Als im April 2006 ein von Romano Prodi geführtes Linksbündnis - darin gleich mindestens drei kommunistische oder exkommunistische Parteien - knapp die Parlamentswahlen gewann, herrschte in der Mehrzahl der deutschen Medien Euphorie. Denn Berlusconi hatte man ein Image verpaßt, das irgendwo zwischen dem von George W. Bush und Roland Koch lag. Und Prodi wurde als eine Art Lichtgestalt gesehen, war er doch EU-Kommissionspräsident gewesen.
Ich habe diese Einschätzung nicht geteilt, weil ich mir nicht vorstellen konnte, daß ein Bündnis aus Kommunisten diverser Spielarten, Sozialdemokraten, Linksliberalen und Linkschristen regierungsfähig ist.
Jetzt ist es so weit. Die Regierung Prodi ist erkennbar am Ende. Und einer der beiden Führer der Rechten, Umberto Bossi, spricht gar schon von Revolution.
Sollte man die Revoluzzerei nicht lieber den Kommunisten überlassen? Die haben's doch wenigstens gelernt.
sie folgen gerade einer Fährte, der ich mich kürzlich auch angenommen habe. Meine Eltern leben in Italien - meine Mutter ist Italienerin. So sehr man sich also an die Ups and Downs gewöhnt hat, hält die Italienische Politik immer wieder das Potential für Wegemarken bereit, die möglicherweise einen Anfangsmythos in sih bergen. Das verpennt die schnelle Presse. In der Zeit hingegen kann man über Beppe Grillo lesen, der mit anderen etwas macht, wovon Niggermeier und co nur träumen können. In dem echten medialen Vaquum Italiens, in dem sich der Parteienstaat (RAI 123) mit dem Privaten von Muscoloni die Fernsehlandschaft aufteilt und auch die Zeitungen nicht unabhängig sind, sondern Kader der Parteien, wächst eine wahrnehmbare Bloglandschaft, in der Beppe Grillo, eigentlich Komiker, 350.000 (Dreihundertfünfzigtausend) Unterschriften sammelte für ich weis nicht was (alles über das Netz. Man denke an auflagenstarke Zeitungen hierzulande!) und ständig das System angreift. Auch im übrigen die Kaste der Medien. Das ist gerade aktuell! Herrlich der V-Day. Der Vaffa-Day! Muss ich das erklären? Es ist ein Tag der schon öfter veranstaltet wurde durch Beppe und in dem die Italiener ihren Politikern die Arschkarte zeigen (wenn man eine sinngemäße Übertragung suchte für Vaffanculo...)
Der Link oben führt auf einen Beitrag, den ich zwischen mein eigentliches Steckenpferd einfach mal so einstreute. Darin findet man den Zeitartikel und die Links zu Beppes Blog. Man kann nicht anders als sich sorgen. Womöglich hat der durchgeknallte Bossi recht.
Zitat von neroneSo sehr man sich also an die Ups and Downs gewöhnt hat, hält die Italienische Politik immer wieder das Potential für Wegemarken bereit, die möglicherweise einen Anfangsmythos in sich bergen.
Das würde mich interessieren, wie Sie das meinen. War die Apertura a Sinistra und später dann der Compromesso Storico von 1973, auf den schon Reader hingewiesen hat, solch eine Wegmarke?
Damals machte der Mord an Moro das zunichte. Im Nachhinein glaube ich, daß zum Glück daraus nichts geworden ist. Mit Kommunisten kann man keinen Kompromiß schließen. Das merken gerade ja wieder die Leute von der WASG in Deutschland.
Dann habe ich eine solche Stimmung 1991 oder 1992 erlebt, da war ich zu einem Kongreß in Erice, auf Sizilien. Da war gerade einer dieser Mafia-Morde passiert; kann sein, der an Falcone. Und was ich damals in den Zeitungen las, klang ganz so, als wolle man die ganze Nachkriegsrepublik zum Teufel jagen und neu anfangen.
Naja, ist ja in gewisser Weise dann auch passiert. Die DC verschwand, die PCI verschwand, die Nenni-Sozialisten (wie man sie mal nannte) und die Saragat-Sozialdemokraten (wie man sie auch mal nannte) wohl auch.
Nur das Mehrheitswahlrecht hat man versäumt einzuführen. Sonst hätte diese völlige Neuorganisation des Parteiensystems, mit Forza Italia, mit der Lega Nord, mit dem Ulivo auf der Linken, ja vielleicht zu einem funktionierenden Zwei- oder Dreiparteiensystem führen können.
Soweit ich das verfolgt habe, lieber nerone. Ich weiß arg wenig von italienischer Politik.
Zitat von neroneIn dem echten medialen Vaquum Italiens ...
Ich habe damals, im April 2006, die TV-Berichterstattung über die Wahlen verfolgt und war schon baß erstaunt, wie schlecht das in der RAI war - nicht die gewohnten Hochrechnungen, die Grafiken usw. Sondern eine Runde wild diskturierender Männer und einer, der immer mal wieder mit einem Blatt Papier in der Hand auftauchte und irgendwelche Zahlen vorlas. Die Runde diskutierte dann schon mal, ob diese Zahlen überhaupt stimmen konnten.
