Zitat Carl Amerys letzter Roman Das Geheimnis der Krypta von 1990 - in den beiden letzten Romanen wird das Virus bewußt als biologische Waffe erschaffen und eingesetzt, um die Menschheit auf einen - nach ökototalitären Vorstellungen - "erträglichen Stand" zu dezimieren.)
Ich fand den Roman etwas schwer verdaulich. Aber hier eine sehr unterhaltsame Alternative. Ebenfalls von Carl Amery gibt es noch einen weiteren Roman, der in einer Post-Virus-Welt spielt: "Der Untergang der Stadt Passau"
Ein Roman mit einer phantastischen Prämisse: Nach der Virus-Apokalypse gibt es nur noch eine Handvoll Überlebende. Diese sammeln sich in Deutschland in zwei Städten (Passau und Rosenheim) und verfolgen dabei zwei deutlich unterschiedliche Überlebensstrategien: eine Stadt setzt auf Erhaltung von möglichst viel Zivilisation "aus der Konserve". Die andere geht ganz bewusst zurück auf Mittelalter (oder vielleicht sogar noch simpler, etwa Goten zur Völkerwanderungszeit). Welche Strategie letztlich gewinnt steht (Spoiler Alert) schon im Roman-Titel. Ist aber gut zu lesen. Ein Tipp speziell für Noricus (dessen Heimat ich irgendwo in der Region Passau/Rosenheim vermute).
Zitat von Florian im Beitrag #2Ich fand den Roman etwas schwer verdaulich.
Für mich "als Leser" stellte der Roman den endgültigen Bruch mit Amery als Autor dar. (Das ist etwas anderes als Chronist: man hat ja doch immer noch ein Auge darauf, welche Allotria Buchmenschen ferner treiben, auch wenn ihr Schaffen einem unleidlich geworden ist; bei Heinlein war ja für die meisten seiner alten Leser dieser Punkt mit The Number of the Beast erreicht; für manche schon mit Stranger in a Strange Land; für Arno Schmidt sicher mit Zettels Traum; wobei ich vermute, daß es kaum jemanden gibt, der sich dieses Monstrum mehr als passagenweise angetan hat). Für Wolfgang Jeschke etwa, um ein anderes Beispiel zu nennen, war das bei mir mit seiner Kurzgeschichte "Schlechte Nachrichten aus dem Vatikan" so weit.
Amery war ja eine seltsame Mischung aus bekennendem Katholik mit nachgerade vorkonzilischer Prägung und grünem Urgestein (er gehörte zu deren Gründungsmitgliedern). Nun soll man ja den Puppenspieler nicht mit dem bunten Treiben seiner Geschöpfe auf der Bühne des Buches velwechsern, aber in diesem Fall schien mir die Neigung des Autors zu offenkundig mit dem im Buch geschilderten Projekt, 90% der Menschheit per künstlichem Virus zu eliminieren, um "die Erde wieder bewohnbar zu machen". Das Schlußtableau ist gespenstisch: zwei greise Überlebende sitzen wie von Ludwig Richter illustriert unterm abendlichen Lindenbaum und erwärmen die Herzen beim Sinnieren, daß in Amerika die Großstädte vom Wald überwuchert werden und die Bisonherden über die zerfallenen Highways ziehen. Die Bukolik, und durchaus die positiv gezeichnete, ist in vielen Büchern dieses kleinen Subgenres dominierend; zuerst bei Richard Jefferies, aber etwa auch bei Russell Hobans Riddley Walker, bei Ursula Le Guins Always Coming Home und ganz merkwürdig, im Finale/Mitteltableau vom David Mitchells Cloud Atlas - aber diese Landidyllen setzen stets weit nach der Katastrophe ein und sparen sie aus. Amery war mir da allzu unangenehm nah an solchen "tiefenökologischen" Träumerien wie bei Edward Abbey, der auch in diversen Essays ziemlich lustvoll darüber sinniert hat, wie wünschenswert es sei, die Menschheit mal eben auf eine Koopfzahl von maximal 100 Millionen zu reduzieren; auch in Amerys Essays aus den 80er/90er Jahren scheint das durch. Für mich waren solche erschreckenden Texte immer ein guter Hinweis darauf, daß sich hinter dem Phantasma der grünen Ideologie ein zutiefst totalitärer Kern verbirgt. (Im Fall von Amery hat im übrigens Erik Simon 1992, als C.A. den Kurd-Laßwitz-Preis für sein Lebenswerk erhielt, in seiner Laudatio offen ins Gesicht gesagt.)
