Florian Gerster ist ein Mann, der etwas von den Gründen für Arbeitslosigkeit versteht; immerhin stand er der Bundesagentur für Arbeit vor. Er prophezeit knapp fünf Millionen Arbeitslose in der nächsten Konjunkturdelle, wenn sich die Gewerkschaften mit dem Plan durchsetzen, überall Mindestlöhne nach dem Vorbild der Löhne für Briefzusteller einzuführen.
Kommentar: Mich wundert immer wieder, wie gleichgültig den Gewerkschaften die Arbeitslosen sind. Ja nicht nur in diesem Zusammenhang; auch die GDL stellt Forderungen, die unweigerlich zu einem Stellenabbau führen würden.
Wie kommt das? Wenn man zynisch ist, dann könnte die Antwort lauten: Arbeitslose sind schlechte Beitragszahler, wenn sie übrhaupt noch in einer Gewerkschaft sind.
Etwas weniger zynisch und wahrscheinlich realistisch: Gewerkschaftsbosse haben das Ziel der Lohnmaximierung, so wie ihre Kontrahenten das Ziel der Profitmaximierung haben. Da kann man nicht zimperlich sein und an diejenigen denken, die dabei auf der Strecke bleiben.
Die Gewerkschaften und hier insbesondere die Gewerkschaftsführung, denn letztendlich stellt nur diese die Weichen, interessiert nur eines und das ist Macht.
Es geht ihnen nicht um Arbeitnehmer und schon gar nicht um Arbeitslose, es geht ihnen darum auf gleicher Augenhöhe mit den Arbeitgebern zu sitzen, ja mehr noch, höher sitzen zu wollen als diese, indem man die gesetzlichen Einschränkungen der Arbeitgeber dazu nutzt, ihnen die eigene Macht zu zeigen.
Auf Unternehmensebene erzwingen nämlich das Mitbestimmungsgesetz Bergbau und Eisen vom 21. 5. 1951, das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 und das Mitbestimmungsgesetz von 1976, die Aufnahme von Gewerkschaftsvertretern in die Aufsichtsräte von Kapitalgesellschaften.
Da man sich der Hilfe des Staates gewiss ist, demzufolge auch Proteste der Arbeitnehmerschaft nicht befürchten muss, kann man sich komplett auf dieses Machtspiel konzentrieren.
· Der deutsche Sozialstaat gewährt Arbeitslosen Lohnersatz in Form von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe, Wohngeld und vielen anderen Sozialleistungen. Für minder Qualifizierte ist der sozialstaatliche Lohnersatz fast so hoch wie das auf dem Markt erzielbare Arbeitseinkommen. Unter diesen Umständen macht es ökonomisch keinen großen Unterschied, ob man arbeitet oder vom Sozialstaat für Nichtstun bezahlt wird.
· Die Gewerkschaften haben vor allem im unteren Qualifikationsbereich die Löhne so hoch getrieben, dass sie über der Wertschöpfung von Millionen Arbeitnehmern liegen. Diese nahmen die daraus resultierende Arbeitslosigkeit widerstandslos hin, denn sie führte in die Sessel des Sozialstaates. Die Gewerkschaften können ihre Hochlohnpolitik nur durchführen, weil es ihnen möglich ist, deren Kosten auf unbeteiligte Dritte, nämlich die Steuerzahler, abzuschieben.
· Die Gewerkschaftsführer gehen davon aus, dass die Vorteile hoher Tarifabschlüsse den eigenen Mitgliedern zugute kommen, während die Kosten der dadurch verursachten Arbeitslosigkeit von der diffusen Gesamtheit der Steuerzahler zu tragen ist, welche den Sozialstaat finanziert.
