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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 59 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Zettel Offline




Beiträge: 20.200

15.09.2008 07:52
#51 Kriegsfibel Antworten

Zitat von Zettel
Irgendwo in den Untiefen meiner Bibliothek gibt es einen Bildband aus den Zwanziger Jahren, und wenn ich mich nicht sehr täusche, war Brecht daran beteiltigt oder er ist überhaupt von Brecht. "Das Gesicht des Krieges" oder so ähnlich (ich dürfte es um 1970 gekauft haben, und die Erinnerung ist ziemlich trüb). Darin sind Fotografien von Kriegsopfern.

Ich habe es jetzt gefunden. Es ist die "Kriegsfibel"

M.Schneider Offline



Beiträge: 672

16.09.2008 09:35
#52 RE: War unter den Nazis alles schlecht? Antworten

Lieber Zettel

Die großen Leistungen der deutschen Naturwissenschaft liegen überwiegend im 19. Jahrhundert und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts.

Sie sprechen von einem Jahrhundert ich aber von einem Zeitraum von 12 Jah-ren.

Drittens wurde viel Geld in inhumane Forschung und in Pseudowissenschaft ge-steckt; von der "Rassenforschung" bis zu den esoterischen Spinnereien von Himmler und Co.

Das ist unbestritten.

Aber setzen wir - for the sake of the argument - einmal voraus, daß Sie recht hätten. Dann läge das vor, was ich unter (B) beschrieben habe: Maßnahmen, die für bestimmte Gruppen (hier Wissenschaftler) förderlich waren.

Nein, wieso das denn, die Maßnahmen sind doch nicht für die Wissenschaftler förderlich, die haben allenfalls daran gearbeitet.

Zitat von Zettel

(C) Sind diese Maßnahmen also positiv zu beurteilen? - Nein. Denn sie waren und sind ja Ausdruck des Totalitarismus.
Das träfe selbstverständlich auch auf wissenschaftliche Leistungen zu, die durch staatliche Förderung seitens der Kommunisten oder der Nazis zustandekamen.


Das kann ich nicht nachvollziehen, man kann doch eine wissenschaftliche Leistung nicht nur deshalb negativ beurteilen, weil sie in einer Diktatur entstand.

(Ich möchte nochmals darauf hinweisen, daß ich es bei dieser Diskussion für falsch halte, zwischen den Spielarten des Totalitarismus zu unterscheiden).

Darin sind wir uns ja durchaus einig, nur ich muss es immer wieder betonen, es geht mir gar nicht um das System, sondern es geht mir um die Beurteilung von Leistungen die von Menschen innerhalb dieses Systems erbracht wurden. Die man eben nicht nur deshalb abwerten darf, weil sie von einem totalitären System gefördert wurden.

Des weiteren ist staatlich gelenkte Forschung niemals so produktiv wie freie Forschung.

Ja und Nein lieber Zettel. Da ist zwar in gewisser Weise etwas Wahres dran, Sie übersehen dabei aber den Faktor Geld. Ein diktatorisches System das unbedingt eine bestimmte Leistung haben will, wird Geld in einem Maße rein schießen, das dann häufig in einem freien System nicht in diesem Maße zur Verfügung stünde.

Welche wissenschaftlichen Durchbrüche, haben Sie, lieber M. Schneider, denn im Auge, die auf die Förderung durch die Nazis zurückgegangen wären? Natürlich ging die Forschung nach 1933 weiter; Sie müßten also schon zeigen, daß es sich um Leistungen handelt, die direkt auf die politischen Rahmenbedingungen zurückgehen.

Mir fehlt zur Zeit ein bestimmtes Buch, dass diese Dinge genau auflistet. Ich werde mal versuchen es zu finden.
Dörfler Verlag, Die phantastischen Erfindungen im Dritten Reich,

Zur Zeit muss ich mich auf meine Erinnerung stützen. Zuerst einmal muss man natürlich auch sagen, manche Verfahren wurden in der Theorie kurz vor 1933 erfunden, wurden dann aber erst durch die Nazis zur Serienreife gebracht und in der Praxis eingesetzt.

