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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 50 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2 | 3
Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

03.05.2021 22:17
#26 RE: Am Rande Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #24
Das ist richtig. Das erstaunliche (oder vielleicht doch nicht so erstaunlich) ist, dass viele, wenn nicht die meisten Wähler, gar nicht verstehen, wie glücklich die Wahl bestimmter Personen gewesen ist. Wir glauben immer der Erfolg eines Landes, insbesondere des eigenen, resultiere immer aus dem tollen System. Und auch wenn das nicht ganz falsch ist, ist der Erfolg oftmals auch der Verdienst von einzelnen, historischen Persönlichkeiten.


Oh, es ist ganz sicher nahezu immer eine Kombination. Es sind auch nicht zwei komplett getrente Aspekte, sondern wechselwirkt miteinander. Ein Land mag mit einem ausgezeichneten Staatsmann (oder Staatsfrau) gesegnet sein, von dem es sehr profitierte, aber wenn es regelmäßig solche Glückgsgriffe hat, ist dies wahrscheinlich eine konsequenz eines durchdachten, funktionalen Systems. Umgekehrt kann ein Fehlgriff ein System sehr beschädigen - insbesondere wenn es keine Amtszeitbegrenzung gibt.

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“Being right too soon is socially unacceptable.”
― Robert A. Heinlein

F.Alfonzo Offline



Beiträge: 2.286

03.05.2021 23:07
#27 RE: Anmerkungen zur Justiz Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #14
Ich habe, so wie die meisten Gymnasiasten, sowohl in der Unterstufe wie in der Mittelstufe und der Oberstufe sowohl Geschichtsunterricht als auch "Sozialwissenschaften" gehabt. Etliche Jahre. Und mir kam mit der 13. Klasse das Thema "3.Reich" nur noch aus den Ohren raus (als ob die deutsche Geschichte 33 anfing und 45 aufhörte). Ich habe allen möglichen Driss über das Mittealter gelernt, über die französische und russische Revolution, über die Römer, die alten Griechen, die Renaissance und HastDuNichtGesehen. Das meiste habe ich inzwischen wohl auch vergessen. Was ich nie gelehrt bekam, war, wie unsere Demokratie wirklich funktioniert (das dürfte zum Beispiel einer der Gründe sein, warum die Grünen mit ihrem verlogenen "wenigstens die Zweitstimme für die Grünen" so großen Erfolg haben). Was unsere Grundrechte sind und was sie bedeuten. Auch die DDR war kein Thema. Oder überhaupt Totalitarismus. Wenn, dann war das Thema immer und grundsätzlich das dritte Reich. Wer würde sich wundern, wenn auch Millionen anderer Schüler, dass so gelernt haben, wie ich, dass Schüler nur Aversionen gegen diese spezielle Ausprägung des Totalitarismus entwickelt haben und andere nicht.



Kann ich so nicht bestätigen.

Darf ich fragen, wann Sie Abi gemacht haben? Bei mir war es das Jahr 2001, und ich habe im Geschichtsunterricht durchaus auch die Bonner Republik kennengelernt, angefangen mit Erhardt und Adenauer und dem Wirtschaftswunder, über die 70er mit dem Linksterrorismus bis zur Wiedervereinigung. Inkusive der DDR und der RAF.

Natürlich nicht so exzessiv wie die 5-6 Jahre Hitler-Unterricht davor (die auch noch ziemlich nutzlos waren, weil man den selben Quatsch wieder und wieder macht; ich habe über Hitler mehr erfahren durch Bücher, die ich nach der Schule gelesen habe als durch die Jahre des Hitler-Unterrichts). Aber doch vorhanden. Mich als Bayer stört dabei eher, dass ich im Geschichtsunterricht im Gymnasium so gut wie nichts über die Wittelsbacher-Dynastie gelernt habe (das gab's glaub ich in der 6. Klasse, für 3 oder 4 Stunden, damit ist die Geschichte von Bayern abgearbeitet). Obwohl die Jahrhunderte lang mein Heimatland regiert haben.

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

03.05.2021 23:16
#28 RE: Am Rande Antworten

Zitat von Johanes im Beitrag #25

Zitat
Gorbatschow war so ein glücklicher Zufall.

Das sahen und sehen viele Russen anders.


Können die ruhig. Aber die Alternative zu Gorbatschow wäre entweder der dritte Weltkrieg oder der totale Zusammenbruch gewesen. Ich denke wir können alle sehr dankbar für Gorbatschow sein. Inklusive der Russen.

Zitat
Ich höre nichts mehr über seine (angebliche) Demenz.


Haben Sie sein Gestammel bei seiner Pressekonferenz gesehen? Der gute Mann brauchte selbst bei gecasteten Reportern und vorbereiteten Fragen noch Antwortkärtchen um die simpelsten Sachen zu beantworten. Ich denke seine Demenz hat sich nicht verbessert, den Teleprompter bekommt er noch hin, aber das war es dann auch schon.

Zitat
Er hat ein paar sehr umstrittene Dinge durchbekommen und per "executive order" viele Vorschriften erlassen. Im Grunde hat er die Amtszeit von Trump zurückgedreht.


Jein. Seine executive orders waren im Wesentlichen eine einzige Katastrophe. Und die Sachen, die er "durchbekam" liegen allesamt der Macht in beiden Kammern zu Grunde. Da hat in dem Sinne genau gar nichts "durchbekommen" sondern ist der Agent eines Radikalen-Kreises innerhalb der Demokraten. Insofern: Umstritten, natürlich, aber entlang der Parteilinie durchgeboxt. Das müssen wir aber nicht hier machen, da ist ein Artikel wie versprochen in Arbeit (die 100 Tage sind ja um).

Zitat
Der Senat ist heute, wegen dem 17. Zusatzartikel, nicht mehr das, was er ursprünglich einmal sein sollte.


Funktionieren tut er aber trotzdem. Entscheidend ist dass der Senat durch seine Fillibuster-Regelung immer das mäßigende Organ der amerikanischen Politik gewesen ist. Deswegen wollen es die Liberals ja im Moment auch zerstören. Ändert aber nichts daran, dass der Grund für die sehr bedachten amerikanischen Gesetze vor allem darin begründet liegt, dass man eben nicht mal eben was durch den Senat prügeln konnte. Zumindest bis Obama kam und das das erste mal schwer beschädigte. Vielleicht ist in einem Jahr überhaupt nichts mehr vom Senat über, wir werden sehen.

Zitat

Zitat
Ich bin auch ziemlich sicher, es hat irgendwas mit Lufttaxis und Algorithmen zu tun.


Der wissenschaftlich-theoretische Hintergrund ist AFAIK auch nicht ohne. Das hat viel mit Topologie und Optimierungen zu tun.
Allerdings ist mein Wissen da so oberflächlich, dass ich mir lieber nicht "das Mäulchen verbrennen" würde. Ich finde es nur sehr bemerkenswert, wie viele Leute aus dem Bereich Politik und Journalismus plötzlich über Algorithmen schreiben.



Okay, hier habe ich sie (unbeabsichtigt) ein kleines bischen auflaufen lassen, lieber Johannes. Meine Bemerkung fand im Hintergrund dessen statt, dass ich einen Abschluss in Informatik habe, mit Vertiefungsgebiet künstlicher Intelligenz. Und ich habe auch den passenden Doktorhut dazu. Deswegen amüsiere ich mich ganz gerne über die wirklich ausgesucht dummen Sprüche und Handlungen unserer Politik (und auch der Presse) zum Thema KI (bestes Beispiel eben die Lufttaxis). Beim wissenschaftlichen Hintergrund ist dabei eher das Problem, dass schon der Begriff KI außerordentlich unglücklich ist, weil sich nicht einmal Informatiker einig sind, was nun dazu gehört und was nicht. Ich zum Beispiel würde Topologie nicht dazu zählen wollen und den Begriff der Optimierung sehr vorsichtig betrachten (Optimieren kann man auch sehr viele, ausgesprochen "dumme" Verfahren). Aber das kann man problemlos auch anders sehen. Ich finde es halt nur witzig, wenn Laien, wie eben unsere Politik, meinen eine Welt ordnen und erklären zu können, die sie nicht in Ansätzen verstehen.