"Ohne die Hilfe des Sozialstaats wären Massenproteste und allgemeiner Aufruhr die Folge, und die Gewerkschaften wären viel früher an die Grenzen ihrer Hochlohnpolitik gestoßen. Der Sozialstaat war der heimliche Komplize der Kartellgewerkschaften und ist mit dafür verantwortlich, daß Deutschland so lange den falschen Weg beschreiten konnte." Hans-Werner Sinn
Bezeichnend ist ja auch folgende Tatsache.
Der Arbeitnehmer hat als verfügbares Einkommen nur das, was der Arbeitgeber ihm netto ausbezahlt. Der Unternehmer hingegen trägt Bruttolohnkosten, die doppelt so hoch sind wie der Nettolohn, den seine Beschäftigten zu Gesicht bekommen. Was macht nun den Unterschied zwischen brutto und netto aus? Es sind die Tribute an den Staat. Vielen Arbeitnehmern ist gar nicht bewusst, wie hoch die Abzüge von ihrem Lohn sind, die der Staat fordert und die der Arbeitgeber vom Bruttolohn einbehalten muss, um sie an die staatlichen Kassen abzuführen. In Deutschland beträgt die persönliche Abgabenquote eines ledigen Durchschnittsverdieners 52% seines Bruttoeinkommens.
Bezeichnenderweise führen die Gewerkschaften ihren Lohnkampf aber gegen die Unternehmer und damit letzten Endes gegen die Verbraucher, während sie die Verminderung des Staatsanteils nicht einmal erwähnen, geschweige denn in Angriff nehmen. Die Gewerkschaftsführungen ziehen damit steigende Lohnkosten und erhöhte Arbeitslosigkeit sowie steigende Verbraucherpreise und dadurch sinkende Kaufkraft der Konsumenten, einer Verminderung des Umfangs des Staates vor.
Daran würde sich sicher sehr schnell eine Menge ändern, wenn der gesamte Bruttolohn, einschließlich der Arbeitgeberbeiträge, an die Arbeitnehmer direkt ausbezahlt würde. Diese könnte dann selbst entscheiden, welche Sozialversicherung sie eingehen wollen, und der Staat müsste sich seine Steuern direkt beim Bürger, also beim Arbeitnehmer holen.
Man sieht hier in Deutschland eine absolut unheilige Allianz zwischen Politik und Gewerkschaft. Man sieht es auch im Bundestag.
Zu den Zahlen: Im 2002 gewählten Bundestag hat man bei den 603 Abgeordneten insgesamt 282 Gewerkschaftsmitgliedschaften festgestellt, das sind 47%, umgekehrt gehörten aber nur 15% der Wahlberechtigten einer Gewerkschaft an. (Zum Glück geht der Anteil zurück)
Zitat von VolkerDNun, der Herr ist allerdings der Vorsitzende einer Lobbyorganisation. Wenn der schwarz malt wird es höchstens grau.
Vielleicht, lieber VolkerD. Nur ist Gerster ja eben nicht nur Vorsitzender eines Arbeitgeberverbandes - das ist eine "Lobbyorganisation" genauso sehr und genauso wenig, wie die Gewerkschaften "Lobbyorganisaionen" sind - , sondern er ist auch langjähriges Mitglied der SPD, und er war eben Chef der BfA.
Ich fürchte, daß dann, wenn so jemand schwarz malt, es schon dunkelgrau werden könnte.
der Chef des Ifo, Hans Werner Sinn, hat heute in der Bild-Zeitung die düstere Prognose von Gerster bestätigt.
Es ist wirklich unverantwortlich, wie die Gewerkschaften und wie die SPD mit dem Schicksal der Menschen umgehen, die sie mit diesem Mindestlohn-Wahnsinn in die Arbeitslosigkeit treiben.
Übrigens gibt es in Frankreich gerade eine heftige Diskussion über den dortigen Mindestlohn. Obwohl der Smic nämlich deutlich niedriger ist als der hier beabsichtigte, hat er eine unheivolle Wirkung nicht nur auf den Arbeitsmarkt (Frankreich hat eine Jugendarbeitslosigkeit von rund 20 Prozent), sondern auch auf die Einkommen: Durch den Mindestlohn werden ja die unteren Einkommen gestaucht. Frankreich und England, das ja ebenfalls den Mindestlohn hat, sind diejenigen Länder Europas, in denen die meisten Arbeiter in der untersten Lohngruppe sind.
