Es ist einmal wieder wie so oft: Eine "Sensation" erregt die Medien; hier vor allem die antiamerikanischen das angebliche wissenschaftliche Ergebnis, daß der Irak-Krieg mehr als 600.000 zivile Todesopfer gefordert habe.
Wenn sich dann aber herausstellt, wie fragwürdig diese angeblichen Erkenntnisse sind - dann ist das kaum eine Meldung wert.
Da müssen dann halt die Blogs sich zu Wort melden.
meine Neigung geht immer mehr in die Richtung, sich nur noch mit den Originalquellen zu beschäftigen und die Berichterstattung darüber (inklusive der Agenturmeldungen) einfach zu ignorieren. Vielen Dank, dass Sie mir diesen Ansatz quasi schon vorleben.
Ihrem Artikel habe ich nichts hinzuzufügen, aber die "Diskussion" um die Opferzahlen geht gleich in die nächste Runde. Just gestern gab es diese Spiegel Online - Meldung: Mehr als 150.000 Zivilisten im Irak getötet.
Die WHO-Seite mit dem Report und weiteren Links ist hier:
Laut des Kommentars (mein Englisch ist leider nicht besonders gut) wird in dem Interview u.a. auf die “Baseline” der Sterblichkeitsrate (Mortalitätsrate), also den Ausgangspunkt an dem die Sterblichkeitsrate im Irak nach Saddams Sturz gemessen wird, eingegangen.
Laut des Interviews lag also die die Mortalitätsrate lag im Irak Saddams offiziell bei 5,5/1000 Einwohnern.
Zum Vergleich: In der EU lag sie zu diesem Zeitpunkt bei 10/1000 Einwohnern.!!!!
Das heißt nicht weniger, als daß im Irak Saddams pro Jahr nur halb so viele Leute, bezogen auf jeweils 1000 Einwohner starben, als in Westeuropa!!!
Kein Wunder, dass man auf solche astronomische Zahlen gekommen ist
ich hatte mir dieses Interview mit Burnham angeguckt, in dem ihm die Vergleichszahlen aus Europa und Ungarn vorgehalten werden.
Er hatte darauf eine Antwort, die mir plausibel erschien: Den ganz anderen Altersaufbau der Bevölkerung. Je mehr Alte es in einer Population gibt, desto höher ist logischerweise die Sterblichkeit. Deshalb ist die in Europa, in Ungarn deutlich höher als in Entwicklungsländern, trotz der schlechteren Ernährung, gesundheitlichen Versorgung, Ernährung dort. Insofern bedeuten ähnliche Zahlen wie in Europa schon, daß das betreffende Entwicklungsland eine ungewöhnlich hohe Sterblichkeit hat.
Burnham hat auch eine Zahl der CIA zur Sterblichkeit im Irak vor der Invasion zitiert, die nah bei der in der Studie ermittelten lag.
Ich habe das überzeugend gefunden und deshalb dieses Argument nicht in meinen Artikel aufgenommen.
Was an der Untersuchung jedenfalls zu kritisieren ist, das ist ja immer noch so massiv, daß ich es wirklich unglaublich finde, wie wenig diese Kritik jetzt publizistisch beachtet wird.
Klingt einleuchtend aber was ist mit der Auswirkung der UN-Sanktionen?
Es wird ja vorgeworfen und wurde ja auch von Saddam propagandistisch ausgeschlachtet, dass hunderttaussende Kinder an fehlenden Medikamten u.Ä. gestorben seien. Hatten denn diese Tode keine Auswirkungen auf die Mortalitätsrate im Irak?
