Zitat von Trierer Volksfreund, 17.1.2018Trier. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wird zur Eröffnung der Ausstellungen zum 200. Geburtstag von Karl Marx in Trier erwartet. dpa
Juncker werde bei dem Festakt am 4. Mai in der Konstantin-Basilika sprechen, sagte der Geschäftsführer der Karl Marx 2018 - Ausstellungsgesellschaft, Rainer Auts, am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur in Trier. Die Feier gilt als Startschuss für drei Ausstellungen: die große Landesausstellung „Karl Marx 1818-1883. Leben. Werk. Zeit.“ im Rheinischen Landesmuseum Trier und im Stadtmuseum Simeonstift Trier, die neue Dauerausstellung im Museum Karl-Marx-Haus und eine Sonderschau im Museum am Dom.
Marx wurde am 5. Mai 1818 in Trier geboren - und verbrachte dort die ersten 17 Jahre seines Lebens. Das Jubiläum zum 200. Geburtstag von Marx sei „eine große Chance“ für Trier und Rheinland-Pfalz, sich zu positionieren, sagte der rheinland-pfälzische Kulturminister Konrad Wolf (SPD) am Dienstagabend beim Neujahrsempfang des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) in Trier. „Deswegen haben wir auch ein genügend großes Rad in Bewegung gesetzt.“
Die in Trier geplante große Karl-Marx-Statue werde eine gute Werbung und „ein Hingucker“, sagte Wolf. Er sei überzeugt, dass der Bronze-Marx, der am 5. Mai enthüllt werden soll, künftig noch mehr Touristen ins Geburtshaus von Marx, das Museum Karl-Marx-Haus, locke. Die Figur ist ein Geschenk Chinas an die Geburtsstadt des weltbekannten Philosophen: Er wird inklusive Sockel 5,50 Meter hoch.
Da bin ich sehr hin- und hergerissen und mich würde ehrlich die Meinung der anderen Zimmerleute interessieren.
Auf der einen Seite hat Marx selbst Niemandem (zumindest ist er nicht dafür bekannt) ein Leid getan. Es gibt ein Museum, das die Statue und die Person einordnet. Als Ohilosoph ist Marx noch heute lesenswert. Als historische Figur ohnehin.
Auf der anderen Seite reichen die Stichworte Gulag, China, UDSSR, um auch nur anzudeuten, was sein Denken und Schreiben im Schlechtesten bewirkt hat.
Wiederum auf der anderen Seite hat die UDSSR den Naziterror beendet. Mit Hilfe des Westens.
Wiederum auf der anderen Seite ist jedes Thema schön, bei dem AfD und Grüne einer Meinung sind.
Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #2Da bin ich sehr hin- und hergerissen und mich würde ehrlich die Meinung der anderen Zimmerleute interessieren.
Ich würde auch sagen: Es gibt wenig Grund, Marx zu verteufeln, aber auch wenig, ihn zu preisen. Dass seine Werke (wobei die Beteiligung Engels' vermutlich meist unterschätzt wird) enormen Einfluss auf viele Menschen hatten, wenn auch wahrscheinlich meist nur indirekt (wer zum Geier tut sich schon "Das Kapital" an), lässt sich kaum leugnen. Aber das gilt für andere auch, die wir nicht schon allein deswegen feiern. Ein Gschmäckle hat die Sache also schon, vor allem, wenn es die EU-Kommission ist, die sich da hervortut...
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #2Da bin ich sehr hin- und hergerissen und mich würde ehrlich die Meinung der anderen Zimmerleute interessieren.
Auf der einen Seite hat Marx selbst Niemandem (zumindest ist er nicht dafür bekannt) ein Leid getan. Es gibt ein Museum, das die Statue und die Person einordnet. Als Ohilosoph ist Marx noch heute lesenswert. Als historische Figur ohnehin.
Auf der anderen Seite reichen die Stichworte Gulag, China, UDSSR, um auch nur anzudeuten, was sein Denken und Schreiben im Schlechtesten bewirkt hat.
Wiederum auf der anderen Seite hat die UDSSR den Naziterror beendet. Mit Hilfe des Westens.
