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Dieses Thema hat 3 Antworten
und wurde 774 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Ulrich Elkmann Online




Beiträge: 13.558

07.11.2019 23:53
"221b" Antworten



"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

08.11.2019 09:58
#2 RE: "221b" Antworten

Zitat
And it is always eighteen ninety-five.


Außer in der genialen Neuinterpretation mit Benedict Cumberbatch.
Ich war da anfangs sehr skeptisch, weil so etwas meistens schief geht - aber mein Sohn hat mich überzeugt das doch mal anzuschauen und die "Sherlock"-Reihe ist sehr beeindruckend gemacht. Einerseits sehr modern, und dann doch ganz im Geist des Originals.

Zitat
Seine gut drei Dutzend eigenen Werke, ... dürften nur noch spezialisierten Literaturliebhabern auch nur dem Titel nach geläufig sein.


Ist da etwas Empfehlenswertes dabei?

Zitat
"How often have I said to you that when you have eliminated the impossible, whatever remains, however improbable, must be the truth?"


Eine wunderbare Maxime, die in der Praxis aber immer unmöglich ist - weil man fast nie abschließend sagen kann, welche unwahrscheinlichen Optionen noch möglich sind.
Das wohl wichtigste Beispiel für die Fehlanwendung des Sherlock-Holmes-Prinzips ist die ursprüngliche Behauptung des IPCC, man könne alle anderen Ursachen für die gemessenen Temperaturveränderungen ausschließen und damit wären die Treibhausgase als wesentlicher Faktor nachgewiesen.

Zitat
Es erklärt weiterhin, warum mindestens ein Drittel der uns vorliegenden Fälle keine "klassischen" Detektivgeschichten sind


Die Erklärung (über Watsons Anonymisierungsversuche) kann ich nicht nachvollziehen. Aber daß tatsächlich die Sherlock-Holmes-Geschichten oft keine Krimis im modernen Verständnis sind, das fand ich schon immer bemerkenswert.
Das Genre ist halt erst später (wohl vor allem durch den Detection Club) normiert worden.

Ulrich Elkmann Online




Beiträge: 13.558

10.11.2019 00:05
#3 RE: "221b" Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #2
Ist da etwas Empfehlenswertes dabei?


Die Antwort muß auf zwei verschiedenen Ebenen erfolgen. (Ausgefaltet würde das zwei Blogbeiträge ergeben; vielleicht entfalte ich es noch mal).

Zum einen steht vor der Lektüre die Notwendigkeit, solcher Textkorpora habhaft zu werden. Starrett ist nie übersetzt worden (vom "Privatleben des Sherlock Holmes" gibt es zwei Übertragungen ins Japanische, die aber so verschütt sind wie der Rest des Oeuvres); er war zudem immer ein Geheimtipp, mit entsprechend niedrigen Auflagen. Das hat zur Folge, daß er auf dem deutschsprachigen antiquarischen Markt praktisch nicht greifbar ist. ZVAB, das Zentrale Verzeichnis Antiquarischer Bücher, der Netzaggregator für Antiquarisches, listet aktuell ganze 5 Einträge, darunter eine Ausgabe von George Gissings "Brownie", bei der er nur als Herausgeber und Bevorworter figuriert. (Allerdings gibt das einen Eindruck von den Preisen auf dem Markt, wenn es nicht um Angesagtes geht: 35.- für einen Titel mit einer Auflagenhöhe von 500 Exemplaren von 1931 kann man zivil nennen.) Auf dem amerikanischen Markt sieht das besser aus; allerdings zahlt man dann ein Heidengeld für's Porto.