Zitat
Sowohl der SCOTUS als auch das BVerfG haben in ihren Urteilen Grundrechte bestätigt, von denen Kritiker sagen könnten, dass sie in die Verfassung erst hineingelesen wurde. Beispielsweise das Schwangerschaftsurteil des SCOTUS oder die "informelle Selbstbestimmung" des BVerfG.


Ich würde "Roe v Wade" (Schwangerschaftsurteil) nicht überbewerten und wundere mich immer wieder, wie stark dieses Urteil gerne gelesen wird. Alles was "Roe v Wade" festlegt, ist, dass der Bund sich nicht in die Gesetze der einzelnen Staaten einmischen darf. Die einzelnen Bundesstaaten können nach wie vor den Abbruch unter Strafe stellen und tun das teilweise auch. Das ist schon sehr zurückhaltend. Und ich kann auch nicht sehen, wo das über die ursprüngliche Verfassung hinausgeht (wobei ich gerne einräume, dass das auch anders gesehen werden kann). Grundsätzlich meine ich, kein Gericht sollte neue Gesetze herleiten, denn wenn die sich schon aus den alten ergeben, dann kann ich auch genau diese zur Basis machen. Das gilt auch für das allgemeine Persönlichkeitsrecht.

Zitat
Von jüngsten Urteilen bezüglich "Sterbehilfe" mal zu schweigen. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht lässt sich AFAIR sehr leicht aus dem 2 Artikel des GG ableiten. Erscheint mir sehr plausibel. Freilich könnte man ihn auch so eng wie möglich interpretieren. Nur, welchen Schutz bietet er dann noch?


Einen riesigen würde ich sagen.

Zitat
Oder meinen sie das Urteil zur Meinungsfreiheit, in dem die freie Entfaltung der Persönlichkeit usw. als schlicht konstituierend festgestellt wurde?


Ich fürchte genau dieses Urteil würde von einem Herrn Harbarth heute nicht mehr so aufrecht erhalten werden.

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

03.05.2021 23:23
#29 RE: Anmerkungen zur Justiz Antworten

Zitat von F.Alfonzo im Beitrag #27
Darf ich fragen, wann Sie Abi gemacht haben?

Fragen ja, aber genaue Antworten gebe ich nicht. :)
Sagen wir, ich bin so ein knappes Jahrzehnt älter.

Zitat
Bei mir war es das Jahr 2001, und ich habe im Geschichtsunterricht durchaus auch die Bonner Republik kennengelernt, angefangen mit Erhardt und Adenauer und dem Wirtschaftswunder, über die 70er mit dem Linksterrorismus bis zur Wiedervereinigung. Inkusive der DDR und der RAF.


Das ist super. Ernsthaft. Kein Flax. Ich finde das wirklich gut. Denn zu meinen Zeit gab es das eben nicht. Vielleicht auch nur auf meiner Schule nicht (das wäre ein eigenes Thema).

Es war aber immer mein Eindruck, dass man sich mit bestimmten Themen auch nicht auseinandersetzen wollte. Und zumindest öffentlich habe ich recht. Wie sehr beschäftigen wir uns mit dem dritten Reich und wie wenig mit dem Unrechtsstaat DDR? Wie viele Denk- und Mahnmäler haben wir für das dritte Reich und wie viele für die DDR? Wie viel wissen wir über die Massenmorde von Hitler und wie wenig über Stalin? Pol Pot? Mao? Ich sehe da schon ein gewisses Ungleichgewicht. Und das hat sich eben auch in meiner Schulzeit gezeigt.

herki Offline



Beiträge: 97

04.05.2021 01:36
#30 RE: Anmerkungen zur Justiz Antworten

Da möchte ich mich als eigentlich stiller Mitlesen doch einmal kurz dranhängen :
Ich und meine Klassenkameraden haben in 10 Jahren allgemeinbildender Schule nie etwas über andere Verbrechen als die des Nationalsozialismus gehört, dafür aber auch auf allen passenden oder unpassenden Kanälen und neben den Fächern Politik und Geschichte natürlich auch ausgiebig in Deutsch (Gedichte und Kurzgeschichten aus der Zeit des Nationalsozialismus), Kunst (Kunst aus der Zeit des Nationalsozialismus) Musik (na sie ahnen es).

Der Zweite Weltkrieg war ein Nebenaspekt der im Vergleich nur wenige Stunden in Bezug nahm und mit ´45 waren wir dann mit der Schule durch.
Für das andere Deutschland oder so Kleinigkeiten wie den Kalten Krieg gab es im Lehrplan wohl keine Platz. (auch wenn ich mich sehr genau erinnere das im Schulbuch für Geschichte noch die Besatzungszonen und der Anfang des geteilten Deutschlandes drin war, wir das aber nie besprochen haben)

Ich war tatsächlich recht froh das ich dann nach 10 Jahren die allgemeinbildende Schule verlassen und eine Ausbildung anfangen könnte, zum Glück ging es in der Berufsschule dann auch direkt wieder ins Jahr 1933.


Mich wundert es überhaupt nicht das meine Generation (ich bin Anfang 30) kein Verständnis für Freiheiten und Rechte und kein Auge für was diese bedroht hat.
Aufgewachsen mit zuviel Wohlstand und zu wenig Bildung kann so ein System nur gegen die Wand fahren.

F.Alfonzo Offline



Beiträge: 2.286

04.05.2021 06:23
#31 RE: Anmerkungen zur Justiz Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #29
Wie sehr beschäftigen wir uns mit dem dritten Reich und wie wenig mit dem Unrechtsstaat DDR?


Das ist eben genau die Sache: Man hat sich schon mit beidem beschäftigt (Hitler hat natürlich mehr Zeit bekommen, Ehre wem Ehre gebührt lol), aber das ist glaub ich gar nicht der Grund, warum 99% der Abiturienten Linksradikale sind. Sie sind das deshalb, weil der gesamte Sumpf von Lehrern, über SMV und die Mitschüler einfach Druck ausüben.

Der Lehrplan an sich ist schon relativ ausgewogen.

F.Alfonzo Offline



Beiträge: 2.286

04.05.2021 08:28
#32 RE: Anmerkungen zur Justiz Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #29
Denn zu meinen Zeit gab es das eben nicht. Vielleicht auch nur auf meiner Schule nicht (das wäre ein eigenes Thema).


Wie alt waren denn die Geschichtsbücher? Klingt doof, ist aber durchaus relevant. Ich hatte im Englischunterricht in den 90ern ein Lehrbuch aus den 70ern, in dem gestanden ist dass es seit 1991 kein Erdöl mehr gibt.

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

04.05.2021 10:20
#33 RE: Anmerkungen zur Justiz Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #28
Ich würde "Roe v Wade" (Schwangerschaftsurteil) nicht überbewerten und wundere mich immer wieder, wie stark dieses Urteil gerne gelesen wird. Alles was "Roe v Wade" festlegt, ist, dass der Bund sich nicht in die Gesetze der einzelnen Staaten einmischen darf. Die einzelnen Bundesstaaten können nach wie vor den Abbruch unter Strafe stellen und tun das teilweise auch. Das ist schon sehr zurückhaltend. Und ich kann auch nicht sehen, wo das über die ursprüngliche Verfassung hinausgeht (wobei ich gerne einräume, dass das auch anders gesehen werden kann).


Das stimmt nicht. Es ging bei Roe v Wade nicht um die Kompetenzverteilung zwischen Federal Government und States, sondern tatsächlich um ein Individualrecht auch Schwangerschaftsabbruch auch gegenüber Bundesstaaten, die es nur teilweise im zweiten Schwangerschaftstrimester einschränken können und gänzlich nur im dritten Trimester (auch dann nicht, falls das Leben oder die langfristige Gesundheit der Schwangeren gefährdet ist, dann geht es bis zum Beginn der Geburt, aber das ist eh ein Spezialfall der nicht im Fokus der Debatte steht).

Es wurde in Roa v Wade auch kein Bundesgesetz aufgehoben, sondern ein Staatsgesetz und in der Folge noch viele andere bundesstaatlichen Regelungen. Eine Gegenposition ist gerade, das Thema wieder den Staaten zu überlassen, anstatt der Bundeseben (in Form des Supreme Court, der ein die Bundesstaaten bindendes Grundrecht erfunden hat). Diese Gegenposition findet sich sowohl unter Gegnern wie (moderaten) Befürwortern des legalen Schwangerschaftsabbruchs. Eine weitere Gegenposition, die sich unter den strikten Gegnern des Schwangerschaftsabbruchs findet, ist Abtreibungen per Bundesgesetz zu verbieten. Roe v Wade wendet sich aber nicht nur gegen letzteres (es auf die Bundesstaatsebene zu deligieren hätte auch nicht zum Vorwurf des judicial activism, des richterlichen Aktivismus, geführt).