Zwei solche Verfahren sind die Fischer Tropsch Synthese, zur Herstellung von Benzin aus Kohle und das Haber Bosch-Verfahren, zur großtechnischen Produktion von Ammoniak und somit zur Herstellung von Dünger.

Eine weitere Erfindung ist das Radar, hier folgten übrigens parallele Entwicklungen auch in England die allerdings langsamer waren. Die Bedeutung des Radar geht weit über das Militärische hinaus.

Im Dritten Reich entstanden schon die ersten Nurflügel-Flugzeuge. Die HO II bis HO V, in dem Zuge gab es wissenschaftliche Untersuchungen zum so genannten Mitteneffekt.
Flugzeuge dieser Art wurden dann von den Amerikanern nach dem Krieg sehr genau studiert und waren Vorläufer der heutigen Nurflügel-Flugzeuge, an deren konventioneller Nutzung man heute genauso tüftelt.

Die Nazis entwickelten mit der Me 262 das erste einsatzfähige Flugzeug mit Strahltriebwerken.

Die Flettner Fl 184 war ein erster Tragschrauber von Anton Flettner also der erste Hubschrauber. Von Anton Flettner stammt übrigens auch der Flettner-Rotor als Schiffs- Antrieb.

Auf den Raketenantrieb hat ja Llarian schon hingewiesen.

Die A4-Rakete auch V 2 genannt wurde in der Zeit des Nationalsozialismus als ballistische Artillerie-Rakete großer Reichweite konzipiert und gegen Ende des Zweiten Weltkrieges in großer Zahl eingesetzt. Ihre Reichweite 2000 km. Sie war die Basis aller Weiterentwicklun-gen des späteren amerikanischen Raketen Programms. Das heißt ihrer Bedeutung ging weit über das Militärische hinaus. Es gab sogar schon damals eine V10, mit 8000 km Reichweite, mit der später die Sowjets experimentierten.

Sie erfanden den so genannten Wassermotor. Ein Motor in dem Wasser durch Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt wird und dann der Brennkammer zugeführt wird. Das heißt also im Grunde genommen Knallgas. Einen solchen Motoren bauten die Japaner Ende der 90 er Jahre. Daniel Dingel, der in Manila am Industrial Technology
Development Institute arbeitet, hat ebenfalls eine Möglichkeit gefunden, in diesem
Fall einen 1.6i Toyota Corolla mit reinem Wasser zu betreiben. Darüber wurde 1999 im deutschen Fernsehen in N3 kurz berichtet.

1936 lief die industrielle Massenfertigung von („Buna“, aus Butadien und Natrium) an, einem synthetischen Kautschuk der dem Naturkautschuk deutlich überlegen ist.

Nachdem am 22.03.1935 die Ausstrahlung des ersten regelmäßigen Fernsehprogramms
der Welt erfolgte, wurde diese Technologie schon 1939 für wissenschaftliche Kontrollen in der Luftfahrt-und Raketenforschung und später in der militärisch-taktischen Luftaufklärung
eingesetzt. Kurz vor Kriegsende war eine Fernsehkamera im Einsatz, die es ermöglichte, auf einem Bildschirm 1029 Bildzeilen anzuzeigen. Diese Werte wurden erst Mitte der Achtzigerjahre durch die HDTV-Technologie (High Definition Television) wieder erreicht.

In Peenemünde stand der modernste Windkanal der Welt, in dem Geschwindigkeiten
bis zur vierfachen Schallgeschwindigkeit, später bis zur neunfachen, simuliert werden konnten.
Nach der Bombardierung von Peenemünde im Oktober 1944 wurde diese Anlage unter der Bezeichnung„Wasserbauversuchsanstalt“ (WVA) zum Kochelsee in Süddeutschland verla-gert.

Die verschiedenen rein militärischen Dinge wie die Kanonenentwicklung, Hochdruckpumpe Pfeilgeschosse und so weiter will ich gar nicht groß erwähnen.

Agfa entwickelte ab 1936 das Agfacolorverfahren. 1936 brachte Agfa den Agfacolor- Neu-Film auf den Markt, er war damit der erste moderne Farbfilm mit eingelagerten Farbkupplern. Das Verfahren war allen anderen Verfahren überlegen, weil es nur mit einem einzigen Negativ arbeitete.

