Der Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin hat jetzt auch die Ergebnisse der Befragung bayrischer Schüler über ihre Kenntnisse der DDR und ihrer Geschichte vorgelegt. Das Ergebnis ist erstaunlich.
Das ist in der Tat beachtlich, wundert aber auch nicht.
Derzeit regiert dort eine Große Koalition, wobei die SPD aufgrund des letzten Wahlergebnisses der Seniorpartner ist. Das allein sollte noch nicht verwundern, ist mit Platzeck jemand Ministerpräsident, der eigentlich eher einer der letzten Vernünftigen in der SPD ist. Allerdings regierte vorher eine SPD-SED Koalition, da wundert es dann nicht, daß die Brandenburger Schüler über SED-Geschichte im Unklaren gelassen werden sollten; wenn über die SED- und Kommunismusverbrechen nämlich schon in den Schulen aufgeklärt würde, undzwar so wie es auch richtigerweise die Aufklärung über die NSDAP und die Verbrechen der Nazis aufgeklärt wird, hätten wir wieder 4 Parteien im Bundestag, nicht 5 .
Nun könnte man zwar argumentieren, daß da jetzt eine Große Koalition Brandenburg regiert. Aber: die SPD ist der Seniorpartner, das Bildungsressort hat ein Lehrer aus D"D"R-Zeiten, und die SPD scheint ja derzeit ohnehin einen Pro-SED Kurs zu fahren, bis auf wenige, die das ablehnen.
Hallo Zettel, ich habe 2000 in Sachsen-Anhalt Abitur gemacht und habe es auch so erlebt, es wurde im Unterricht so gut wie ueberhaupt nicht ueber die DDR gesprochen. Ein Bekannter von mir hat sich einmal mit dem Leiter der Landeszentrale fuer politische Bildung unterhalten. Der meinte, dass er den Lehrern Angebote fuer Fortbildung zum Thema DDR gemacht hat, die aber nicht wahrgenommen wurden. Eine Freundin von mir hat erzaehlt, dass eine Lehrerin in der Stunde fragte, wer Jugend- weihe (frueher so eine Art kommunistische Konfirmation, heute aber auch noch politisch gefaerbt und sehr beliebt)hatte, diese sollten aufstehen, sie wolle ihnen persoenlich gratulieren... Es liegt also schon zu einem erheblichen Teil an den Lehrern. Ein anderer Grund koennte sein, dass etwa ab 1995 so viel ueber den Alltag berichtet wurde(Spreewaldgurken, sog.Ostalgie-Parties etc.). Diese Banalisierung hat wohl dazu gefuehrt, dass viele Leute beim Thema DDR ueberhaupt nicht mehr an Politsches denken. Ich weiss aber nicht, was hier Ursache ist und was Wirkung. Vielleicht ist diese Bemerkung etwas wohlfeil, aber man sollte bei der politschen Diskussion nicht ganz uebersehen, dass die Bildung, vor allem die politische Bildung, nicht nur eine Aufgabe des Staates in Form der Schulen ist. Ich fuerchte, dieser Eindruck wird aber durch ansonsten sehr verdienstvolle Studien wie die der FU Berlin verstaerkt. Herzlich, Chripa
Zitat von SparrowhawkAllerdings regierte vorher eine SPD-SED Koalition
Nein, lieber Sparrowhawk, die SED/PDS-LL/PDS/Linke hat in Brandenburg nie in der Regierung gesessen. Ich habe es zur Sicherheit eben noch einmal nachgesehen:
Es gab nach der Bildung des Landes Brandenburg zunächst eine Ampel, aus der das Bündnis 90/Die Grünen aber austrat, als die Stasi-Verwicklungen Stolpes bekannt wurden.
Danach regierte eine Minderheitsregierung von SPD und FDP weiter, toleriert von der PDS-LL (LL stand für "Linke Liste", da hatte man es schon mal mit diesem Namen probiert). Insofern hast du nicht ganz Unrecht: Vorübergehend hatten die Kommunisten Einfluß auf die Regierung.