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Martin Offline



Beiträge: 4.129

04.05.2021 11:56
#34 RE: Anmerkungen zur Justiz Antworten

Zitat von herki im Beitrag #30
Ich und meine Klassenkameraden haben in 10 Jahren allgemeinbildender Schule nie etwas über andere Verbrechen als die des Nationalsozialismus gehört, ..

Mir geht das umgekehrt. Ich habe im Geschichtsunterricht nie etwas über das dritte Reich gehört, auch nichts über die Funktion unseres Staatswesens. Abiturjahrgang 1970.
Alles, was ich über die Zeit weiß, kommt aus Erzählungen und gelegentlicher Literatur. Ich verfolge auch gerne die Interpretationen in Foren wie hier und lese dann punktuell in verfügbaren Dokumentationen. Was mich daran immer irritiert hat, sind die verschiedenen Geschichtsschreibungen. Wenn ich allein Diskussionen über Tagespolitik, das was sich vor unseren Augen abspielt, verfolge, die teils völlig kontroverse Sicht der Zaungäste sehe, dann muss ich jede Geschichtsschreibung in Frage stellen, die über die objektiv erkennbaren (Groß-)Ereignisse hinausreicht: Wer hatte welche Motive, wer hat wen beeinflusst, usw.. Wo wird in der zukünftigen Geschichtsschreibung auftauchen, welche Motive Merkel wirklich hatte, welche entscheidenden Hintergrundgespräche sie führte, wer sie möglicherweise unter Druck setzen konnte, sie beeinflusste. Vermutlich müsste dazu ein CIA oder ein KGB die künftigen Geschichtsbücher schreiben. Oder bald Siri und Alexa, die alle Gespräche mithören.

Gruß
Martin

pettibone Offline




Beiträge: 24

04.05.2021 12:32
#35 RE: Anmerkungen zur Justiz Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #29

Zitat von F.Alfonzo im Beitrag #27
Darf ich fragen, wann Sie Abi gemacht haben?

Fragen ja, aber genaue Antworten gebe ich nicht. :)
Sagen wir, ich bin so ein knappes Jahrzehnt älter.



Dann müssten Sie Ihr Abi, so wie ich, am Anfang der 90er gemacht haben. Ich kann mich gut daran erinnern, dass bei uns in Schleswig-Holstein zu Beginn der 10. Klasse ein einwöchiges Deutschland-Seminar stattfand (witzigerweise bei uns im Sommer 1989). Teil davon war auch ein Tagesausflug nach Schwerin. Leider fiel bei uns das traditionelle Treffen mit der FDJ aus, vielleicht weil es da schon zu sehr rumort hat. Aber nach dem Seminar hatte man zumindest keine Illusionen über die DDR mehr und wusste, dass es nach dem Dritten Reich ein weiteres totalitäres Regime im Osten gegeben hatte.

Eloman Offline



Beiträge: 251

04.05.2021 12:37
#36 RE: Anmerkungen zur Justiz Antworten

Zitat von F.Alfonzo im Beitrag #31
Zitat von Llarian im Beitrag #29
Wie sehr beschäftigen wir uns mit dem dritten Reich und wie wenig mit dem Unrechtsstaat DDR?


Das ist eben genau die Sache: Man hat sich schon mit beidem beschäftigt (Hitler hat natürlich mehr Zeit bekommen, Ehre wem Ehre gebührt lol), aber das ist glaub ich gar nicht der Grund, warum 99% der Abiturienten Linksradikale sind. Sie sind das deshalb, weil der gesamte Sumpf von Lehrern, über SMV und die Mitschüler einfach Druck ausüben.

Der Lehrplan an sich ist schon relativ ausgewogen.




Als Abijahrgang '74 kann ich davon berichten, dass wir in der Unter- und Mittelstufe durchaus die Geschichte der letzen ca. 2500 Jahre behandelt haben. 1933-45 kam erst in der Oberstufe dran. Wir haben allerdings auch zB das Grundgesetz mit der Verfassung der DDR verglichen.

Johanes Offline




Beiträge: 2.637

04.05.2021 20:43
#37 RE: Anmerkungen zur Justiz Antworten

Zitat von Techniknörgler im Beitrag #26
Ein Land mag mit einem ausgezeichneten Staatsmann (oder Staatsfrau) gesegnet sein, von dem es sehr profitierte, aber wenn es regelmäßig solche Glückgsgriffe hat, ist dies wahrscheinlich eine konsequenz eines durchdachten, funktionalen Systems.


Ich glaube, das System wird grade dann wichtig, wenn man keine ausgezeichneten Staatsmänner hat.
Schlechtes System und schlechter Staatsmann, das kann schrecklich enden.

Die US-Präsidenten des 19. Jahrhunderts waren ja nach der Gründervätergeneration auch nicht unbedingt so der Brüller, abgesehe von Lincoln. Das wird auch allgemein so eingestanden.

Zitat von Llarian im Beitrag #28
Ändert aber nichts daran, dass der Grund für die sehr bedachten amerikanischen Gesetze vor allem darin begründet liegt, dass man eben nicht mal eben was durch den Senat prügeln konnte.


Da könnte was dran sein. Ein Oberhaus, das so funktioniert, fällt mir spontan nicht ein. Das britische kann nur aufschieben, der Bundesrat ist ebenfalls nicht stark. Der französische Senat? Eher nicht.

Aber eigentlich sollten die Senatoren die Interessen der Bundesstaaten vor dem Bund selbst vertreten. Neben dem Verfassungsgericht und de jeweiligen Wählern, natürlich. Deshalb hat jeder Bundesstaat immer noch eine Nationalgarde, die direkt den Gouverneur untersteht.
Das ist teilweise gescheitert, weil der Kongress sehr bald anfing, auch Dinge zu regeln, die eigentlich nicht in seine Aufgabenstellung fallen. Alles mit der Ausrede, den Handel zwischen den Bundesstaaten zu regulieren.

In Deutschland sind wir ja inzwischen im Extremfall dieser Entwicklung. Die Länder können furchtbar wenig regeln. Selbst die EU verletzt dieses Prinzip, indem sie Dinge regelt, die auch auf nationaler Ebene zu regeln wären.

Zitat von Llarian
Okay, hier habe ich sie (unbeabsichtigt) ein kleines bischen auflaufen lassen, lieber Johannes.



So schlimm ja auch nicht, hoffe ich.

Zitat von Llarian
Ich finde es halt nur witzig, wenn Laien, wie eben unsere Politik, meinen eine Welt ordnen und erklären zu können, die sie nicht in Ansätzen verstehen.



Da sind wir ja im Grunde nicht weit voneinander entfernt.

Solange es keine nennenswerte KI in Europa gibt, finde ich eine Regulierung einfach zu früh. Falls es Regelungsbedarf gibt, kann man das ja im Rahmen anderer Gesetze machen: Datenschutz, Polizeirecht usw.
Schon zu regulieren, um Missbrauch vorzubeugen, das finde ich problematisch. Da haben die Amerikaner vielleicht den intelligenteren Ansatz, die Sache erst Mal fahren zu lassen und im zweiten Schritt sich ergebende Fehlentwicklungen per Gesetz abstellen.

Zitat von Llarian

Zitat
Von jüngsten Urteilen bezüglich "Sterbehilfe" mal zu schweigen. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht lässt sich AFAIR sehr leicht aus dem 2 Artikel des GG ableiten. Erscheint mir sehr plausibel. Freilich könnte man ihn auch so eng wie möglich interpretieren. Nur, welchen Schutz bietet er dann noch?


Einen riesigen würde ich sagen.




Wenn man es eng auslegt, wird der Schutzbereich kleiner. Es heißt ja: Jeder kann seine Persönlichkeit frei entfalten, solange er nicht gegen das Sittengesetz oder die verfassungsmäßige Ordnung vestößt oder Rechte dritter Verletzt. Legt man das sehr eng aus, ist es ein Gummiparagraph, der nur regelt, dass erlaubt bleibt, was nicht verboten wurde.
Erst eine "erweiternde Auslegung" macht aus dem Artikel etwas, auf das man sich im Ernstfall berufen kann.