Herzlich, Zettel
Pelle
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18.12.2007 22:33
#8 RE: Zitat des Tages: "Wieder knapp fünf Millionen Arbeitslose"
Interessant finde ich in diesem Zusammenhang die Leserkommentare im Anschluss an obigen Zeitungsartikel.
Wenn ich das richtig deute, ist eine ganz überwiegende Mehrheit der Schreiber für einen Mindeslohn. Ob das Meinungsbild der Leserkommentare repräsentativ ist weiß man nicht. Wowereit scheint es jedenfalls so zu sehen, sonst würde er nicht auf diesen Zug aufspringen.
Die deutliche Mehrheit der Deutschen (81 Prozent) findet es dem ARD-Deutschlandtrend zufolge richtig, dass es jetzt einen Mindestlohn für Briefzusteller gibt. 78 Prozent der 1000 Befragten wünschen schnellstmöglich weitere Mindestlöhne auch für andere Branchen.
Die Befürworter werden wohl erst dann wach, wenn sie Ihren Job verlieren.
Herzlich M.Schneider
Sparrowhawk
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19.12.2007 12:35
#10 RE: Zitat des Tages: "Wieder knapp fünf Millionen Arbeitslose"
andererseits dient Arbeit und deren Entlohnung ja eigentlich dazu, daß man davon leben kann... bei manchen Löhnen in Deutschland habe ich da mittlerweile erheblichen Zweifel daran, ob das noch so hinhaut... aber warum auch im Minilohnsektor arbeiten, wenn man mit Hartz IV ggf. sogar mehr in der Tasche hat ohne sich dafür krummschuften zu müssen. Wenn Harzt 4 nicht gekürzt werden kann, müssen die Löhne im unteren Bereich erhöht werden, um Anreize zu schaffen, eine Arbeit anzunehmen. Da die Firmen von allein nicht darauf kommen (wollen), müssen eben andere Lösungen her.
Sie haben schon recht, man kann sicherlich nicht von jeder Tätigkeit im Billiglohnsektor leben. Aber ohne jetzt die große wirtschaftsphilosophische Diskussionen vom Ast brechen zu wollen, ist es nun mal so, dass sich der Lohn nach der Wertschöpfung richtete und die ist eben im Billiglohnsektor gering.
Die Leute die dort arbeiten haben meist keine oder eine sehr geringe Qualifikation. Dafür kann man nicht die Wirtschaft verantwortlich machen und vor allen Dingen kann man ihr nicht zumuten, einen gesetzlich verordneten Lohn zu zahlen der schlichtweg höher liegt wie eben diese Wertschöpfung.
Der Ausweg könnte so sein wie beispielsweise in Amerika, dort ist es für wenig qualifizierte Leute gang und gäbe zwei oder gar drei solche Billiglohnjobs zu machen, die dann in Summe sehr wohl auskömmlich sind. Dort steht allerdings auch der Zwang dahinter, weil der Einzelne vom Staat diese Unterstützungen wie es in Deutschland gemacht wird nicht bekommt.
Zitat von Sparrowhawkandererseits dient Arbeit und deren Entlohnung ja eigentlich dazu, daß man davon leben kann... bei manchen Löhnen in Deutschland habe ich da mittlerweile erheblichen Zweifel daran, ob das noch so hinhaut...
Nein, es haut oft nicht hin, lieber Sparrowhawk. Die Betreffenden bekommen dann ja staatliche Zuschüsse. ("Aufstocker"; auch ein Kandidat für das Unwort des Jahres, finde ich).
Ich finde es auch unwürdig, daß jemand, der voll arbeitet, nur dann über die Runden kommt, wenn er noch eine Art Sozialhilfe (egal, wie man es nennt) bezieht.