Wiederum auf der anderen Seite ist jedes Thema schön, bei dem AfD und Grüne einer Meinung sind.
Lieber vielleichteinlinker, Marxens menschlische Qualitäten sollen nun auch nicht so einwandfrei gewesen sein, von Körperhygiene bis hin zum Verhalten gegenüber Frauen, welches auf jeden Fall #aufschrei-würdig war, vielleicht sogar #metoo. Ob in seinem Denken und Schreiben Gulag, China, UdSSR (kleines d!) vorausgeahnt oder angelegt waren, ist ebenso bezweifelbar. Seine Philosophie hat er auch eher konzeptuell verstanden, und nicht im Geringsten dogmatisch.
Und ganz ehrlich, die UdSSR hat den Naziterror nur beendet, weil sie angegriffen worden ist, bis 1941 konnte die UdSSR gut mit Nazideutschland leben. Marx damit in Verbindung zu bringen ist so falsch, da ist nicht mal das Gegenteil richtig.
Mich stört dabei viel eher die öffentliche, staatliche Beteilung und Lobpreisung bestimmter Philosophierichtlinien - das sollte doch bitteschön Kulturinstituten und Universitäten vorbehalten sein. Und wenn Trier den Klotz von China geschenkt bekommt, ist es in erster Linie Aufgabe von Trier, darüber zu entscheiden.
Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #2Da bin ich sehr hin- und hergerissen und mich würde ehrlich die Meinung der anderen Zimmerleute interessieren.
Auf der einen Seite hat Marx selbst Niemandem (zumindest ist er nicht dafür bekannt) ein Leid getan.
Es gibt diese Redensart, der Sozialismus sei eine gute Sache, nur schlecht ausgeführt. Aber der Sozialismus ist eine schlechte Sache.
Karl Marx, dieser halbgebildete Egomane, der nie eine Wissenschaft richtig erlernt und nie etwas Ordentliches geleistet hat, war als Schreibtischtäter eine der verhängnisvollsten Figuren der Weltgeschichte. Er ist verantwortlich für Millionen von Toten, von verfolgten und geschundenen Menschen. Lenin und Stalin waren seine Schüler, die genau das umsetzten, was er gewollt hatte.
Und übrigens auch Rosa Luxemburg, der man heute einen Heiligenschein umhängt. Eine Absurdität.
Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #2 Es gibt ein Museum, das die Statue und die Person einordnet. Als Ohilosoph ist Marx noch heute lesenswert. Als historische Figur ohnehin.
Es kommt wie immer auf die Art und Weise der Würdigung an. So wie es aussieht soll Herrn Marx ein allzu kritikloses Denkmal in seiner Geburtsstadt gesetzt werden. Trier wirbt ja geradezu damit die Heimat des "berühmten Denkers" zu sein. Dass seine Schriften, vor allem die gemeinsamen mit Engels, eine verheerende Wirkung im Weltgeschehen einnehmen, wird dabei nicht sonderlich in den Mittelpunkt seiner Betrachtung gestellt. Großes Leid geht bis heute auf sein Wirken zurück. Das sollte der Wesenskern einer Rückschau auf Marx sein. In Wirklichkeit wird Marx aber gefeiert wie ein kleiner Rockstar inklusive einer Stadtführung mit einem Marxdouble.
Zitat von ffreiberger am 06.01.2018Apropo, hat jemand diese Woche den Beitrag zu Karl Marx und Trier im Morgenmagazin gesehen. (...) In diesem Beitrag wird offen dem Kommunismus das Wort geredet. Es wird behauptet das seine Thesen wieder an Bedeutung gewönnen und darüber palavert die älteste Stadt Deutschlands eventuell in Karl-Marx-Stadt umzubenennen.
Im Übrigen, dass ausgerechnet ein Herr Junker die Lobeshymnen singen wird, spottet jeder Beschreibung. Einen Besseren hätte man für diese Aufgabe nicht finden können, einen Politikerphilosophen, der für solcherlei Stilblüten bekannt ist:
Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #2Auf der anderen Seite reichen die Stichworte Gulag, China, UDSSR, um auch nur anzudeuten, was sein Denken und Schreiben im Schlechtesten bewirkt hat.
