Ein kleiner Nachklapp zur Diskussion MRR-Gottschalk. Oder sagen wir, Gottschalk hat mir den Vorwand dafür geliefert, etwas zu Schopenhauer zu schreiben.
Von dem viele vielleicht die "Aphorismen zur Lebensweisheit" kennen, oder die "Eristrische Dialektik". Es lohnt sich aber, sich auch mit seinem philosophischen Werk zu befassen.
"Weiberfeind" - das ist nach meiner Erfahrung das erste, das vielen zu Schopenhauer einfällt. Sein Frauenbild war wohl durch seine Mutter und seine Schwester bestimmt, unter denen er ziemlich gelitten hatte; vor allem unter der Mutter Johanna, einer eleganten Erscheinung in den Salons von Weimar und gebildeten Frau, die sich ihres unbeholfenen, so gar nicht eleganten Sohns schämte.
Goethe aber erkannte die Begabung des jungen Mannes und behandelte ihn freundlich. Was Schopenhauer dazu bewog, sich Goethes Farbenlehre (die dieser für sein wichtigstes Werk hielt, weit wichtiger als seine literarischen Arbeiten) vorzuknöpfen und Goethe zu schreiben, dieser hätte leider die Farbenlehre nicht richtig zu Ende gebracht und er, Schopenhauer, werde nun erst einmal "der Pyramide die Spitze aufsetzen" (so ungefähr, aus dem Gedächtnis zitiert).
Das betreffende Manuskript schickte Schopenhauer an Goethe - und war tief verstört, als dieser sich nicht sofort begeistert äußerte, so in dem Sinn: Danke, junger Mann, daß Sie das geleistet haben, was ich selbst nicht schaffen konnte.
So war er, der Schopenhauer. Gründlich, ernsthaft, kompromißlos, vollkommen von sich selbst überzeugt.
Zitat von MPHDer Empfehlung komme ich gerne nach. Und günstiger als die gesammelten blauen MEW sind die Schopenhauer-Werke wohl auch.
Das freut mich, lieber MPH!
Daß Sie der Empfehlung folgen - und auch, daß die Marx-Bände nicht mehr so billig sind wie zur Zeit der DDR, als man sie für einen Appel und ein Ei in den DKP-nahen Buchhandlungen kaufen konnte.
Lieber Zettel, von der oben zitierten Weiberfeindschaft einmal abgesehen, barg Schopenhauer schon viele Gegensätze in sich, und wie anders wäre wohl sein Leben ohne diese dominante Mutter und Schwestern verlaufen. Ich glaube, von daher war er auch so vom Pessimismus geprägt. Aber, und das macht ihn mir dann wieder sympathisch, bei ihm beginnt alles beim Menschen.
Aber seine Auseinandersetzung mit der sinnlichen puren Vorstellungskraft und andererseits dem eigenen Wille im sinnlosen Daseinstrieb, hatte bei ihm eben nicht den kausalen Zusammenhang wie bei Kant.
Als er einmal im Dresdner Treibhaus, sich in der Betrachtung der Pflanzen und ihrer Beschaffenheit vertiefte, geriet er in solche Verzückung und erkannte in den exotischen Trieben das Rätsel der Natur. Er fing an mit sich selbst zu reden und gestikulierte dabei so wild, dass ein neugieriger Wächter ihn nach seinem Befinden fragte, „ja, wenn Sie mir sagen könnten, wer ich bin, dann bin ich ihnen großen Dank schuldig“ antwortete ihm Schopenhauer.
Diese Suche nach Sinn und Sein erinnert mich dann immer an mein Lieblingsgedicht von Alfred Peer (Lord) Tennyson (1809 – 1890). Wär interessant ob Schopenhauer wohl Tennyson kannte?
Blume in einer rissigen Mauer, Ich pflücke dich aus den Rissen, Ich halte dich samt der Wurzel in meiner Hand, Kleine Blume - und wenn ich verstehen könnte, Was du bist, mit allen Wurzeln, Blättern und Blüten, ganz. Wüsste ich, was Gott und was der Mensch ist.