Das zweite ist die Wirkung, die Lesbarkeit der Texte, aus einer Distanz von plusminus 70 Jahren. Starrett hat 5 Romane geschrieben; 4 davon Krimis klassischen Zuschnitts; die sind nicht schlecht, aber eben auch nichts Herausragendes; es gibt dergleichen zu Hunderten. Am interessantesten aus dieser Schiene ist (hier kommt mein Fiable ins Spiel) The Laughing Buddha von 1937, 1946 unter dem Titel Murder in Peking wiederaufgelegt, der im Milieu der westlichen Expats Mitte der 1930er spielt. VS kannte das, weil er sich 1935, nachdem die Filmrechte an The Great Hotel Murder an Hollywood gegangen waren ("a perfectly ghastly film starring Edmund Lowe" - so Peter Ruber in The Last Bookman, 1968, dem einzigen Titel, der an so was sie eine "Biographie" herankommt) eine Weltreise gegönnt hat & in Shanghai & Peking hängengeblieben ist - jedenfalls bis es Ende 1937 ungemütlich wurde. (Peter French nennt seinen Namen in seinem letzten Buch Destination Shanghai (2019) über diese Szene nicht; obwohl er ein Kapitel über Walter Oland's China-Tournee 1936 hat, also den - schwedischen - Darsteller Charlie Chans, der während der paar Wochen in Shanghai oft bei VS aufschlug). Starrett hat sich mit Hilfe chinesischer Bekannter so weit es ging über die chinesische Detektivliteratur* informiert und den allerersten (westlichen) Aufsatz zum Thema verfaßt ("Some Chinese Detective Stories", 1942 in Bookman's Holiday, S. 1-17 wiederabgedruckt); daran hat dann Robert van Gulik mit seiner Übertragung des 狄公案, des Di Gong An und den entsprechenden Erläuterungen, angeknüpft (* 公案小说/Gōng'àn xiǎoshuō; wobei 小说 "kleine Erzählung" auf die mindere Wertschätzung als triviale Volksliteratur, nicht auf das Format zielt & 公案 wörtlich "öffentliche Vorfälle" bedeutet).

Bezeichnenderweise bezieht sich VS allein auf die populären Erzählungen über Richter Di & Richter Bao e tutti quanti, NICHT aber auf die Erzählungen um 霍桑, Huo Sang, die 程小青, Cheng Xiaoqing (1893-1976) genau zu jener Zeit in Shanghai veröffentlichte, und bei denen es sich um eine 1:1-Transposition eines Holmes-Doppelgängers samt leicht begriffsstutzigem Chronisten, Bao Lang & einem Lestrade of the Yard (bzw. von der Shanghaier Stadtpolizeibehörde) handelt sowie einem "Napoleon des Verbrechens" (die "Schwalbe Südchinas" statt Professor Moriarty), dessen Dauerpräsenz hinter den späteren Fällen die Serie ziemlich aus der Bahn trägt (Huo Sang spielt wie Holmes Violine; raucht aber statt Pfeife Zigaretten der Marke "Goldener Drache"). Cheng war seit 1916 mit 11 weiteren Übersetzern für die erste Gesamtübersetzung von Holmes' Fällen ins Chinesische (in dem Fall noch Wenyan, also "klassisches Chinesisch" statt Putonghua) ins Chinesische für den Verlag 中华书局, Zhonghua Shuju/Zhonghua-Buchverlag zuständig; die Ausgabe, 福尔摩斯侦探案全集, umfaßte am Schluß 44 Fälle. /Digression

Seaports in the Moon, 1928 bei Doubleday & Doran erschienen, dürfte als romanlanger Text heute der Ansprechendste geblieben sein. Der Untertitel lautet "A Fantasia on Romantic Themes" - eine wild durch die Topoi der romantischen Abenteuerliteratur kobolzende Hommage, in der von Ponce de Leon, Rabelais, Don Quijote bis Edgar Allen Poe und d'Artagnan alle auf der Suche nach einer Phiole mit Wasser aus der Quelle der Ewigen Jugend sind (in genau jenem Jahr waren bekanntlich in San Francisco Sam Spade, Brigdet O'Shaugnessy & Caspar "the fat man" Gutman auf der Suche nach einem anderen MacGuffin). Allerdings ist das Buch ziemlich rar geworden & hat nie einen zweite Auflage erfahren.

An Erzählungen hat Starrett rund 120 geschrieben; rund die Hälfte Detektivgeschichten; gut 40 davon um Jimmy Lavender ab 1922; 12 davon sind 1944 in der Sammlung The Adventures of Jimmy Lavender gebündelt worden; der Titel ist als einziges Erzählwerk im Verlagsangebot; Wildside Press haben das seit 2013 als POD vorrätig. Das sind handwerklich gut gemachte Beiträge zur klassischen Detektion zwischen Holmes, Pater Brown und Kemelmans "Nine Mile Walk"; aber auch da gibts eben hunderte andere Beiträge dieser Art. "The Case of the Unique Hamlet", von der es heißt, daß es die beste Holmes-Erzählung darstellt, die nicht von Conan Doyle selbst stammt, ist 1920 als kleiner Privatdruck in 100 Exemplaren erschienen. Den Text der Geschichte, in der es um ein von einem gewissen William Shakespeare signiertes Exemplar des Erstdrucks von "Hamlet" aus dem Jahr 1604 geht, gibt es hier vollständig zum Nachlesen.