Wiederum auf der anderen Seite hat die UDSSR den Naziterror beendet. Mit Hilfe des Westens.
Unbestritten hat die UdSSR dabei geholfen grausames Leid zu beenden, nur um dass durch ein nicht ganz so grausames zu ersetzen. Allerdings eher aus einem Selbsterhaltungstrieb heraus als aus purer Nächstenliebe. Die jüdischen und polnischen Opfer waren Stalin doch eigentlich egal. Sie waren zumindest nicht seine Antriebskraft im Kampf gegen Nazideutschland.
Bei der Betrachtung wird meines Erachtens außer Acht gelassen, dass auch der Naziterror eine seiner Wurzeln im Marxismus hat. Den genau wie der Marxismus die kapitalistische Gesellschaft verdammt, baute der Nationalsozialismus darauf sein völkisches Theoriegebäude auf. Der gemeinsame Feind ist/war die liberale Wirtschaftsordnung. Der Marxist stellt den Kapitaleignern die Lohnabhängigen gegenüber und beschreibt den Kapitalismus als eine moderne Form des Sklavenhandels, als die Fortführung der Feudalgesellschaft. Die Aktie ist das Symbol eines anonymen Wirtschaftlebens und Kennzeichen der Unterdrückung. Die Nationalsozialisten gehen dabei einen Schritt weiter und sehen in den Juden die Wucherer, die Erfinder dieser als "Unterjochung" empfundenen Gesellschaftsform. Sie deuten den Klassenkampf damit sozusagen in einen Völkerkampf um.
Insofern wurde der Beelzebub mit dem Teufel ausgetrieben. Ein Teil Deutschlands wurde befreit. Der andere stand unter der Traufe und ist im Regen stehen gelassen worden.
Freundliche Grüße,
ffreiberger
"Wie reziprok die Freundlichkeit ist, das sagt somit etwas aus über die Offenheit einer Gesellschaft; über die Freiheit, die in ihr herrscht." Zettel
nun ist Zettel ja sehr geschätzt, gleichwohl stimme ich seiner Analyse in Bezug auf Marx nicht zu. Marx als Schreibtischtäter zu bezeichnen, verharmlost die wahren Schreibtischtäter. Marx hat meines Wissens keine Todesbefehle unterzeichnet, niemanden umgebracht, vergast, ermordet. Das haben andere getan, die sich (teilweise) auf seine Philosophie berufen haben. Da sollte man doch mal die Kirche im Dorfe lassen.
Halbgebildet? Von mir aus. Egomane? Sicherlich! Verantwortlich? Sicher nicht, weder im juristischen noch im moralischen Sinne.
Zitat von Krischan im Beitrag #6Lieber ffreiberger,
nun ist Zettel ja sehr geschätzt, gleichwohl stimme ich seiner Analyse in Bezug auf Marx nicht zu. Marx als Schreibtischtäter zu bezeichnen, verharmlost die wahren Schreibtischtäter. Marx hat meines Wissens keine Todesbefehle unterzeichnet, niemanden umgebracht, vergast, ermordet. Das haben andere getan, die sich (teilweise) auf seine Philosophie berufen haben. Da sollte man doch mal die Kirche im Dorfe lassen.
Halbgebildet? Von mir aus. Egomane? Sicherlich! Verantwortlich? Sicher nicht, weder im juristischen noch im moralischen Sinne.
Freundlichst, Krischan
Lieber Krischan,
juristisch kann man ihm tatsächlich nichts vorwerfen. Er hat das ja tatsächlich alles nur erdacht und nicht exekutiert. Er hat sich aber die revolutionäre Umwälzung hin zu seinem Kommunismus gewünscht. Die Übergangsphase hat er zwar nie genau ausgearbeitet, aber wenn man seine Kritik am Gothaer Programm der späteren SDAP liest, kann man davon ausgehen, dass er das Leid billigend in Kauf genommen hätte. Er kritisiert ja da explizit das fehlende revolutionäre Moment und spricht sich explizit für die Diktatur des Proletariats aus.
