Symmetrie scheint - über Kulturen hinweg - ein wesentlicher Aspekt menschlichen Schönheitsempfindens zu sein. In der Physik ist sie eines der stärksten und erfolgreichsten Prinzipien für Verständnis und Ordnung.
Aus ökonomischer Sicht gruppiert sich alles um den Medianwähler herum. Die Frage ist natürlich, wo der steht. Aber davon abgesehen, ist in der Ökonomischen Theorie der Politik das Phänomen natürlich längst ergründet, dass sich Parteien auf den Medianwähler zubewegen, dabei aber in Gefahr geraten, an den Rändern zu viele Wähler zu verlieren. Der SPD ist das geschehen mit erstens den Grünen (m.E. als Folge der viele Linke desillusionierenden SPD-Regierungsverantwortung, vor allem unter dem Pragmatiker Helmut Schmidt) und zweitens mit der "Linken", letzteres aber erst und dann auch heftig als Folge der Schröderschen Reformen. Wobei man sagen muss, dass die Wiedervereinigung auch ihren Teil dazu beitrug - im Osten war die SED meist die linke Volkspartei.
Generell haben Parteineugründungen das Problem, dass sie Spinner anziehen wie das Licht die Motten. Bei den Grünen gab es die anfangs auch, von ganz rechts (Baldur Springmann & Co.) bis ganz links (Thomas Ebermann, Jutta Ditfurth & Co.). Aber auch der Kern der Grünen bestand aus geschulten K-Gruppen-Funktionären, die den Laden organisierten und Mehrheiten sicherstellen konnten. So gelang es, die Spinner letztlich herauszudrängen. Ok, mancher wird sagen, es sind noch genug drin, aber dann google er oder sie bitte mal die eben genannten Namen. Und es sage keiner, ich hätte nicht gewarnt... Bei der AfD gab es diesen Kern nicht. Die Professoren waren dazu zu abgehoben, und Figuren wie Höcke konnten auf Strukturen und Strategien der extremen oder "Neuen Rechten" zurückgreifen. Gauland hat mal gesagt, er wolle die Extremen nicht loswerden, weil das überall die Engagiertesten sind. Die AfD ist voll von solchen Überzeugungstätern, es fehlt ihr aber an Machtpragmatikern, erst recht nach dem Ausscheiden von Petry und Pretzell, die beide genau dafür standen, aber von Anfang an nur von Höckes Gnaden mittun konnten. Daher ist das mit der Symmetrie so eine Sache. Im Vergleich zu den Grünen ist die AfD ein "gäriger Haufen" (Gauland) von Amateuren, damit weniger berechenbar und letztlich auch gefährdeter, was das Abrutschen in die nicht mehr von der Verfassung gedeckten Extreme angeht. Man kann sich jetzt streiten, ob das schlimmer ist als ein vergleichsweise gut organisierter Haufen von letztlich eben doch Kommunisten (ich meine natürlich die SED), und es wird keinen überraschen, wenn ich das verneine, aber angesichts der Hoffnung, die wohl auch hier viele in diese Partei setzen, ist das keine gute Nachricht.
Daher teile ich die m.E. zwischen den Zeilen herauszulesende Meinung von n_s_n , dass die einzige Chance auf Symmetrie in diesem Land eine bundesweite CSU wäre.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von Werwohlf im Beitrag #2Der SPD ist das geschehen mit erstens den Grünen ...
"Es ist ihr geschehen", weil sie es zugelassen hat. Anfangs war die SPD-Strategie den Grünen gegenüber die klare Ausgrenzung. Wie das die Union sehr lange rechts gemacht hat, um jede mögliche Konkurrenz zu verhindern. Das wäre m. E. bei den Grünen auch möglich gewesen. Ohne Regierungsoption hätten sich die Machtpolitiker dort nicht gegen die Spinner durchsetzen können und die Partei wäre (wie viele andere Neugründungen) an Sektiererei zugrunde gegangen. Aber dazu hätte die SPD kurzfristig verzichten müssen, d.h. in einer großen Koalition inhaltlich und personell größere Zugeständnisse machen müssen als bei einer rot/grünen Zusammenarbeit. Zu diesem Verzicht zugunsten der langfristigen strategischen Chancen waren die Genossen nicht bereit - also konnten sich die Grünen etablieren und stabilisieren.
Zitat Bei der AfD gab es diesen Kern nicht. Die Professoren waren dazu zu abgehoben, ...
Richtig. Es war geradezu grotesk, wie Lucke versucht hat durch Austritt und Neugründung die Rechtsausleger in der AfD (die damals noch vergleichsweise schwach waren) loszuwerden und doch nur erreicht hat, diesen die Partei komplett zu überlassen.
Man vergleiche z. B. die aktuell erfolgreichen Schwedendemokraten, die wohl deutlich trüber in ihren Ursprüngen waren, bei denen aber der aktuelle Vorsitzende für eine klare Abgrenzung gesorgt hat und die Partei damit erfolgfähig machte. Ich halte es auch für wahrscheinlich, daß mittelfristig eine Regierungsbeteiligung kommen wird.
Zitat Im Vergleich zu den Grünen ist die AfD ein "gäriger Haufen" (Gauland) von Amateuren, damit weniger berechenbar und letztlich auch gefährdeter, was das Abrutschen in die nicht mehr von der Verfassung gedeckten Extreme angeht.
Richtig. Ich würde sagen: Wenn sie Opposition bleibt, ist dieses Abrutschen ziemlich sicher. Es ist aber durchaus denkbar, daß (nach Merkel) die Union die AfD doch als neue Machtoption akzeptiert. Was natürlich Wohlverhalten voraussetzt und damit die Stabilisierung fördern würde.