Meine Schopenhauer-Lektüre liegt schon ein bißchen zurück. Hat mich damals auch durchaus beindruckt, aber man sollte sich nicht zu sehr auf seinen Pessimismus und die Idee von der Verneinung des Willens einlassen, eine interessante Deutung der Welt, jedoch nicht hilfreich oder umsetzbar für das tägliche Leben. Grüsse vom Nordlicht
Zitat von NordlichtMeine Schopenhauer-Lektüre liegt schon ein bißchen zurück. Hat mich damals auch durchaus beindruckt, aber man sollte sich nicht zu sehr auf seinen Pessimismus und die Idee von der Verneinung des Willens einlassen, eine interessante Deutung der Welt, jedoch nicht hilfreich oder umsetzbar für das tägliche Leben. Grüsse vom Nordlicht
Liebes Nordlicht, da stimme ich Ihnen absolut so. Vieles kann auch schon deshalb im täglichen Leben nicht umgestzt werden, weil wir im technischen Zeitalter, ganz andere Maßstäbe setzen. Grundsätzliches, sozusagen die Quintessenz ohne naturwissenschaftlichen Fakt läßt sich kaum aufrechthalten.
Zitat von NolaAber seine Auseinandersetzung mit der sinnlichen puren Vorstellungskraft und andererseits dem eigenen Wille im sinnlosen Daseinstrieb, hatte bei ihm eben nicht den kausalen Zusammenhang wie bei Kant.
Ich weiß nicht, liebe Nola, ob ich das richtig verstehe. Aber Sie sprechen jedenfalls die sehr interessante Frage an, ob Schopenhauer eigentlich - wie er selbst meinte - Kant zu Ende gedacht oder ób er diesen gründlich mißverstanden hat, wie manche meinen.
Um Grunde geht es um die Frage der Willensfreiheit, wie sie ja auch jetzt wieder (auch hier im Forum gelegentlich) angesichts der Fortschritte der Hirnforschung diskutiert wird.
Kant hat das auf einem Niveau diskutiert, das die heutige Diskussion meist gar nicht erreicht. Er sagt nämlich klipo und klar, daß erstens das Handeln von Menschen vollständig kausal determiniert ist, so wie jedes Ereignis. Und daß es zweitens trotzdem Willensfreiheit gibt.
Wie kann das gehen? Damit schlägt sich Kant in der "Kritik der praktischen Vernunft" redlich herum. Hier ein paar Auszüge aus dem Ersten Teil, Ersten Buch, Dritten Hauptstück: "Von den Triebfedern der reinen praktischen Vernunft" (etwas länger; aber das Copyright ist ja erloschen ):
Zitat von Kritik der praktischen VernunftWill man also einem Wesen, dessen Dasein in der Zeit bestimmt ist, Freiheit beilegen: so kann man es, so fern wenigstens, vom Gesetze der Naturnotwendigkeit aller Begebenheiten in seiner Existenz, mithin auch seiner Handlungen, nicht ausnehmen; denn das wäre so viel, als es dem blinden Ungefähr übergeben. Da dieses Gesetz aber unvermeidlich alle Kausalität der Dinge, so fern ihr Dasein in der Zeit bestimmbar ist, betrifft, so würde, wenn dieses die Art wäre, wonach man sich auch das Dasein dieser Dinge an sich selbst vorzustellen hätte, die Freiheit, als ein nichtiger und unmöglicher Begriff verworfen werden müssen. Folglich, wenn man sie noch retten will, so bleibt kein Weg übrig, als das Dasein eines Dinges, so fern es in der Zeit bestimmbar ist, folglich auch die Kausalität nach dem Gesetze der Naturnotwendigkeit, bloß der Erscheinung, die Freiheit aber eben demselben Wesen, als Dinge an sich selbst, beizulegen. (...)
