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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Noricus Offline



Beiträge: 2.362

10.03.2019 18:12
Aus der Schwalbenperspektive (20): Schlechter Stil oder eine Entscheidung mit dem Rücken zur Wand? Antworten

Boateng, Hummels und Müller sind also nicht mehr Nationalspieler. Jogi Löws diesbezügliche Entscheidung hat in der vergangenen Woche erhebliche publizistische Wellen geschlagen. Eine mögliche Motivation für diesen verbreitet als stillos kritisierten Schritt kommt mir in der bisherigen Diskussion zu kurz.

Werwohlf Offline




Beiträge: 997

10.03.2019 19:19
#2 RE: Aus der Schwalbenperspektive (20): Schlechter Stil oder eine Entscheidung mit dem Rücken zur Wand? Antworten

Ich stimme der sehr ausführlichen und stimmigen Analyse nahezu vollumfänglich zu, bis auf das Folgende:
1. Es ist nicht anzunehmen, dass Löw zu dem Schritt gedrängt wurde. Von wem denn in diesem offensichtlich entscheidungsschwachen und mutlosen DFB?
2. Die Argumentation, dass solch ein Schnitt für einen Neuanfang erforderlich war, würde m.E. für sich gesehen auch dann halten, wenn die "alten Hasen" plötzlich durch starke Leistungen glänzten und die "Jungen" von einer Niederlage zur anderen taumelten. Es geht letztlich auch um so etwas wie eine Hierarchie in der Mannschaft, was der älteste aller alten Hasen, Friedhelm Funkel, neulich als "das Wichtigste überhaupt" bezeichnete. Wenn da noch die alten Recken herumgeistern, selbst auf der Ersatzbank, könnte das auf das ganze Gebilde negativ wirken. Wie im Beitrag ja auch selbst betont, ist es nicht so sehr die Entscheidung an sich, die Löw angreifbar macht, als vielmehr die Art und Weise, wie sie kommuniziert wurde. Das anstehende Länderspiel scheint für den Bundestrainer völlig überraschend auf dem Kalender gestanden zu haben, so dass keine ausführlichen Einzelgespräche mehr zu organisieren waren.

Machen wir uns aber nichts vor: Egal wie samten die Nachricht überbracht worden wäre - sie hätte Kritik ausgelöst. Schon allein aus dem Grund, weil es sich um Spieler des FC Bayern handelt, und der ist bekanntlich die Prinzessin auf der Erbse in der Bundesliga. Die oberste Instanz der Liga, wenn nicht gar Deutschlands, in Moralfragen, Uli Hoeneß, lässt ja schon durchstechen, dass er sich nach dem Länderspiel Löw zur Brust nehmen werde. Was erlaube Bundestrainer? Ich wage mal zu behaupten, dass in ähnlichen Fällen ein Werner Gegenbauer nicht so handeln würde. Kennt hier keiner? Eben.

--
Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau,
verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau.
(Reinhard Mey)

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

11.03.2019 10:03
#3 RE: Aus der Schwalbenperspektive (20): Schlechter Stil oder eine Entscheidung mit dem Rücken zur Wand? Antworten

Zitat von Werwohlf im Beitrag #2
1. Es ist nicht anzunehmen, dass Löw zu dem Schritt gedrängt wurde. Von wem denn in diesem offensichtlich entscheidungsschwachen und mutlosen DFB?

Man kann gedrängt sein, ohne daß jemand konkretes drängt. Gerade ein schwaches und desorientiertes Gremium kann überstürzt und krass entscheiden - die Furcht davor kann einen Trainer sehr drängen.

Zitat
Die Argumentation, dass solch ein Schnitt für einen Neuanfang erforderlich war, würde m.E. für sich gesehen auch dann halten, wenn die "alten Hasen" plötzlich durch starke Leistungen glänzten und die "Jungen" von einer Niederlage zur anderen taumelten.


Richtig. Aber gemeint war wohl, daß bei so einem Szenario der öffentliche Druck auf den Trainer stark wachsen würde - auch wenn die Maßnahme vielleicht richtig war.

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

12.03.2019 20:57
#4 RE: Aus der Schwalbenperspektive (20): Schlechter Stil oder eine Entscheidung mit dem Rücken zur Wand? Antworten

Zitat von Werwohlf im Beitrag #2
1. Es ist nicht anzunehmen, dass Löw zu dem Schritt gedrängt wurde.


Das habe ich auch nicht geschrieben, vielmehr ist im Artikel von einem "gefühlten oder ihm gegenüber geäußerten verbandsinternen Druck" die Rede. Ich glaube auch nicht, dass ein DFB-Funktionär den Bundestrainer höflich, aber bestimmt dazu aufgefordert hat, die Herren Boateng, Hummels und Müller subito aus der Mannschaft zu entfernen.