Sonst gucke ich nur selten RAI, und meist läuft irgendeine dieser Shows. Bei denen mir besonders auffällt, wie vielfältig und (für mich) undurchsichtig sie oft sind und wie große die Räume immer sind. Wie eine Piazza ist das, auf der die Agierenden herumlaufenden. Ich glaube, diese Shows sind gar nicht schlecht, nur passen sie irgendwie nicht zu meinem teutonischen Geschmack.
Ich merke, lieber nerone, daß ich Lust habe, mal wieder nach Italien zu fahren. Das letzte Mal ist schon etliche Jahre her. War Venedig und sehr schön.
Das mit dem Anfangsmythos, Zettel, sie sind dem schon auf der Spur, mit dem was Sie da beschreiben. Meine Überlegungen fangen bei "Mani Pulite" an, der scheinbaren Überwindung der Tangentopolis, die dann zu der absoluten Medienkontrolle in Italien führte, befeuert durch Berlusconi, der den Anfangsmythos des "wir sind wieder wer" (Forza Italia, eben) aufgriff (und das so oft, dass er glaube ich mit dem nächsten mal schon alle Rkorde halten wird). Der wahre Neuanfang liegt für Italien aber in der Reform des Wahlsystems, was auch eine Konsolidierung der PArteienlandschaft zur Folge hätte. Am wichtigsten ist die für uns gänzlich unverständliche Koalition VOR dem Wahltag. Was die PArteien hierzulande Tagelang nach den Wahlen aushecke,dass vereinbaren die schon als großße Koalitionen antretenden Parteien vorab. Sie schaffen sich allerkleinste Nenner. Udeur hat machte, glaube ich, kaum 2% der Stimmen aus. Allerdings habe ich heute Abend soviel gehört und gelesen, dass ich mich irren kann. Der Anfangsmythos wurde tatsächlich auch in den Medien einemal bemüht und da wurde mir klar, warum man Italien damit Politik machen kann. Übersetzte man Wiederanfang müsste es wohl die folgendermaßen benannt werden:
R I S O R G I M E N T O
Liebe Grüße von einem, der nicht wirklich Ahnung hat...
interessante Site; werde immer mal wieder gucken, was Sie zu der Entwicklung schreiben, die Italien jetzt bevorsteht.
Als Sie das Risorgimento so groß hervorgehoben haben, ist mir einmal wieder die Parallele zwischen Deutschland und Italien durch den Kopf gegangen: Beides "verspätete Nationen", die ihre nationale Einheit erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erreichten.
Irgendwie scheinen die beiden Einigungsprozesse ja sogar ineinander verwoben zu sein. Theodor Fontane war als Kriegsberichterstatter im Krieg 1870/71, und da ist er von Garibaldi-Truppen festgenommen worden. Garibaldi war damals unter Gambetta Kommandeur einer Armee namens Armée des Vosges.
Ob nicht, lieber nerone, die politischen Schwierigkeiten Italiens und Deutschlands immer noch etwas mit dieser "verspäteten Nation" zu tun haben? Es fehlen die stabilen Traditionen, wie es sie zB in den USA und in GB gibt, mit ihrem langen Erfahrungen mit der Demokratie.
Allerdings scheinen Deutsche und Italiener diesen Mangel an demokratischer Tradition gegensätzlich zu verarbeiten: In Deutschland sind wir um nichts mehr bemüht als Stabilität. "Keine Experimente" ist so etwas wie das Motto unserer Bundesrepublik, und wir sind ja gut damit gefahren. Noch nicht einmal nach der Wiedervereinigung hat man ernsthaft daran gedacht, eine neue Verfassung einzuführen oder auch nur die alte substantiell zu modifizieren.
In Italien dagegen, so scheint mir, ist man sozusagen immer noch auf der Suche nach der eigenen demokratischen Identität.
Es wird ständig experimentiert. Es wird ständig der Neuanfang versucht; das, was Sie treffend den "Ursprungsmythos" nennen, wird immer noch gesucht. (Das Resorgimento reicht offenbar nicht).
Apertura a Sinistra, Compromesso Storico,, die Wende in den Neunziger Jahren, in der PCI und CI untergingen - das waren alles solche Versuche des radikalen Neuanfangs. Aber wie heißt es bei Wilhelm Busch:
Wenn wer sich wo als Lump erwiesen, dann schickt man in der Regel diesen zum Zwecke moralischer Erhebung in eine andere Umgebung. Die Luft ist gut, der Ort ist neu. Der alte Lump ist auch dabei.
Oder so ähnlich, ich zitiere das jetzt aus dem Gedächtnis.
Viel geändert scheint sich bei allen diesen Neuanfängen ja nicht geändert zu haben. (Hat Benedetto Craxi nicht auch mal einen versucht, bevor er als Schurke entlarvt wurde?).
Aber spannend ist sie schon, die Politik in Italien.
Noch etwas, was nur indirekt mit der jetzigen Situation zu tun hat, lieber nerone: Was ich wirklich skandalös finde an der italienischen Politik, das ist die Art, wie man mit den Terroristen der siebziger Jahre umgeht. Toni Negri, einer der schlimmsten Schreibtischtäter, genießt offenbar weiter hohes Ansehen. Die meisten Täter sind längst wieder frei. Was zum Glück in Deutschland allmählich Konsens wird - daß das Mörder waren und nicht Leute, die eine bestimmte "Politik" verfolgt haben -, das scheint mir in Italien noch nicht selbstverständlich zu sein.
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