Zitat Ich persönlich fand die Situation mit den beiden integrierenden Volksparteien und einem liberalen Mehrheitsbeschaffer sehr viel ansprechender.
Ich auch, lieber n_s_n, da bin ich ganz Ihrer Meinung , nutzt mir aber leider deswegen nix , weil diese Sachlage a) lange her ist und b) nicht deswegen defekt wurde, weil die Parteien das nicht mehr wollen oder doof oder uneinsichtig geworden wären, vielmehr weil die Leut draußen im Lande mittlerweile anders ticken als in jener Phase, die mit dem Wohlstand-für-alle-Ding ab Mitte/Ende Fünfziger entstanden ist. In den frühen Jahren der Bundesrepublik gab es ein ähnlich aggressives Gewusel wie heute, von Volksparteien konnte noch nicht gesprochen werden. Gemütlich wurde es erst, als Italienreisen, VW-Käfer und ähnliches für Otto Normalo zugänglich wurden*, …
Zitat Die politischen Ränder zur Mitte hin, in das bürgerliche Lager zu integrieren, ihnen ein politisches Angebot zu machen.
…*denn das oben genante war das eigentliche Angebot. Die Reformerits der Sechziger und frühen Siebziger (mit Schwerpnkt auf der jungen Generartion) verbunden mit einer gewissen Experimentierfreudigkeit war im Übrigen auch nur ein typisches Wohlstandsprodukt, aber das nur nebenbei. Die Anfechtung des Volksparteimodells jedenfalls fällt zusammen mit dem allmählichen Ende der sozio-ökonomischen Gemütlichkeit ab Mitte/Ende 70er mit Grünens als erster Spaltpilz. Die Ereignisse 1989 ff. mit allem Drum und Dran waren ein weiterer Todeskuss. "Volkspartei" heißt ja im Übrigen auch nicht "von vielen gewählt werden" sondern "grundsätzlich von allen gewählt werden können", indem es sich um einen Gemischtwarenladen handelt, in welchem man die ganz individuelle Bedienung nicht erwarten kann und will.
Zitat Persönlich halte ich Symmetrie für eine sehr starke Struktur in allen Dingen und habe daher versucht, mich dem Phänomen der AfD aus diesem Aspekt heraus zu nähern.
Eine interessante Blickrichtung, aber schwierig, scheint mir, denn die Freiheit des Menschen schert sich womöglich nicht um Ordnungen aus der Mathematikerküche
Zitat Es erscheint mir derzeit nur die CSU zu sein,….
Die CSU is nu mal eine Bayernartei, kommt also für 80 % des Wahlvolkes nicht in Frage. Ohne den Bayernbezug ist die Partei erledigt. Letzteres wurde namentlich bei den Kanzlerkandidaten Strauß und Stoiber deutlich. Das norddeutsche Ergebnis hat die Tour jeweils vermasselt, (zum jeweiligen Hochgenuss für Kohl und Merkel) - bei Traumergebnissen von fast 60 % in Bayern, indes dergleichen ("50 % plus x" galten für Bayernwahlen mal als selbstverständlich) auch in Bayern nurmehr ein Traum ist.
Zitat Der Kampf der CSU, stellvertretend für die Union, um diese neue, aus politischer Symmetrie entstandene Mitte mag richtungsweisend werden.
Das Phantom der Mitte (= eine signifikante Harmoniebereitschaft in breiten Teilen der Bevölkerung in Verbindung mit einem im Wesentlichen zuversichtlichen Zukunftsblick, um mal eine unmathematische Definition vorzuschlagen) hat m.E. vorläufig ausgedient. Erfindungen vom grünen Tisch funktionieren in politicis eh nicht; aber gut, mit dem Mittebegriff kann man sich lange rumquälen; "neue" Mitten, obwohl der Begriff nicht pluralfähig ist, gibt's im Reich der Mitte nicht selten, über diese philosophisch vertrackte Sache hat sich schon Franz-Josef selig Gedanken gemacht, wobei u.a. interessant ist, dass Franz-Josef NICHT als konservativ, schon gar nicht als RECHTS eigestuft werden wollte, sondern einfach nur als MITTE ohne Adjektiv oder störende Erläuterung. Sozusagen ein Fetisch, der für sich steht.
Zitat Findet sie zurück zu integrierenden Volksparteien oder verschiebt sie sich zu einer politischen Landschaft mit starken Polen? Die erste Variante scheint mir für Deutschland ein Maßanzug zu sein, die zweite eine eher den persönlichen Präferenzen angepasste, ausgebeulte Wohlfühlkleidung.
Insofern man "Deutschland" von den Individuen her bedenkt wäre das der exakt unpassende Dresscode, es verhielte sich m.E. gradewegs umgekehrt. Maßanzüge sind uneinheitlich (= der Sinn der Veranstaltung), jedem sein eigenes Ding, entsprechen also den zunehmend beliebten Klientelparteien. Bei der ausgebeulten WOHLFÜHLkleidung kommt's auf die Passform nicht nach, Ausbeulung spielt keine Rolle. Hauptsache Wohlfühlen, was heutzutage in Anbetracht der offenbar attraktiven Immerschlimmeritis nebst internetbasierten Erregungsspiralen aber nicht mehr so angesagt ist.
Zitat von Werwohlf im Beitrag #2ist in der Ökonomischen Theorie der Politik das Phänomen natürlich längst ergründet,
Absolut richtig.