Aber es ist doch evident, dass Löw seit dem Sommer 2018 Chefcoach auf Bewährung ist. Allzu viele Misserfolge kann er sich nicht mehr leisten, ohne dass in der Öffentlichkeit der Ruf nach einer Neubesetzung des Bundestrainerpostens dröhnend laut würde. Dies schafft schon mal einen gefühlten Druck. Und ich könnte mir durchaus vorstellen, dass ihm nahegelegt wurde, zum Beweis für seine Aufbruchswilligkeit jetzt endlich mal ein starkes Zeichen zu setzen.

Zitat von Werwohlf im Beitrag #2
Von wem denn in diesem offensichtlich entscheidungsschwachen und mutlosen DFB?


Meine Antwort auf diese Frage ist natürlich rein spekulativ, aber ich möchte zu bedenken geben, dass z.B. Oliver Bierhoff seit dem Sommer 2018 ebenfalls angezählt ist, dies z.T. wegen behaupteter Fehler in Angelegenheiten, die tatsächlich in seine Kompetenz fallen (die mangelnde Nahbarkeit der Nationalmannschaft, die Wahl des Quartiers bei der WM 2018), aber auch wegen unglücklichen Gebarens in Diskursen, die meines Erachtens eigentlich der Bundestrainer hätte bestreiten müssen (Özil-Erdogan-Debatte oder besser gesagt: die Frage, ob man Özil lieber nicht nach Russland mitgenommen hätte). Löw konnte sich auch ein bisschen aus der Situation herausnehmen (habe ich das wirklich geschrieben?), weil Bierhoff der veröffentlichten Meinung Rede und Antwort stand. Ich würde sagen, dass Bierhoff bei Löw etwas guthat, und wenn ich mir so anschaue, worauf die nicht mehr ins operative Geschäft involvierten Entscheidungsträger gemeiniglich abfahren, sind das Weichenstellungen, welche Entschlossenheit, vulgo: klare Kante, zum Ausdruck bringen.


Zitat von Werwohlf im Beitrag #2
2. Die Argumentation, dass solch ein Schnitt für einen Neuanfang erforderlich war, würde m.E. für sich gesehen auch dann halten, wenn die "alten Hasen" plötzlich durch starke Leistungen glänzten und die "Jungen" von einer Niederlage zur anderen taumelten. Es geht letztlich auch um so etwas wie eine Hierarchie in der Mannschaft, was der älteste aller alten Hasen, Friedhelm Funkel, neulich als "das Wichtigste überhaupt" bezeichnete. Wenn da noch die alten Recken herumgeistern, selbst auf der Ersatzbank, könnte das auf das ganze Gebilde negativ wirken.


Diese Meinung teile ich weitgehend, mit der folgenden Einschränkung: Die Akzeptanz geänderter Hierarchien fällt nicht vom Himmel. Sie wird durch positive Erlebnisse mit der neuen Hierarchie oder negative Erlebnisse mit der alten Hierarchie erheblich erleichtert. In concreto: Unmittelbar nach dem Sieg beim Confed-Cup oder unmittelbar nach der Blamage bei der WM 2018 hätte man sich mit der Demontage von Fußball-Idolen leichter getan als zum jetzigen Zeitpunkt.

Und Kollege R.A. hat natürlich auch Recht, dass gute Leistungen der Geschassten und schlechte Darbietungen der Neuen den Bundestrainer erheblich unter Druck setzen würden, weil Deine Einsicht, dass man eine solche Durststrecke zugunsten der überfälligen Neuaufstellung der Nationalmannschaft in Kauf nehmen muss, von der erfolgsgierigen veröffentlichten Meinung nicht geteilt wird.

Zitat von Werwohlf im Beitrag #2
Wie im Beitrag ja auch selbst betont, ist es nicht so sehr die Entscheidung an sich, die Löw angreifbar macht, als vielmehr die Art und Weise, wie sie kommuniziert wurde. Das anstehende Länderspiel scheint für den Bundestrainer völlig überraschend auf dem Kalender gestanden zu haben, so dass keine ausführlichen Einzelgespräche mehr zu organisieren waren.


Mich irritiert an der Form vor allem, dass die Medien mehr oder weniger zeitgleich mit der Verständigung der Spieler informiert wurden. Das hat so etwas von "Bevor du es gleich aus dem Internet erfährst, ..."

Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf den Kontrast zwischen der "suggerierte[n] Endgültigkeit" (T. Müller, das hat er so schön wie schief formuliert) dieser Karriere-Beendigungen und der meines Erachtens eher dem authentischen Löw-Stil entsprechenden Unverbindlichkeit in der Torwart-Frage hinweisen: Neuer sei zwar die Nummer eins, aber ter Stegen solle seine Chance bekommen. Da ist nichts endgültig, nicht einmal suggeriert.

Zitat von Werwohlf im Beitrag #2
Machen wir uns aber nichts vor: Egal wie samten die Nachricht überbracht worden wäre - sie hätte Kritik ausgelöst. Schon allein aus dem Grund, weil es sich um Spieler des FC Bayern handelt, und der ist bekanntlich die Prinzessin auf der Erbse in der Bundesliga. Die oberste Instanz der Liga, wenn nicht gar Deutschlands, in Moralfragen, Uli Hoeneß, lässt ja schon durchstechen, dass er sich nach dem Länderspiel Löw zur Brust nehmen werde. Was erlaube Bundestrainer? Ich wage mal zu behaupten, dass in ähnlichen Fällen ein Werner Gegenbauer nicht so handeln würde. Kennt hier keiner? Eben.