Von moralischer Seite betrachte ich seine Verantwortung deshalb anders als Sie. Seine Philosophie war der Grundstein, die Rechtfertigung zur kommunistischen Machtübernahme in weiten Teilen der Welt. Jedes sozialistische oder kommunistische System hat sich auf Marx berufen. Jedes dieser Systeme war ein Unrechtsregime. Menschen wurden /werden bespitzelt, unterdrückt, ermordet. Selbst in der „gemäßigten“ DDR waren die Menschen Opfer eines verbrecherischen Zugriffs seitens der SED. Nach 80 Millionen Toten bin ich nicht bereit den Schöpfer dieser Verbrechensregime von seiner Verantwortung freizusprechen. Die Folgen seiner Theorie sind verherrend, egal wann, egal wer, egal wo auf der Welt.
Freundliche Grüße,
Florian Freiberger
"Wie reziprok die Freundlichkeit ist, das sagt somit etwas aus über die Offenheit einer Gesellschaft; über die Freiheit, die in ihr herrscht." Zettel
.....Und wenn Trier den Klotz von China geschenkt bekommt, ist es in erster Linie Aufgabe von Trier, darüber zu entscheiden.
Ja, das seh ich auch so. Im Übrigen hat man's eh mit einer Realsatire zu tun. Nachdem das Programm von Deng Xiaoping den Marxismus in China vertieft und zum Endsieg verholfen hat, kann man sich nunmehr dieses großzügige Geschenk an eine verschuldete Mittelstadt im fernen Europa leisten, außerdem sind dank Marx immer mehr Fernreisen einer wachsenden Mittelklasse aus Knallrotchina in die Geburtsstadt des Salvator mundi möglich.
Auch der zuständige CDU-Stadtrat aus Trier kann ob seiner Begeisterung für den Marxismus kaum noch an sich halten. Er lässt sich so vernehmen:
Zitat von (lt.SPIEGEL)Dass das größte Land der Erde an die kleine Stadt Trier denkt, das ist doch toll. 150.000 chinesische Touristen kommen jedes Jahr nach Trier - und das können noch viel mehr werden.
Das Tourismusgewerbe vor Ort, sozialistische Hotelbesitzer u.dgl., denken vermutlich ähnlich.
Ob sich Charly M. sein Ding eschatologisch jetzt grad genau so gedacht hat, insbesondere unter Berücksichtigung des berühmten Diktums "die Verhältnisse zum Tanzen bringen", muss noch geklärt werden.
.....Und wenn Trier den Klotz von China geschenkt bekommt, ist es in erster Linie Aufgabe von Trier, darüber zu entscheiden.
Ja, das seh ich auch so. Im Übrigen hat man's eh mit einer Realsatire zu tun. Nachdem das Programm von Deng Xiaoping den Marxismus in China vertieft und zum Endsieg verholfen hat, kann man sich nunmehr dieses großzügige Geschenk an eine verschuldete Mittelstadt im fernen Europa leisten, außerdem sind dank Marx immer mehr Fernreisen einer wachsenden Mittelklasse aus Knallrotchina in die Geburtsstadt des Salvator mundi möglich.
Wobei ich vermute, daß sich dieses Geschenk genau dieser Schiene verdankt. In China selbst spielt Don Carlos exakt keine Rolle mehr; das hat er übrigens auch zu Maos Zeiten nicht; KM war immer nur genannte Legitimation fürs maoistische Programm (nicht zuletzt, weil die Legitimationsstrategie fürs komplett ländliche China anders laufen mußte: M+E hatten ja für Agrargesellschaften den sozialistischen Umsturz ausgeschlossen, weil ein Industrieproletariat vorausgesetzt wurde; die frühe UdSSR hat ja noch, bis zur NÖP, ihr Missionsprogamm an der Prämisse orientiert). Ich gehe davon aus, daß das Trumm aus irgendeiner Parteiecke für irgendeine Wirtschaftssonderzone mit Erfolgsquote gestiftet worden ist (am lustigsten wäre die Variante: im Schwarzgeld zu waschen; geht & ist ein gängiges Modell, überall: man läßt doppelt so viel Finanzen fließen, als tatsächlich anfallen; mindert den Verdienst um 50%, aber die Buchungen sehen sauber aus) und es vor Ort niemand haben wollte.