P.S. Ganz davon abgesehen. Eine Zahl von über 600.000 Toten(bei einer Bevölkerung von etwa 26 Milionen)seit der Invasion. Das grenzt ja schon an einen Völkermord. Das müsste ja auch jeden Laien auffallen müssen
Zitat von KaneEine Zahl von über 600.000 Toten(bei einer Bevölkerung von etwa 26 Milionen)seit der Invasion. Das grenzt ja schon an einen Völkermord. Das müsste ja auch jeden Laien auffallen müssen
In dem Artikel im National Journal wurde darauf aufmerksam gemacht, daß die Untersuchung (wie auch eine Vorläufer-Untersuchung, genannt Lancet 1) mitten in einen Wahlkampf in den USA hinein publiziert wurde.
Ob das nun beabsichtigt war oder Zufall - jedenfalls wurde die Horrorzahl von den US-Demokraten begierig aufgegriffen und im Wahlkampf eingesetzt; was man ihnen ja auch nicht verübeln kann. Über Plausibilität wurde damals wenig nachgedacht, scheint es.
Natürlich spielte auch die wissenschaftliche Seriosität von Lancet eine Rolle.
Was meines Erachtens übersehen wurde, ist die Schwachstelle bei der Datensammlung.
Das konnte auch keiner der vier Gutachter beurteilen - wie es eigentlich vor Ort zugegangen ist.
Ich will, lieber Kane, mal a bisserl aus dem Nähkästchen plaudern. Ich habe als Student in den sechziger Jahren als Interviewer gejobbt. Das war noch vor der Zeit der Telefonumfragen; die gingen damals nicht, weil noch längst nicht alle Haushalte ein Telefon hatten.
In unserem Institut wurde meist mit der Quotenmethode gearbeitet. Man bekam also eine Liste: Man mußte soundsoviele Männer, soundsoviele Frauen in diesem und jenem Alter interviewen usw. Oft war auch das Wohnviertel vorgegeben.
Das war eine Knochenarbeit. Man klingelte. Oft wurde gar nicht aufgemacht. Wenn jemand aufmachte und ich mit meinem Spruch begann, wurde oft die Tür zugeknallt, weil man nichts kaufen wollte.
Kam es zu einem Interview, dann hatte die betreffende Person häufig Bedarf nach einem Gesprächspartner und hielt endlose Reden.
Und wie traf man zum Beispiel Jugendliche an, wie vor allem Männer zwischen zwanzig und fünfzig? Die waren logischerweise tagsüber "auf Arbeit". Also versuchte man sie abends zu erreichen, wenn man sie für die Quote brauchte. Da saßen sie aber vor dem TV oder beim Essen.
Und so fort. Ich habe keinen Kollegen erlebt, der nicht gelegentlich Daten "freihändig ergänzt" hätte. Sobald man wußte, wie ungefähr die Tendenz ging, konnte man sich in ein Café setzen und Bögen ausfüllen. Oder man machte eine Sechzigjährige, die man interviewt hatte, zu einer Dreißigjährigen, die man noch brauchte.
Jeder, der diese Arbeit kennt, weiß, daß das bei Haus-Interviews so geht. Also mußten die Interviewer die Adressen der Interviewten aufschreiben, und es kamen nach Abschluß der Erhebung Kontrolleure, die stichprobenartig die Betreffenden aufsuchten und die Daten nachprüften.
Nichts davon ist offenbar damals im Irak gemacht worden. Es gab, soweit bekannt ist, keinerlei Sicherung dagegen, daß Interviewer - selbst vielleicht antiamerikanisch eingestellt - Daten produzierten, die nur eine geringe Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit hatten.
Und selbst wenn ein Interviewer ehrlich war, gab es jede Menge Fehlerquellen, die in dem Artikel im National Journal noch gar nicht genannt wurden. Zum Beispiel ist in der irakischen Gesellschaft keineswegs klar, wer zur "Familie" gehört. An kürzlich Verstorbene erinnert man sich eher als an Verstorbene, deren Tod schon länger zurückliegt; vor allem, wenn es entfernte Verwandte sind. Zum Beispiel ist unklar, was eigentlich "Zivilisten" sind. Unter den ermittelten Toten waren erstaunlich viele junge Männer. Niemand weiß, wieviele davon als Kämpfer in einer Miliz ums Leben gekommen sind.
diese Daten sind sicherlich besser als die von Lancet II; schon weil die Stichprobe ungleich größer ist.