Auch ein funktionierender Markt ist ja nichts anderes, als das Ergebnis von Symmetrie aus Angebot und Nachfrage. Lediglich ist es hier nicht der Wähler, sondern der Preis, welcher sich um den Symmetriepunkt gruppiert.
Die extremistischen Anfänge der Grünen, die du richtig beschreibst, wollte ich jetzt nicht allzu sehr ausschmücken, um nicht mit dem Verdacht, es ginge mir um Aufrechnen von „Missetaten“, von meinem eigentlichen Gedanken abzulenken:
Im linken politischen Spektrum fand eine Veränderung statt, welche Parteien mit „Extremismusproblemen“ hervorbrachte. - Dabei stimme ich mit R.A. überein, dass das Verhalten der SPD die Etablierung dieser Parteien begünstigte, wenn nicht gar erst möglich machte. Zusammen mit Merkels asymmetrischer Mobilisierung führte dies dann zu einer Verschiebung der Mitte und damit zu einer Symmetrieverschiebung.
Ich glaube sogar weiter, dass diese Symmetrieverschiebung in weiten Teilen lediglich eine der Parteien, ihrer Politik und der Berichterstattung darüber, nicht aber eine des Wählerwillens war. Es fanden sich aber abseits der Geschehnisse 2015ff keine kritischen Potentiale über die die Rückstellkräfte wirken konnten.
Nun ist dieses Potenntial, samt Entwicklung da. In vielen Punkten analog zum linken Prozeß. Natürlich auch mit Unterschieden, die wohl vor allem darin begründet sind, wo die Rekrutierungsreservoire der entsprechenden Milieus liegen. Für die Zukunft der AfD, da stimme ich wieder mit R.A. überein, wird das aber möglicher Weise gar keine große Rolle spielen. Die entscheidet sich vielleicht vielmehr daran, ob sie in Regierungsbeteiligung landen wird, oder nicht. Die Macht des Faktischen ist noch immer die nachhaltigste.
Trotzdem gebe ich die Hoffnung noch nicht auf, zumindest auf der rechten Seite, zu einer Volkspartei zurück zu finden. Ich traue das einer Union nach Merkel durchaus wieder zu. Das wird nicht von heute auf morgen gehen aber mit Geduld, Schweiß und Tränen wird das möglich sein.
Über die Rolle, welche die CSU dabei spielen sollte, bin ich mir unsicher. Sollte sie bundesweit antreten oder besser die Union „von innen reformieren“? Beides hat vor und Nachteile, welche ich mir nicht zutraue geeignet abwägen zu können. Meine Stimme aber hätte sie derzeit, träte sie bundesweit an.
Eine ganz mutige und gefährliche Version wäre – frei nach dem Diktum, „being right to soon, is socially unacceptable“ – ein Koalitionsangebot der CSU an die AfD in Bayern. Da sich meiner Meinung nach die AfD mit Händen und Füßen gegen ein solches Angebot wehren wird, könnte sie vielleicht damit zerlegt werden. Oder aber sie wird domestiziert, was schlecht für die CSU aber gut für die Politik wäre. Faktisch würde aber das „being right to soon“ eine Kakophonie induzieren, welche Die CSU erlegen wird, mit katastrophalen, politischen Folgen.
Zitat von Werwohlf im Beitrag #2Daher teile ich die m.E. zwischen den Zeilen herauszulesende Meinung von n_s_n , dass die einzige Chance auf Symmetrie in diesem Land eine bundesweite CSU wäre.
Die Symmetrie wird sich so oder so einstellen. Die Frage ist nur wie. Mit starken Polen an den Rändern oder mit gemäßigten in der Mitte. Die CSU steht für mich als Hoffnung auf die zweite Variante, welche ich favorisiere.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #5In den frühen Jahren der Bundesrepublik gab es ein ähnlich aggressives Gewusel wie heute, ...
Eigentlich muß man sagen: Das ist wohl der Normalzustand. Sowohl vor dem Krieg als auch in anderen Ländern war/ist es völlig üblich, daß es ein gutes halbes Dutzend Parteien hat. Damit werden meist nicht nur diverse politische Positionen abgedeckt (die in den deutschen Volksparteien unüblicherweise kombiniert wurden), sondern das deckte sich oft auch mit sozialen Milieus. Und zwar Milieus (Arbeiter, Selbständige, Bauern, katholisch/evangelisch ...), die viel geschlossener waren als die heutigen "Filterblasen". Die hatten jeweils ihre eigenen Zeitungen als wesentliche Informationsquelle, eigene Sportvereine, eigene Sozial- und Bildungseinrichtungen - und eben auch eigene Parteien.
Zitat von Volksparteien konnte noch nicht gesprochen werden. Gemütlich wurde es erst, als Italienreisen, VW-Käfer und ähnliches für Otto Normalo zugänglich wurden
Ja, und vor allem als Fernsehen für alle zugänglich wurde. Womit dann die Blasenbildung für einige Jahrzehnte sehr stark aufgehoben wurde - die Tagesschau bildetete einen gesellschaftlich/politischen Konsens ab, den es so weder vorher noch nachher gab. Vielleicht müssen wir uns einfach nur wieder daran gewöhnen, daß die Unterschiede in einer Gesellschaft größer sind als wir das in unserer Jugend gelernt haben.
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #5In den frühen Jahren der Bundesrepublik gab es ein ähnlich aggressives Gewusel wie heute, ...