Zitat von Techniknörgler im Beitrag #33
Das stimmt nicht. Es ging bei Roe v Wade nicht um die Kompetenzverteilung zwischen Federal Government und States, sondern tatsächlich um ein Individualrecht auch Schwangerschaftsabbruch auch gegenüber Bundesstaaten, die es nur teilweise im zweiten Schwangerschaftstrimester einschränken können und gänzlich nur im dritten Trimester


Danke. Sie bestätigen meinen Wissensstand.

Florian Offline



Beiträge: 3.179

04.05.2021 23:23
#38 RE: Anmerkungen zur Justiz Antworten

Zitat von Johanes im Beitrag #37


Da könnte was dran sein. Ein Oberhaus, das so funktioniert, fällt mir spontan nicht ein. Das britische kann nur aufschieben, der Bundesrat ist ebenfalls nicht stark. Der französische Senat? Eher nicht.



Wie wäre es mit dem Schweizer Ständerat?

Übrigens inspiriert vom US-Senat: Auch in der Schweiz hat jeder Kanton 2 Sitze.

Jedes Gesetz braucht in der Schweiz die Zustimmung von BEIDEN Kammern.
Die Ständeräte wählen außerdem in einer gemeinsamen Sitzung mit dem Nationalrat den Bundesrat (= die Schweizer Regierung).
Insgesamt ist der Ständerat damit die vielleicht mächtigste 2. Kammer der Welt.

Und interessanterweise ist die Parteien-Zusammensetzung im Ständerat i.d.R. deutlich abweichend vom Nationalrat.
Was die Notwendigkeit erhöht, große parteiübergreifende Mehrheiten zu organisieren.
Im Nationalrat sind zur Zeit die beiden größten Parteien SVP und SP.
Im Ständerat hingegen CVP und FDP.

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

05.05.2021 00:58
#39 RE: Anmerkungen zur Justiz Antworten

Zitat von Johanes im Beitrag #37
Ich glaube, das System wird grade dann wichtig, wenn man keine ausgezeichneten Staatsmänner hat. Schlechtes System und schlechter Staatsmann, das kann schrecklich enden.

Wie man in Deutschland leider gerade sehen kann. Wobei ich glaube, dass wir zwei Entwicklungen haben: Schlechte Staatsmänner, bzw. -frauen und eine Degenration des Systems selber.

Zitat
Die US-Präsidenten des 19. Jahrhunderts waren ja nach der Gründervätergeneration auch nicht unbedingt so der Brüller, abgesehe von Lincoln. Das wird auch allgemein so eingestanden.


Was heißt nicht der Brüller? Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Amerikaner die stärkste Nation der Welt, ein ziemlich weiter Weg von einer Kolonie. Sehen Sie sich mal an, was alles in der Zeit in Europa passiert ist. Die Amis sind deutlich besser gefahren.

Zitat
Da könnte was dran sein. Ein Oberhaus, das so funktioniert, fällt mir spontan nicht ein.


Mir auch nicht. Aber das mag bei den Amis auch ein Betriebsunfall gewesen sein. Die meisten Regierungen werden ja geschaffen um effizient zu regieren, nicht um checks and balances aufrecht zu erhalten. Man muss ja auch durchaus sehen, dass dadurch sehr viel Reibungsverluste entstehen. Die Politiker müssen sehr viel arbeiten, um überhaupt etwas zu bewegen. Das kann man sehr lästig finden, so wie beispielsweise der amtierende Präsident.

Zitat
In Deutschland sind wir ja inzwischen im Extremfall dieser Entwicklung. Die Länder können furchtbar wenig regeln. Selbst die EU verletzt dieses Prinzip, indem sie Dinge regelt, die auch auf nationaler Ebene zu regeln wären.


Weil sowohl die EU als auch Deutschland eigentlich keine föderalen Staaten mehr sind. Wobei ich die Ursache unterschiedlich sehe. In Deutschland geht das im Wesentlichen auf die Unterminierung des Staates durch die Parteien zurück. Wenn ein Parteiführer oder Kanzler im Prinzip anordnen kann, wie die Länderchefs abzustimmen haben, bzw. welche Landtagswahlen rückgängig zu machen sind (SCNR), dann ist die föderale Struktur hin. Zumal die Länder ja praktisch nur noch von stromlinienförmigen Ja-Sagern regiert werden (wie wir gerade beim Ermächtigungsgesetz wieder gesehen haben).
Bei der EU ist dagegen das Problem, dass man von vorneherein die falschen Leute "nach Brüssel" entsorgt hat. Die haben da in Ruhe ihre Zentralregierung zusammen geschraubt und keiner hat hingesehen. Dazu kam dann noch die Idee mancher Länder, allen voran Deutschland, dass man Ideen, die man zuhause niemals durch bekäme, einfach an die EU deligiert und diese dann eben durchführen muss. Da die einzelnen Länderchefs von vorneherein keine starken Föderalisten waren, war es nur logisch, dass das zu einem immer zentralistischeren Leviathan führen musste.

Zitat
Solange es keine nennenswerte KI in Europa gibt, finde ich eine Regulierung einfach zu früh. Falls es Regelungsbedarf gibt, kann man das ja im Rahmen anderer Gesetze machen: Datenschutz, Polizeirecht usw.
Schon zu regulieren, um Missbrauch vorzubeugen, das finde ich problematisch. Da haben die Amerikaner vielleicht den intelligenteren Ansatz, die Sache erst Mal fahren zu lassen und im zweiten Schritt sich ergebende Fehlentwicklungen per Gesetz abstellen.


Zustimmung dazu, dass die Amerikaner das geschickter machen. Wobei sie die derzeitigen Fehlentwicklungen leider nicht adressieren, weil die Politik festgestellt hat, dass man diese Fehlentwicklungen durchaus für sich nutzen kann. Ich glaube auch nicht, dass in Deutschland reguliert wird, um Missbrauch vorzubeugen. Es findet jede Menge Missbrauch statt und das deutsche Justizministerium ist eher dabei behilflich, als das es die Probleme löst. Ich glaube wenn reguliert wird, dann um die eigenen Interessen durchzusetzen und um Fahne zu zeigen man sei im 21. Jahrhundert "angekommen". Was ich eigentlich noch schwieriger finde. Da ist ein Haufen selbsternannter Experten, ohne Ahnung von der Materie, die mit Gesetzen spielen, um sich als modern darzustellen. Furchtbar. Da sitzt ja unterm Strich nicht einer der Ahnung hat.

Zitat
Es heißt ja: Jeder kann seine Persönlichkeit frei entfalten, solange er nicht gegen das Sittengesetz oder die verfassungsmäßige Ordnung vestößt oder Rechte dritter Verletzt. Legt man das sehr eng aus, ist es ein Gummiparagraph, der nur regelt, dass erlaubt bleibt, was nicht verboten wurde.


Das ist aber nicht das selbe und ich wüsste auch nicht, dass man das so auslegen kann. Beispielsweise kann der Staat eben nicht hingehen und ein Gesetz gegen eine Handlung erlassen, die die Rechte dritter nicht berührt, nicht gegen die Verfassung verstösst und nicht unsittlich ist. Wobei man sicher sehr vorsichtig sein muss, was am Ende die gute Sitte sein soll. Bei einer entsprechend engen Auslegung dieses Begriffes hat der Gesetzgeber sehr große Schwierigkeiten die Handlung einzuschränken. Und nebenbei: Den zweiten Satz haben wir auch geschlabbert. Denn dort steht: Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Das ist gerade derzeit nicht ganz unwichtig.

Frankenstein Offline




Beiträge: 891

05.05.2021 17:19
#40 RE: Am Rande Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #24
Und für Deutschland eben auch Helmut Kohl, ohne den es niemals eine Wiedervereinigung gegeben hätte.

Die Wiedervereinigung wäre mit oder ohne Kohl gekommen. Dass es sie ohne ihn nicht gegeben hätte, ist eines der großen Ammenmärchen der deutschen Nachkriegsgeschichte, vom Framing her aber zugegebenermassen genial. Ich selber war damals noch Kommunist und selbst mir und meinen Genossen war klar, dass nichts und niemand mehr den begonnenen Prozess aufhalten konnte. Das wäre sogar einem Kanzler Lafontaine nicht möglich gewesen.