Nehmen wir einmal an, es seien zuverlässige Daten - was machen dann jetzt eigentlich die Autoren von Lancet II? Wenn ein Wissenschaftler so völlig falsche Daten publiziert, wie sie es offensichtlich getan haben, dann ist das eigentlich das Ende seiner Karriere. Wer einmals derart geschlampt hat, dem glaubt man auch später seine Daten nicht.
Wie schon in ZR geschrieben - vorzuwerfen ist den Autoren nicht, daß ihre Daten so schlecht waren; das lag in der Begrenztheit ihre Möglichkeiten und der Situation im Irak. Vorzuwerfen ist ihnen aber, daß sie so grottenschlechte Daten publiziert haben.
Übrigens ist einer der Autoren von Lancet I, Richard Garfield, nicht als Mitautor von Lancet II aufgetreten, weil ihm die Datensammlung unzureichend überwacht erschien.
Noch drei andere Aspekte:
Zum einen ist es ja interssant, daß diese jetzige umfassende Erhebung, die die rund 150.000 Opfer zutage gefördert hat, überhaupt im gesamten Irak durchgeführt werden konnte. Das spricht nicht dafür, daß die Regierung nur über die Grüne Zone von Bagdad regiert.
Zweitens aber ein heftiges caveat!: Das irakische Gesundheitsministerium, das die Studie wesentlich zu verantworten hat, stand bis Herbst 2007 unter der Kontrolle der Sadr-Milizen; so schreibt es jedenfalls das National Journal.
Und drittens: Mehr als die Hälfte der Todesfälle wurden aus Bagdad berichtet. Schon daraus geht hervor, daß die Behauptung, der Irak befinde sich im Bürgerkrieg, niemals gestimmt hat. Allenfalls Bagdad hat sich bürgerkriegsähnlichen Zuständen genähert; aber auch das nur bis zum Surge.
Bitte beachten Sie diese Forumsregeln: Beiträge, die persönliche Angriffe gegen andere Poster, Unhöflichkeiten oder vulgäre Ausdrücke enthalten, sind nicht erlaubt; ebensowenig Beiträge mit rassistischem, fremdenfeindlichem oder obszönem Inhalt und Äußerungen gegen den demokratischen Rechtsstaat sowie Beiträge, die gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Hierzu gehört auch das Verbot von Vollzitaten, wie es durch die aktuelle Rechtsprechung festgelegt ist. Erlaubt ist lediglich das Zitieren weniger Sätze oder kurzer Absätze aus einem durch Copyright geschützten Dokument; und dies nur dann, wenn diese Zitate in einen argumentativen Kontext eingebunden sind. Bilder und Texte dürfen nur hochgeladen werden, wenn sie copyrightfrei sind oder das Copyright bei dem Mitglied liegt, das sie hochlädt. Bitte geben Sie das bei dem hochgeladenen Bild oder Text an. Links können zu einzelnen Artikeln, Abbildungen oder Beiträgen gesetzt werden, aber nicht zur Homepage von Foren, Zeitschriften usw. Bei einem Verstoß wird der betreffende Beitrag gelöscht oder redigiert. Bei einem massiven oder bei wiederholtem Verstoß endet die Mitgliedschaft. Eigene Beiträge dürfen nachträglich in Bezug auf Tippfehler oder stilistisch überarbeitet, aber nicht in ihrer Substanz verändert oder gelöscht werden. Nachträgliche Zusätze, die über derartige orthographische oder stilistische Korrekturen hinausgehen, müssen durch "Edit", "Nachtrag" o.ä. gekennzeichnet werden. Ferner gehört das Einverständnis mit der hier dargelegten Datenschutzerklärung zu den Forumsregeln.