Eigentlich muß man sagen: Das ist wohl der Normalzustand. Sowohl vor dem Krieg als auch in anderen Ländern war/ist es völlig üblich, daß es ein gutes halbes Dutzend Parteien hat. Damit werden meist nicht nur diverse politische Positionen abgedeckt (die in den deutschen Volksparteien unüblicherweise kombiniert wurden), sondern das deckte sich oft auch mit sozialen Milieus. Und zwar Milieus (Arbeiter, Selbständige, Bauern, katholisch/evangelisch ...), die viel geschlossener waren als die heutigen "Filterblasen". Die hatten jeweils ihre eigenen Zeitungen als wesentliche Informationsquelle, eigene Sportvereine, eigene Sozial- und Bildungseinrichtungen - und eben auch eigene Parteien.
Ich habe die Nachkriegsjahre nicht als 'aggressives Gewusel' in Bonn in Erinnerung, aggressiv war die Studentenbewegung. Ein wesentlicher Unterschied zu heute dürfte aber sein, dass die Verwaltung noch eher unpolitisch gearbeitet hat, der ganze Apparat inklusive derer die an seinem Tropf hängen auch relativ kleiner war.
Zitat von n_s_n im BlogbeitragDie beiden Volksparteien der alten Bundesrepublik hatten im Kern, so meine ich, eine ganz wesentliche Aufgabe: Die politischen Ränder zur Mitte hin, in das bürgerliche Lager zu integrieren, ihnen ein politisches Angebot zu machen.
Und umgekehrt, lieber n_s_n. Die Volksparteien alten Zuschnitts haben auch die Mitte zu den Rändern hin integriert. Ich weiß nicht, ob sich die Schmidt-SPD durch Parteiausschlussverfahrensversuche gegen einen Sarrazin lächerlich gemacht hätte.
Zitat von R.A. im Beitrag #7Vielleicht müssen wir uns einfach nur wieder daran gewöhnen, daß die Unterschiede in einer Gesellschaft größer sind als wir das in unserer Jugend gelernt haben.
Wir sollten wirklich nicht übersehen, dass das politische Deutschland einen ziemlich klaren Linksruck hinter sich hat. Helmut Schmidt würde mit seinen Meinungen heute bei den üblichen Verdächtigen als Nazi gelten, und damit wäre er nicht der einzige Sozi. Diese politische Bewegung vermag zwar eine allein auf die Machtposition fixierte Partei mitzutragen, nicht aber viele der Wähler, die nicht in der Lage sind, ihre Einstellungen so schnell zu ändern. Ich habe mal in der JU angefangen und war später auch lange CDU-Mitglied. Im ländlichen Niedersachsen war ich da sogar eher im "linken" Flügel. Wenn ich heute CDU wählen sollte, müsste ich eine Partei wählen, die von den wenigen offensiven politischen Aussagen die meisten inzwischen versenkt oder an ihre politischen Gegner angepasst hat. Energiewende, "Euro-Rettung", Abschaffung der Wehrpflicht, Frauenquote, Mindestlohn, "Ehe für alle", Mietpreisbremse, offene Grenzen... Daran ändert sich auch nichts, wenn man mir entgegen hält, auch konservative Parteien müssten sich eben veränderten gesellschaftlichen Gegebenheiten anpassen - ja, meinetwegen, aber das ist eben der Punkt. Diese "veränderten gesellschaftlichen Gegebenheiten" scheinen ohne Beteiligung weiter Teile der Bevölkerung stattgefunden zu haben.
Auf der linken Seite dürften die "Hartz"-Gesetze Ähnliches bewirkt haben.
Und da kommt eben noch das Internet dazu. Wer früher einen ketzerischen Gedanken hatte, behielt den womöglich bei sich, weil er von seiner Umwelt darauf eine negative Reaktion erwartete. Und vielleicht dachte er auch, er verstünde etwas nicht richtig, wenn doch alle anderen etwas anderes behaupten. Wer sich heute im Netz bewegt, wird immer auf Gleichgesinnte treffen. So abstrus kann offensichtlich keine Idee sein, dass man damit allein auf der Welt ist. So kann sich aus einem anfangs vielleicht diffusen Unwohlsein eben schnell mal eine "Bewegung" entwickeln, und wenn der gemeinsame Nenner nur groß genug ist, wenn es auch noch in der Nähe lebende Gesinnungsgenossen gibt, mit denen man sich organisieren kann, hat er auch eine Chance auf Relevanz in den Wahlkabinen.
Andere radikale Stimmen leben ebenfalls vom Netz, aber letztlich auch von ihrer Resonanz in den Medien. Die ganzen Schnellempörten, die sich auf Tweets anderer oder gleich die ganze Person stürzen, sind nur ein vergleichsweise kleiner Haufen (wie ganz Twitter generell), aber sie bekommen von Freunden in den etablierten Medien Relevanz zugewiesen, die dann auch politische Wirkung entfalten kann (#aufschrei).
Also gibt es aus meiner Sicht objektive Entfremdungseffekte, die Einstellungen in Richtung politischer Ränder bewegen, aber auch eine Verstärkung dieser durch das Netz.
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Zitat von Werwohlf im Beitrag #10Wir sollten wirklich nicht übersehen, dass das politische Deutschland einen ziemlich klaren Linksruck hinter sich hat.
Eigentlich ist das auch mein Gefühl. Aber wenn ich mal als Historiker einen Schritt zurücktrete weiß ich nicht, ob das nicht normales Lebensgefühl jeder Generation ist. Unsere Großeltern mußten feststellen, daß die Weimarer Republik ein klarer Linksruck gegenüber dem Kaiserreich war. Und unsere Eltern daß die Bundesrepublik ein klarer Linksruck gegenüber der Vorkriegszeit war.