1938 stellte Konrad Zuse die Zuse Z1 fertig, einen frei programmierbaren mechanischen Rechner. Die Z1 verfügte bereits über Gleitkommarechnung.
Ebenfalls im Krieg (1941) baute Konrad Zuse die erste funktionstüchtige programmgesteuerte, binäre Rechenmaschine, bestehend aus einer großen Zahl von Relais, die Zuse Z3. Die Z3 war turingmächtig und damit außerdem die erste Maschine, die – im Rahmen des verfügbaren Speicherplatzes – beliebige Algorithmen automatisch ausführen konnte. Aufgrund dieser Eigenschaften wird sie oft als erster funktionsfähiger Computer der Geschichte betrachtet.

Die ENIGMA ist eine Rotor-Schlüsselmaschine, die im Zweiten Weltkrieg im Nachrichtenverkehr des deutschen Militärs verwendet wurde. Auch andere Dienststellen, wie Polizei, Geheimdienste, diplomatische Dienste, Reichspost und Reichsbahn, setzten sie zur geheimen Kommunikation ein. Die Entwicklung begann schon vor 1933.

Der Grundstein für die Kernspaltung wurde in Deutschland gelegt. Otto Hahn beschießt im Dezember 1938 Uran mit Neutronen - und entdeckt zu seiner Überraschung Barium. Den Chemiker beschleicht der Verdacht, dass Atome vielleicht doch nicht grundsätzlich unteil-bar sind. Der US-Physiker Samuel Goudsmit kam 1947 zum dem Schluss, Heisenberg habe sich bei der Berechnung der kritischen Masse - die für eine nukleare Kettenreaktion er-forderliche Menge an Uran 235 - geirrt. Später gefundene Papiere aus russischen Archiven legten jedoch nahe, dass das deutsche Militär sehr wohl schon 1942 wusste, dass "zehn bis 100 Kilo" angereicherten Urans reichten - eine Größenordnung sehr nahe an den "zwei bis 100 Kilo" des Manhattan Projects.
Dies war Basis für heutige Atomkraftwerke.

In der Zeit gab es drei Nobelpreise für Chemie, zwei für Medizin wobei man auch bedenken muss, dass der Nobelpreis in drei Jahren dieses Abschnittes von 12 Jahren gar nicht verliehen wurde.

Die Liste ist bei weitem nicht vollständig, das war aber das was mir so ohne große Recherche eingefallen ist.
Es hat sich also damals eine Menge getan.

Die V2 wäre vermutlich das Paradebeispiel. Und man sollte die Be-deutung der Arbeiten von Wernher von Braun für die ganze spätere Raketentechnik nicht unterschätzen. Weiteres Beispiel wäre die Mes-serschmitt 262, die gut als Urahn der meisten späteren Strahlflug-zeuge durchgeht.

Das sind ja alles, lieber Llarian, mehr militärtechnische als wissenschaftliche Leistungen.

Technische Leistungen können Diktaturen glänzend erbringen. Wissenschaftli-che Grundlagenforschung aber verlangt die freie Diskussion, den internationalen Austausch. Auch dort kann in Diktaturen viel geleistet werden, siehe UdSSR. Nur eben nicht, weil sie, sondern obwohl sie Diktaturen sind.


Nein lieber Zettel, das ist ja nun Haarspalterei, zu jeder technischen Leistungen gehört logischerweise auch die Forschung und der wissenschaftliche Background.
Übrigens könnten Sie dann auch die Japaner angreifen, die sich mehr mit der Umsetzung als mit der Grundlagenforschung befassen.

Und ein zweites möchte ich zu bedenken geben: Die V2 enstand ja nicht aus dem Nichts. Wernher von Braun hatte schon zu Weimarer Zeiten bei Hermann Oberth gearbeitet.
Das ist wie bei den Autobahnen: Die Ideen, die Pläne gab es schon vor 1933.


