuerpolitiken in keiner Weise gegeben war.

Das war kein Geburtsfehler, weil ein einheitliches Währungsgebiet keine solche Akkordierung braucht. Auch in einer Währungsunion agieren die Staaten finanziell unabhängig voneinander. Siehe Beispiel Goldwährung vorher.

Das Problem ist nicht die Euro-Konstruktion, sondern daß aus völlig anderen Gründen die angebrachte Staatspleite in Griechenland verhindert werden sollte. Die Währungsunion hätte so eine Pleite völlig problemlos ausgehalten.

Ansonsten haben wir aber Konsens, daß man Henkels aktuelle Position nicht wirklich ernst nehmen kann.

Zitat
Klar, nur dass halt ALLE Wahlkampfparolen seit knapp 70 Jahren so ähnlich klingen.


Schon wahr. Für den eigentlichen Mehltau muß man andere Belegen bringen (die gab es ja in unseren Beiträgen/Diskussionen auch). Der aktuelle Unionswahlkampf ist da nur noch das Sahnehäubchen.

Zitat
Dann gab's da noch das berühmte, allgemein als genial geltende "keine Experimente - CDU" von 1957. Wenn das keinen Mehltau repräsentiert, frag ich mich, was Mehltau eigentlich sein soll.


Es hat auch niemand behauptet, früher hätte es nie Mehltau-Perioden gegeben ...

Llarian Offline



Beiträge: 7.117

17.09.2017 12:29
#8 RE: Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #4
Dazu leben die viel zu weit weg von gewissen Realitäten, und wenn sie Angst hätten, würden sie die entsprechenden Themen bringen.

Es kommt eben nicht alles auf einen Schlag. Aber das die die Realität nicht sehen, glaube ich nicht, denn sie sehen etwas ganz deutlich: Vernichtenden Schwund ihrer Verkaufszahlen und Einschaltquoten. Der Beruf des Journalisten wird mehr und mehr zum Prekariat, weil einfach das Geld inzwischen knapp wird. Und das sehen die schon. Warum sollte jemand für Propaganda noch Geld bezahlen und umso mehr Leute die Presse als solche wahrnehmen, umso mehr fehlt das Geld.

Zitat
Und Langeweile ist das Allerletzte, was ein Journalist aushalten kann.


Ist das der Grund warum die seit Jahren nur noch voneinander abschreiben? Ich sehe kein Indiz dafür, dass Journalisten damit nicht umgehen können.

Zitat
Etwas durch öffentliches Loben oder Kritisieren fördern oder behindern beeinflußt zwar viel, aber verantwortlich sind letztlich die Politiker, die genau dafür gewählt und bezahlt werden.


Beide sind es. Insbesondere dann, wenn der Politiker ja nur noch auf das reagiert, was durch die Presse ausgelöst wird. Es mag ein extremes Beispiel sein (und ein schöner Beleg für Godwins Law), aber der Stürmer war ja nicht deshalb verbrecherisch, weil er Lügen gedruckt hätte. Aber man kann auch moderne Beispiele nehmen wie beispielsweise dieses. Natürlich sind das Extremfälle, die ich sicher nicht mit der deutschen Presse gleichsetzen möchte. Aber der Mechanismus greift auch im Kleinen: Die Katastrophe 2015 ist nicht zuletzt von der Presse angerührt worden und sie hat auch nur deshalb so lange dauern können, weil die Presse bis heute nicht in der Lage ist mit ihrer Verantwortung umzugehen.

Zitat
Das ZDF hat ja längst zugegeben, daß da selektiert wird. Was ja grundsätzlich in Ordnung ein kann - wenn man das auch offen kommuniziert und nicht so tut, als würde "Volkes Stimme" zu Wort kommen.


Nicht, wenn man sich als Demokratie-Institution bezeichnet und seine horrenden Geldansprüche damit rechtfertigt. Das ZDF ist NICHT dafür da, um Kanzler-Propaganda zu machen. Dann sollen sie das ganze "Dauerwerbesendung" nennen und die CDU dafür zahlen lassen.

Zitat
Und dann stellt sich natürlich die Frage, ob Merkel über die Fragen informiert wurde und wie stark das Kanzleramt da vorher Einfluß ausübt.