Eine Gesellschaft ändert sich einerseits beständig, und gleichzeitig schwankt sie immer wieder zyklisch zwischen mehr rechts und mehr links. Als beteiligter Zeitgenosse kann man eigentlich nicht unterscheiden, was jeweils welcher Anteil ist - das stellt sich letztlich erst einige Zeit später heraus.
Eigentlich ist der Prozeß doch so: "Rechts" will im wesentlichen, daß alles so bleibt wie es ist. "Links" erfindet alle möglichen Veränderungsideen. Ein Teil dieser Ideen werden politisch durchgesetzt (das ist erst einmal "Linksruck"). Und später wird ein Teil wieder zurückgenommen, ein anderer Teil bleibt und wird allgemeiner Konsens (das ist dann "gesellschaftliche Entwicklung"). Dazu kommen noch die vielen Änderungen, die keiner gefordert und geplant hat.
Wie bei Bastiat gibt es dabei Sachen, die man sieht - und solche, die man nicht sieht. Und man sieht, wenn irgendwo "links" etwas dauerhaft durchgesetzt hat. Man sieht aber nicht, wo "rechts" linke Vorschläge verhindert oder hinterher wieder kassiert hat. Gefühlt erlebt also jede Generationen einen Linksruck - eben weil sich die Gesellschaft verändert. Aber real sind die "Rechten" politisch wohl meist erfolgreicher.
Zitat Helmut Schmidt würde mit seinen Meinungen heute bei den üblichen Verdächtigen als Nazi gelten ...
Mal abgesehen davon, daß "Nazi" heute als inhaltsleere politische Beschimpfung gebraucht wird: Schmidt war schon zu seiner Zeit nicht wirklich links und nach heutigen Maßstäben wäre er ein knochenharter Konservativer. Wenn man weiter zurückgeht wird das noch deutlicher: Die Vorstellungen der "Linken" oder Fortschrittlichen des 19. Jahrhunderts wären zu einem guten Teil heute rechts der CSU. Man kann sie aber immer nur nach den Maßstäben ihrer eigenen Zeit messen.
Zitat Und da kommt eben noch das Internet dazu.
Richtig. Das hat die Kommunikation krass verändert und wir sind mühsam am Lernen, mit den neuen Gegebenheiten umzugehen.
Ich bin aber optimistisch, daß das mittelfristig gelingen wird. Die aktuellen Vorgänge sind m. E. ein interessanter Zwischenschritt: Die offiziellen Medien benutzen Internet-Quellen für ihre Meldungen (soweit sind sie also schon, war früher nicht denkbar) - und fallen dabei auf obskure Antifa-Seiten rein. Was vielen Internet-erfahrenen Bloggern inzwischen nicht mehr passiert. Aber auch bei den etablierten Journalisten gibt es nach meinem Eindruck immer mehr, die nicht mehr wegen irgendeines Twitter-Hypes in Aufregung verfallen. #aufschrei war noch eine Riesenwelle in den Medien, #metoo schon deutlich gedämpfter. Und daß eine Haupt-#metoo-Aktivistin jetzt selber eine Affäre an der Backe hat wird den Medien auch eine Lehre sein, künftig vorsichtiger zu agieren.
Zitat von n_s_n im BlogbeitragDie beiden Volksparteien der alten Bundesrepublik hatten im Kern, so meine ich, eine ganz wesentliche Aufgabe: Die politischen Ränder zur Mitte hin, in das bürgerliche Lager zu integrieren, ihnen ein politisches Angebot zu machen.
Und umgekehrt, lieber n_s_n. Die Volksparteien alten Zuschnitts haben auch die Mitte zu den Rändern hin integriert.
Wie geht das denn, lieber Noricus? Rätsel.
Dem Charme der Mitte zu verfallen verbirgt am Ende des Tages womöglich alles und entbirgt nichts. Das könnte beim einem oder anderem sogar die Absicht sein. Indem politische Ideen unangenehmerweise freiheitlich sind, also ein dynamisches System bilden, liegt die Mitte jedoch am Abend woanders als morgens beim Aufstehen. Ferner müsste man all die komischen Ideen, die da draußen kreuchen und fleuchen, in ein mathematisches Modell pressen, also quantifizierbar machen.
Nitt grad unbeachtlich ist auch, ob etwas zur Positionsbestimmung dient oder selbst eine Position ist; die Verteilungsverhältnisse von Ideen auf Ideenträger wären ein weiteres Ding nebst Gewichtung der Letzteren nach Bedeutung, also Macht und in Sachen Symmetrie oder Median isses halt so: Wer da die Mitte hat, hat keine Mehrheit sondern die kleinstmögliche Minderheit. Es is ja nich unbedingt so, dass in einem solchen System die Elemente die Mitte begehren um sich daselbst zu verheiraten. Wenn sie datt täten, wäre die Symmetrie im Eimer und die Mitte wech. Zur Mitte baucht's ja mindestens zwei Dinger, die sich nicht zu verheiraten wünschen, also diskret bleiben. Extremismus muss sein, wenn man Symmetrie will . Verklumpen und Zusammenpressen ist jedenfalls nicht symmetriefördernd.
Wie dem auch sei: Es handelt sich um Angelegenheiten ausschließlich der Form nach mit Quantifizierbarkeit als Voraussetzung. Die Butter bei die Fische fehlt bei der Mittelmäßigkeit allemal, insofern die nicht zu Gunsten eines volatilen Mythos' vermieden werden soll, worum es am Ende des Tages aber vermutlich geht: Unter Harmoniesoße möge jedwede Individualität begraben werden soll, unerachtet der Position, insofern also die Mitte als Schwindel oder, etwas netter ausgedrückt, als Redensart für die Verkaufe.
