Kevin Spacey wird aus einem bereits fertiggestellten Film herausgeschnitten - Anlass für eine Reflexion über das Verhältnis von menschlicher und künstlerischer Qualität und die Einsamkeit des Ausgestoßenen.
Zitat So wie es scheint, wird Spacey von Regisseuren und Produzenten nunmehr als Kassengift eingeschätzt. ... Es ist davon auszugehen, dass die Verantwortlichen genau nachgerechnet und diese doch nicht ganz unwesentlichen Mehrkosten als das kleinere Übel gegenüber einem eventuellen Boykott von Kinoaufführungen und Datenträgerverkäufen ermittelt haben.
Gibt es denn irgendwelche Belege, daß die Produzenten ihre Entscheidung tatsächlich auf Basis solcher Überlegungen gefällt haben (was natürlich völlig rational wäre)?
Mir scheint allerdings erstens die Annahme, daß Spacey momentan ein echtes Kassengift ist, schlicht nicht besonders plausibel zu sein. Das wäre vielleicht bei einem Schauspieler der Fall, der auf die Darstellung besonders sympathischer Figuren abonniert ist (wie z.B. früher James Stewart), aber Spacey verkörpert ja im allgemeinen eher unsympathische Charaktere. Ich kann nicht erkennen, daß er z.B. Frank Underwood nicht mehr glaubwürdig spielen kann - eher im Gegenteil.
Und zweitens scheint es mir hier eher um "virtue signalling" als um etwas Ökonomisches zu gehen. Ich meine, hier ziemlich dasselbe Muster erkennen zu können wie in den Fällen Horst Tappert oder Pirincci. Nur scheint inzwischen der totale Bann anscheinend auch bei (angeblichen) sexuellen Verfehlungen verhängt zu werden.
Zitat von DrNick im Beitrag #2Und zweitens scheint es mir hier eher um "virtue signalling" als um etwas Ökonomisches zu gehen.
Möglich. Andererseits habe ich das so verstanden, daß Spacey ohnehin nur in wenigen Szenen mitspielte und daher der Ersatz ziemlich preiswert sein könnte. Das sähe nach einer guten Gelegenheit aus, dem Filmstart ordentlich Publicity zu verschaffen.
Also Spacys gesammte Existenz als Bauernopfern und Kollateralschaden für eine virale Marketingkampagne. Klingt glaubwürdig, ist aber menschlich natürlich an Niedertracht und Verkommenheit nicht mehr zu überbieten.
___________________ Kommunismus mordet. Ich bin bereit, über die Existenz von Einhörnern zu diskutieren. Aber dann verlange ich außergewöhnlich stichhaltige Beweise.
Vorab und ganz klar: Sexuelle Belästigung ist eine Straftat, für die der Täter auch büßen soll. Soweit ist das sicher unstrittig.
Allerdings finde ich es doch höchst bedenklich, wie jetzt mit Spacey umgegangen wird.
Erstens einmal sollte eigentlich die Unschuldsvermutung gelten.
Gerade auch im Fall, der die Geschichte ins Rollen brachte: Ein heute 46 Jahre alter Mann sagt aus, er sei als 14-jähriger (vor über 30 Jahren!) von Spacey unsittlich berührt worden. Wie gesagt: eigentlich gilt die Unschuldsvermutung. Nach über 30 Jahren werden Beweise schwerlich zu erbringen sein. (Und zumindest nach deutschem Recht wäre der Fall ohnehin längst verjährt). Und es ist auch nicht recht einzusehen, warum hier das (mögliche) Opfer glaubwürdiger sein sollte als der (mögliche) Täter.
(SOLLTE der Vorwurf zutreffen, wäre er natürlich in der Tat schwerwiegend. Andererseits ist das jetzt über 30 Jahre her. Wenn man jeden gesellschaftlich vernichten würde, der irgendwann vor 30 Jahren mal eine Straftat begangen hat, dann blieben nicht viele Leute übrig. Joschka Fischer hätte dann auf jeden Fall schon mal kein Außenminister werden dürfen).