Einfluß? Ich habe eigentlich wenig Zweifel, dass das Kanzleramt bisweilen exakte(!) Vorgaben macht zu welchen Themen Fragen gestellt werden sollen und zu welchen auf keinen Fall. Der gerade oben von patzer gelinkte Artikel aus der Morgenpost spricht Bände. Und das ist auch nur folgerichtig: Merkel wäre doch gar nicht in der Lage in einer offenen Fragerunde zu bestehen. Und das ist nicht einmal ein besonders gehütetes Geheimnis. Die Frau kann mit Kritik nicht umgehen und sie betreibt Hofjournalismus seit sie im Kanzleramt sitzt. Das Ironische ist eher wie wenig das in Deutschland kritsiert wird, und wie sehr die Presse ihr das erlaubt. Warum kommt denn Merkel in keine Diskussionssendung mit echten Gegnern vom Schlage Gysi, Lafontaine, Lindner oder Gauland, also mit Leuten, die auch mit Worten umgehen können. Weil die sie ungespitzt in den Boden hauen würden. Stattdessen seine Bräsigkeit Sankt Martin, der vermutlich nicht einmal in einer Diskussion mit dem Würselner Debattierclub einen Fuß auf den Boden bekäme. Es ist grotesk: Wir haben im Jaher 2017 eine Regierungschefin, deren einzige öffentliche Auseinandersetzung mit einem Koalitionspartner stattfindet.

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

17.09.2017 17:22
#9 RE: Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #6
Unter weg-mit-Mehltau Gesichtspunkten muss das Ergebnis '69 mit Kanzler Brandt übrigens schon annähernd ein Idealfall gewesen sein;


Da kann ich nicht widersprechen. Auch der SPD-Sieg 1998 ist m.E. so zu verstehen, dass eine nicht geringe Anzahl von Wählern in Schröder den Mann sah, der den Mehltau der späten Kohl-Ära wegkratzen würde. Und mit der Agenda 2010 hat Schröder der Republik ja tatsächlich mehr Anti-Mehltau verordnet, als dies sonst in den letzten rund 20 Jahren der Fall war.

Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #6
Dann gab's da noch das berühmte, allgemein als genial geltende "keine Experimente - CDU" von 1957. Wenn das keinen Mehltau repräsentiert,


Tut es gerade nicht. Wenn man diese beiden Wörter kontextentbunden liest, klingen sie natürlich nach Hochblüte des Mehltaus. Man muss den Slogan aber in seinem historisch-politischen Zusammenhang begreifen. 1957 standen die Westbindung und der damit verbundene Verzicht auf eine zeitnahe Wiedervereinigung Deutschlands noch überhaupt nicht außer Streit. Der Kampagnenspruch bedeutete nichts anderes, als dass es mit dem Kanzler Adenauer kein Experiment eines wiedervereinigten, aber vorgeblich neutralen Staates zuungunsten der Westbindung geben würde. Der Slogan war kein verbaler Mehltau, sondern knallharter Richtungswahlkampf.

Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #6
beim Mehltau dagegen wird's eher schwierig, wenn man mal von der Botanik absieht, womöglich ein Synonym für "mir passt die Ranze Richtung nicht"


Der Mehltau in seiner Merkel'schen Ausprägung bedeutet in politicis das Erlöschen jeglicher parlamentarischer Opposition. De facto haben wir nun seit 12 Jahren eine große Koalition, und seit 4 Jahren sind im Bundestag mit der CDU, der SPD und den Grünen drei Parteien vertreten, die in den großen Zügen ihrer Politik völlig auf einer Linie liegen, und mit der CSU und der SED zwei Parteien, die immerhin noch in sehr vielen Fragen auf oder nicht zu weit weg von dieser Linie zu finden sind. In sociologicis äußert sich der Merkel-Mehltau durch eine Diskreditierung von Meinungen, die vom politisch-publizistischen Mehrheitskurs abweichen.

Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #6
Wenn übrigens demnächst Rot-rot-grün käme, würden die Dinge in Berlin zweifelsohne interessant und kurzweilig, fetzige, bisher nicht gewohnte Maßnahmen wären zu erwarten, großes Geschrei allenthalben mit allem drum und dran, also, Mehltau wech und alles gut.


Rot-Rot-Grün würde den Mehltau nicht beseitigen, sondern diesen noch durch eine Extraschicht stärken.

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

17.09.2017 17:38
#10 RE: Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #4
Die Erklärung ist noch viel einfacher: Der Wahlkampf ist langweilig. In erster Linie wegen Merkels Dominanz.
Und Langeweile ist das Allerletzte, was ein Journalist aushalten kann. Dann wird sogar gegen die Kandidatin gekeilt, die sie eigentlich politisch gut finden.