Es gibt auch nur wenige deutsche Fußball-Vereine, die in die Verlegenheit kommen können, dass drei ihrer Arbeitnehmer zugleich aus der deutschen Nationalmannschaft entfernt werden. Und Boateng, Hummels und Müller sind ja nicht irgendwer, sondern absolute Publikumslieblinge und langjährige Stammspieler der Bundesauswahl. Ich möchte mir nicht vorstellen, welches Geschrei in der veröffentlichten Meinung geherrscht hätte, wenn Marco Reus (der sogar einige Monate älter als Müller ist, aber verletzungsbedingt nicht annähernd dessen Verdienste in der Nationalmannschaft für sich beanspruchen kann) auf diese Art und Weise des Kaders verwiesen worden wäre.

Und wenn ich es recht sehe, wurde von den Funktionären des FC Bayern bisher vor allem bemängelt, dass die Freisetzung ihrer drei Arbeitnehmer zur Unzeit, nämlich in einer entscheidenden Saisonphase (Bundesliga und Champions League), gekommen ist. Seit dem selbstbewusstseinfördernden, wenn auch mangels erkennbarer Gegenwehr nicht wirklich aussagekräftigen Sieg über Wolfsburg dürfte sich diese Kritik erheblich abgemildert haben.

Werwohlf Offline




Beiträge: 997

21.03.2019 20:51
#5 RE: Aus der Schwalbenperspektive (20): Schlechter Stil oder eine Entscheidung mit dem Rücken zur Wand? Antworten

Zu deinen Spekulationen, wer da vielleicht wie antrieb, kann ich natürlich auch nicht mehr sagen als "möglich, glaube ich aber nicht".

Zitat von Noricus im Beitrag #4
Unmittelbar nach dem Sieg beim Confed-Cup oder unmittelbar nach der Blamage bei der WM 2018 hätte man sich mit der Demontage von Fußball-Idolen leichter getan als zum jetzigen Zeitpunkt.
Das ist definitiv so. Auch wenn mein erster Kommentar hier mich vielleicht als Löw-Fan hat erscheinen lassen: Dass Löw dies nicht tat, reicht für mich aus, uns einen anderen Bundestrainer zu wünschen.
Zitat von Noricus im Beitrag #4
Und Kollege R.A. hat natürlich auch Recht, dass gute Leistungen der Geschassten und schlechte Darbietungen der Neuen den Bundestrainer erheblich unter Druck setzen würden, weil Deine Einsicht, dass man eine solche Durststrecke zugunsten der überfälligen Neuaufstellung der Nationalmannschaft in Kauf nehmen muss, von der erfolgsgierigen veröffentlichten Meinung nicht geteilt wird.
Stimmt zwar, aber seit wann lassen wir hier gelten, was die veröffentlichte Meinung sagt?
Zitat von Noricus im Beitrag #4
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf den Kontrast zwischen der "suggerierte[n] Endgültigkeit" (T. Müller, das hat er so schön wie schief formuliert) dieser Karriere-Beendigungen und der meines Erachtens eher dem authentischen Löw-Stil entsprechenden Unverbindlichkeit in der Torwart-Frage hinweisen: Neuer sei zwar die Nummer eins, aber ter Stegen solle seine Chance bekommen. Da ist nichts endgültig, nicht einmal suggeriert.
Yep. Der Wille zum Neuanfang ist wenig glaubwürdig, so lange Neuer anders behandelt wird. Von den Leistungen her gehört ter Stegen in den Kasten, und Neuer sollte sich fragen, ob er vielleicht der neue Podolski ist. Ich fürchte, diese Inkonsequenz hat auch Folgen innerhalb der Mannschaft. Denn es gibt wenig, was sich in einem Team schlimmer auswirkt als inkonsequentes aka willkürliches Führungsverhalten. Das ist eine Beobachtung, die Management (meine Erfahrung), Lehrer (Erfahrung meiner Liebsten) und Trainer (unser aller "Erfahrung") gleichermaßen betrifft.
Zitat von Noricus im Beitrag #4
Es gibt auch nur wenige deutsche Fußball-Vereine, die in die Verlegenheit kommen können, dass drei ihrer Arbeitnehmer zugleich aus der deutschen Nationalmannschaft entfernt werden.
Das stimmt zwar, interessanterweise bleibt der Aufruhr aber aus, wenn bei diesem Verein selbst diese Spieler zwar auf andere, nichtsdestotrotz nicht weniger kalte Art und Weise abserviert werden (Aufstellung, Neuverpflichtungen...). Reus hingegen ist, wie das Spiel gegen Serbien wieder gezeigt hat, in seiner Lebens-Formkurve auf einem ganz anderen Ast...

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(Reinhard Mey)

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