Ansonsten ist der Roman unausgegoren: die eine, die Gegenwartsschiene, besteht aus der Aufdeckung dieses Biowaffen-Komplexes in der Krypta der Titels; die damit alternierenden Kapitel sind offenkundig Abschnitte aus Amerys eigener Autobiographie, in der er von seiner Zeit als Soldat im 2. Weltkrieg (Schwerpunkt Nordafrika) und der amerikanischen Kriegsgefangenschaft in einem POW Camp im Mittleren Westen erzählt.
Zitat von Florian im Beitrag #2"Der Untergang der Stadt Passau"
Ich habe das kleine Büchlein damals in der Erstausgabe, als es im Herbst 1975 bei Taschenbuch in Heynes SF-Reihe herauskam, angelesen, bin aber mit dem Text in keiner Weise warm geworden (das mag am Lesealter liegen; dieser auf-alt getrimmte Chronistenstil mit seinem bairischen Duktus war nicht das, was ich als junger Leser im Genre suchte). In Erinnerung geblieben ist mir nur die Assoziation, daß das Buch, als Artefakt, ein nettes Pendant zur Ölkrise darstellte (die ja in den Augen vieler, aus denen dann der "grüne Zeitgeist" kondensierte, als erster Vorschein des Untergangs der modernen Welt per Ressourcenerschöpfung erschien): die LPs wurden auf so dünnem Vinyl gepreßt, daß sie oftmals unabspielbar waren, weil die Nadel wild über die flachen Rillen hüpfte; der Amery-Titel war so dürftig geleimt, daß mir das Buch beim Lesen in der Hand auseinanderfiel. Ein nette Anekdote: just zu der Zeit, als der Titel erschien, hatte der Raddampfer "Stadt Passau" der Donaudampfschiffahrtsgesellschaft in, tja, Passau, ein etwas zu leidenschaftliches Tête-à-tête mit einem Donaubrückenpfeiler und mußte erst einmal mit einem Schwimmkran geborgen werden.
PS. Noch zu dem Genre "zukünftiges Mittelalter". Der momentan letzte bzw. aktuelle Titel ist Robert Harris' neuester Roman The Second Sleep (im Original im letzten August und in dt. Übersetzung bei Heyne im Oktober erschienen). Das Buch spielt in England, und das Jahr der Handlung 1461 scheinz zunächst historisch korrekt; nur tauchen irritierende anachronistische Artefakte auf (der Dorfpriester bewahrt eine Reliquie auf, die niemandem erklärbar ist, dem Leser aber als Smartphone erkennbar ist) Die zweite Hälfte des Buches widmet sich der Aufdeckung der vollkommen vergessenen Vergangenheit (dem Untergang unserer heutigen Zivilisation und dem Rückfall der Überlebenden in die Barbarei) anhand von Aufzeichnungen aus jener Zeit. Für mich am irritierendsten waren jede Menge englischsprachige Rezensionen, deren Verfasser anscheinend glaubten, diese Geschichte würde zum allerersten Mal erzählt, und nicht zum gefühlt 523. Mal.