Das sehe ich grundsätzlich auch so, doch - Stichwort: Verantwortung - haben natürlich die Medien durch ihre Heiligsprechung Merkels im Herbst 2015 und die darauf folgende Hofberichterstattung sowie die doch vielerorts eher zurückhaltenden Reaktionen auf den Schulz-Hype zu dieser Langeweile erheblich beigetragen.

Zitat von R.A. im Beitrag #4
Wenn sie (solange sie nicht direkt lügen) auch nicht die Verantwortung tragen. Etwas durch öffentliches Loben oder Kritisieren fördern oder behindern beeinflußt zwar viel, aber verantwortlich sind letztlich die Politiker, die genau dafür gewählt und bezahlt werden.


Schon richtig. Aber z.B. die Mär von den syrischen Arztfamilien, die im Herbst 2015 in erklecklicher Zahl in unser Land gekommen sein sollen, war von Anfang an so weit neben jeglicher Realität, dass es jeder Journalist, der sie verbreitete, zumindest billigend in Kauf nahm, seinen Rezipienten eine geschönte Wahrheit zu verkaufen.

Zitat von R.A. im Beitrag #5
Ich habe ja schon vor einiger Zeit die Behauptung aufgestellt, diese wäre die letzte Amtszeit Merkels


Man kann den journalistischen Gegenwind ja vielleicht auch dahin verstehen, dass die Entmachtung Merkels langsam vorbereitet werden soll. Denn eine abrupte Kehrtwende von bedingungsloser Kanzlerinnenverehrung zu unverhohlener Kritik mit Rücktrittsforderungen wäre wohl auch dem geduldigen deutschen Medienrezipienten nicht zuzumuten.

Zitat von R.A. im Beitrag #7
Ansonsten haben wir aber Konsens, daß man Henkels aktuelle Position nicht wirklich ernst nehmen kann.


Was spricht dagegen, dass er seine Meinung angesichts der inzwischen stattgehabten Erfahrungen geändert hat?

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

17.09.2017 20:07
#11 RE: Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #8
Aber das die die Realität nicht sehen, glaube ich nicht, denn sie sehen etwas ganz deutlich: Vernichtenden Schwund ihrer Verkaufszahlen und Einschaltquoten.


Dieses Minus an Zuschauergunst liegt aber auch daran, dass die Verlage bis heute kein tragfähiges Online-Modell auf die Beine gebracht haben und z.B. jüngere Leute keine Tageszeitung mehr lesen und auch nicht mehr herkömmlich Radio hören und fernsehen (sondern sich die interessanten Ausschnitte ex post auf Youtube anschauen/anhören). Als Journalist kann man mithin viel auf diese Entwicklungen schieben und auch auf das Publikum, das sich ja dem Klischee nach zum großen Teil nur noch in seinen Facebook-Echokammern von Fakenews beschallen lässt.

Ich fürchte leider auch, dass der durchschnittliche Journalist überhaupt nicht sieht, dass der Konsum traditioneller Medien auch deshalb zurückgeht, weil das journalistische Berufsethos seit geraumer Zeit erheblichen Belastungen ausgesetzt ist. Von der Realität der meisten Menschen in diesem Land bekommt der Berlin-Mitte-Filterbläsler ohnehin kaum etwas mit.

Dennis the Menace Offline




Beiträge: 459

17.09.2017 20:16
#12 RE: Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

Zitat von Noricus im Beitrag #9


Rot-Rot-Grün würde den Mehltau nicht beseitigen, sondern diesen noch durch eine Extraschicht stärken.


Is ja meine Rede, lieber Noricus, insofern, als mehltaurologisch gesehen man sich darauf einigen kann, dass jeder so seinen Mehltau nach Gusto definiert, ganz pluralistisch, was ja völlig in Ordnung ist. Dann ist das Ding sozusagen entobjektiviert.

Die botanische Diagnose einer Pilzkrankheit geht nach objektiven Gesichtspunkten, Politik aber nicht; dominant ist das Mehrheitsprinzip, das im Falle objektiver Tatbestände unnötig wäre.

lich
Dennis

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.425

19.09.2017 12:28
#13 RE: Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

Der Kanzleramtschef dieser Republik plädiert fürs Nichtwählen.

http://www.tagesspiegel.de/politik/bunde...n/20346344.html

Das ist ein politischer Offenbarungseid.



"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire

Florian Online



Beiträge: 3.171

19.09.2017 15:25
#14 RE: Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #13
Der Kanzleramtschef dieser Republik plädiert fürs Nichtwählen.

http://www.tagesspiegel.de/politik/bunde...n/20346344.html

Das ist ein politischer Offenbarungseid.




