ich wende mich auf diesem Weg an alle und insbesondere diejenigen im Forum, die (partei)politisch aktiv sind. Meine Frage lautet:
Ist es tatsächlich so, dass trotz der Geschäftsordnung des Bundestags, nach der dieser beschlussfähig ist, „wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist“, diese Beschlussfähigkeit auch dann vermutet wird, wenn es mit bloßem Auge ersichtlich ist, dass nur ein Bruchteil der Abgeordneten anwesend ist? So geschehen z.B. beim Beschluss des NetzDG.
Wenn in der Genossenschaft, in welcher ich mitarbeite, ein Beschluss gefasst werden würde und im Nachhinein ließe sich eine Beschlussunfähigkeit nachweisen, wäre der gefasste Beschluss null und nichtig. Egal ob das die Generalversammlung betrifft oder den Vorstand oder den Aufsichtsrat.
Mir ist bekannt, dass Gesetze in den Bundestagsausschüssen beraten werden, auch dass sie im Bundestag von diesen Mitgliedern beschlossen werden. Nur dachte ich bisher, die Geschäftsordnung des Bundestages läßt dies zu. Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Habe ich etwas übersehen?
Der Knackpunkt dabei ist, dass dieses Thema im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde bereits im Jahr 1977 schon einmal beim BVerfG verhandelt wurde, und dabei entschieden wurde, dass auch bei weniger anwesenden Abgeordneten die Beschlussfähigkeit dann gegeben ist, wenn sie nicht von der erforderlichen Anzahl Abgeordneten angezweifelt wurde. http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv044308.html
Der Knackpunkt dabei ist, dass dieses Thema im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde bereits im Jahr 1977 schon einmal beim BVerfG verhandelt wurde, und dabei entschieden wurde, dass auch bei weniger anwesenden Abgeordneten die Beschlussfähigkeit dann gegeben ist, wenn sie nicht von der erforderlichen Anzahl Abgeordneten angezweifelt wurde. http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv044308.html
Gruß Petz
Ok. Weil also die Abgeordneten überein gekommen sind, permanent und vorsätzlich gegen ihre Geschäftsordnung zu verstoßen, haben sie damit den Grundsatz eines jeden beschließenden Gremiums, nämlich seine Beschlussfähigkeit zu sichern bevor es etwas beschließt, abgeschafft. Der Deutsche Bundestag beschließt ohne Beschlussfähigkeit.
Wenn wundert da eigentlich noch das mangelhafte Selbstverständnis der Abgeordneten als Repräsentanten ihrer Wähler, die nur ihrem Gewissen verpflichtet sind? Also mich nicht mehr.
Würde der Aufsichtsrat einer Genossenschaft, der durchaus Parallelen zur Legislative aufweist, gegen seine von der Generalversammlung genehmigte Geschäftsordnung verstoßen, würde er nicht entlastet werden. Das wäre zudem ein Skandal und würde die Genossenschaft schwer erschüttern.
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #3Ok. Weil also die Abgeordneten überein gekommen sind, permanent und vorsätzlich gegen ihre Geschäftsordnung zu verstoßen, haben sie damit den Grundsatz eines jeden beschließenden Gremiums, nämlich seine Beschlussfähigkeit zu sichern bevor es etwas beschließt, abgeschafft. Der Deutsche Bundestag beschließt ohne Beschlussfähigkeit.
Nicht wirklich. Die Beschlussfähigkeit gilt als gesichert, wenn keiner widerspricht. Ich zitiere aus dem vorher verlinkten Urteil:
Zitat Nach § 49 Abs. 2 GO gilt der Bundestag ohne Rücksicht auf die Zahl seiner anwesenden Mitglieder als beschlußfähig, solange nicht seine Beschlußunfähigkeit in dem in jener Bestimmung vorgeschriebenen Verfahren festgestellt wird. Diese Regelung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #3Wenn wundert da eigentlich noch das mangelhafte Selbstverständnis der Abgeordneten als Repräsentanten ihrer Wähler, die nur ihrem Gewissen verpflichtet sind? Also mich nicht mehr.
Das mag ja sein - aber wieso fällt das erst jetzt plötzlich auf, 40 Jahre nachdem diese Praxis schon einmal Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde war? Da ging es nämlich genau darum: Ein Bürger ist aufgrund eines Gesetzes verurteilt worden, dass bei einer Anwesenheit von 37 Abgeordneten beschlossen wurde. Deshalb hat er geklagt, dass das Gesetz nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist, und das Verfassungsgericht hat die Beschwerde abgewiesen.