Wenn ich von einem Menschen, der einen Diebstahl verübt, sage: diese Tat sei nach dem Naturgesetze der Kausalität aus den Bestimmungsgründen der vorhergehenden Zeit ein notwendiger Erfolg, so war es unmöglich, daß sie hat unterbleiben können; wie kann dann die Beurteilung nach dem moralischen Gesetze hierin eine Änderung machen, und voraussetzen, daß sie doch habe unterlassen werden können, weil das Gesetz sagt, sie hätte unterlassen werden sollen, d.i. wie kann derjenige, in demselben Zeitpunkte, in Absicht auf dieselbe Handlung, ganz frei heißen, in welchem, und in derselben Absicht, er doch unter einer unvermeidlichen Naturnotwendigkeit steht? (...)
Um nun den scheinbaren Widerspruch zwischen Naturmechanismus und Freiheit in ein und derselben Handlung an dem vorgelegten Falle aufzuheben, muß man sich an das erinnern, was in der Kritik der reinen Vernunft gesagt war, oder daraus folgt: daß die Naturnotwendigkeit, welche mit der Freiheit des Subjekts nicht zusammen bestehen kann, bloß den Bestimmungen desjenigen Dinges anhängt, das unter Zeitbedingungen steht, folglich nur denen des handelnden Subjekts als Erscheinung, daß also so fern die Bestimmungsgründe einer jeden Handlung desselben in demjenigen liegen, was zur vergangenen Zeit gehört, und nicht mehr in seiner Gewalt ist, (wozu auch seine schon begangenen Taten, und der ihm dadurch bestimmbare Charakter in seinen eigenen Augen, als Phänomens, gezählt werden müssen).
Aber ebendasselbe Subjekt, das sich anderseits auch seiner, als Dinges an sich selbst, bewußt ist, betrachtet auch sein Dasein, sofern es nicht unter Zeitbedingungen steht, sich selbst aber nur als bestimmbar durch Gesetze, die es sich durch Vernunft selbst gibt, und in diesem seinem Dasein ist ihm nichts vorhergehend vor seiner Willensbestimmung (...)
In diesem Betracht nun kann das vernünftige Wesen, von einer jeden gesetzwidrigen Handlung, die es verübt, ob sie gleich, als Erscheinung, in dem Vergangenen hinreichend bestimmt, und so fern unausbleiblich notwendig ist, mit Recht sagen, daß er sie hätte unterlassen können; denn sie, mit allem Vergangenen, das sie bestimmt, gehört zu einem einzigen Phänomen seines Charakters, den er sich selbst verschafft, und nach welchem er sich als einer von aller Sinnlichkeit unabhängigen Ursache, die Kausalität jener Erscheinungen selbst zurechnet.
Die Freiheit ist also nach Kant mit der kausalen Bestimmtheit des menschlichen Handelns vereinbar, weil sie dem Menschen als Ding an sich zugehörig ist. Die Kausalität, als eine Kategorie der reinen Vernunft, gilt aber nur für die Welt der Erscheinungen.
Das ist der Ausgangspunkt dafür, daß Schopenhauer den Willen als Ding an sich konzipiert; als das Einzige, das uns nicht nur als Vorstellung zugänglich ist. Von daher der Titel "Die Welt als Wille und Vorstellung".
War das jetzt zu abstrakt? Ich finde, daß Kant eigentlich sehr klar schreibt. Nur manchmal in a bisserl langen Sätzen.
Ein sehr schönes Schopenhauer-Hörbuch gibt es auch hier: http://auditorium-maximum.de/Shop/IndexD...B008-Schop.html Aus zuverlässiger Quelle ist mir zu Ohren gekommen, dass es für Leute, die den Newsletter von dieser Hörbuch-Website abonniert haben, Anfang November eine Gutschein-Aktion geben wird. Mit dem Gutschein kann man dann das Hörbuch für weniger Geld bestellen, das nur so als Tipp am Rande ;-) Wenn das jetzt zuviel Werbung war, bin ich nicht böse über ein Löschen des Beitrags Aber das Hörbuch ist wirklich gut gemacht und einen Tipp wert
Zitat von ex-blondWenn das jetzt zuviel Werbung war, bin ich nicht böse über ein Löschen des Beitrags
Aber das Hörbuch ist wirklich gut gemacht und einen Tipp wert
Neinein, liebe Ex-blond. Wamba und ich sind uns einig, daß Werbung für Kultur immer erlaubt, ja erwünscht ist. (Und schließlich habe ich ja selbst kräftig für Zweitausendeins geworben. )
In Antwort auf:Zitat Zettel Die Freiheit ist also nach Kant mit der kausalen Bestimmtheit des menschlichen Handelns vereinbar, weil sie dem Menschen als Ding an sich zugehörig ist. Die Kausalität, als eine Kategorie der reinen Vernunft, gilt aber nur für die Welt der Erscheinungen.