Nein, ist es nicht.
Was hätte er auf die seltsame ja/nein-Frage denn sonst antworten sollen?

Hätte er "ja" geantwortet, DANN wäre es ein politischer Offenbarungseid gewesen und Sie könnten nun schreiben "Kanzleramtchef plädiert für AfD-Wählen".

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.425

19.09.2017 15:51
#15 RE: Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

Klar ist das ein Offenbarungseid. Den hat diese Republik im Herbst 2015 geleistet. Hat nur noch keiner von denen laut ausgesprochen. Kommt noch.



"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire

dari Offline




Beiträge: 189

19.09.2017 15:56
#16 RE: Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #14


Nein, ist es nicht.
Was hätte er auf die seltsame ja/nein-Frage denn sonst antworten sollen?

Hätte er "ja" geantwortet, DANN wäre es ein politischer Offenbarungseid gewesen und Sie könnten nun schreiben "Kanzleramtchef plädiert für AfD-Wählen".


Er hätte doch einfach sagen können: "Weder Protest, noch Nichtwählen sind eine Lösung. Daher wollen wir die Leute von unserer Politik überzeugen - mit einem guten Programm und einer starken, erfolgreichen Bundeskanzlerin."

War das so schwer?

Florian Online



Beiträge: 3.171

19.09.2017 16:31
#17 RE: Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

Zitat von dari im Beitrag #16
Zitat von Florian im Beitrag #14


Nein, ist es nicht.
Was hätte er auf die seltsame ja/nein-Frage denn sonst antworten sollen?

Hätte er "ja" geantwortet, DANN wäre es ein politischer Offenbarungseid gewesen und Sie könnten nun schreiben "Kanzleramtchef plädiert für AfD-Wählen".


Er hätte doch einfach sagen können: "Weder Protest, noch Nichtwählen sind eine Lösung. Daher wollen wir die Leute von unserer Politik überzeugen - mit einem guten Programm und einer starken, erfolgreichen Bundeskanzlerin."

War das so schwer?



Es war nun mal eine "ja/nein"-Frage:

Aus Tagesspiegel:

Zitat
In einem Video-Interview mit der "Bild"-Zeitung sollte Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) auf die Frage, ob es besser sei, die AfD zu wählen als nicht zu wählen, nur mit "Ja" oder "Nein" antworten. Und Altmaier ließ sich darauf ein und antworte: "Nein"



Wie gesagt: Die Frage war doof. Er konnte nur ja oder nein antworten. Hätte er "Ja" geantwortet, hätte man ihm erst recht einen Strick daraus gedreht.
(Das beste wäre wahrscheinlich gewesen, die Antwort komplett zu verweigern).

dari Offline




Beiträge: 189

19.09.2017 17:23
#18 RE: Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #17
Zitat von dari im Beitrag #16
Zitat von Florian im Beitrag #14


Nein, ist es nicht.
Was hätte er auf die seltsame ja/nein-Frage denn sonst antworten sollen?

Hätte er "ja" geantwortet, DANN wäre es ein politischer Offenbarungseid gewesen und Sie könnten nun schreiben "Kanzleramtchef plädiert für AfD-Wählen".


Er hätte doch einfach sagen können: "Weder Protest, noch Nichtwählen sind eine Lösung. Daher wollen wir die Leute von unserer Politik überzeugen - mit einem guten Programm und einer starken, erfolgreichen Bundeskanzlerin."

War das so schwer?



Es war nun mal eine "ja/nein"-Frage:

Aus Tagesspiegel:

Zitat
In einem Video-Interview mit der "Bild"-Zeitung sollte Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) auf die Frage, ob es besser sei, die AfD zu wählen als nicht zu wählen, nur mit "Ja" oder "Nein" antworten. Und Altmaier ließ sich darauf ein und antworte: "Nein"


Wie gesagt: Die Frage war doof. Er konnte nur ja oder nein antworten. Hätte er "Ja" geantwortet, hätte man ihm erst recht einen Strick daraus gedreht.
(Das beste wäre wahrscheinlich gewesen, die Antwort komplett zu verweigern).





Nichts für ungut, lieber Florian. Aber haben sich Politiker je davon abhalten lassen, auf ja/nein-Frage auch mit längeren Ausführungen zu antworten?