Das ist kein Gegenargument. Bei allen Dingen gibt es immer irgend etwas, auf das die Sache zurückgeht. Wenn Sie so wollen, müssten Sie jede Erfindung negieren, die in irgendeiner Weise z.B. die Differenzial- Rechnung durch Leibnitz als Grundlage verwendet.

Auch dort kann in Diktaturen viel geleistet werden, siehe UdSSR. Nur eben nicht, weil sie, sondern obwohl sie Diktaturen sind.

Das ist ja auch gar nicht strittig, das ist ja genau das was ich sage, es wurde auch im Dritten Reich viel geleistet, deshalb sage ich ja genau, man darf nicht einfach diese 12 Jahre von A bis Z gleich als in jeder Facette negativ bewerten nur weil das System verbrecherische war.

Aber das sage ich doch! Diese Maßnahmen mögen für bestimmte Gruppen gut gewesen sein (Punkt B). Sie sind aber doch deshalb nicht positiv zu beurteilen. Sie schreiben es, lieber M. Schneider, doch selbst - der Autobahnbau diente zB der Vorbereitung des Kriegs. Also ist er doch nicht positiv zu beurteilen, auch wenn er positive Seiten hatte.

Das verstehe ich nicht, was kann denn die Autobahn dafür, dass sie mal von einem diktatorischen System für Truppentransporte entwickelt wurde, wenn man sie eben ganz zivil nutzen kann und ja auch tut? Dann ist es eben doch positiv und zwar nicht für Gruppen, sondern allgemein.
Sie würden doch auch nicht ein Küchenmesser nur deshalb als schlecht bewerten, weil man damit auch einen Mord begehen kann.

Ich würde es nicht am Begriff der Diktatur festmachen, sondern eher am Konzept des Krieges. Es ist nicht die Dikatatur die die Entwicklung bedingt, es ist die Notwendigkeit, die durch den Krieg entsteht. Menschen sind in kaum einem Bereich erfinderischer, als wenn es darum geht sich gegenseitig umzubringen.

Da haben sie sicherlich recht lieber Llarian.

Irgendwie habe ich aber das Gefühl dass wir alle aneinander vorbei diskutieren.

Neinein, lieber M. Schneider: Sie werden vergeblich nach irgendeinem Gebiet suchen, auf dem die Nazi-Diktatur besser war als die Sowjet-Diktatur. An beiden war nichts gut. Absolut nichts.

Dieser Satz zeigt das.
Ich habe immer das Gefühl, dass Sie lieber Zettel der Ansicht sind, man wolle für die Nazis beziehungsweise das System Partei ergreifen.

Davon ist aber gar keine Rede.
Es geht nur darum festzustellen, dass es in diesem System auch Leistungen gab, die sich insbesondere später positiv auswirkten, auch wenn man ihre erste Zielsetzung negativ bewerten würde.

Ich käme nie auf die Idee, sowohl dem Dritten Reich wie auch der Sowjetunion als System etwas positives zuzusprechen.

Deshalb käme ich doch aber noch nicht auf die Idee die hervorragend Leistungen zum Beispiel eines Sergei Pawlowitsch Koroljow und seine Entwicklungen zu schmälern, nur weil sie in der Diktatur der Sowjetunion entstanden? Im Gegenteil sogar, sie sind grade weil sie unter den Unzulänglichkeiten der Sowjetunion entstanden besonders hoch zu bewerten.

Es kommt für mich nur darauf an, ob eine technische oder wissenschaftliche Leistung herausragend war und ob sie eben von allgemeiner Bedeutung und von allgemeinem Nutzwert ist, auch außerhalb, beziehungsweise nach der Dik-tatur.

Es geht schlichtweg um eine differenzierte Sicht der Vorgänge dieser 12 Jahre, nicht mehr aber auch nicht weniger.
Aber genau diese differenzierte Sicht ist nicht da. Es wird pauschal alles abgewertet, wenn es zwischen 1933 und 1945 in Deutschland entstand.

