Zitat Der von mir ausgewählte Text ist der letzte der Vorträge über Kafka; gehalten wurde er am 6. September 1951 an der Universität von San Pedro in Montevideo auf Einladung der Vereinigung der „Amigos del Arte.“ Anders als bei dem größten Teil dieser Vorträge ist der genaue Wortlaut hier nicht verloren gegangen. In der in Montevideo erscheinenden Tageszeitung „El País“ erschien nicht nur am Morgen des Vortrags eine Ankündigung des öffentlichen Vortrags, sondern auch 5 Tage später, am 11. September, der per Stenographie festgehaltene Text selbst. Seitdem ist der kleine Essay nie wieder gedruckt worden; er ist in keiner Sammlung von Borges aufgenommen worden (und natürlich ist er auch niemals in eine andere Sprache übersetzt worden). Daß diese einzige Publikation auf den Tag genau 50 Jahre vor einem anderen elften September stattfand, der sich unauslöschlich ins Gedächtnis der Menschheit eingegraben hat, darf bei einem Text, der am Schluß von „der Sintflut“ spricht, die „über die Welt hereinbrach, als ob sie auf sein Wort gehört hätte, mit Henkern und Gerichten, die genauso absurd waren wie die, die er erdacht hatte,“ als WIRKLICH kafkaesk verbucht werden.
"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire
"Also Kafka. Er schreibt nur über sich selbst, Traumgeschichten. Höchst vergnüglich - er war ja ein großer Humorist. So, wie Robert Walser. Als Kafka eine seiner ersten Arbeiten in der Zeitschrift 'Hyperion' publizierte, vermuteten manche, 'Franz Kafka' sei ein Pseudonym von Robert Walser." Zum 80. Geburtstag von Martin Walser (3): Der Künstler und die Politik
Zitat von Johanes im Beitrag #2vermuteten manche, 'Franz Kafka' sei ein Pseudonym von Robert Walser."
Das müssen aber höchst stiltaube Leser gewesen sein. Kafka wie Walser (Robert in diesem Fall) laufen in ihrem Stil, ihrer unverwechselbaren Ausdrucksweise, ein ganzes Stück neben der gewohnten Spur, aber auf jeweils eigene Weise. Kafkas Stil ist eine Mischung aus dem Deutsch, wie es in Prager Kreisen gesprochen wurde, und dem Kanzleistil, wie er in den Schriftsätzen seiner Arbeit bei der Versicherung gebräuchlich war. Daher rühren die merkwürdigen Wendungen und Anschlüsse, die seinen literarischen Texten (nicht seinen Briefen) diesen distanzierten, aufzählenden Ton geben.
Bei Walser ist das völlig anders: Walsers Stil ist die reine Assoziitis - er kommt von einer Wendung auf die unlogisch nächste, die Stilebenen wechseln von einem Nebensatz sprunghaft und unvorhersehbar, eine Zeile lang herrscht hohes Pathos (das sich bei Kafka nie findet), dann wird es sofort wieder betulich-einfältig, es dreht sich immer um sich selbst, ohne daß der Leser ahnen könnte, welche Volte in der nächsten Zeile kommt. (Das gilt jedenfalls für die typischen Walser-Kurztexte; in den längeren, schon ab "Der Spaziergang" wird das eher piano eingesetzt, aber sprunghaft bleibt das immer.)
Ich zitier' mal ganz aufs Geratewohl:
Zitat Einer stand im Raum starkstill, schaute bloß herum. Ob er etwa dichtete? In der Tat kam er hierher, um sein erstes Gedicht hervorzubringen. Da er sich dabei beeilt hatte, war er warm geworden.
Nun war er halb in Lust, halb in Angst. In Lust, weil er schaffen wollte, in Angst, daß es ihm mißlingen könnte." - "Das erste Gedicht"
Zitat Im Sommer schrieb ich nie ein Gedicht. Das Blühen und Prangen war mir zu sinnlich. Ich war traurig im Sommer. Mit dem Herbst kam eine Melodie über die Welt. Ich war in den Nebel, in die früh schon beginnende Dämmerung, in die Kälte verliebt. Den Schnee fand ich göttlich, aber vielleicht noch schöner und göttlicher kamen mir die dunklen, wilden, warmen Stürme des Vorfrühlings vor. Im kalten Winter glänzten und schimmerten die Abende bezaubernd. Die Töne taten es mir an, die Farben glänzten. Ich brauche kaum zu sagen, daß ich unendlich einsam lebte. Die Einsamkeit war die Braut, welcher ich huldigte, der Kamerad, den ich bevorzugte, das Gespräch, das ich liebte, die Schönheit, die ich genoß, die Gesellschaft, in welcher ich lebte. ... O die reine träumerische Schwermut, das wonnige Verzagen, die himmlisch-schöne Mutlosigkeit, die gesellige Trauer, die süße Härte. Die verschneiten Felder sprachen mich vertraulich an, der Mond schien mir auf den gespenstischweißen Schnee niederzuweinen; die Sterne! Es war herrlich. Ich war so fürstlich arm und so königlich frei. - "Die Gedichte"
Solche Girlanden finden sich nirgendwo bei Kafka.