Ansonsten gibt es noch etliche weitere Personen, die gegen Spacey Vorwürfe erheben. Zugegeben: Die Summe der Vorwürfe stimmt bedenklich. Jeder Einzelfall klingt aber erst mal eher harmlos.
Etwa dieser Fall: https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/in...vin-Spacey.html (Mögliches) Opfer, dessen Vater und Spacey befanden sich gemeinsam in Spaceys Küche. Spacey soll das Opfer unsittlich berührt haben, ohne dass dessen Vater das überhaupt bemerkte. Das mögliche Opfer war damals 18 Jahre alt. Sicher ist es möglich, dass Spacey dem jungen Mann in den Schritt gegriffen hat. Und richtig: Das geht gar nicht. Aber lassen wir die Kirche mal im Dorf: Der junge Mann war volljährig und Spacey körperlich sicher nicht deutlich unterlegen. (Und auch sozial war er Spacey nicht unterlegen. Sein Vater ist immerhin auch ein berühmter Schauspieler). Zudem hätte er nur ein Wort sagen müssen, um seinen Vater darauf aufmerksam zu machen. Stattdessen hat er lt. eigenen Angaben den Vorfall über Jahre als coole Anekdote auf Partys erzählt. So besonders traumatisiert scheint ihn der Vorgang also nicht zu haben.
Oder auch dieses: https://www.vip.de/cms/kevin-spacey-die-...ch-4132513.html "Heather Unruh erklärte am Mittwoch [17. November] im Rahmen einer Pressekonferenz, der Hollywoodstar habe ihren 18-jährigen Sohn vergangenes Jahr in einer Bar mit Alkohol gefügig machen wollen." Auch hier: der junge Mann war volljährig. Es geschah in der Öffentlichkeit. Wo ist da (juristisch) das Problem? Soll es nicht mehr erlaubt sein, dass man einem anderen erwachsenen Menschen, an dem man sexuell interessiert ist, ein paar Drinks ausgibt?
Zitat So wie es scheint, wird Spacey von Regisseuren und Produzenten nunmehr als Kassengift eingeschätzt. ... Es ist davon auszugehen, dass die Verantwortlichen genau nachgerechnet und diese doch nicht ganz unwesentlichen Mehrkosten als das kleinere Übel gegenüber einem eventuellen Boykott von Kinoaufführungen und Datenträgerverkäufen ermittelt haben.
Gibt es denn irgendwelche Belege, daß die Produzenten ihre Entscheidung tatsächlich auf Basis solcher Überlegungen gefällt haben (was natürlich völlig rational wäre)?
Wenn man die in diesem CNN-Textbeitrag zitierte Pressemitteilung der Produktionsfirma liest ("It would be a gross injustice to punish all of them for the wrongdoings of one supporting actor in the film"), dann klingt das für mich weniger nach virtue signalling als nach: "Wir wollen nicht in Sippenhaft genommen werden. Wir wollen nicht, dass der Film ein Flop wird, nur weil es vielleicht einen Boykott gegen Spacey gibt."
Zitat von DrNick im Beitrag #2Mir scheint allerdings erstens die Annahme, daß Spacey momentan ein echtes Kassengift ist, schlicht nicht besonders plausibel zu sein. Das wäre vielleicht bei einem Schauspieler der Fall, der auf die Darstellung besonders sympathischer Figuren abonniert ist (wie z.B. früher James Stewart), aber Spacey verkörpert ja im allgemeinen eher unsympathische Charaktere. Ich kann nicht erkennen, daß er z.B. Frank Underwood nicht mehr glaubwürdig spielen kann - eher im Gegenteil.
Ich gebe jedem Ihrer Worte Recht. Aber genau das ist ja das Paradoxe: Die bad guys im Film dürfen im realen Leben offenbar nicht so sein. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das Zitat der FAZ-Autorin Johanna Dürrholz im ZR-Beitrag: Wer als Komiker frauenfeindliche Witze reißt, muss demnach im richtigen Leben über jeden diesbezüglichen Zweifel erhaben sein. Aber warum?