Das ist der Ausgangspunkt dafür, daß Schopenhauer den Willen als Ding an sich konzipiert; als das Einzige, das uns nicht nur als Vorstellung zugänglich ist. Von daher der Titel "Die Welt als Wille und Vorstellung".
So eindeutig tut er das m. E. nicht, lieber Zettel. Und irgendwie habe ich auch Schwierigkeiten damit, das Schopenhauer den "Willen und die Vorstellung" als Buchtitel in einem Atemzug nennt. Das macht es ebenbürtig, was es m. E. nicht ist. Vielleicht wollte er aber auch nur Kants „Erscheinung“ (als entweder / oder) mit einbeziehen, weil er es als gleichbedeutend mit „Vorstellung“ oder „bloßer Schein“ betrachtet.
Als "Ding an sich" aber, liegt der Wille zwar der gesamten Wirklichkeit zugrunde, die aber genau so veränderbar ist wie der Wille selbst und deshalb keinen kausalen Zusammenhang haben kann. Dann wäre der Wille mittels Intellekt ja zu erfassen, aber Schopenhauer geht davon aus, das der Wille nur als inneres Wesen vorhanden ist und deshalb zwar dem Menschen vertraut ist, sich aber trotzdrm der rationalen Erfassung entzieht und dennoch grundlegend alles Handeln bestimmt. Im Gegensatz zur Kausalität von Kant, welche durch die äußeren Objekte/Erscheinungen erst einen Willen bildet.
Erst im Innern kann ein Wille entstehen aus gespeicherten Erfahrungen und gepaart mit/durch verinnerlichten Erscheinungen (aus dem Äußeren, Kant). Hieraus entsteht, meines Erachtens, das der Wille veränderbar ist, keiner Kausalität unterworfen ist. Eine Kausalität könnte ich mir nur im weitesten Sinne vorstellen, wenn während der Willensbildung gravierende Sinneserlebnisse (Schmerz, Glück, von aussen veranlasste stets wiederkehrende und widernatürliche Beeinträchtigung) massiv einwirken.
Hingegen hat Kant erklärt, dass uns nur Erscheinungen gegeben sind, niemals ein „Ding an sich“. Raum, Zeit und Kausalität bestimmen unsere Welt und sind gleichwohl Bestimmungen, die in uns liegen und allein uns, den Subjekten der Erfahrung, zu zurechnen sind. In dem Zusammenhang wird natürlich auch deutlich, warum Freud sich so von Schopenhauers Thesen inspirieren ließ, wir sind eben keine reinen Vernunftwesen, auch wenn wir es gern wollten.
Die von Ihnen angepriesene Ausgabe von Schopenhauer habe ich auch, natürlich als TB. Ob Schopenhauer nur gutes Deutsch geschrieben hat? Ich erinnere mich an einen Satz in der Einleitung von die Welt als Wille und Vorstellung?. Einerlei, er ging jedenfalls über volle 16 Zeilen. Ich mühte mich, diesen Satz zu verstehen. Ich sprach Ihn laut vor mich hin, ja lernte ihn sogar auswendig. Nun ja, ich habe zwar Schopenhauer gelesen, aber nicht unbedingt mit Hingabe. Er gab mir viele schöne Momente des Erkennens, aber manchmal dachte ich mir auch, Arthur, was willst du mir eigentlich sagen. Möglich, das mir die Hegel-Abschreckung fehlt. Wenn es um Lesegenuß und Umgang mit der Sprache geht, erinnere ich mich gerne an ein anderes Leseerlebnis meiner Jugend. Egon Friedell. Seinen Namen finden Sie auch und nicht ohne Grund in der Schopenhauer Ausgabe. Diesem Egon Friedell verdanke ich viel, die Sehnsucht nach dem Wissen. Er war es auch, dem ich zu Schopenhauer folgte. Schade das er vergessen ist. Er war ein großer Anreger. Sein Grab finden Sie noch auf dem Evangelischen Friedhof neben dem Wiener Zentralfriedhof.