Übrigens war es auch Kohl, der die deutsche Eigenstaatlichkeit langfristig abschaffen wollte zugunsten einer europäischen Nation. Diese Agenda wurde von den Briten ja kürzlich erst abgelehnt.

Frank2000 Offline




Beiträge: 3.430

05.05.2021 18:08
#41 RE: Anmerkungen zur Justiz Antworten

Zitat von Frankenstein im Beitrag #40

Die Wiedervereinigung wäre mit oder ohne Kohl gekommen.



Das ist so eine Sache mit den Parallelwelten, in denen man alternative Gesellschaften auisprobiert, um eine These zu beweisen.
Fakt ist: Kohl hat massiv und extrem schnell die deutsche Wiedervereinigung unterstützt. Fakt ist: die Wiedervereinigung wurde vollzogen.

Ich bin inzwischen etwas empfindlich, wenn ich davon lese, Erfolge von Kohl, Thatcher oder Reagan runterzuschreiben mit dem Hinweis "Hätte ja auch ohne die so kommen können".
Und im Gegenzug dazu die Katastrophen linker Politiker (zum Beispiel in Berlin) zu relativieren mit "Die negative Entwicklung war extern verursacht und wäre ohne die gottgleichen linken Politiker noch viel schlimmer gekommen".

Ich unterstelle Ihnen ausdrücklich nicht, werter Frankenstein, so zu denken. Aber ich bin halt bei solchen Thesen inzwischen etwas empfindlich. Kohl hat aus meiner Sicht trotz MASSIVER Angriffe durch die Medien viele Erfolge zu verzeichnen.
Einer der besten Politiker, den wir je hatten.

___________________
Jeder, der Merkel stützt, schützt oder wählt, macht sich mitschuldig.
“Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten mäßig entstellt”, Georg Cristof Lichtenberg

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.542

05.05.2021 19:29
#42 RE: Anmerkungen zur Justiz Antworten

Zitat von Frank2000 im Beitrag #41
Einer der besten Politiker, den wir je hatten.


Hier mag die Sicht aus nun fast einer Generation Distanz mit hineinspielen, und daß wir sehen, daß das Unternehmen Wiedervereinigung wirklich ein Glücksfall war. Man vergißt oft, daß selbst Beobachter in den achtziger Jahren, die konservativ grundiert waren, vor dem Mauerfall ein eher zwiespältiges bis durchwachsenes Verhältnis zu Kohl hatten. Er galt als eher plump, stillos, ein schlechter Redner, ohne "staatsmännisches Format". Der Spott war nicht nur auf die Linke beschränkt (die ihn natürlich glühend gehaßt hat). Mit dem Mauerfall änderte sich das schlagartig. Ich glaube, es war Johannes Gross, der bei der Gelegenheit schrieb: sogar die Anzüge würden ihm jetzt stehen. Vorher wirkte Kohl auf viele eher skeptische Geister wie ein Politiker, der nichts richtig machen konnte. Bei der Wiedervereinigung wirkte er dann wie jemand, der traumhaft keinen falschen Schritt machte (trotz des vielen bösen Bluts, das es um die Regelung der Restitutionsansprüche in der weiland Zone gab und das Abräumen der schrottreifen Industrie). Wobei die "Bollerigkeit", das Vermissen all dessen, was Max Weber als politisches Charisma bezeichnet hat, wohl auch daher kam, daß Kohl so mit seinem Amtsvorgänger kontrastierte, der dieses Charisma ja im Übermaß besaß. Wobei mir einfällt, daß es neben so vielen tumben Witzen über Kohl immerhin auch einige wirklich witzige Scherze gab. Über Merkel und ihre Paladine scheint es nichts dergleichen zu geben. Mag sein, daß diese Gestalten nicht mehr parodierbar sind. Oder es liegt daran, daß auch dieses Fragment der Alltagskultur ausgestorben ist. (Auch über Trump gab es die ja nicht - anders als etwa über Reagan.)



"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire

Johanes Offline




Beiträge: 2.637

05.05.2021 21:25
#43 RE: Anmerkungen zur Justiz Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #38
Wie wäre es mit dem Schweizer Ständerat?


Hatte ich nicht auf den Schirm.

Zitat von Florian im Beitrag #38
Im Nationalrat sind zur Zeit die beiden größten Parteien SVP und SP.
Im Ständerat hingegen CVP und FDP.


Wenn das wirklich so ist, denn haben die Schweizer ja großes Glück.

Zitat von Llarian im Beitrag #39
Was heißt nicht der Brüller? Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Amerikaner die stärkste Nation der Welt, ein ziemlich weiter Weg von einer Kolonie. Sehen Sie sich mal an, was alles in der Zeit in Europa passiert ist.


Entschuldige Sie, Werter Llarian, aber hier halte ich gegen:
1. Europa hat zu der Zeit durchaus eine Blüte erlebt. Über den Imperialismus darf man die Nase rümpfen, aber dessen haben sich die Amerikaner auch Schuldig gemacht. Stichwort Spanisch-Amerikanischer Krieg usw.
Europa war damals in vielen Bereichen Vorreiter, in Kunst, Kultur, Wissenschaft, Technologie. Damals musste sich Europa bestimmt nicht vor den Amerikanern verstecken.
2. Ob die Amerikaner Anfang des 20. Jahrhundert die stärkste Nation der Welt waren, weiß ich nicht. Gemessen an was?
3. Grade beim Aufstieg der USA hatten die Präsidenten nur einen geringen Anteil, weil vieles außerhalb aller staatlichen Kontrolle passierte, etwa im wilden Westen oder die Bundesstaaten eigentlich regulierten.

Wie gesagt, abgesehen von Lincoln und der Gründervätergeneration (Jefferson, Admans) gibt es auch keine Präsidenten des 19. Jahrhunderts, der nennenswert in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Nicht mal Theodore Roosevelt ist als Präsident besonders beeindruckend. Selbst die Amerikaner selbst erinnern sich nicht sehr groß an diese Präsidenten, es gibt sogar historische Gouverneure die mehr Aufmerksamkeit bekommen. Alles zu unrecht?

Die jungen USA sind grade ein Paradebeispiel für ein gut funktionierendes System, das auch schlechte Präsidenten aushält. Selbst im 20. Jahrhundert musste das System das mindestens einmal beweisen, nämlich bei der Affäre um Nixon.

Zitat von Frankenstein im Beitrag #40
Die Wiedervereinigung wäre mit oder ohne Kohl gekommen.


Das ist Spekulation. Es ist auch Spekulation, wie die Wiedervereinigung gekommen wäre. Hätte sich eine freie DDR als Staat konstituiert, wäre eine Entwicklung wie in anderen Ostblock-Ländern denkbar gewesen.
Vielleicht hätten wir dann statt einer "großen" Bundesrepublik eine deutsche Föderation in Mitteleuropa.

Der einzige Unterschied war, ob die Ostdeutschen als Deutsche einfach in dir BRD konnten oder nicht und ich vermute, ein anderer Kanzler, insbesondere ein Roter, hätte das verhindern können oder es zumindest versucht haben. Die Feindschaft gegen Ostdeutsche war und ist da.

Zitat von Frankenstein
Übrigens war es auch Kohl, der die deutsche Eigenstaatlichkeit langfristig abschaffen wollte zugunsten einer europäischen Nation.



Was aus seiner Warte auch logisch schien. Und Kohl liegt damit im Mainstream, überzeugter Europäer statt patriotischer Deutscher.

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #42
Er galt als eher plump, stillos, ein schlechter Redner, ohne "staatsmännisches Format".


Diese Einschätzung hat die eiserne Lady geteilt.

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

06.05.2021 02:20
#44 RE: Anmerkungen zur Justiz Antworten

Zitat von Johanes im Beitrag #43
1. Europa hat zu der Zeit durchaus eine Blüte erlebt. Über den Imperialismus darf man die Nase rümpfen, aber dessen haben sich die Amerikaner auch Schuldig gemacht. Stichwort Spanisch-Amerikanischer Krieg usw.

Eine Blüte mit sehr viel Blut, Krieg und Revolution. Man muss sich die Startbedingungen ansehen: Gegen Ende des 18. Jahrhunderts waren die Amerikaner nicht viel mehr als eine rebellische Kolonie, während Europa ein entwickelter Kontinent war. Hundert Jahre später waren die Amerikaner auf einer Ebene mit Europa.