Herzlich
M. Schneider

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.09.2008 10:22
#53 RE: War unter den Nazis alles schlecht? Antworten

Lieber M. Schneider,

ich habe den Eindruck, daß wir ein wenig aneinander vorbeidiskutieren. Hier noch einmal die zentralen Punkte, wie ich sie sehe:

Erstens: Forschung unter einer Diktatur ist nicht unbedingt Forschung, die dieser Diktatur zuzurechnen ist. Vieles von dem, was Sie aufzählen, war die Fortsetzung von Entwicklungen, die lange vorher begonnen hatten. Vieles passierte ganz ohne Förderung durch die Nazis.

Und manches, was Sie nennen, ist überhaupt nicht der Nazi-Zeit zuzuordnen. Das Haber-Bosch-Verfahren wurde zu meiner Schulzeit noch ausführlich im Chemieunterricht behandelt. Seine Grundlagen legte Fritz Haber bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Er erhielt dafür den Nobelpreis 1918, Carl Bosch erhielt ihn 1931.

Also, mit den Nazis hat das so wenig zu tun wie die Arbeiten von Otto Hahn. Auch die Arbeiten von Fischer und Tropsch fanden lange vor der Nazizeit statt (laut Wikipedia 1925; erste großtechnische Anwendung 1934).

Daß es auch unter den Nazis gute Forschung gegeben hat - überwiegend eben die Fortsetzung dessen, was in der Weimarer Zeit, teils schon in der Kaiserzeit begonnen wurde - bestreite ich nicht. Nur war das weder besser noch mehr als zuvor. Es war nur stärker militärtechnisch ausgerichtet. So, wie die Russen ab Ende der fünfziger Jahre ungeheuere Ressourcen auf die Raumfahrt konzentriert haben, taten das die Nazis von Anfang an in Bezug auf die Aufrüstung. Die ja in diesem gigantischen Umfang sonst gar nicht möglich gewesen wäre.



Mein zweiter Punkt: Ich glaube, unsere Diskussion darüber, ob etwas nun "gut" oder "schlecht" ist, ist ein wenig ein Streit um Kaisers Bart.

Wir sind uns einig darüber, daß totalitäre System es besser als Demokrtien schaffen, Ressourcen auf bestimmte Projekte zu konzentrieren und dort dann Höchstleistungen zu erreichen.

Das ist "gut" für die davon positiv Betroffenen. Es ist aber nicht "gut" in dem Sinn, daß bei solchen Maßnahmen die Vorteile die Nachteile überwiegen würden. Die Nachteile sind ja immer mit Händen zu greifen: Die Verweigerung von Ressourcen für Anderes, die (zB militärischen) Ziele, die damit letztlich verfolgt werden, oft auch die Zwangsrekrutierung von Arbeitern, wenn nicht der Einsatz von Zwangsarbeitern, KZ-Häftlingen usw. (siehe Gulag, siehe V2 usw.)

Ich vermute, wie gesagt, lieber M. Schneider, daß wir uns in allem dem einig sind. Es ist für eine Diskussion vielleicht manchmal ganz gut, wenn man Positionen zugespitzt formuliert. Aber hier sehe ich eigentlich gar keine Kontroverse, die man zuspitzen könnte.

Herzlich, Zettel


M.Schneider Offline



Beiträge: 672

16.09.2008 13:15
#54 RE: War unter den Nazis alles schlecht? Antworten

Lieber Zettel

Ich vermute, wie gesagt, lieber M. Schneider, daß wir uns in allem dem einig sind. Es ist für eine Diskussion vielleicht manchmal ganz gut, wenn man Positionen zugespitzt formuliert. Aber hier sehe ich eigentlich gar keine Kontroverse, die man zuspitzen könnte.

Ja, das sehe ich auch so, außerdem sind wir ja auch völlig von der eigentlichen Frage abgekommen und die lautete ja, wie sind die Aussagen von Frau Hermann bezüglich Drittes Reich zu bewerten.

Da war ja meine Kernaussage, beziehungsweise Kritik die, dass es selbst heute nach 60 Jahren immer noch nicht möglich ist in Deutschland unvoreingenommen Dinge, die die Zeit der Nazis betreffen nüchtern und emotionslos zu betrachten beziehungsweise zu diskutieren, weil eben einfach alles aus dieser Zeit komplett als negative verdrängt wird.