Zitat von Libero Ob Schopenhauer nur gutes Deutsch geschrieben hat? Ich erinnere mich an einen Satz in der Einleitung von die Welt als Wille und Vorstellung?. Einerlei, er ging jedenfalls über volle 16 Zeilen. Ich mühte mich, diesen Satz zu verstehen. Ich sprach Ihn laut vor mich hin, ja lernte ihn sogar auswendig.
Diese langen Sätze findet man ja auch bei Christian Wolff, bei Kant, sogar bei Kleist. Sie sind im Grunde lateinische Perioden, ins Deutsche übernommen durch Autoren, die mit Latein aufgewachsen sind und sozusagen noch lateinisch gedacht haben. (Gut, Schopenhauer ist nicht damit aufgewachsen, aber er hat es sich angeeignet).
Als ich, lieber Libero, den zweiten Artikel über Lafontaines Demokratieverständnis geschrieben habe, mußte ich mich ja wieder mal a bisserl ins Griechische vertiefen. Und dabei ist mir das wieder aufgefallen: Diese Schachtelungen, im Griechischen wie auch im Lateinischen. Es ging da um den kurzen Satz "kai onoma men dia to mê es oligous all' es pleionas oikein dêmokratia keklêtai". Wenn man das wörtlich und unter Einhaltung der Wortstellung übersetzt, dann heißt es: "Aber mit Namen wegen des nicht den Wenigen, sondern den Vielen die Handhabung der Dinge [Übergebenseins] wird es Demokratie genannt".
Das Deutsche kann das gut imitieren, durch die Nachstellung des Verbs. Was es im Deutschen nicht so wie im Griechischen und Lateinischen gibt, das ist die Ellipse, das Weglassen von etwas, das sich sozusagen von selbst versteht; hier in meiner Übersetzung in eckigen Klammern.
Ich weiß, das ist kein gutes Deutsch. Aber diese Perioden haben schon etwas Reizvolles. Sie halten einen sozusagen in Atem. Sie belasten ja das Kurzzeitgedächtnis ziemlich stark, zwingen also zur Aufmerksamkeit und zum Mitdenken. Zum Beispiel dieser Satz von Kant, den ich weiter oben in diesem Thread zitiert habe:
Zitat von Immanuel KantIn diesem Betracht nun kann das vernünftige Wesen, von einer jeden gesetzwidrigen Handlung, die es verübt, ob sie gleich, als Erscheinung, in dem Vergangenen hinreichend bestimmt, und so fern unausbleiblich notwendig ist, mit Recht sagen, daß er sie hätte unterlassen können; denn sie, mit allem Vergangenen, das sie bestimmt, gehört zu einem einzigen Phänomen seines Charakters, den er sich selbst verschafft, und nach welchem er sich als einer von aller Sinnlichkeit unabhängigen Ursache, die Kausalität jener Erscheinungen selbst zurechnet.
Lang, gewiß; mit diesem typischen Hyperbaton (zwischen "kann" und "sagen" liegen rund 30 Wörter!); aber der Satz bildet doch einen nun einmal geschachtelten Gedanken angemessen ab, finden Sie nicht?
Zitat von LiberoNun ja, ich habe zwar Schopenhauer gelesen, aber nicht unbedingt mit Hingabe.
Ich habe als Vierzehn- oder Fünfzehnjähriger die "Aphorismen zur Lebensweisheit" gelesen und war davon ähnlich fasziniert wie damals auch von Nietzsche. Dann habe ich ihn aus den Augen verloren und erst wiederentdeckt, als ich mich als Student von Leibniz über Kant ins 19. Jahrhundert vorgearbeitet habe.