Aber wenn sie auch nicht im Land mitregierten, hatten und haben die Kommunisten doch großen Einfluß. Zum einen als die einzige starke Opposition; zum anderen durch ihre Verankerung in den Gemeinden, den "gesellschaftlichen Organisationen", von der Freiwilligen Feuerwehr bis zur "Volkssolidarität".
über solche Erfahrungsberichte freue ich mich immer besonders, weil sie Informationen liefern, die man sonst selten bekommt.
Man konnte nach 1990 natürlich nicht alle Lehrer austauschen; so wenig, wie nach 1945. Aber nach 1945 hat man immerhin ein sehr wachsames Auge auf diejenigen gehabt, bei denen noch nazistisches "Gedankengut" befürchtet wurde.
Ich erinnere mich an den Fall des Studienrats Zind, der aus dem Schuldienst entfernt und gegen den ein Verfahren eröffnet wurde, nachdem der "Spiegel" antisemitische Äußerungen von ihm enthüllt hatte. Er floh dann nach Ägypten.
Mir ist in meiner ganzen Schulzeit in den fünfziger Jahren - auf ziemlich vielen Schulen, weil meine Eltern oft umziehen mußten - kein einziger Lehrer begegnet, der auch nur Sympathie für die Nazis hätte erkennen lassen. Wahrscheinlich gab es welche, aber sie behielten das eisern für sich.
Die allermeisten Lehrer brachten uns aber Demokratie bei; in Hessen ebenso wie in Baden-Württemberg. In Hessen war das Verständnis von Demokratie mehr sozialdemokratisch gefärbt, in Baden-Württemberg mehr christlich. Aber eine Dritte-Reich-Nostalgie, vergleichbar der heutigen Ostalgie, gab es nicht. Und wir lernten, wie schon geschrieben, sehr viel über die Nazizeit.
Die Nazis hatten halt 1945 eine vernichtende Niederlage erlitten. Während die meisten Kommunisten - davon bin ich überzeugt - 1989 immer noch als eine verlorene Schlacht, aber nicht als den verlorenen Krieg sehen.
Und sie haben ja auch allen Grund dazu, wenn sie ab übermorgen in Hessen im Landtag sitzen sollten.
Zitat von ZettelMan konnte nach 1990 natürlich nicht alle Lehrer austauschen; so wenig, wie nach 1945. Aber nach 1945 hat man immerhin ein sehr wachsames Auge auf diejenigen gehabt, bei denen noch nazistisches "Gedankengut" befürchtet wurde.
Dieses "wachsame Auge" hat man in den Neu-Bundesländern eben nicht auf die Menschen gehabt. Ein weiterer Grund ist, dass in vielen Kreisen und Gemeinden Mitteldeutschlands die SED die politische Mehrheit stellt und daher überall SED-Leute in wichtigen Ämtern sitzen! Außerdem muss man bei Vergleichen der heutigen Zeit mit der Nach-NS-Zeit bedenken, dass die NS-Zeit nur 12 Jahre andauerte, die DDR-Zeit aber ein Vielfaches davon. Das prägte die Menschen viel tiefgehender!
Zitat von ZettelDie Nazis hatten halt 1945 eine vernichtende Niederlage erlitten. Während die meisten Kommunisten - davon bin ich überzeugt - 1989 immer noch als eine verlorene Schlacht, aber nicht als den verlorenen Krieg sehen.
Die Kommunisten sitzen sehr sicher in den Startlöchern und lassen keine Chance ungenutzt, um an die Macht zu kommen und um "ihre" Leute in wichtigen Positionen unterzubringen. Dieses Übel werden wir so schnell nicht wieder los!
Zitat von PelleAußerdem muss man bei Vergleichen der heutigen Zeit mit der Nach-NS-Zeit bedenken, dass die NS-Zeit nur 12 Jahre andauerte, die DDR-Zeit aber ein Vielfaches davon. Das prägte die Menschen viel tiefgehender!
Das stimmt und sollte nicht übersehen werden.