"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire
Zitat von ZR...im indonesischen Flüchtlingslager Kongoli ... Als Dr. Parsons klar wird, daß die "Kongoli-Grippe", die "Kongoli flu" wesentlich ernster ist als nur "eine schwere Grippe", hat sich sein Fahrer, der sich bei den Krankenvisiten seines Chefs im gedrängt überfüllten Lager infiziert hat, während der dreitägigen Latenzperiode zur Erfüllung seines Lebenstraums aufgemacht: einer der dreißig Millionen Pilger der diesjährigen Hadsch in Mekka zu sein. Parsons gelingt es, die Behörden in Saudi-Arabien davon zu überzeugen, die Hadsch abzubrechen und Mekka und Medina unter rigorose Quarantäne zu stellen. ... das völlig unwirkliche Gefühl ein, die Wirklichkeit der letzten Monate in einem Buch vorweggenommen zu sehen, das geschrieben wurde, bevor sich der kleinste Schatten davon zeigte.
Weiß auch nicht, warum mir diese Passage gerade wieder einfällt...
Zitat von DLF, 2.6.Indonesien hat wegen der Ansteckungsgefahr durch das Coronavirus für dieses Jahr die islamische Pilgerfahrt Hadsch abgesagt.
Aus dem größten muslimisch geprägten Land reisen üblicherweise mehrere hunderttausend Menschen nach Mekka und Medina in Saudi-Arabien. Gläubige warten in der Regel viele Jahre darauf, die Wallfahrt antreten zu können. Dieses Jahr waren rund 200.000 Indonesier dafür angemeldet. Saudi-Arabien hatte zuletzt erklärt, der Hadsch sei bis auf weiteres ausgesetzt.
Im Mai 2020 habe ich in diesem Beitrag unter anderem einen Überblick über den Film "Contagion" gegeben. Und jetzt gibt es aus England das hier zu lesen:
Zitat von The Independent, 4 February 2021Health secretary Matt Hancock has revealed the Hollywood film Contagion partly shaped his strategy on the UK’s coronavirus vaccination programme.
The senior cabinet minister said the movie starring Matt Damon – which focuses on the international struggle to contain a deadly virus – helped prepare him for the global scramble to get hold of vaccines.
Asked by LBC about his own viewing of Contagion, Mr Hancock said the film influenced the government’s approach to placing huge orders with vaccine manufacturers as early as possible.
“In the film, it shows that the moment of highest stress around the vaccine programme is not before its rolled out – when the scientists and manufacturers work together at pace – it’s afterwards when there is a huge row of the order of priority,” he said.
The health secretary also said the movie influenced the government’s decision to set out a clear order of priority for the domestic rollout, in a bid to avoid ongoing squabbles over who should get the jab first.
“I insisted that we ordered enough for every adult to have their two doses,” he said. “But also we asked for that clinical advice on the prioritisation very early, and set it out in public … so that there was no big row over the order of priority."
ich kannte den Film überhaupt nicht, was auch nicht weiter verwundert, da ich kein Kinogänger bin. Meine Fernsehgewohnheiten haben sich vollkommen verschoben, 'liveschauen' geht gegen null, so dass ich fast ausschließlich auswähle, aufnehme und schaue, wenn Lust und Zeit vorhanden.
Neulich nun, habe ich auf diesem Weg 'Contagion' gesehen und war von der Aktualität des Films so verblüfft, dass ich erstmal dessen Veröffentlichungsjahr recherchierte. Ganz ähnlich erging es mir auch, als ich vor ein paar Jahren meinen ersten 'Clancy' von meinem Sohn geschenkt bekam. Als ich las, wie eben ein Flugzeug ins Pentagon einschlug, blätterte ich ganz zurück, um nach dem Erscheinungsjahr zu sehen. Aber dem Thema hatten Sie ja neulich bereits einen Beitrag gewidmet.
Gruß Morn <>< ______________________________________ First we take Manhattan, then we take Berlin 1987, L. Cohen
Wobei in Clancys "Debt of Honor" von 1994 (dt. "Ehrenschuld") das Angriffsziel ja das Kapitol ist. Aber nach 9/11 fühlten sich viele Leser an das Buch erinnert.