Das war alles so schön klar und ehrlich, Leibniz und Kant - und dann bin ich bei diesen Schwätzern Hegel und Fichte hängengeblieben, habe mich redlich an ihnen abgemüht und dachte immer wieder, ich verstehe das nicht. Bis ich bei der dritten oder vierten Lektüre der "Phänomenologie des Geistes" mal probeweise mit dem Lesemodell gearbeitet habe, daß Hegel ganz einfache Sachen meint, nur endlos drum herumschwätzt.
Da auf einmal habe ich ihn verstanden. Denke ich jedenfalls.
Ja, und Sie haben genau Recht - dann erst habe ich mir wieder den Schopenhauer vorgenommen, und das war, wie wenn man aus einem muffigen, verräucherten Zimmer an die frische Luft tritt. Meine Wertschätzung Schopenhauers hat sicher etwas damit zu tun, daß ich ihn als Kontrast zu Hegel gelesen habe. Ich glaube nicht, daß er als Erkenntnistheoretiker bedeutend gewesen ist. Seine ehrlich-pessimistische Ethik schätze ich und glaube, daß man sie mit Kants Ethik verbinden kann, obwohl das seltsam erscheinen mag.
Jedenfalls schreibt er schön, nämlich klar und einfach. Clare et distincte, wie Descartes es von Ideen fordert, denen man vertrauen kann.
Was man überhaupt sagen kann, das kann man einfach sagen. Das zeigt nicht nur Schopenhauer, sondern auch Descartes, Locke, Hume haben es gezeigt.
Nur Schwätzer müssen drei Piriouetten drehen, wo der ehrliche Denker nur leicht den Kopf neigt.
In Antwort auf: Die Freiheit ist also nach Kant mit der kausalen Bestimmtheit des menschlichen Handelns vereinbar, weil sie dem Menschen als Ding an sich zugehörig ist. Die Kausalität, als eine Kategorie der reinen Vernunft, gilt aber nur für die Welt der Erscheinungen.
Das ist der Ausgangspunkt dafür, daß Schopenhauer den Willen als Ding an sich konzipiert; als das Einzige, das uns nicht nur als Vorstellung zugänglich ist. Von daher der Titel "Die Welt als Wille und Vorstellung".
So eindeutig tut er das m. E. nicht, lieber Zettel. Und irgendwie habe ich auch Schwierigkeiten damit, das Schopenhauer den "Willen und die Vorstellung" als Buchtitel in einem Atemzug nennt. Das macht es ebenbürtig, was es m. E. nicht ist. Vielleicht wollte er aber auch nur Kants „Erscheinung“ (als entweder / oder) mit einbeziehen, weil er es als gleichbedeutend mit „Vorstellung“ oder „bloßer Schein“ betrachtet.
Kant, liebe Nola, hat ja die Welt nicht als bloßen Schein betrachtet, in keiner Weise. Er war, wie man so sagt, ein transzendentaler Idealist, aber ein empirischer Realist. Er war ja nicht der Meinung, daß die Welt im Kopf ist oder in einem geistigen Wolkenkuckucksheim à la Hegel.
Sondern er war der Überzeugung, daß wir in einer realen Welt leben. Einer Welt, die wir auch erleben. Und zwar so, wie wir es immer nur können, nämlich mittels unseres Erkenntnisapparats. Der, wie jeder Apparat, bestimmte Eigenschaften hat, und die hat Kant untersucht.
Aber es muß ja etwas dasein, auf das sich der Erkenntnisapparat richtet. Das war für Kant das Ding an sich.
Wir können von ihm nichts "an sich", also unabhängig von unserem Erkenntnisapparat wissen; das wäre ja ein Widerspruch in sich. Streng genommen können wir noch nicht einmal beweisen, daß es das Ding an sich überhaupt gibt. Aber es anzunehmen ist vernünftig, denn andernfalls müßten wir annehmen, daß wir gar nicht in einer realen Welt leben. Unser Erkenntnisapparat hätte dann gar keinen Gegenstand.