Nur kann die Lösung ja nicht eine Umverteilung à la SPD sein: Ein Teil der jetzt so schlecht Bezahlten bekommt den Mindestlohn. Ein anderer Teil (in der Größenordnung von fast zwei Millionen, laut Ifo, bei dem jetzt diskutierten Mindestlohn) wandert in die Arbeitslosigkeit.
Was die SPD und die Gewerkschaften mit dem Mindestlohn wollen, läuft auf einen erbarmungslosen Verteilungskampf unter denjenigen hinaus, die jetzt Niedriglöhne bekommen.
Ein Teil bekommt mehr, ein Teil fliegt raus. Das ist "soziale Gerechtigkeit" à la SPD.
Es gibt zwei Lösungen. Die eine hat M. Schneider gerade erwähnt, die amerikanische: Jemand hat mehrere Jobs im Niedriglohn-Bereich.
Ökonomisch ist das rational. Denn wenn jemand nichts gelernt hat, dann ist in der modernen Wirtschaft eben seine Arbeit in einem Job allein nicht so viel wert, daß sie ihn anständig ernähren kann.
Und man kann argumentieren, daß man daran auch nichts ändern sollte, denn nur so gibt es für die Betreffenden einen Anreiz, etwas zu lernen bzw. ihre Kinder etwas lernen zu lassen.
Andererseits ist diese Lösung sehr hart. Eine Lösung, die weniger hart ist, propagiert Hans-Werner Sinn seit langem: den Kombilohn.
Er ist die logische Antwort auf die objektiv nun einmal gegebene Situation. Nur wollen die Gewerkschaften und die SPD ihn nicht, weil sie darin einen Transfer von Steurmitteln hin zu den Unternehmen sehen.
Was das natürlich auch ist. Die einzige Lösung ohne Nachteil besteht darin, daß mehr Menschen für anspruchsvollere Arbeiten qualifiziert werden.
Aber das muß man ihnen nicht nur anbieten, sondern sie müssen auch einen Anreiz haben, es zu tun. Siehe oben.
Darüber hinaus sollte man sich auch eins klar machen. Auch wenn das gleich wieder als unsozial oder sonstiges geoutet wird, die menschliche Natur ist nun mal so, dass er im Prinzip faul ist und nur durch gewisse Zwänge aktiv wird.
Wie alles beim Menschen gibt es solche Menschen, die extrem faul sind und solche die extrem rege sind.
Demzufolge bin ich eben auch der Meinung, etwas zu lernen, genauso wie sich selbst eine Arbeit zu suchen aber auch sich weiter zu qualifizieren muss einem gewissen Zwang unterworfen sein, sonst wird ein ganz wesentlicher Teile der Leute in der Bequemlichkeit verharren.
In Amerika ist dieser Zwang gegeben, einfach weil es die staatlichen Zuwendungen nicht gibt.
Soviel ich weiß bekommt jeder Erwachsene (und auch nur amerikanische Staatsbürger) nur fünf Jahre seines Lebens überhaupt eine Hilfe vom Staat, hat er diese einmal ausgeschöpft, bekommt er nie wieder etwas. Weil dies jeder weiß und weil er auch weiß, es könnte ja mal sein, dass er diese Hilfe tatsächlich in Anspruch nehmen muss, versucht jeder das zu vermeiden, solange es nicht unbedingt notwendig ist. Daher eben die 2 oder 3 Jobs.
Herzlich M. Schneider
Sparrowhawk
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Gast
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Beiträge:
19.12.2007 14:49
#14 RE: Zitat des Tages: "Wieder knapp fünf Millionen Arbeitslose"
Wie soll das gehen ? Sind das dann alles Teilzeit-Jobs ? Mehrere Vollzeitjobs das kann ich mir nicht vorstellen, denn auchin den USA ist ein Tag = 24 STunden.
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