"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire
Zitat von Krischan im Beitrag #6Lieber ffreiberger,
nun ist Zettel ja sehr geschätzt, gleichwohl stimme ich seiner Analyse in Bezug auf Marx nicht zu. Marx als Schreibtischtäter zu bezeichnen, verharmlost die wahren Schreibtischtäter. Marx hat meines Wissens keine Todesbefehle unterzeichnet, niemanden umgebracht, vergast, ermordet. Das haben andere getan, die sich (teilweise) auf seine Philosophie berufen haben. Da sollte man doch mal die Kirche im Dorfe lassen.
Halbgebildet? Von mir aus. Egomane? Sicherlich! Verantwortlich? Sicher nicht, weder im juristischen noch im moralischen Sinne.
Freundlichst, Krischan
Es gab letztes Jahr in der FAZ einen interessanten Artikel - Der falsche Prophet - zum 150. Jahrestag der Erscheinung von "Das Kapital".
Demnach spricht aus Marx’ Schriften und Briefen "oft unbändiger Hass und scharfes Ressentiment, ein verbitterter Mann, der nicht nur kapitalistische „Klassenfeinde“ entmenschlicht, sondern auch politische Gegner und konkurrierende Linke beschimpft. Marx sprach ganzen Völkern die Existenzberechtigung ab. Die Osteuropäer, besonders die Polen, bezeichnete er als „Völkerabfälle“. Gegen Juden hat Marx (obwohl selbst einer jüdischen Familie entstammend) gern und oft gehetzt. Außereuropäer, ob Chinesen oder Afrikaner, verachtete er."
Wenn dem denn tatsächlich so sein sollte (ich werde es mir nicht antun, meine Zeit damit zu verbringen, Schriften und Briefe von Marx zu studieren), würde das mit Ihrer Darstellung des Fehlens einer moralischen Verantwortung nicht konform gehen.
ich gestehe ja zu, das Marx ein eher wirrer Kopf war, so waren auch die Marx-Engels-Theoriekonvolute auch einem Wandel in der Zeit unterworfen (interessant ist dabei die Rolle Engels, der als Kapitalist einem sehr pittoresken Hobby frönte, nämlich der sozialen Revolution, und sich zu diesem Zwecke einen Hofdenker hielt - so kann man die Zusammenarbeit auch bewerten). Und dass aus privaten (!) Briefen, die von Marx und Engels nicht zur Veröffentlichung gedacht waren, nicht immer nur Weisheiten, sondern auch die in der damaligen Zeit durchaus mainstreamigen Ansichten triefen, geschenkt. Immerhin hat Marx versucht, auf die damals neuen sozialen und gesellschaftlichen Umbrüche Antworten zu finden. Natürlich mit beschränkten Mitteln, dafür mit einer leidenschaftlichen Sprache. Er war halt im Grunde Journalist und Pamphletist, und kein Wissenschaftler (deswegen hat er sich mit dem Kapital ja so schwergetan).
Gleichwohl: Er saß im Stübchen und hat sinniert, wie es wäre, wenn sich die Arbeiter erhöben. Er hat niemanden umgebracht. Zu Revolution aufgerufen haben auch viele andere, aus allen politischen Lagern. Marx wurde ja vor allem nach seinem Tod auf einen Thron gehoben und divinisiert, meist eher, um seine Divinatoren in eine Reihe mit den philosophischen Masterminds zu stellen. Und ganz ehrlich: Gäbe es Marx nicht, hätten Lenin, Stalin, Mao, Enver etc. andere "Götter" gefunden, unter deren Vorwand sie Machtpolitik betreiben konnten.
Zitat von Krischan im Beitrag #11Und ganz ehrlich: Gäbe es Marx nicht, hätten Lenin, Stalin, Mao, Enver etc. andere "Götter" gefunden, unter deren Vorwand sie Machtpolitik betreiben konnten.