Schwierig wird es allerding mit der Person als "Ding an sich". Wie schon geschrieben, schlägt sich Kant fürchterlich herum mit dem Problem der Willensfreiheit. Und sein Ausweg ist, zu sagen, daß wir, wenn wir uns entscheiden, das nicht als das empirische Ich tun, sondern als etwas von der Erfahrung Losgelöstes, eben als Ding an sich.
Ohne Erfahrung - also auch nicht mit der Kategorie der Kausalität. Also - darauf kam es Kant an - können wir annehmen, daß unsere Entscheidungen frei sind, obwohl sie (von außen betrachtet und auch im Rückblick für mich selbst) als völlig kausal determiniert erscheinen.
Schopenhauer hat das alles zu vereinfachen versucht. Er hat Kant vorgeworfen (und dieser Vorwurf wird bis heute zu Unrecht erhoben), er habe einen Denkfehler begangen, indem er auf das Ding an sich als die Ursache der Erscheinungen geschlossen habe. Aber ein solche Schluß sei doch gar nicht statthaft, weil die Kausalität als Verstandeskategorie ja gerade nur für die Welt der Erscheinungen, der Phenomena und nicht der Noumena gelte.
Aber einen solchen Schluß hat Kant eben gerade nicht gezogen. Wenn er vom Ding an sich spricht, dann sagt er immer, was wir nicht darüber wissen können. Er hält es für vernünftig, seine Existenz vorauszusetzen (manche meinen, sogar im transzendentalen Sinn, also als eine Bedingung der Möglichkeit von Erkennen; das halt ich für falsch). Aber mehr eben auch nicht. Keinesfalls ein Kausalschluß.
In Bezug auf den Willen als Ding an sich ist Schopenhauer über Kant hinausgegangen. Für Kant bedeutet die oben referierte Überlegung nicht, daß wir uns selbst als Ding an sich erkennen können. Das war für ihn ein Unding, eine contradictio in adjecto. Genau das behauptet aber Schopenhauer in Bezug auf den Willen, zu dem wir sozusagen einen privilegierten Zugang haben sollen.
Im Grunde ist es ihm da meines Erachtens am Ende doch wie Hegel gegangen: Er hielt den stoischen Agnostizismus Kants nicht aus.
Hegel schlug die Volte, einfach auch das Ding an sich zum Produkt des Geistes zu erklären. Schopenhauer rettete sich in die Annahme, wir könnten doch immerhin über unseren Willen etwas erkennen, und der sei ein Ding an sich. Sozusagen an dieser Stelle den Erkenntnisapparat beiseitelegen und direkt gucken: Das vermeinte Schopenhauer zu können und zu dürfen.
Da hat er sich, denke ich, einer Illusion hingegeben.
Also, liebe Nola - ich bin halt Kantianer und nicht Schopenhauerianer. Ich empfehle, Schopenhauer zu lesen; ich schätze vieles an ihm. Aber seine Philosophie ist meines Erachtens, ganz anders als die Kants, heute überholt.
In Antwort auf:Hegel schlug die Volte, einfach auch das Ding an sich zum Produkt des Geistes zu erklären.
Das tat er eben nicht. Er argumentierte im Gegenteil, daß sich in Kants "Ding an sich" nichts denken, da es sich als Jenseits alles Erscheinenden gar nicht fassen lasse, also ein Bezug auf es, in welcher Form auch immer, schlechterdings sinnlos sei. Die neuere analytische Philosophie gibt ihm - in weiten Teilen - Recht darin, daß das Reich des Begrifflichen unbegrenzt ist und es so etwas wie begriffsunabhängige Faktizität nicht gibt. Darüber hinaus würde ich sogar behaupten wollen, daß es Hegel war, der, Inkonsequenzen des Kantischen Systems beseitigend, das Kantische Projekt fortführte, während Schopenhauers Philosophie mehr oder weniger auf einem simplen Analogieschluß basiert, nämlich der Übertragung des vermeintlich in uns als "Willen" erkannten Dings an sich auf die gesamte Erscheinungswelt. Wo Sie allerdings Recht haben: Schopenhauer schreibt eingängiger. Das aber nur deshalb, weil uns die Sprachspiele der philosophischen Debatte des Deutschen Idealismus völlig fremd geworden sind, während die Schopenhauer-Lektüre nicht allzuviel Hintergrundwissen erfordert. Ein schlechtes Deutsch würde ich daher Hegel und Fichte nicht unterstellen wollen; sie waren nur genötigt, eine der Sache angemessene Sprache zu finden, die daher genauso unkonventionell ausfallen muß wie die Philosophie, die sie ausdrückt.