Ihr Vergleich mit dem katholischen Umgang mit der Sünde berührt mich. Die Katholiken haben ja auch nicht nur Gerechtfertigte, die Sünder bleiben (lutherisch), sondern Heilige auf Erden, die sogar eine Schwäche haben dürfen. Ich bin mir nicht sicher, ob das historisch stimmt, was ich mal las, dass der Wüstling Don Giovanni ein ganz anderes Ende nahm als in der Oper: Er soll sein Alter dafür verwendet haben, in einem Waisenhaus zu arbeiten und wäre also ein bekehrter Heiliger.
Es sticht allen Bibellesern ins Auge, dass der historische Jesus aus Nazareth einen Weg suchte, auf dem die vielen als „Sünder“ Abgestempelten, z. B. die Dirnen und die Zöllner (die immer weit mehr für sich herauspressten, als für das Staatsgesetz nötig war), aber auch die Kranken, und die alle aus dem Synagogenbesuch ausgeschlossen waren, wieder in die Gemeinschaft aufgenommen werden könnten. Bekanntlich war einer seiner engsten Jünger ein Zöllner gewesen. Und bekannt ist noch mehr, dass er den scharfen Satz gegen die praktizierenden frommen Laien, die Pharisäer (Paulus war z. B. einer), die erst später zum Schimpfwort wurden, schleuderte: Die Dirnen und Zöllner kämen vor ihnen in das Gottesreich. Vermutlich war ihm dies aus Erfahrung so begründet: Die sittlich Fragwürdigen bekennen sich eher zu ihrer Schwäche und haben dadurch eine Tür zu dem von Jesus gelehrten Reich. Der Stolz der Frommen, die auf die Sünder herabblicken, kann sie hingegen zur ersten Todsünde Hochmut führen.
Ich habe gerade Romano Guardinis Buch über Pascal gelesen ("Christliches Bewusstsein", 1950). Dieser Autor, der die christliche Jugendbewegung und die Liturgiereform mit angestoßen hat, war ein tiefer Menschenkenner. Er stellt die Probleme dar, die sich ergeben, wenn ein leidenschaftliches Genie wie Pascal radikal christlich wird. Er stellt ihn in die Mitte zwischen einem guten Nachfolger Jesu und Kierkegaard, der die Radikalität auf die Spitze trieb. Guardini zeigt, wie solche begabten Menschen in Abgründe ebenso und in Himmel tauchen müssen und wie sie von den Mitlebenden nicht verstanden werden und leiden müssen.
Ich habe daran denken müssen, das in der Vergangenheit und in der Gegenwart der Kirchengeschichte Gründer von neuen Dingen oder neuen Gemeinschaften besonders gefährdet, aber ebenso auch gesegnet sind. Gar manchen hat die Kirche zum Häretiker gemacht und rehabilitiert ihn heute. Mancher hat sexuell ‚gesündigt‘ und dennoch seine geniale Natur zu etwas Gutem eingesetzt. Es ist zu einfach, brav mit gut zu identifizieren und als Spießbürger über Künstler, Erfinder und ‚Sünder‘ herzufallen. Nichts zu tun schafft keine reine Weste. Die Katholiken haben daher nicht nur die Beichte und die Vergebung als Sakrament, sondern bekennen zu jedem Gottesdienst im Schuldbekenntnis auch die Sünde der Unterlassung des Guten.
Zitat von Noricus im Beitrag #6Ich gebe jedem Ihrer Worte Recht. Aber genau das ist ja das Paradoxe: Die bad guys im Film dürfen im realen Leben offenbar nicht so sein. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das Zitat der FAZ-Autorin Johanna Dürrholz im ZR-Beitrag: Wer als Komiker frauenfeindliche Witze reißt, muss demnach im richtigen Leben über jeden diesbezüglichen Zweifel erhaben sein. Aber warum?
Was Frau Dürrholz da sagt, scheint mir nicht besonders durchdacht. Aber vielleicht denkt es wie folgt in ihr: "Auf der einen Seite finde ich einen politisch nicht ganz korrekten Humor ganz erfrischend. Damit es nicht zu heikel wird, brauche ich aber die Garantie , daß der Komiker als Privatperson eine blütenreine Weste hat. Denn damit verschwindet die unangenehme Befürchtung, er könne irgendetwas, was er sagt, auch ernst gemeint haben." So in etwa?