Und man muß natürlich, bei allen Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Varianten eines totalitären Systems, auch sehen, daß in der DDR nichts geschehen ist, was mit den Nazi-Verbrechen vergleichbar wäre.
Es gab ja auch viele Menschen in der DDR, die ehrlichen Gewissens glaubten, an etwas Gutem, dem "Aufbau des Sozialismus", mitzuarbeiten.
Sie haben die Augen vor dem verschlossen, was für jeden eigentlich sichtbar war: Daß von Anfang dieses System gegen die Mehrheit der Menschen errichtet wurde; es hat sich ja nicht zufällig niemals freien Wahlen gestellt.
Daß von Anfang an Verbrechen an Andersdenkenden begangen wurden; man hat sich anfangs hinter den Sowjets versteckt, wenn zB SPD-Genossen, die sich nicht fügen wollten, nach Sibirien verfrachtet wurden.
Daß es von Anfang an verlogen war, die "allseits gebildete sozialistische Persönlichkeit" als Ziel zu haben und zugleich die Menschen zu Untertanen, Duckmäusern, Angepaßten und Heuchlern zu erziehen.
Und so fort.
Aber ich denke mir, daß viele doch selbst inzwischen nachgedacht haben und sich ähnlich fragen: "Wie konnte ich da mitmachen?", wie sich das ja nach den 12 Jahren viele gefragt haben, die dann gute Demokraten wurden.
Nach 1945 hat man sich um die Reeducation bemüht. Das war aus meiner Sicht nicht der richtige Weg, denn Erwachsene sollte man nicht erziehen; das war ja eben einer der Grundfehler des Sozialismus.
Aber daß es nach 1989 - meines Wissens - überhaupt kaum den Versuch eines Dialogs mit denjenigen gegeben hat, die an ihrer DDR-Vergangenheit zu "arbeiten" versuchten, die weder verbohrte PDSler noch schnelle Wendehälse waren - das find ich schon schade.
Und nicht nur schade für die Betroffenen; sondern auch für unsere Gesellschaft bedenklich.
Mich erstaunt es nicht. Zum einen, weil ich ein paar Lehrer aus meiner DDR-Schulzeit (ich habe 1989 Abitur gemacht) kenne. Zum Teil ist es Gejammer über die schlimme, neue Zeit. Zum Teil ist es stillschweigendes Vergessen der eigenen Rolle in der Komödie "Wir basteln an der sozialistischen Persönlichkeit". Zum Teil ist es offene kommunistische Anhängerschaft.
Zum anderen ist es zwar bedauerlich, dass es im Vergleich zu 1945 nicht zu einer Ent-Kommunistifizierung gekommen ist. Aber in meinen Augen ist das auch verständlich. Um radikal zum Bruch mit einer langjährigen ideologischen Vergangenheit gezwungen zu sein, braucht es radikale Zustände. Der friedliche Umbruch 1989 war kein solcher. Die Friedlichkeit der Wende färbte, ungerechter Weise, auf die ehemaligen Machthaber ab. Nur deswegen konnte es sich eine SED erlauben, nicht in die sofortige Selbstauflösung zu flüchten. Und das war der Anfang aller Ostalgie. Was man friedlich überwinden kann, kann doch so schlimm nicht gewesen sein, oder?
Wenn ich so manche Stasi- oder SED-Fratze sehe, regt sich in meinem Bauch (nicht meinem Kopf!) nachträglich die Sehnsucht nach weniger friedlichen Wendezeiten.
In Antwort auf:Aber ich denke mir, daß viele doch selbst inzwischen nachgedacht haben und sich ähnlich fragen: "Wie konnte ich da mitmachen?", wie sich das ja nach den 12 Jahren viele gefragt haben, die dann gute Demokraten wurden.