Zitat von Noricus im Beitrag #9 Ich weiß nicht, ob sich die Schmidt-SPD durch Parteiausschlussverfahrensversuche gegen einen Sarrazin lächerlich gemacht hätte.
Mach sein, aber Schmidt is halt tot. Unerachtet dessen sind die Parteiausschlüsse nebst Wiedereinschlüsse der SPD (da kann man zum Beispiel auch an die USPD denken) ein interessantes Ding und spiegeln den jeweiligen Zeitgeist wider. Im Kanzlerwahlverein gibt's das weniger, weil da Programmatik eh nur 'ne Nebensache ist, was nicht unbedingt schlecht sein muss. Aus konservativer Sicht mag der Zeitgeist ja was Böses sein, weil er nicht stehen bleibt, aber das macht er nu mal nich, so ist das Leben .
Zitat von Werwohlf im Beitrag #10Wir sollten wirklich nicht übersehen, dass das politische Deutschland einen ziemlich klaren Linksruck hinter sich hat.
Eigentlich ist das auch mein Gefühl. Aber wenn ich mal als Historiker einen Schritt zurücktrete weiß ich nicht, ob das nicht normales Lebensgefühl jeder Generation ist.
Sie haben Ihren Satz zwar nicht so gemeint. Aber vielleicht kann man sogar wirklich die Lebensentwicklung der einzelnen Person nehmen:
Tpischerweise werden Menschen im Laufe ihres Lebens konservativer. ("Wer als junger Mann nicht links ist, hat kein Herz. Und wer als alter Mann immer noch links ist, hat keinen Verstand").*
Dadurch, dass der einzelnen konkrete Mensch im Laufe seines Lebens tendenziell konservativer wird, nimmt er die ihn umgebende Gesellschaft als zunehmend progressiver war (gegenüber dem von ihm selbst als optimal empfundenen Optimum).
Womöglich erklärt dies zumindest zum Teil einen empfundenen Linksruck. Auch ich würde "objektiv" vermuten, dass wir einen Linksruck erleben.
Aber vielleicht stimmt das gar nicht? In den 80er Jahren unter Kohl hatten Gewerkschaften eher mehr Einfluss als heutzutage. Es gab rigideren Kündigungsschutz. Gewisse Moralvorstellungen waren eher lockerer (für manche Dinge, die man damals straflos mit Kindern gemacht, würde man heutzutage ins Gefängnis kommen).
* Ein junger Mensch wächst auf in einer Gesellschaft mit bestimmten Regeln. Typischerweise ist ein junger Mensch etwas rebellisch. Er will etwas verändern. Aber merkt, dass er da bei den älteren auf Widerstand stößt. Jede Entwicklung geht ihm viel zu langsam. Aus seiner Sicht wächst er in einer konservativen Gesellschaft auf, die ihm Steine in den Weg legt.
Der junge Mensch wird nun älter. Irgendwann arrangiert er sich mit den Gegebenheiten und lernt damit zu leben. Nun sind gesellschaftliche Veränderungen für ihn zunehmend störend. Er denkt etwas nostalgisch zurück an früher, als alles besser war.
Zitat von Florian im Beitrag #13Sie haben Ihren Satz zwar nicht so gemeint. Aber vielleicht kann man sogar wirklich die Lebensentwicklung der einzelnen Person nehmen
Stimmt schon, darauf wollte ich nicht konkret abheben. Aber natürlich gehört das zusammen. Wie man sich selber entwickelt, so entwickelt sich auch, wie man die Umwelt sieht.
Zitat Auch ich würde "objektiv" vermuten, dass wir einen Linksruck erleben.
Mein Gefühl ist (aber es fehlt natürich der historische Abstand), daß wir in den 70ern nach links gerückt sind (68er Folgen und sozialliberale Koalition), in den 80ern schlug das um in den "Rechtsruck" der 90er (Reagan-Thatcher, in Deutschland Wirtschaftsliberalisierungen), dann wieder der Linksruck (mit Gender und PC). Und der Umschwung nach rechts scheint schon wieder im Gange zu sein (siehe "Mehltau"-Diskussion).
Und typisch ist natürlich, daß die Entwicklungen in verschiedenen Bereichen unterschiedlich sind, man aber oft selektiv Entwicklungen nur in einer Richtung wahrnimmt. Sie haben da gute Beispiele gebracht - Gewerkschaftseinfluß, Arbeitsrecht, Moralvorstellungen - das ging nicht alles in ein und dieselbe politische Richtung.
Zitat Der junge Mensch wird nun älter. Irgendwann arrangiert er sich mit den Gegebenheiten und lernt damit zu leben.
Ja, wobei das "arrangiert sich" gemischt ist aus "sieht ein, daß die Gegebenheit doch sinnvoll ist" und "sieht ein, daß man da nichts machen kann". Dann kommt natürlich noch dazu, daß der junge Mensch (bzw. seine Generation) es ja durchaus geschafft haben, diverse Gegebenheiten zu ändern. Und wenn dann der Zeitgeist (bzw. die nächste Generation) anfängt, ausgerechnet diese "Errungendschaften" in Frage zu stellen, dann wird der ehemals junge Mensch besonders leicht beleidigt und geht in den Verteidigungsmodus. Nicht nur, daß die neuen gesellschaftlichen Veränderungen ihn stören (weil: Inzwischen war doch eigentlich alles fast in seinem Sinne), sondern diese Veränderungen gefährden sein Lebenswerk.