Zitat
Europa war damals in vielen Bereichen Vorreiter, in Kunst, Kultur, Wissenschaft, Technologie. Damals musste sich Europa bestimmt nicht vor den Amerikanern verstecken.


In Entwicklungsgeschwindigkeit schon. Und von Kunst und Kultur kann sich die normale Bevölkerung nichts kaufen.

Zitat
2. Ob die Amerikaner Anfang des 20. Jahrhundert die stärkste Nation der Welt waren, weiß ich nicht. Gemessen an was?


Gemessen zum Beispiel darin, dass sie die zwei Weltkriege gewannen. Und das nicht knapp.

Zitat
3. Grade beim Aufstieg der USA hatten die Präsidenten nur einen geringen Anteil, weil vieles außerhalb aller staatlichen Kontrolle passierte, etwa im wilden Westen oder die Bundesstaaten eigentlich regulierten.


Ich gebe Ihnen mal eine Liste von Namen und frage Sie, ob Sie nur einen einzigen davon kennen: Sir Alexander Grantham, Sir Robert Brown Black, Sir David C.C. Trench, Sir Murray MacLehose, Sir Edward Youde, Sir David Wilson, Chris Patten. Ich wette(!) Sie kennen nicht einen einzigen davon. Und zu meiner Schande, ich auch nicht. Ich musste sie genau so nachschlagen. Und die Geschichte hat sie im Wesentlichen vergessen. Die Herren sind die (längeren, die kürzeren habe ich weggelassen) Gouverneure von Hong Kong seit dem zweiten Weltkrieg. Nach der japanischen Besatzung war Hong Kong nicht viel mehr als eine Trümmerwüste, die an die Briten zurückgefallen war. Und wissen Sie was die Gouverneure taten? Im Wesentlichen nichts. Hong Kong profitierte unglaublich von seinem Handelsstandort und der wunderbaren Untätigkeit seiner Regierung, die eben nicht, wie sonstige Staatslenker das so gerne taten, regulierten. Und in dieser Zeit wuchs Hong Kong aus der Armut zu einer der reichsten Metropolen der Welt heran.
Ist es die Wirtschaft die Hong Kong schuf? War es die Bevölkerung? War es China? Oder hatten daran ein paar englische Gouverneure ihren Anteil, die Dinge einfach passieren liessen. Es mag für einen Staatslenker ein ungewöhnliches Lob sein, aber vielfach, und die Amerikaner wie auch Hong Kong, sind gute Belege dafür, dass nicht zu handeln, etwas nicht zu tun, oftmals eine deutlich bessere Entscheidung ist.
Die Probleme, die wir derzeit erleben, der Niedergang des Landes, die Übergriffigkeit des Staates, der verheerende Zustand des Bildungssystems, das sind alles Dinge, die auf staatliches Handeln(!) zurück gehen. Wir haben einen Staat der nicht nur zuviel, sondern der viel zu viel handelt, sich für alles zuständig erklärt und zunehmend totalitär und autokratisch auftritt. Die stillen Präsidenten, die stillen Politiker, mag man selten in Geschichtsbüchern antreffen, aber es sind die besseren Herrscher. Und deshalb ist es sehr wohl ein Verdienst, wenn ein Land lange Zeit seinen Bürgern einfach nur die Möglichkeit gibt, Dinge zu schaffen, Werte zu schaffen, etwas aufzubauen und sich kontinuierlich zu verbessern. Die beste Politik ist die, von der man überhaupt nichts mitbekommt.

Zitat
Wie gesagt, abgesehen von Lincoln und der Gründervätergeneration (Jefferson, Admans) gibt es auch keine Präsidenten des 19. Jahrhunderts, der nennenswert in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Nicht mal Theodore Roosevelt ist als Präsident besonders beeindruckend. Selbst die Amerikaner selbst erinnern sich nicht sehr groß an diese Präsidenten, es gibt sogar historische Gouverneure die mehr Aufmerksamkeit bekommen. Alles zu unrecht?


Undank ist der Welten Lohn. Denn ich ich finde tatsächlich, dass es nicht die Aufgabe eines Präsidenten (oder auch Kanzlers nebenbei) ist, unbedingt einen großen Platz in Geschichtsbüchern einzunehmen. Die Aufgabe des Präsidenten ist es, seinen Bürger ein möglichst gutes Leben zu ermöglichen. George W. Bush, den ich durchaus positiver einschätze, als die meisten Deutschen, wird vor allem deshalb in die Geschichte eingehen, weil er in den Irak einmarschiert ist in der irrigen Annahme, man könnte das Nation-Buildung, wie man es in Deutschland 45 umsetzte, mal eben wiederholen. Ich weiß, warum er es tat (nicht für Öl, btw.), und ich will das nicht völlig verurteilen. Aber hat es dem amerikanischen "Joe Sixpack" irgendwie das Leben verbessert? Der hat das vor allem bezahlen müssen. In den Geschichtsbüchern wird er allerdings immer mit diesem (siegreichen) Krieg assoziiert werden.

Zitat
Die jungen USA sind grade ein Paradebeispiel für ein gut funktionierendes System, das auch schlechte Präsidenten aushält. Selbst im 20. Jahrhundert musste das System das mindestens einmal beweisen, nämlich bei der Affäre um Nixon.


Das Problem ist, dass es im Moment real in Gefahr ist. Gäbe es Joe Manchin nicht, würden die Demokraten gerade das System effektiv abschaffen.

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

06.05.2021 02:44
#45 RE: Anmerkungen zur Justiz Antworten

Zitat von Frankenstein im Beitrag #40
Die Wiedervereinigung wäre mit oder ohne Kohl gekommen. Dass es sie ohne ihn nicht gegeben hätte, ist eines der großen Ammenmärchen der deutschen Nachkriegsgeschichte, vom Framing her aber zugegebenermassen genial.

Ich glaube das fast exakte(!) Gegenteil ist richtig, lieber Frankenstein. Denn ich halte es für das größte Ammenmärchen die Einheit wäre Kohl halt in die Hände gefallen und dieses Framing hat sich, auch wenn ich es nicht für genial halte, leider weit verbreitet.

Was jedem Politiker tatsächlich in die Hände gefallen wäre, war der Zusammenbruch der DDR, der aus wirtschaftlichen Gründen ohnehin nicht zu verhindern war. Deswegen war aber im Ausland noch niemand der Meinung, dass es eine besonders gute Idee wäre die Deutschen wieder Europa dominieren zu lassen. Es war das diplomatische Geschick vor Helmut Kohl, dem es gelungen ist, sowohl den amerikanischen, wie den französischen Präsidenten, die englische Premierministerin als auch den russischen Generalsekretär davon zu überzeugen, zumindest nicht so stark zu opponieren, um das ganze zu verhindern. Den beispielsweise Mitterand hat genau das gewollt und wäre es nach ihm gegangen, hätte es nie eine deutsche Wiedervereinigung gegeben. DAS ist Kohls zentrale Leistung. Und ein Lafontaine hätte sich selber lieber ein Bein abgeschnitten, als diese Leistung zu vollbringen, im Gegenteil, er hätte alles getan, genau das zu verhindern und das wäre ihm auch mit Mitterands Unterstützung leicht gelungen. Deutschland war 1989 kein souveränes Land und die Wiedervereinigung gerade im Ausland ein extrem schwieriges Thema.

Zitat
Übrigens war es auch Kohl, der die deutsche Eigenstaatlichkeit langfristig abschaffen wollte zugunsten einer europäischen Nation.


Das muss ja auch nicht falsch sein. Das Problem ist, dass Europa keine föderale Struktur mehr ist, was unter Kohl durchaus der Fall war. Der Vertrag von Maastricht wurde nicht durch Kohl und auch nicht in seiner Zeit gebrochen. Kohl sah sich als Europäer. Das ist nicht falsch. Ich sehe mich auch als Europäer. Aber eben auch als Deutscher. Und Lokalpatriotismus ist mir auch nicht völlig fremd. In einer föderalen Struktur hat doch keiner was dagegen. Ich habe keine Lust italienische Renten zu bezahlen oder den griechischen Staat zu finanzieren. Aber ich sehe durchaus den Vorteil von Handelsfreiheit, Reisefreiheit, von einem gemeinsamen Binnenmarkt und einer gemeinsamen Verteidigung. Ich habe überhaupt nichts gegen eine europäische Nation. Aber eine Nation der Völker, die durchaus das, was sie selber regeln wollen, auch weiter regeln können.