Zitat
"Affluent, yes," said Holmes, with a mischievous grin, "but not exactly a banker, Watson. Notice the sagging pockets, despite the excellence of his clothing, and the rather exaggerated madness of his eye. He is a collector, or I am very much mistaken."

"My dear fellow!" I exclaimed. "At his age and in his station! And why should he be seeking us? When we settled that last bill—"

"Of books," said my friend, severely. "He is a professional book collector. His line is Caxtons, Elzevirs, Gutenberg Bibles, folios; not the sordid reminders of unpaid grocery accounts and tobacconists' debits. See, he is turning in here, as I expected, and in a moment he will stand upon our hearthrug and tell us the harrowing tale of an unique volume and its extraordinary disappearance."



Was überleitet zu VS' Passion und dem, was von seinem Werk bleiben wird: die Bücherpassion. Die Aufsätze, Spurensuchen, Porträts sind in gut 10 Bänden in Buchform gesammelt worden, seit Buried Caesars: Essays in Literary Appreciation(1923), Persons from Porlock (1923), Books Alive (1940), Bookman's Holiday (1942) und seiner Autobio Born in a Bookshop (1965). Das ist kurzweiliger und zutiefst gelehrter Zeitvertreib. (Man muß naturgemäß in Rechnung stellen, daß seitdem 80 Jahre ins Land geflossen sind & diese Arbeiten entstanden sind, bevor die Sintflut des Netzes die Schleusentore des verfügbaren Wissens öffnete: "The Dead Man's Chest", das in Bookman's Holiday dem Aufsatz über die chinesischen Detektive folgt, bündelt sehr schön die Entstehung der Schatzinsel, die Quellen, aus den Stevenson geschöpft hat, das Lied und die Archipele der Karibik mit ihren pittoresken Namen - aber wer den Wiki-Eintrag dazu und Stevensons Essay "My First Book: Treasure Island" von 1894 gelesen hat - alles einen Mausklick entfernt - wird nicht viel Neues dazulernen).

In diesem Bereich ist allerdings eine Netzverfügbarkeit von einigen dieser Titel zu vermelden, vor allem dank archive.org:

Persons from Porlock (der Privatdruck dieses kleinen Essays umfaßt allerdings nur 15 Seiten.)
Bookman's Holiday (in dem sich "Persons from Porlock" als letzter Beitrag findet)
Buried Caesars
Books Alive (in diesem Fall h/t der University of Michigan)
(mit einem sagen wir leicht unkonventionellen Stichwortverzeichnis von Christopher Morley, das nach Angabe beider Beiträger auf Drängen des Verlegers vor statt hinter den Text gerückt werden mußte:
Accidents, best when not flattering, 8
Baldness, unusual danger of, 98
Bum, an old, full of stingo, 175
Buttocks, 70
Cicero, his nose twitched, 23
Cork-Singleton, forgery case, nothing more known, alas, 140
Currently, a word deplored by the indexer, 20.
Damn, don't care a, 354
Deathbed reading. What do you suggest? 15, 19
Forgive, if the reader will, 252
)



"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

12.11.2019 16:59
#4 RE: "221b" Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #3
Starrett ist nie übersetzt worden ...

Ist mir doch völlig egal, dachte ich da spontan - und mußte anschließend feststellen, daß ich die Bedeutungen von "collector" doch noch einmal nachschlagen sollte ...

Zitat
Das zweite ist die Wirkung, die Lesbarkeit der Texte, aus einer Distanz von plusminus 70 Jahren.


Wenns gut ist, sollte das sekundär sein. Der gute Conan Doyle selber ist ja länger her, und Dorothy Sayers oder Agatha Christie sind immer noch lesenswert wie damals (oder auch Simenon, den ich noch mehr schätze).

Zitat
Den Text der Geschichte, in der es um ein von einem gewissen William Shakespeare signiertes Exemplar des Erstdrucks von "Hamlet" aus dem Jahr 1604 geht, gibt es hier vollständig zum Nachlesen.


Vielen Dank!

Auch hier zeigt sich m. E. die Unsinnigkeit des aktuellen Urheberrechts. 70 Jahre nach Tod des Autors ist eine absurd lange Schutzfrist (und dient auch den Interessen des Autors nicht mehr).

Gerade in einem Fall wie hier, wo es keine aktuellen Ausgaben mehr auf dem Markt gibt, sollte es legal sein Texte als "abandonware" den wenigen Interessierten zur Verfügung zu stellen.

Zitat
In diesem Bereich ist allerdings eine Netzverfügbarkeit von einigen dieser Titel zu vermelden, vor allem dank archive.org


Werde ich mir bei Gelegenheit mal durchsehen.

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