Herzlich M. Schneider

Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

16.09.2008 13:55
#55 RE: Kulturgut Teil 1 Antworten

Zitat von Llarian
Nein, lieber Zettel, diese Besonderheit sehe ich nicht (mehr)...


Lieber Llarian,

lange habe ich über Ihre Gedanken nachgedacht - und muß Ihnen rechtgeben! Auch ich will keineswegs die Barbarei der Nazis kleinreden; ich will nur nicht, daß ähnlich monströse Verbrechen klein dagegen erscheinen und deren Verursacher als Pop-Ikonen fröhlich weiterleben können. Sollte nicht der Träger eines Mao-T-Shirts ähnliche Reaktionen hervorrufen wie der Träger eines Hakenkreuz-T-Shirts?

Herzlich, Thomas

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

16.09.2008 14:19
#56 RE: Kulturgut Teil 1 Antworten

Zitat von Thomas Pauli
Sollte nicht der Träger eines Mao-T-Shirts ähnliche Reaktionen hervorrufen wie der Träger eines Hakenkreuz-T-Shirts?


Lieber Thomas, auf jeden Fall sollte er das. Dass es nicht so ist, verharmlost auch nicht die Untaten der Kulturrevolution, sondern spiegelt die Geschichtsvergessenheit der Träger wieder. Zeit, sie darauf hinzuweisen

Gruß Petz

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.09.2008 14:32
#57 Pathos; Holocaust Antworten

Zitat von Llarian
In Antwort auf:
Wahrscheinlich wäre diese ganze Unmenschlichkeit des Kriegs gar nicht zu ertragen, wenn man nicht das Tschingderassa Bumbum und die patriotischen Reden hätte. Aber verlogen ist das trotzdem, aus meiner Sicht.

Ich finde dieses Tschingderassa Bumbum gar nicht so unwichtig. Und ich halte es für eine Manifestierung der Schwäche unseres Landes, dass es dieses Tschiderassa Bumbum so in Bausch und Bogen verdammt. Wenn man in Deutschland Krieg assoziiert, dann ist das, was Sie erwähnen, gar nicht so untypisch: Die Bilder von Greul, von Verbrechen, von Mord, Totschlag, abgetrennten Gliedmassen und unendlichem Leid. Aber Krieg wird von anderen (!) eben auch als etwas mehr emfunden. Als der Kampf gegen das vermeintlich Böse. Das wird ja im deutschen immer als ganz furchtbarer Pathos gesehen.

Ich sehe das Pathos ja nicht als furchtbar, lieber Llarian. Ich habe doch geschrieben, daß die Unmenschlichkeit des Kriegs ohne das nicht zu ertragen wäre. Verlogen ist, daß die Unmenschlichkeit des Kriegs oft versteckt, durch das Pathos verdeckt wird.
Zitat von Llarian
Vor 70 Jahren führten die Alliierten in Europa einen Krieg gegen die Nazis. Und dieser Krieg konnte nur mit Tschingderassa Bumbum geführt werden. Der uns so unpassend erscheinende Pathos war eine notwendige Grundlage um die Nazis zu bekämpfen. Hätte der deutsche Staat, mit seiner heutigen Einstellung zum Krieg, auch nur die Chance gegen ein solches Regime in den Krieg zu ziehen ? Ich bezweifele das ernsthaft.

Stimmt alles. Solange es Aggressoren gibt, muß man ihnen entgegentreten. Aber das macht den Krieg ja nicht weniger entsetzlich.
Zitat von Llarian
In Antwort auf:
für mich jedenfalls ist dieses Verbrechen des Holocaust so exorbitant, so außerhalb unserer gesamten zivilisatorischen Tradition, daß ich jede Ausgabe berechtigt finde, die dem Erinnern daran dient.

Ich emfinde ihn deshalb nicht als exorbitant, weil der Unterschied zwischen 6 Millionen Morden und 6 Morden ein rein statistischer ist.