Zitat
Diese Agenda wurde von den Briten ja kürzlich erst abgelehnt.


Die heutige Agenda. Sie haben nicht Kohls Agenda abgelehnt, sondern Merkels. Das täte ich an ihrer Stelle auch.

Frankenstein Offline




Beiträge: 891

06.05.2021 13:31
#46 RE: Anmerkungen zur Justiz Antworten

Zitat von Frank2000 im Beitrag #41

Einer der besten Politiker, den wir je hatten.

Nur Merkel und Brandt waren m. E. schlimmer als Kohl.

Ihm verdanken wir u. a. Euro, EU-Bürokratie, ausufernden Sozialstaat, Quoten, Antipathien zwischen Wessis und Ossis aufgrund der vermurkste Wiedervereinigung etc.

Florian Offline



Beiträge: 3.179

06.05.2021 17:38
#47 RE: Anmerkungen zur Justiz Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #44

Zitat
2. Ob die Amerikaner Anfang des 20. Jahrhundert die stärkste Nation der Welt waren, weiß ich nicht. Gemessen an was?

Gemessen zum Beispiel darin, dass sie die zwei Weltkriege gewannen. Und das nicht knapp.



Ich glaube, hier lohnt sich Differenzierung.

Im 1. Weltkrieg waren die Amerikaner das Zünglein an der Waage. Nicht weniger. Aber auch nicht mehr.
Die USA sind erst im April 1917 in den Krieg eingetreten.
Zu diesem Zeitpunkt hatten sie allerdings nur eine Mini-Armee mit schlechter Ausrüstung.
Es dauerte bis Anfang 1918 bis die USA soweit mobilisiert und ausgebildet hatten, dass sie erstmals militärisch an der Westfront aktiv wurden. Viele moderne Waffen (wie z.B. Artillerie und Flugzeuge) waren nicht vorhanden und wurden von Frankreich zur Verfügung gestellt.
Erst im August 1918 stellten die mehr als 1 Mio. Soldaten in Frankreich.

Diese Soldaten waren frisch und gut ernährt. Und waren letztlich sicher entscheidend für den Sieg der Allierten im Sinne "Zünglein an der Waage". Aber die Hauptlast des Krieges trugen die Europäer.

Im 2. Weltkrieg waren die USA hingegen SEHR entscheidend sowohl in Europa als auch im Pazifik.
Was die Truppenstärke betrifft, waren die USA zwar auch hier bei weitem nicht die Nummer 1. (Das waren die Russen mit großem Abstand).
Und auch im 2. Weltkrieg dauerte es zumindest in Europa recht lange, bis die USA wirklich militärisch dominant waren.
(Bis Frühjahr 1944 waren die USA in der militärischen Führung im Verhältnis zu Großbritannien noch klar der Juniorpartner. Das änderte sich erst nach D-Day. Selbst D-Day selbst war noch eine überwiegend britische Operation.)

Aber anders als im 1. Weltkrieg waren die USA in dieses Mal ganz klar das industrielle Rückgrat der Allierten, das "Arsenal of Democracy".
Amerikanische Fabriken produzierten Panzer, Flugzuege und Zerstörer in atemberaubender Geschwindigkeit. Und amerikanisches Militärgerät war auch für die Russen an der Ostfront sehr wichtig (u.a. zigtausende Lastwägen, die den Russen große Logistikvorteile gegenüber der Wehrmacht brachten).

Im 1. Weltkrieg mussten die amerikanischen Soldaten noch mit französischem Material ausgerüstet werden. (Frankreichs Kriegsindustrie war also viel größer als die amerikanische - obwohl die USA ja den Luxus hatten, viel weniger Männer an die Front schicken zu müssen). Jetzt wurde die ganze allierte Welt mit amerikansichem Material versorgt.


PS:
hier ist ein sehr informatives und spannendes Video zur Kriegsproduktion von USA, Deutschland und Russland: https://www.youtube.com/watch?v=N6xLMUifbxQ
ab Minute 26 (davor ist ein anderer Vortrag. Auch interessant, aber anderes Thema). Kann ich wirklich SEHR empfehlen.

Johanes Offline




Beiträge: 2.637

06.05.2021 21:12
#48 RE: Anmerkungen zur Justiz Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #44
Zitat von Johanes im Beitrag #43
1. Europa hat zu der Zeit durchaus eine Blüte erlebt. Über den Imperialismus darf man die Nase rümpfen, aber dessen haben sich die Amerikaner auch Schuldig gemacht. Stichwort Spanisch-Amerikanischer Krieg usw.

Eine Blüte mit sehr viel Blut, Krieg und Revolution.


Ist der Vergleich wirklich fair? Immerhin hat das englischen Königreich erheblich länger bestand als die USA und das deutsche Kaiserreich war auch sehr stabil, bis 1914.

Die USA dagegen haben sich in den texanischen Unabhängigkeitskrieg eingemischt, Krieg mit Mexiko, den Indianern und den Briten in Kanada geführt und sich nach Westen "vorgearbeitet".

Zitat von Llarian
Man muss sich die Startbedingungen ansehen: Gegen Ende des 18. Jahrhunderts waren die Amerikaner nicht viel mehr als eine rebellische Kolonie, während Europa ein entwickelter Kontinent war. Hundert Jahre später waren die Amerikaner auf einer Ebene mit Europa.



1. Da finde ich den Aufstieg Japans seit der Meiji-Restauration wesentlich beeindruckender. Immerhin hat es da eine relativ rohstoffarme Insel, technisch unterlegen und ohne Kolonien, zur Großmacht gebracht.
2. Die Amerikaner haben in der Zwischenzeit den Westen sprichwörtlich erobert.
3. Die Amerikaner hatten dafür das Glück, ihr Gebiet relativ für sich selbst zu haben, während in Europa verschiedene Großmächte existierten. Das ist im Grunde ja bis heute so, nur dass Europa inzwischen in einen anderen Zustand ist und vieles von damals undenkbar wurde.

Zitat von Llarian

Zitat
Europa war damals in vielen Bereichen Vorreiter, in Kunst, Kultur, Wissenschaft, Technologie. Damals musste sich Europa bestimmt nicht vor den Amerikanern verstecken.


In Entwicklungsgeschwindigkeit schon. Und von Kunst und Kultur kann sich die normale Bevölkerung nichts kaufen.




Woran messen wir die Entwicklungsgeschwindigkeit? An welchen Quellen?

Zitat von Llarian
Nach der japanischen Besatzung war Hong Kong nicht viel mehr als eine Trümmerwüste, die an die Briten zurückgefallen war. Und wissen Sie was die Gouverneure taten? Im Wesentlichen nichts. Hong Kong profitierte unglaublich von seinem Handelsstandort und der wunderbaren Untätigkeit seiner Regierung, die eben nicht, wie sonstige Staatslenker das so gerne taten, regulierten. Und in dieser Zeit wuchs Hong Kong aus der Armut zu einer der reichsten Metropolen der Welt heran.



Ich habe keine Ahnung von den rechtlichen, politischen und sonstigen Möglichkeiten der Gouverneure von Hong Kong.
Mag sein, dass es da ein gutes System gab, dass den Gouverneur unten hielt oder das die Gouverneure alle selbst sehr zurückhaltend waren.

Zitat von Llarian
Die Probleme, die wir derzeit erleben, der Niedergang des Landes, die Übergriffigkeit des Staates, der verheerende Zustand des Bildungssystems, das sind alles Dinge, die auf staatliches Handeln(!) zurück gehen.



Wir haben auch genug Probleme, dir auf falsches und/oder Nichthandeln zurückgehen:
- Rentenproblem aufgrund von Demographie
- Unterentwickelte Vermögensquote
- Die Probleme im Rahmen der EU wären auch nicht verschwunden, wenn man die Dinge einfach hätte laufe lassen
- Die gesamte Überwachungsproblematik

Zitat von Llarian

Zitat
Die jungen USA sind grade ein Paradebeispiel für ein gut funktionierendes System, das auch schlechte Präsidenten aushält. Selbst im 20. Jahrhundert musste das System das mindestens einmal beweisen, nämlich bei der Affäre um Nixon.


Das Problem ist, dass es im Moment real in Gefahr ist. Gäbe es Joe Manchin nicht, würden die Demokraten gerade das System effektiv abschaffen.