Als Kontrast zitiere ich mal den Auftakt zu "Der Jäger Gracchus":
Zitat Zwei Knaben saßen auf der Quaimauer und spielten Würfel. Ein Mann las eine Zeitung auf den Stufen eines Denkmals im Schatten des säbelschwingenden Helden. Ein Mädchen am Brunnen füllte Wasser in ihre Bütte. Ein Obstverkäufer lag neben seiner Ware und blickte auf den See hinaus. In der Tiefe einer Kneipe sah man durch die leeren Tür- und Fensterlöcher zwei Männer beim Wein. Der Wirt saß vorn an einem Tisch und schlummerte. Eine Barke schwebte leise, als werde sie über dem Wasser getragen, in den kleinen Hafen. Ein Mann in blauem Kittel stieg ans Land und zog die Seile durch die Ringe. Zwei andere Männer in dunklen Röcken mit Silberknöpfen trugen hinter dem Bootsmann eine Bahre, auf der unter einem großen blumengemusterten, gefransten Seidentuch offenbar ein Mensch lag.
Da das Stichwort "Hyperion" fiel: in der Zeitschrift sind 3 Texte von Kafka erschienen: "Betrachtung" (Jan-Febr 1908) und die beiden Gepräche mit dem Beter und dem Betrunkenen (beide im März-April Heft 1909). "Gespräch mit dem Beter":
Zitat Aber er begnügte sich nicht mit dem Dunkel der Gasse, in der nur weit voneinander gelbe Laternen waren, sondern er führte mich in den niedrigen Flurgang eines alten Hauses unter ein Lämpchen, das vor der Holztreppe tropfend hing.
Dort nahm er wichtig sein Taschentuch und sagte, es auf eine Stufe breitend: „Setzt Euch doch, lieber Herr, da könnt Ihr besser fragen, ich bleibe stehen, da kann ich besser antworten. Quält mich aber nicht.“
Da setzte ich mich und sagte, indem ich mit schmalen Augen zu ihm aufblickte: „Ihr seid ein gelungener Tollhäusler, das seid Ihr! Wie benehmt Ihr Euch doch in der Kirche! Wie ärgerlich ist das und wie unangenehm den Zuschauern! Wie kann man andächtig sein, wenn man Euch anschauen muß.“
Er hatte seinen Körper an die Mauer gepreßt, nur den Kopf bewegte er frei in der Luft. „Ärgert Euch nicht — warum sollt Ihr Euch ärgern über Sachen, die Euch nicht angehören. Ich ärgere mich, wenn ich mich ungeschickt benehme; benimmt sich aber ein anderer schlecht, dann freue ich mich. Also ärgert Euch nicht, wenn ich sage, daß es der Zweck meines Lebens ist, von den Leuten angeschaut zu werden.“
Zitat von Johanes im Beitrag #2Sonst bringt mir Borges hier zu sehr seine eigene Interessen, das Unendliche, in die Erzählung ein.
Das läßt sich nicht ändern. Ich wollte zu Kafka einen halbwegs originalen Beitrag liefern - was sich natürlich angesichts der Regalmeter, die zu ihm geschrieben worden sind, ein wenig schwer anläßt. Und ein verschollener Text von Borges, den niemand - außer jetzt den Lesern von Zettels Raum - kennt, schien mir dieses Kriterium zu erfüllen.
"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire
L'esprit de l'escalier. Zufällig stolpere ich gerade über dies hier:
Zitat von ZRAm 15. Juli 1946 erfuhr Borges aus der Zeitung, daß er als einer der bekanntesten Intellektuellen des Landes befördert worden war: zum „Marktinspektor für Geflügel“ - „Inspector des aves de corral.“
Zitat Borge made several appearances on the TV show What's My Line?, both as a celebrity panelist and as a contestant with the occupation "poultry farmer". (The latter was not a comedy routine: as a business venture, Borge raised and popularized Rock Cornish game hens, starting in the 1950s.)[45]
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