Ein numerischer. Aber das Exorbitante liegt eben zum einen in der Zahl; zum anderen liegt es in der Motivation - Menschen allein deshalb zu ermorden, weil man sie aufgrund einer Wahnidee für Untermenschen hält -. Und drittens und vor allem liegt das Exorbitante darin, daß diese Verbrecher nicht auf eigene Faust gehandelt, sondern sich des Staatsapparats bedient haben. Des Apparats unseres Staats, des Staats der Deutschen.
Zitat von Llarian
Stalin hat weit mehr Menschen ermordet und seine Verbrechen sind auch nicht exorbitant.

Aber natürlich sind sie das. So, wie die Pol Pots und Maos, der von allen diesen Massenmördern des 20. Jahrhunderts der größte und vermutlich auch der verabscheuungswürdigste gewesen ist.
Zitat von Llarian
Jetzt mag man einwenden, dass vor allem der geplante Genoizid die Exorbitanz ausmacht, aber auch das ist historisch nicht korrekt: Schon Cäsar hat ganze Völker ausgerottet (beispielsweise die Moriner, so nachzulesen im gallischen Krieg). Vökermorde sind durch die Jahrhunderte nicht ungewöhnlich gewesen und selbst heute finden sie statt.

Lieber Llarian, ich habe die Vermutung, daß Sie - nehmen Sie mir es nicht übel - das Wort "exorbitant" nicht richtig verstehen. Es heißt "gewaltig", "außergewöhnlich". Es heißt nicht "einmalig".
Zitat von Llarian
Wie man es dreht und wendet, man wird sich schwer tun ein singuläres Merkmal zu finden, dass den Holocaust zum Erzverbrechen der Menschheit erhebt.

Ja, natürlich. Wer tut das denn? Mir jedenfalls liegt dieser Gedanke ganz fern; schon weil ich überhaupt keine Basis dafür sehe, sozusagen eine Rangliste der Abscheulichkeit von Verbrechen aufzustellen.



Da es bei diesem Thema offenbar leicht Mißverständnisse geben kann, lassen Sie mich meine Position noch einmal zusammenfassen:

Der Holocaust war ein exorbitantes Verbrechen, bei dem im Zwanzigsten Jahrhundert (und nicht zur Zeit Cäsars - sondern zwei Jahrhunderte nach der Aufklärung) eine Verbrecherbande sich des Staatsapparats bemächtigte, um, getrieben von einer ebenso unmenschlichen wie schwachsinnigen Wahnidee, Millionen Menschen bestialisch zu ermorden.

Sie haben das nicht irgendwo in einem unzivilisierten Land getan, sondern in einem Land mit dem zivilisatorischen Stand Deutschlands,mit dessen geistiger Tradition. Sie haben sich, wie gesagt, dazu des Apparats unseres Staats bedient. Das anständige Deutschland hat es nicht geschafft, das zu verhindern.

Das ist nun einmal, lieber Llarian, Teil unserer Geschichte. Es ist nicht das, wozu unsere Geschichte sozusagen mit innerer Logik führen mußte; das habe ich ja schon geschrieben. Es begründet auch keine Kollektivschuld.

Aber es hilft bei der Auseinandersetzung damit meines Erachtens auch nicht weiter, darauf hinzuweisen, daß es auch andernorts und zu anderen Zeiten solche exorbitanten Verbrechen gegeben hat. Ja, natürlich.

Herzlich, Zettel

Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

16.09.2008 14:33
#58 RE: Kulturgut Teil 1 Antworten
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.09.2008 21:13
#59 RE: Kulturgut Teil 2 Antworten

Zitat von Meister Petz
Zum einen fürchtet der Linke die Freiheit aus Angst vor dem Kapitalismus. Wenn Kultur frei zugänglich ist, entwickelt sich sofort ein Markt. Wie überaus hässlich für den Linken. Deshalb versucht er auch, den Zugang zur Kultur durch staatliche Angebote zu regeln. Man soll schon Kultur betreiben, aber nicht damit handeln. Und zum zweiten hat der Linke die unerschütterliche Überzeugung, dass sich große Kultur nur aus der Unterdrückung entfalten kann, da Kultur per Definition revolutionär ist.