Ich hoffe, das US-System ist stabiler als wir glauben.

Zitat von Florian im Beitrag #47
Zu diesem Zeitpunkt hatten sie allerdings nur eine Mini-Armee mit schlechter Ausrüstung.


Das stimmt. Während des 1. Weltkrieges waren die USA weder die wichtigste Industrie-, noch Militärmacht. Wenn man Stärke also am Militär misst, müssten wahrscheinlich die Briten weiter oben stehen.
Meines Wissens lief auch die Industrialisierung in den USA anders ab.

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.542

06.05.2021 22:09
#49 RE: Anmerkungen zur Justiz Antworten

Zitat von Johanes im Beitrag #48

1. Da finde ich den Aufstieg Japans seit der Meiji-Restauration wesentlich beeindruckender. Immerhin hat es da eine relativ rohstoffarme Insel, technisch unterlegen und ohne Kolonien, zur Großmacht gebracht.
2. Die Amerikaner haben in der Zwischenzeit den Westen sprichwörtlich erobert.
3. Die Amerikaner hatten dafür das Glück, ihr Gebiet relativ für sich selbst zu haben, während in Europa verschiedene Großmächte existierten. Das ist im Grunde ja bis heute so, nur dass Europa inzwischen in einen anderen Zustand ist und vieles von damals undenkbar wurde.


Nun, das "ohne Kolonien" ist in diesem Fall nicht ganz zutreffend. Zum einen hatte Japan Formosa/Taiwan, als Spolie aus dem gewonnenen Krieg 1895 mit dem chinesischen Kaiserreich, und aus demselben Grund Korea als Agrarkolonie, mit brutaler Ausbeutung. Zudem hat Japan nicht ganz ab ovo angefangen: es gab schon vor der Öffnung Bemühungen, Anfänge der Industrialialisiering umzusetzen (daraus wurde nicht viel, aber auf diese Planungen ist zu Anfang der Meiji-Periode zurückgegriffen worden. Die mehreren tausend "westlichen Berater" habe ich ja in meinem Posting zu Lafcadio Hearn kurz erwähnt. Fun fact (oder nicht so fun): der Sitz der japanischen Kolonialverwaltung in Seoul, das 조선총독부 청사 (Joseon-chongdokbu Cheongsa) ist von einem in Japan tätigen deutschen Architekten entworfen worden, Georg de Lalande (1872-1916), der seit 1903 in Japan tätig war (nicht unseren PC-Plärrern weitersagen, sonst drehen die da noch weitere Forderungen zur Zerknirschung draus). Sehr viel ist damals in die Moderniserung bzw. überhaupt erst den Bau einer Marineflotte invstiert worden: das hat dann mit dem Sieg bei Port Arthur den Japanern einen Brückenkopf auf dem Festland ermöglicht.

Daß die USA ihre Modernisierung & technische Entwicklung dem Impuls der Frontier verdanken, ist wohl vor allem von Frederick Jackson Turner zementiert worden; die meisten Sozialhistoriker seitdem haben heftig widersprochen: die innovativen Impulse, der Aufbau der Industrie, auch die Organisationsformen: das verdankt sich hauptsächlich der lange erschlossenen Ostküste. (Turners "Frontiert Thesis" habe ich im Posting zu "Arecibo" kurz erwähnt: Turner hat aus der "offiziellen Beendigung" der Expansion nach Westen und dem Wegfall dieser Innovationbefeuerung auf die Notwendigkeit weiterer "Grenzen" geschlossen - in seine Fall den Pazifikraum & Ostasien, um nicht zu versacken und für die Zukunft am Ball zu bleiben. Die Metapher von Weltraum als "the final frontier" verdankt sich der Überlegung.



"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire

Publius Offline



Beiträge: 127

07.05.2021 16:38
#50 RE: Anmerkungen zur Justiz Antworten

Zitat von Johanes im Beitrag #43
Das stimmt. Während des 1. Weltkrieges waren die USA weder die wichtigste Industrie-, noch Militärmacht. Wenn man Stärke also am Militär misst, müssten wahrscheinlich die Briten weiter oben stehen.
Meines Wissens lief auch die Industrialisierung in den USA anders ab.

Naja, wie in England begann auch in den USA die Industrialisierung mit der Textilindustrie, danach kam die Zeit der Eisenbahnen. Begünstigt wurde dies durch den Rohstoffreichtum des Landes wie Kohle und Eisen, sowie das Vorhandensein von Unternehmern, besonders in den Nordost-Staaten, die zuvor durch Handel etwas Kapital akkumuliertien.

Allerdings muss auch erwähnt werden, dass seit der Gründung der USA bis ins Anfang des 20. Jahrhunderts hinein der Staat der Industrie, aber auch dem Handel, durch protektionistische Maßnahmen unter die Arme greifte. Als z.B. Ende des 18. Jahrhunderts amerikanische Kaufleute den Handel mit China begannen, verabschiedete die Bundesregierung Zollgesetze, welche den amerikanischen Schiffen, die chinesischen Tee importierten, niedrigere Zölle auferlegten als ausländische. Im Jahre 1816 durften sich die amerikanischen Pelzhändler freuen, als durch ein Gesetz alle ausländischen Händler, es sei denn sie arbeiteten für einen Amerikaner, aus diesem Handel ausgeschlossen wurden. Der aus Deutschland eingewanderte Pelzhändler John Jacob Astor z.B. jubelte in einem Brief an seinen Freund und ehemaligen US-Finanzminister Albert Gallatin darüber, dass er den schottischen Pelzhändlern aus Montreal ihre ganze Ausstattung in 2 Monaten abkaufen konnte.
Für die Textilindustrie fanden sich zwar, wie vorhin erwähnt, Unternehmer, jedoch war sie der entwickelteren, kapitalkräftigeren, billigeren und qualitativ besser produzierenden britischen Industrie deutlich unterlegen. Der Krieg von 1812-1815 mit Großbritannien brachte der amerikanischen einen Aufschwung. 1816 wurde ein Zollgesetz verabschiedet, was der Textil- und Eisenindustrie zugute kam (und worüber sich auf der anderen Seite die Pelzhändler ärgerten, da die Indianer im Tausch gegen Felle die qualitativ besseren britischen Textilprodukte bevorzugten). Wie vorhin erwähnt, hielt sich die Schutzzollpolitik, mal höher mal niedriger, bis ins 20. Jahrhundert hinein, ganz im Gegensatz zu Großbritannien, das mehr auf Freihandel setzte.

Der Mangel an Kapital in den USA bewirkte auch, wie in der Eisenbahnindustrie, dass es zu Kapitalbeteiligungen der öffentlichen Hand kam, wie z.B. im Fall der ersten Eisenbahngesellschaft „C&A Camden and Amboy Railroad“ im Bundesstaat New Jersey. Auch europäisches, besonders britisches Kapital halfen beim Aufbau eines Verkehrsnetzes, welches den Transport von Gütern wie Getreide und Baumwolle, welche Europa dringend brauchte, zu den Häfen an der Ostküste erleichterte. Natürlich erleichterte dies auch den Export und Verteilung europäischer Industrieprodukte nach Amerika.
Dass die US-Wirtschaft z.T. mit Kapital aus Europa aufgebaut wurde, kann man auch am Beispiel der ersten und zweiten Nationalbank sehen, die anders als heute nicht nur für die Stabilität der Währung zuständig waren, sondern sich auch als Geschäftsbanken betätigten. Sie wurden u.a. aufgrund des Kapitalmangels kreiert und es konnten sich auch ausländische Investoren an ihnen beteiligen.

Waren die USA im 19. Jahrhundert eine Schuldnernation mit einer meistens negativen Handelsbilanz (trotz protektionistischer Wirtschaftspolitik), drehte sich das während und nach dem 1. Weltkrieg (ich möchte allerdings auf keinen Fall andeuten, dass eine negative Handelsbilanz ein Merkmal für Armut sei, der Wohlstand der USA stieg im 19. Jahrhundert trotz allem kontinuierlich). Britische Investoren verkauften ihre Anteile an Unternehmen in den USA an amerikanische, wodurch sich die US-Industrie nach dem Krieg größtenteils in eigener Hand befand und auch der US-Dollar nun neben dem britischen Pfund international als starke Währung angesehen wurde.

Gruß

Publius

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