Aus meiner Sicht hat man ihm hier ein Stöckchen hingehalten und er ist halt unbedarft drüber gesprungen. Vielleicht war es auch aus seiner Sicht als CDU-Mann eine ehrliche Antwort. Als Staatsmann, dem die Bedeutung der Stimmabgabe für die Demokratie in Fleisch und Blut übergegangen ist, geht er so aber jedenfalls nicht mehr durch...

nocheiner ( gelöscht )
Beiträge:

19.09.2017 17:59
#19 RE: Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

Zitat von dari im Beitrag #18
In einem Video-Interview mit der "Bild"-Zeitung sollte Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) auf die Frage, ob es besser sei, die AfD zu wählen als nicht zu wählen, nur mit "Ja" oder "Nein" antworten. Und Altmaier ließ sich darauf ein und antworte: "Nein"

Jetzt habe ich mir das besagte Interview endlich selbst angehört. Ich bitte um Entschuldigung, aber das finde ich unmöglich. Wie kann sich ein angeblich erfahrener Politiker auf derartige Spielchen überhaupt einlassen. Wir Wähler wollen Informationen (die er dann ja nach seiner unglücklichen Antwort als Begründung nachschob) und nicht alberne Spielchen ansehen müssen. Wie kann ein Politiker die Empfehlung geben, dann lieber nicht zu wählen. Er hätte sich nicht auf das Spiel einlassen dürfen und stattdessen gleich seine begründete Meinung sagen sollen. Ich bin da schon einigermaßen sprachlos.

Mit besten Grüßen

nocheiner

Uwe Richard Offline



Beiträge: 1.254

19.09.2017 18:19
#20 RE: Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #13
Der Kanzleramtschef dieser Republik plädiert fürs Nichtwählen.

http://www.tagesspiegel.de/politik/bunde...n/20346344.html

Das ist ein politischer Offenbarungseid.




Altmaiers Gegner (edit:ich meine den von der SPD) im Wahlkreis 297 ist aber auch keine Leuchte. Das nur nebenbei.

--
„Ein freier Mensch muß es ertragen können, daß seine Mitmenschen anders handeln und anders leben, als er es für richtig hält, und muß sich abgewöhnen, sobald ihm etwas nicht gefällt, nach der Polizei zu rufen.“
―Ludwig von Mises

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 2.007

21.09.2017 10:06
#21 RE: Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #12
man sich darauf einigen kann, dass jeder so seinen Mehltau nach Gusto definiert

Das kann man sicherlich, nur wäre das ganz sicher nicht intersubjektiv überprüfbar und damit belanglos.

Es gibt derzeit Themen, die ganz sicher intersubjektiv überprüfbar, keiner freien öffentlichen Diskussion unterliegen. Das wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass es zu solchen Fragen keine parlamentarische Vertretung einer Gegenmeinung zur vorherrschenden gibt. Dazu zähle ich zum Beispiel Klimawandel, Energiepolitik, Euro- und Europapolitik, "Geschlechterrollen" / Gendrismus, und Migration.

Davon unbesehen, dass ich Noricus Einschätzung teile, dass zumindest bei einigen dieser Themen die Diskursverbote beginnen sich langsam aufzulösen, haben sie über die letzten Jahre bestanden. Und zwar intersubjektiv überprüfbar bestanden. Unabhängig was Meinungsmacher meinen.

Äquidistanz ist gut und schön, heißt aber nicht, dass es keine objektivierbaren Blickwinkel gibt.

Herzlich


nachdenken_schmerzt_nicht

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.425

21.09.2017 11:55
#22 RE: Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

Altmaier nochmal.

Zitat
Einzelne CDU-Granden zeigen kurz vor Toresschluss Nerven. Die Empfehlung des Kanzleramtsministers Peter Altmaier, man solle doch lieber nicht wählen, als für die AfD zu stimmen, ist ein einmaliger Vorgang.

Noch nie hat ein Politiker in solch einer exponierten Position derartiges von sich gegeben. Offenbar geht im Adenauer-Haus die Angst um, die AfD könnte am Sonntag so richtig abräumen. Das Ganze ist auch brisant, weil Altmaier einer der engsten Vertrauten der Kanzlerin ist. Es sieht fast so aus, als ob da unabsichtlich ein Stimmungsbild der CDU-Führung an die Öffentlichkeit gelangt ist.


https://mobil.nwzonline.de/kommentare-de...3829224778.html

Wir hatten allerdings auch noch nie eine Politikerriege, die mit den elementarsten Dingen des politischen Agierens derart überfordert war.



"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.425

21.09.2017 13:53
#23 RE: Die Mehltau-Kanzlerin und die verdrossene Republik Antworten

Grundgütiger. Man merkt, daß Endspurt ist. Auf der nach oben offenen Skala der Mediotie setzt die Lindnerpostille heute eine neue Benchmark.

Ist „Game of Thrones“ schuld an der AfD?



"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire

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