Das scheint mir aber ein persönliches Problem der guten Frau zu sein. Kinski z.B. hat ja in Filmen fast durchgehend "bad guys" verkörpert, und daß er zumindest bei seinen öffentlichen Auftritten als Privatperson nicht eben sympathisch wirkt, dürfte seinem Ruf eher genützt haben.
Zitat von DrNick im Beitrag #2 Mir scheint allerdings erstens die Annahme, daß Spacey momentan ein echtes Kassengift ist, schlicht nicht besonders plausibel zu sein. Das wäre vielleicht bei einem Schauspieler der Fall, der auf die Darstellung besonders sympathischer Figuren abonniert ist (wie z.B. früher James Stewart), aber Spacey verkörpert ja im allgemeinen eher unsympathische Charaktere. Ich kann nicht erkennen, daß er z.B. Frank Underwood nicht mehr glaubwürdig spielen kann - eher im Gegenteil.
Ich glaube nicht das Kassengift das Problem ist. Ich glaube es ist eher die Angst vor den HexenjägerInnen. Wer heute die Entscheidung (oder Nichtentscheidung) trifft, weiter an Spacey festzuhalten, ist unter Umständen die Zielscheibe von morgen. Die Kirche der Feministen verlangt Gehorsam. Unter Umständen auch vorauseilenden. Und im Moment ist einfach jeder gut beraten sich möglich maximal zu distanzieren und das alles ganz furchtbar zu finden.
Zitat von Noricus im Beitrag #6Ich gebe jedem Ihrer Worte Recht. Aber genau das ist ja das Paradoxe: Die bad guys im Film dürfen im realen Leben offenbar nicht so sein. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das Zitat der FAZ-Autorin Johanna Dürrholz im ZR-Beitrag: Wer als Komiker frauenfeindliche Witze reißt, muss demnach im richtigen Leben über jeden diesbezüglichen Zweifel erhaben sein. Aber warum?
Was Frau Dürrholz da sagt, scheint mir nicht besonders durchdacht. Aber vielleicht denkt es wie folgt in ihr: "Auf der einen Seite finde ich einen politisch nicht ganz korrekten Humor ganz erfrischend. Damit es nicht zu heikel wird, brauche ich aber die Garantie , daß der Komiker als Privatperson eine blütenreine Weste hat. Denn damit verschwindet die unangenehme Befürchtung, er könne irgendetwas, was er sagt, auch ernst gemeint haben." So in etwa?
Ja, so hätte auch ich das verstanden.
Zitat von DrNick im Beitrag #8Das scheint mir aber ein persönliches Problem der guten Frau zu sein. Kinski z.B. hat ja in Filmen fast durchgehend "bad guys" verkörpert, und daß er zumindest bei seinen öffentlichen Auftritten als Privatperson nicht eben sympathisch wirkt, dürfte seinem Ruf eher genützt haben.
Schon richtig. Vielleicht kommt hier ja zum Tragen, was Thea Dorn in dem im ZR-Beitrag verlinkten Interview gesagt hat: Früher verachtete der Bourgeois zwar den Künstler, weil dieser sich nicht an die bürgerliche Moral hielt, aber dieser Halbweltcharakter des Künstlermilieus wurde als in gewisser Weise dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entsprechend angesehen. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie eine ältere, in erzkonservativem Gedankengut verhaftete Verwandte (es war, glaube ich, Ende der 80er, Anfang der 90er) den gegen einen nicht ganz unbekannten Schauspieler erhobenen Pädophilie-Vorwurf mit einem verbalen Achselzucken kommentierte. Irgendwie so, als wenn wir heute erführen, dass gegen einen Zuhälter der Vorwurf des Menschenhandels erhoben wird.
Der typische Kulturlinke denkt dagegen wohl, dass der Künstler vom Lebenswandel seinesgleichen ist: Demokraten-/Grünen-Wähler, in denselben Restuarants verkehrend wie er selbst etc. Dass so jemand kein Feminist sein könnte: Undenkbar, empörend.
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