Das erinnert mich an eine StaBü-Lehrerin, die ich als Lehrerin für Gesellschaftskunde am Gymnasium wiedertraf. Eine junge idealistische Frau. An der POS stramm auf Parteilinie, ständig am schuften, uns von der Gerechtigkeit und Überlegenheit des Sozialismus zu überzeugen. Als die Wende da war, verschwand sie - auf eigenen Wunsch suspendiert. Nunja, was verschwinden in einer Kleinstadt halt bedeutet. Depressionen, Nervenzusammenbruch, Selbstmordgefährdung...Gerüchteküche. Am Gymnasium stand sie dann als junge Lehrerin für Gesellschaftskunde (also Ethik, Grundgesetz, Demokratie, ...) plötzlich vor uns. Und erkannte mich und meine Freunde von ihrer alten Schule. Das war das erste mal, daß ich einen Menschen wirklich erbleichen und zittern gesehen habe. Sie hat praktisch mitten im Satz abgebrochen und den Lehrplan für die erste Stunde weggeworfen. Und dann hat sie stotternd, knallrot im Gesicht und schwitzend, erklärt, daß sie Stabülehrerin war und eine überzeugte Sozialistin. Sie hat vor der schweigenden Klasse erzählt, woran sie geglaubt hat, warum sie diese Laufbahn eingeschlagen hat, und daß sie das, was im Sputnik und im Westfernsehen kam, immer für Lügen gehalten hat. Und das die Wende für sie ein Schock war. Das sie dann angefangen hat, zunächst den Sputnik zu lesen, weil der ja als Sowjetisches Presseorgan nicht so verlogen sein konnte, wie die Westmedien. Und das sie da zum ersten mal gelesen hat, wie es unter Stalin wirklich aussah. Über die Gulags, die sie für eine Westerfindung gehalten hatte, über die Millionen von Toten. Und sie hat sich mit Betriebsleitern, SED-Abtrünnigen und Oppositionellen unterhalten. Und dann hat sie zu Hause gesessen und kapiert, daß sie keine Lehrerin sondern Teil eines Unterdrückungsapparats war. Und daß unter anderem unser neuer Direktor (ein Liberaler) dafür gesorgt hat, daß sie nach einer provisorischen Umschulung wieder als Lehrerin arbeiten sollte. Das Ende der Stunde waren drei Punkte: Eine förmliche Bitte um Entschuldigung bei uns Schülern, das Eingeständnis, daß sie uns etwas unterrichten würde, daß sie selbst erst noch durchschauen müsste, und eine geheime Abstimmung: wir sollten in der Klasse entscheiden, ob sie uns unterrichten oder die Schule verlassen sollte. Sie hat die Abstimmung (mit diversen Gegenstimmen) gewonnen. Ihr Unterricht war dann fantastisch und besser als alles, was uns von anderen unbelasteten Lehrern in diesem Bereich geboten wurde. Offene Diskussionen mit einer echten Streitkultur (prozieren und polemisieren erlaubt, aber themengebunden, oberhalb der Gürtellinie und - AUSSPRECHEN LASSEN!), viele kulturelle Fragen im Dreieck Moral-Religion-Politik, und das Grundgesetz. Jeden einzelnen Artikel, allerdings mit zeitlichem Schwerpunkt auf die FDGO. (Was ist das, und wozu eigentlich, nutzt das uns oder irgendwelchen Mächtigen?) Es war für uns und sie ein Crashkurs in deutscher zeitgenössischer Demokratie. Ich profitiere heute noch davon. Ich bewundere sie heute noch für den Mut, den sie damals aufgebracht hat. Sie hat im Gegensatz zu so vielen nicht geleugnet, sie hat nicht einfach alles über Bord geworfen. Sie wollte überzeugt werden - von uns.
In einer Vorabmeldung unter der Überschrift "Bayerische Schüler haben wenig Ahnung von der DDR-Geschichte" wird mit keinem Wort erwähnt, daß die bayerischen Schülern am besten von denen aller untersuchter Bundesländer abschnitten.
Erster Satz der Meldung: "Auf erschreckende Unkenntnis über die jüngere deutsche Geschichte stieß der Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin bei einer repräsentativen Befragung unter bayerischen Schülern."
Der Leser gewinnt den Eindruck, es seien überhaupt nur bayerische Schüler untersucht worden und diese hätten erschreckend schlecht abgeschnitten.
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