Derzeit haben wir vielleicht einen interessanten Übergang: Die derzeit in Politik und Medien dominante Generation ist dabei, ihr Linksruck-Lebenswerk zu vollenden. Und reagiert allergisch darauf, daß die Generation davor (und danach!) das verhindern will.
Nun, da wird sich ab Frühjahr 2019 einiges ändern. Dann fällt die Entscheidung und wird zunächst mit Vertretern von EU-Parlament, EU-Kommission und Rat der Europäischen Union verhandelt werden. Ob wir dann weiterhin uneingeschränkte Infos bis hin zu globalen Nachrichten erhalten können, da sei möglicherweise der Up-Load-Filter vor:
Zitat Willkommen im europäischen Filternet Immer mehr Filter und Lizenzvereinbarungen werden die vertraute Nutzung des Internets erschweren. Wer als Anbieter die europäischen Auflagen nicht erfüllt, könnte künftig die Nutzer hierzulande aussperren. Es droht ein rein europäisches Internet. https://www.golem.de/news/netzpolitik-wi...809-136538.html
Zitat Das Internet, so wie wir es jetzt kennen, wird es so vermutlich bald nicht mehr geben. Trotz Protestaktionen, Gegenstimmen von IT-Koryphäen, Netzaktivisten und fast einer Million Unterschriften besorgter Bürger, hatte die Mehrheit im EU-Parlament am Mittwoch nun doch für Uploadfilter und ein Leistungsrecht gestimmt.
Dies bedeutet konkret: Sämtliche Inhalte, die auf Plattformen hochgeladen werden, müssen vorher auf Urheberrechtsverletzungen geprüft werden. Google und Co. dürfen zudem keine Titel und Anreißertexte mehr von Medien kostenlos anzeigen. Die Folge wird sein, dass Zusammenschnitte und kleinste Textausschnitte von Medien nicht mehr hochgeladen werden dürfen. https://www.watergate.tv/verschaerfung-d...ur-zerschlagen/
Zitat Zusätzlich wurde auch der Artikel 11, die sogenannte „Linksteuer“, verabschiedet. Hier sollen große Verteiler (wie Google-News) keine Text-Schnipsel mehr gratis anzeigen dürfen. Einzelne Wörter seien nicht betroffen. So müsste Google oder die Seiten-Hosts Steuern zahlen, wenn sie mehr als nur den Link eines Beitrages anzeigen lassen wollen. https://www.gamondo.de/artikel-13-im-eu-...-verabschiedet/
Zitat Abstimmung des Voss-Berichts zum Urheberrecht
und was machen diejenigen, die "Digital first" sein wollten und auf digitalen Ausbau und Zukunft im Wahlprogramm gepocht haben, die sind mit einer von 3 Stimmen im EU-Parlament dafür, mit einer Stimme dagegen und mit einer Stimme wird sich enthalten. Zumindest was diese Abstimmung angeht, setze ich eigentlich voraus, daß man dazu eine Meinung vertreten muß. Aber unter Enthaltung verbucht, entgegen dem "Digital first" als Interessensschwerpunkt ist einfach lauwarm duschen.
Bezeichnend auch diese Aussage auf Twitter der Fraktionsvorsitzenden der Grünen LTBB, welche Möglichkeiten sich zukünftig bieten:
Zitat Ursula Nonnemacher @UNonnemacher Antwort an @MTaege
Kapierst du gar nichts? Es geht nicht mehr um uploadfilter, sondern um die Verteidigung der Demokratie gegen rechts 16:09 - 12. Sep. 2018
Und typisch ist natürlich, daß die Entwicklungen in verschiedenen Bereichen unterschiedlich sind, man aber oft selektiv Entwicklungen nur in einer Richtung wahrnimmt. Sie haben da gute Beispiele gebracht - Gewerkschaftseinfluß, Arbeitsrecht, Moralvorstellungen - das ging nicht alles in ein und dieselbe politische Richtung.
Ja klar, in den 50ern beispielsweise waren die Gewerkschaften sehr wichtig und hatten was zu sagen, weswegen z.B. Adenauer locker die Montanmitbestimmung zugestand (würde heut unter extrem links einsortiert werden). Hans Böckler, mit dem er das ausbaldowert hat (noch heute ein bekannter Name), konnte er unmöglich ignorieren. Aber wer hat schon mal was von einem gewissen Reiner Hoffmann gehört? Gleichzeitig waren Bischöfe und der Herr Pfarrer hoch beachtlich, diese Herrschaften wiederum womöglich intern links/rechts gehälftet mit christlichem Sozialismus einerseits und streng gegen Ehebruch, Scheidung und sonstige Schweinereien andererseits.
Das leidige Linksrechtsding hängt also nicht nur an der Position des Betrachters, sondern is auch noch issue-mäßig unterschiedlich hier so und da so, also anners, ausgerichtet und wandelt sich ferner mit dem Zeitgeist. Gar nitt so einfach, das alles auseinanderzuklabüstern.
Unerachtet dessen ist, wie im Thread hier schon trefflich beschrieben, die Jung/alt-Frage auf jeden Fall auch erheblich. Von wesentlicher Bedeutung scheint mir ferner, wie viele aus derselben Alterskohorte neben einem noch so rumlaufen. Im berühmt-berüchtigten Jahr '68 war das damalige "Wir" insgesamt noch 10 Jahre jünger als heutzutage, mit einem Altersmedian von ca. 32 statt ca. 42 wie aktuell.