Zitat Konkret änderte die Linksfraktion ihre Meinung bei einem völlig unwichtigem Votum. Daraufhin erklärte die sitzungsleitende Vizepräsidentin des Bundestages, Petra Pau von der Linkspartei, nach Rücksprache mit ihren Schriftführern sie könne das Abstimmungsverhalten nicht erkennen. Deshalb müsse nun ein so genannter Hammelsprung durchgeführt werden.
Zitat Bei jedem Hammelsprung wird automatisch die Beschlussfähigkeit des Bundestages festgestellt. Genau auf diese Formalität hatte die Opposition gezielt. Ihre Abgeordneten kehrten einfach nicht in den Plenarsaal zurück, sondern warteten feixend vor den Türen.
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #3Ok. Weil also die Abgeordneten überein gekommen sind, permanent und vorsätzlich gegen ihre Geschäftsordnung zu verstoßen, haben sie damit den Grundsatz eines jeden beschließenden Gremiums, nämlich seine Beschlussfähigkeit zu sichern bevor es etwas beschließt, abgeschafft. Der Deutsche Bundestag beschließt ohne Beschlussfähigkeit.
Nicht wirklich. Die Beschlussfähigkeit gilt als gesichert, wenn keiner widerspricht. Ich zitiere aus dem vorher verlinkten Urteil: Zitat:Nach § 49 Abs. 2 GO gilt der Bundestag ohne Rücksicht auf die Zahl seiner anwesenden Mitglieder als beschlußfähig, solange nicht seine Beschlußunfähigkeit in dem in jener Bestimmung vorgeschriebenen Verfahren festgestellt wird. Diese Regelung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Ich präzisiere: Ohne Rücksicht auf § 49 Abs. 1 GO, damals. Heute: § 45 Abs. 1 GO.
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #3Wenn wundert da eigentlich noch das mangelhafte Selbstverständnis der Abgeordneten als Repräsentanten ihrer Wähler, die nur ihrem Gewissen verpflichtet sind? Also mich nicht mehr.
Das mag ja sein - aber wieso fällt das erst jetzt plötzlich auf, 40 Jahre nachdem diese Praxis schon einmal Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde war? Da ging es nämlich genau darum: Ein Bürger ist aufgrund eines Gesetzes verurteilt worden, dass bei einer Anwesenheit von 37 Abgeordneten beschlossen wurde. Deshalb hat er geklagt, dass das Gesetz nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist, und das Verfassungsgericht hat die Beschwerde abgewiesen.
Na wegen des NetzDG und seiner Verabschiedung. Zuvor wurde die Ehe für alle verabschiedet, mit vollem Bundestag. In der Öffentlichkeit wird das bezeichnet als: Die Abstimmung ist freigegeben. Bei der Abstimmung zum NetzDG war er wieder so leer wie üblich. Also eine freie Abstimmung folgt dem § 45 Abs. 1 GO. Und die üblichen eben nicht. Mit dem Seegen des BVerfG.
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #6Na wegen des NetzDG und seiner Verabschiedung. Zuvor wurde die Ehe für alle verabschiedet, mit vollem Bundestag. In der Öffentlichkeit wird das bezeichnet als: Die Abstimmung ist freigegeben. Bei der Abstimmung zum NetzDG war er wieder so leer wie üblich. Also eine freie Abstimmung folgt dem § 45 Abs. 1 GO. Und die üblichen eben nicht. Mit dem Seegen des BVerfG.
Mir fällt an diesem Thema noch was anderes auf: Sollte es tatsächlich eine Minderheitsregierung geben, werden einige der Abgeordneten, die schon länger hier sind, ihr Besuchsverhalten im Plenum ziemlich anpassen müssen...
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #6Na wegen des NetzDG und seiner Verabschiedung. Zuvor wurde die Ehe für alle verabschiedet, mit vollem Bundestag. In der Öffentlichkeit wird das bezeichnet als: Die Abstimmung ist freigegeben. Bei der Abstimmung zum NetzDG war er wieder so leer wie üblich. Also eine freie Abstimmung folgt dem § 45 Abs. 1 GO. Und die üblichen eben nicht. Mit dem Seegen des BVerfG.