Ein kleines Ja. Und ein großes Nein. Sie wären, wenn sie aufgrund sozialer Spannungen an die Position gekommen wären, wohl so unterwegs gewesen, wie sie es waren. Ob sie dahin gelangt wären, ist aufgrund der kontingenten, chaotischen Natur des konkreten Geschichtsverlaufs natürlich nicht auszumachen. Aber es hätte ohne das Konzept des Sozialismus, ohne die zu allem entschlossenen Parteien, die überall einen Flächenbrand auszulösen bereit waren, keine ansteckende, über die Gegebenheiten vor Ort hinausgreifende Wirkung erzielt. Es wäre kein Phantom "Sozialismus/Kommunismus" als Kristallisationskern eines weltrevolutionären Impulses vorhanden gewesen. Case in Point: das Christentum hat im 19. und frühen 20. Jahrhundert ähnlichen Brandstoff geliefert (die eschatologischen Versprechungen, in Form des "neuen Jerusalems", hat der Sozialismus ja als "klassenlose Gesellschaft" daraus entlehnt und sie vom Transzendenten in die irdische Zukunft verlegt). Hinzu kam als zweite notwendige Bedingung, daß es sich um Ausflüsse in kurz zuvor missionierten Gebieten handelte und die Bedingungen für einen Volksaufstand gegeben waren. Als drittes: daß charismatische "Propheten" zur Stelle waren, die sich diesen auf-Teufel-komm-raus Impuls ganz persönlich zu eigen machten. Die Cargo-Kulte Mikronesiens zeigen das Muster exemplarisch; der brasilianische Fall von Canudos, 1892-97 mit dem Wanderprediger Antônio Conselheiro ditto. Am verheerendsten der Fall von 洪秀全, Hong Xiuquan, 1814-1864, dem China die Taiping-Rebellion verdankte (Hong hat sich, nach einer wohl psychotisch zu nennenden absolut tiefen Glaubenskrise, für den wiedergeborenen Bruder Christi gehalten). (In den beiden letzten Fällen geht man nicht fehl, wenn man sich diesen totalitären Amoklauf als ein Wiedertäuferreich in XXXL imaginiert.) Alle diese Fälle haben aber keine Wirkung über sich selbst hinaus entwickelt: es gab keine übergreifende Hoffnungsprojektion in sie, sie haben keine Parteien hervorgebracht, die die Fackel weitertragen wollten, kein irdisches Utopieversprechen im kollektiven Gedächtnis verankert.
"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire
....Wenn dem denn tatsächlich so sein sollte (ich werde es mir nicht antun, meine Zeit damit zu verbringen, Schriften und Briefe von Marx zu studieren), würde das mit Ihrer Darstellung des Fehlens einer moralischen Verantwortung nicht konform gehen.
Ich nehme an, dass das marxistisch leicht zu klären ist: Moral ist metaphysischer Unsinn und hat im historischen Materialismus eh keinen Platz, insofern nicht die ZWÄNGE der Produktionsverhältnisse gemeint sind. Wenn man die nicht beachtet, kommt man halt zu notwendig falschen Anschauungen - oder so ähnlich. Erinnert mich auch an so manche Diskussion der 70er mit dem Einwand, dass man z.Zt. ja leider noch prärevolutionär leben müsse, und deshalb so Sachen wie Bücherklauen bei Buchhändlern, die alles andere als steinreich sind, momentan, also unter den Scheißverhältnissen, bedauerlicherweise als vertretbar gelten müssen. Später wird das anders.
Marx betreffend könnte man die Frage stellen, ob und inwieweit Philosophie und persönliche Eigenschaften oder, besser gesagt, Leidenschaften, zusammenhängen und das Letztere das Erstere bestimmen.
Materialistisch ist das natürlich heftig zu bestreiten, indessen dürfte dieser Zusammenhang m.E. erheblich sein, wenngleich Hardcore-Marxisten die von Ihnen geschilderten Sachen wahrscheinlich entweder abstreiten, als "aus dem Zusammenhang gerissen" oder als "anders gemeint" kennzeichnen oder, wenn nix mehr geht, als "Privatsache" und somit als unbeachtlich hinstellen.