Es kommt aber noch besser. In William Pierces "The Turner Diaries" von 1978 wird tatsächlich ein Flugzeug ins Pentagon gesteuert. Turners Machwerk ist kaum bekannt; höchstens bei denen, die sich mal mit dem US-amerikanischen Neonazismus beschäftigt haben; er gehörte zu den führendsten Köpfen. (Wobei das vielleicht das falsche Wort ist: in der - und in diesem Fall gilt das Wort mal - rechtsextremen Partei, die er Ende der sechziger Jahre übernommen hat, waren zu deren Hochzeiten, und das war zur Zeit der Bürgerrechtsbewegung, landesweit gut 2000 Mitglieder versammelt; alles andere als eine Massenbewegung.) Turners Buch ist derart wirr und neben der Spur laufend, daß man nicht weiß, wofür man das halten soll. Es geht um die übliche Weltverschwörung, und das Buch schildert, die eine winzige Gruppe "weißer Widerstandskämpfer" durch Sabotageakte - Miltärstützpunkte überfallen, Tanker sprengen, etc. - es schafft, die USA in einen Bürgerkrieg zu stürzen, alle "Volksfeinde" zu eliminieren, nebenbei den Staat Israel mit Nuklearwaffen zu vernichten, die Macht zu übernehmen und aus den Trümmern ein "rein arisches Paradies" wiederaufzubauen. Das ist dermaßen obsessiv und irrlichternd, daß sich das eigentlich nur als Symptom einer zutiefst gestörten Psyche lesen läßt, nicht einmal mehr als maximal übersteuerte Wunschprojektion.
Die Propheten mit dem besten Track Record sind natürlich die gelbe Familie aus Springfield.
Zitat Donald Trump Presidency In an episode from 2000 titled "Bart to the Future" that flashes forward to the future, Lisa becomes "the first straight female" president and takes over after Donald Trump, who ruined the economy.
Ich fasse es nicht. Da habe ich doch tatsächlich Pentagon geschrieben obwohl ich im Kopf das Capitol hatte. Wenn Fiktion und Realität so nah beieinander liegen...
Gruß Morn <>< ______________________________________ First we take Manhattan, then we take Berlin 1987, L. Cohen
Bitte beachten Sie diese Forumsregeln: Beiträge, die persönliche Angriffe gegen andere Poster, Unhöflichkeiten oder vulgäre Ausdrücke enthalten, sind nicht erlaubt; ebensowenig Beiträge mit rassistischem, fremdenfeindlichem oder obszönem Inhalt und Äußerungen gegen den demokratischen Rechtsstaat sowie Beiträge, die gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Hierzu gehört auch das Verbot von Vollzitaten, wie es durch die aktuelle Rechtsprechung festgelegt ist. Erlaubt ist lediglich das Zitieren weniger Sätze oder kurzer Absätze aus einem durch Copyright geschützten Dokument; und dies nur dann, wenn diese Zitate in einen argumentativen Kontext eingebunden sind. Bilder und Texte dürfen nur hochgeladen werden, wenn sie copyrightfrei sind oder das Copyright bei dem Mitglied liegt, das sie hochlädt. Bitte geben Sie das bei dem hochgeladenen Bild oder Text an. Links können zu einzelnen Artikeln, Abbildungen oder Beiträgen gesetzt werden, aber nicht zur Homepage von Foren, Zeitschriften usw. Bei einem Verstoß wird der betreffende Beitrag gelöscht oder redigiert. Bei einem massiven oder bei wiederholtem Verstoß endet die Mitgliedschaft. Eigene Beiträge dürfen nachträglich in Bezug auf Tippfehler oder stilistisch überarbeitet, aber nicht in ihrer Substanz verändert oder gelöscht werden. Nachträgliche Zusätze, die über derartige orthographische oder stilistische Korrekturen hinausgehen, müssen durch "Edit", "Nachtrag" o.ä. gekennzeichnet werden. Ferner gehört das Einverständnis mit der hier dargelegten Datenschutzerklärung zu den Forumsregeln.