Mir fällt an diesem Thema noch was anderes auf: Sollte es tatsächlich eine Minderheitsregierung geben, werden einige der Abgeordneten, die schon länger hier sind, ihr Besuchsverhalten im Plenum ziemlich anpassen müssen...
Genau, das könnte die Arbeitsweise des gesamten Bundestages ändern. Aus einem Arbeitsparlament würde u.U. ein Redeparlament. Britische Verhältnisse. Nicht auszudenken.😉
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #8Genau, das könnte die Arbeitsweise des gesamten Bundestages ändern. Aus einem Arbeitsparlament würde u.U. ein Redeparlament. Britische Verhältnisse. Nicht auszudenken.
Mein Traum: Ein Parlament, das vor lauter Reden nicht mehr dazu kommt, Schwachsinnsgesetze zu verabschieden (gibt es auch noch andere seit einigen Jahren?).
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #8Genau, das könnte die Arbeitsweise des gesamten Bundestages ändern. Aus einem Arbeitsparlament würde u.U. ein Redeparlament. Britische Verhältnisse. Nicht auszudenken.��
Mein Traum: Ein Parlament, das vor lauter Reden nicht mehr dazu kommt, Schwachsinnsgesetze zu verabschieden (gibt es auch noch andere seit einigen Jahren?).
In Deutschland wird ja nun wirklich alles diskutiert. Breit, öffentlich und als Debatte. Nur nicht an dem Ort der eigens dafür geschaffen wurde.
Der SPD-Abgeordnete Thomas Mockenhaupt auf Twitter:
„Wer sowas forciert, torpediert die Arbeitsfähigkeit des Bundestags und behindert eine effiziente Arbeitsweise. Kann man machen, hat man aber nichts von, außer eine gut funktionierende und arbeitsfähige Demokratie zu behindern.“ und:
„#Hammelsprung kurz vor Mitternacht im #Bundestag, weil #AfD -Kasper Zweifel an Beschlussfähigkeit haben. Dieser billige Kirmestrick der Rechtsextremen ist ein guter Beweis, dass es denen nicht um ernsthafte Politik, sondern nur um Klamauk und das Untergraben der Demokratie geht.“
Mal sehen was der Mehrheit der Abgeordneten wichtiger ist: Ein kreativer Umgang mit der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags oder die Verwehrung der vollen parlamentarischen Mitarbeit der AfD-Fraktion. Als wäre die Demokratie in Deutschland gerade den Kinderschuhen entwachsen.
Bitte beachten Sie diese Forumsregeln: Beiträge, die persönliche Angriffe gegen andere Poster, Unhöflichkeiten oder vulgäre Ausdrücke enthalten, sind nicht erlaubt; ebensowenig Beiträge mit rassistischem, fremdenfeindlichem oder obszönem Inhalt und Äußerungen gegen den demokratischen Rechtsstaat sowie Beiträge, die gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Hierzu gehört auch das Verbot von Vollzitaten, wie es durch die aktuelle Rechtsprechung festgelegt ist. Erlaubt ist lediglich das Zitieren weniger Sätze oder kurzer Absätze aus einem durch Copyright geschützten Dokument; und dies nur dann, wenn diese Zitate in einen argumentativen Kontext eingebunden sind. Bilder und Texte dürfen nur hochgeladen werden, wenn sie copyrightfrei sind oder das Copyright bei dem Mitglied liegt, das sie hochlädt. Bitte geben Sie das bei dem hochgeladenen Bild oder Text an. Links können zu einzelnen Artikeln, Abbildungen oder Beiträgen gesetzt werden, aber nicht zur Homepage von Foren, Zeitschriften usw. Bei einem Verstoß wird der betreffende Beitrag gelöscht oder redigiert. Bei einem massiven oder bei wiederholtem Verstoß endet die Mitgliedschaft. Eigene Beiträge dürfen nachträglich in Bezug auf Tippfehler oder stilistisch überarbeitet, aber nicht in ihrer Substanz verändert oder gelöscht werden. Nachträgliche Zusätze, die über derartige orthographische oder stilistische Korrekturen hinausgehen, müssen durch "Edit", "Nachtrag" o.ä. gekennzeichnet werden. Ferner gehört das Einverständnis mit der hier dargelegten Datenschutzerklärung zu den Forumsregeln.