Notabene eine Riesenzahl indem der junge Anteil massiv fetter war und in diesem Zusammenhang deswegen nicht ohne Auswirkung, weil das Mitläufertum und das-Sich-anstecken-lassen - entgegen allem aufklärerischen Gerede - politisch immer der dominante Faktor ist. Die reformfreudigen, weil jungen Avantgardisten seinerzeit hatten viele Altersgenossen, die sich anstecken ließen, was wiederum das Phänomen der kritischen Masse (à la Kernphysik) bewirkte. Kann heut bei den Jungs und Mädels nicht mehr passieren: Die sind zu wenig - hierzulande; die Rentner haben das Sagen, unter denen wiederum nicht wenige 68er ; weltweit schaut's deutlich anders aus, was wiederum anderweitige Bedeutungen bewirkt.
Es kommt im Übrigen IMHO auf den zuversichtlichen versus angstvollen Blick in die Zukunft an und weniger auf den Istzustand, obwohl sich regelmäßig herausstellt, dass wir - obwohl selbst ernannt mit dem schmeichelhaften Gattungsnamen SAPIENS geschmückt - für das Zukunftsdenken schlicht zu doof sind, man das also besser sein ließe. Sieht man auch daran, dass die Reformeritis bis in die frühen 70er glaubte, man könne bis in alle Ewigkeit einfach so aus dem Vollen schöpfen. Dass das Nachkriegswirtschaftwunder ab ca. Mitte/Ende 70er gekräscht ist, hatte keiner auf der Rechnung so wie das Ding seinerseits Ende der 40er auch nicht.
Zitat von Florian im Beitrag #13Dadurch, dass der einzelnen konkrete Mensch im Laufe seines Lebens tendenziell konservativer wird, nimmt er die ihn umgebende Gesellschaft als zunehmend progressiver war (gegenüber dem von ihm selbst als optimal empfundenen Optimum).
Womöglich erklärt dies zumindest zum Teil einen empfundenen Linksruck. Auch ich würde "objektiv" vermuten, dass wir einen Linksruck erleben.
Aber vielleicht stimmt das gar nicht? In den 80er Jahren unter Kohl hatten Gewerkschaften eher mehr Einfluss als heutzutage. Es gab rigideren Kündigungsschutz. Gewisse Moralvorstellungen waren eher lockerer (für manche Dinge, die man damals straflos mit Kindern gemacht, würde man heutzutage ins Gefängnis kommen).
Ich hatte ja auch konkrete Beispiele genannt, die nichts mit "Empfinden" zu tun haben. Dass ich selbst heute vielleicht "rechter" bin als früher, wirkt sich höchstens darauf aus, wie ich diese Veränderungen bewerte, aber dass sie stattgefunden haben, dürfte recht deutlich sein. Es stimmt allerdings, dass es um die Jahrtausendwende herum (ich rede nach wie vor nur von Deutschland) eine "neoliberale" Gegenbewegung gab. Das war die Zeit der "New Economy", wo Kapitalismus plötzlich chic wurde, weil angeblich jeder risikolos reich werden konnte, wenn er nur wollte. Es stimmt auch, dass wirtschaftlich gesehen der tatsächliche Einfluss Linker nach wie vor vergleichsweise gering ist und sich nur noch auf die "Diskursherrschaft" erstreckt - da ist viel zusammen gekommen, angefangen vom Zusammenbruch sozialistischer Illusionen über die Abhängigkeit der Staaten von "den Finanzmärkten" bis zur weitgehenden Bewegungsfreiheit des Kapitals im Zuge der Globalisierung. Auch wenn ich der Meinung bin, dass die heutige Scheinliberalität da zu einem guten Teil "Crony Capitalism" ist (manchmal sichtbar darin, wie sich die Kaesers, Höttgeses und Merkels die Bälle gegenseitig zuspielen, von der Automobilindustrie ganz zu schweigen), so kann man rein ökonomisch von einem Linksruck nicht sprechen.
Auch beim Unsinn der Energiewende bekommen die betroffenen Konzerne, die auch mit der Politik eng verbandelt sind, ihre Goodies zugeworfen, so dass am Ende nur die getroffen werden, die man nach Bastiat nicht sehen kann. Der Zustrom billiger Arbeitskräfte war ebenfalls nach dem Geschmack der Bosse (der "Fachkräftemangel" ist ja vor allem ein Mangel an billigen, jungen Fachkräften), nur scheinen sie auch einigen Illusionen aufgesessen zu sein, was die mitgebrachten Qualifikationen betrifft. Und dass alle anderen Deutschen die Importnachfrage südeuropäischer Staaten finanzieren, dürfte ebenfalls den Interessen der (ja weiterhin ausschließlichen) Herren nicht völlig widersprechen. Allerdings ist die Rechtfertigung all dieser politischen Manöver eindeutig links angesiedelt, und es kann anscheinend gar nicht weit genug in diese Richtung gehen, gemessen daran, wie auch nur der kleinste Hauch an Kritik daran gleich unter medialen Dauerbeschuss gerät.
Ähnlich beim neuen Puritanismus, der nicht mehr als Unterdrückung der Frau daherkommt, sondern als ihre Befreiung... Eigentlich passt das zur Diagnose: Es kommt heute gar nicht mehr darauf an, welche Ergebnisse mit einer bestimmten Politik erzeugt werden, sondern nur noch darauf, dass diese Politik wegen ihrer hehren Absichten die Weihen einer höheren Moral genießt. Wer nur auf die Ergebnisse schaut, könnte also durchaus auf die Idee kommen, die herrschende Ideologie sei "pro business", und ansonsten betrachte man das sicher alles andere als linke Mittelalter als neue moralische Referenz.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
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