Kunst ist für Linke - jedenfalls Marxisten - ja ein Überbau-Phänomen, das wie der gesamte Überbau nur die ökonomischen Verhältnisse reflektiert.

Also wundert es den Linken nicht, daß die Kunst im Kapitalismus überwiegend systemstabilisierend ist; damit widerspiegelt sie eben die gesellschaftlichen Machtverhältnisse.

Ebenso ist die eigene Kultur - die proletarische, die progressive - Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse; nur eben der Existenz einer revolutionären Avantgarde. Wer links ist und Künstler, der hat ganz selbstverständlich seine Kunst in den Dienst der Politik zu stellen. Nicht nur l'Art pour l'Art kann es für einen Linken nicht geben, sondern überhaupt keine Kunst, die nichtagitatorisch wäre; also etwa ein psychologischer Roman, gar ein Sprachkunstwerk.

Insofern war es konsequent, daß in der DDR der Schriftstellerverband und das Kultusministerium darüber wachten, daß nur erschien, nur gemalt, nur als Film hergestellt werden konnte, was im Dienst der Propaganda stand. Das gelang nicht immer perfekt; geschickte Leute wie Günter de Bruyn konnten das eine oder andere durchschmuggeln. Aber das Prinzip bestand, und es war aus marxistischer Sicht ein eisernes Prinzip.

Westlinke haben das, lieber Petz, nach meinem Eindruck unterschiedlich gut verstanden. Was viele nicht verstanden haben, das war der Umstand, daß in der DDR Marx richtig ausgelegt wurde. Hier herrschte ja, herrscht wohl bei einigen, immer noch die romantische Vorstellung von einem irgendwie freiheitlichen Marxismus. Das zeigt nur, daß die Betreffenden Marx nicht gelesen oder nicht verstanden haben.

Herzlich, Zettel


Zettel Offline




Beiträge: 20.200

24.09.2008 23:42
#60 Mittelmaß und künstlerische Höchstleistungen Antworten

Lieber Meister Petz,

ich hatte in Erinnerung, diesen Beitrag von Ihnen nur halb oder nur zu einem Viertel beantwortet zu haben und mir drum vorgenommen, noch einmal darauf zurückzukommen. Angemerkt hatte ich nur etwas zum linken Verständnis von Kunst. Aber Ihnen geht es ja mehr um Kunst und (demokratische) Öffentlichkeit.

Zitat von Meister Petz
Tendenz 2: Die Liberalisierung der Gesellschaft führt zum kulturellen Mittelmaß.

Was wollen wir unter "Mittelmaß" verstehen, lieber Meister? Kunst ist überall und zu allen Zeiten ganz überwiegend Mittelmaß - was natürlich tautologisch ist, denn wenn das Außerordentliche das Übliche wäre, dann wäre es ja eben auch das Mittelmaß.

Fragen wir also, wann es Leistungen gibt, die über das Mittelmaß herausragen. Das scheint überwiegend in kurzen Zeitspannen so zu sein, in denen sich auf eine eigenartige Weise künstlerische Höchstleistungen in einem bestimmten geografischen Bereich häufen. Das perikleische Zeitalter in Athen, das Zeitalter Ciceros in Rom, das Elisabethanische Zeitalter in England, das Zeitalter des Sonnenkönigs in Frankreich, Deutschland zwischen ungefähr 1770 und 1830, das Paris des Fin de Siècle, die Zwanziger Jahre in Berlin usw.

Es sind oft Zeiten nach Kriegen, oft Zeiten zwischen Kriegen, in Athen zwischen den Perserkriegen und dem Peloponnesischen Krieg, das Fin de Siècle zwischen 1870/71 und 1918 usw.

Ist das nun alles in der Moderne, in unserer liberalen Gesellschaft anders als in feudalen, in klerikal bestimmten Zeiten? Ich kann das nicht sehen, lieber Petz. Natürlich sind uns aus frühren Zeiten nur die Höchstleistungen überliefert; das Mittelmaß ist untergegangen. Aber ich wüßte eigentlich keine Kunstgattung, in der nicht in allen Gesellschaftsformen solche Phasen der Höchstleistung vorgekommen wären.

Herzlich, Zettel

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