Is aber beachtlich und das gilt aber nicht nur für Marx. In den Sozialwissenschaften (die Philosophie mal großzügig dazugerechnet) sind "Privatsachen" immer maßgeblich. IDIOGRAPHISCH (man beachte das "I") wurde das mal genannt (Windelband) als eigentlich empfehlenswerte Vorgehensweise. Die weitere Idee, der Beobachter/ Exeget, also der Sozialwissenschaftler möge "unparteiisch" sein, ist nett gedacht, aber irreal. Um die Abstraktion, man gucke sich das soziale Gemenge wissenschaftlich und vorurteilsfrei von "draußen" an und sei selbst quasi nicht dabei, namentlich nicht mit seinen Emotionen (deren Vorhandensein gerne bestritten wird) kann man sich noch so bemühen - wirksam wird datt nie.
Marx indessen schwimmt auf der großen Positivismuswelle; da wird angenommen, Wissenschaft handelt stets von GESETZEN. Man kennt das ja von den Naturwissenschaften, da bewährt sich das, warum soll das also nicht für alles gelten? Er war ein begeisterter Anhänger von Darwin, was offenbar zu der kurzschlüssigen Idee der Feststellbarkeit von allgemein geltenden Gesetzmäßigkeiten mit einer Tendenz zu "Zielen" (momentan leider noch nicht erreicht) allüberall, respektive in Sozialbeziehungen aller Art, beigetragen hat.
Dieses Denken in angeblich zwingenden Bedingungen und Notwendigkeiten ("muss so sein"; hochbeliebt ist auch, dies und das sei "natürlich", zum Beispiel Märkte) ist ideologisch allerdings weit über Marx hinaus beliebt . Dass Märkte "eigentlich" NORMal und alles andere Aberrationen sind, kann man ja auch für gesetzt halten. lich Dennis
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #12Aber es hätte ohne das Konzept des Sozialismus, ohne die zu allem entschlossenen Parteien, die überall einen Flächenbrand auszulösen bereit waren, keine ansteckende, über die Gegebenheiten vor Ort hinausgreifende Wirkung erzielt.
Nun ist der Sozialismus, man korrigiere mich, ja älter als Marx. Und schon die erste angebliche Verwirklichung auf Erden, die "Oktoberrevolution", die nicht im Oktober stattfand (jedenfalls nicht nach unserem Kalender...) und im Grunde auch keine Revolution war, sondern ein Putsch, hätte es nach Marxens Lehre ja nie geben dürfen, denn erst der vollendete Kapitalismus schafft ihm zufolge überhaupt erst die Voraussetzungen für das zu erwartende kommunistische Paradies, das es dann durch Revolution nur noch anzustoßen gilt. Aber den gab es im überwiegend agrarisch geprägten Russland noch lange nicht.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von Werwohlf im Beitrag #14Aber den gab es im überwiegend agrarisch geprägten Russland noch lange nicht.
Richtig. Das war eine der großen ideologischen Herausforderungen der bolschewistischen Ideologen nach 1922 (also nach der Phase der unmittelbaren Machtsicherung im Bürgerkrieg). Deshalb hatte die Partei ja auch, intern wie nach außen, alle Hoffnung auf den roten Sieg in Deutschland nach dem November 1918 gesetzt. Eine zweite Schiene, damit einhergehend, war die Kappung des Internationalismus: die Machtübernahme der Arbeiterklasse (also der Partei, die deren Willen verkörperte und ausführte) sollte ja alles Nationalistische hinwegfegen und übergreifend international stattfinden. Der "Sozialismus in einem Land", nach der Kappung der NÖP, war die Neujustierung. Noch grundlegender haben das Mao und Tschou En-lai durchgeführt, da China ja noch viel rückständiger war als Russland. Der "Agrarsozialismus" der KPC war zum anderen die Reaktion auf die Vertreibung 1927 aus Shanghai, auf das die sich bis dahin - eben als am weitesten industrialisierte Fleckchen, kapriziert hatten. In die Begründung der wahnsinnigen Schwerindustrialisierung, in beiden Fällen, spielt das als ideologische Begründung mit hinein. Die anderen, noch ruraleren und ideologisch primitiveren Nachfolger - von Vietcong über die Khmer Rouge bis zum Sendero luminoso haben die Facette komplett aus ihrem ohnehin aufs allergröbste reduzierten Ideologieunterbau rausgestrichen.
"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire
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