Da meine Antwort etwas länger ausfällt, poste ich sie in zwei Teilen. Zunächst zum Thema "Ding an sich", dann zu Schopenhauer und zur Sprache Hegels.
Zitat von Gomez
In Antwort auf:Hegel schlug die Volte, einfach auch das Ding an sich zum Produkt des Geistes zu erklären.
Das tat er eben nicht. Er argumentierte im Gegenteil, daß sich in Kants "Ding an sich" nichts denken, da es sich als Jenseits alles Erscheinenden gar nicht fassen lasse, also ein Bezug auf es, in welcher Form auch immer, schlechterdings sinnlos sei.
Das klingt mir, lieber Gomez, eigentlich eher nach Kant.
Kant macht ja eben über das Ding an sich überhaupt keine positive Aussagen. Wenn er darüber redet, dann in dem negativen Sinn, daß wir darüber nichts wissen können.
Er ist noch nicht einmal der Meinung, daß wir - nicht aus Erfahrungsgründen, aber noch nicht einmal aus transzendentalen Gründen (also weil wir es anders nicht denken können) - ein Ding an sich annehmen müssen. Er hält es nur für vernünftig, seine Existenz vorauszusetzen, so wie er es z.B. für vernünftig hält, die Willensfreiheit anzunehmen. Beweisbar ist beides nicht. (Er spricht damit im Grunde das Problem an, das heute, dh seit Brentano und Husserl, unter der Überschrift Intentionalität diskutiert wird; vielleicht kommen wir, falls sich - was ich schön fände - eine Diskussion entwickelt, noch darauf).
Hegel aber schlägt schon die Volte, die ich genannt hatte. Er diskutiert diese Frage u.a. in der Einleitung zur "Wissenschaft der Logik". Dort kritisiert er zunächst die herkömmliche Position zur Beziehung zwischen dem Denken und seinem Gegenstand (die für ihn auch die Kants ist) und schreibt über diese Position:
Zitat von Wissenschaft der LogikDas Denken kommt daher in seinem Empfangen und Formiren des Stoffs nicht über sich hinaus, sein Empfangen und sich nach ihm Bequemen bleibt eine Modifikation seiner selbst, es wird dadurch nicht zu seinem Andern; und das selbstbewußte Bestimmen gehört ohnedieß nur ihm an; es kommt also auch in seiner Beziehung auf den Gegenstand nicht aus sich heraus zu dem Gegenstande, dieser bleibt als ein Ding an sich, schlechthin ein Jenseits des Denkens.
So ist es in der Tat bei Kant. Über das Ding an sich können wir nichts wissen; dies zu behaupten wäre ein Widerspruch in sich. Denn dann wäre es ja ein Ding für uns, nicht mehr eines an sich.
Aber, lieber Gomez, mit diesem "Jenseits des Denkens" beschreibt Hegel nicht seine eigene Position, sondern die Kants. Die Stelle steht ja in einem Abschnitt, wo er die aus seiner Sicht überholte herkömmliche Logik darstellt.
Seine eigene Position umreißt er weiter unten, immer noch in der Einleitung (auf den letzten Satz kommt es an, den ich deshalb hervorhebe):
Zitat von Wissenschaft der LogikIndem aber auf der andern Seite diese Erkenntniß sich als die Erkenntniß von Erscheinendem weiß, wird das Unbefriedigende derselben eingestanden, aber zugleich vorausgesetzt, als ob zwar nicht die Dinge an sich, aber doch innerhalb der Sphäre der Erscheinung richtig erkannt würde; als ob dabei gleichsam nur die Art der Gegenstände verschieden wäre, und die eine Art, nämlich die Dinge an sich zwar nicht, aber doch die andere Art, nämlich die Erscheinungen, in die Erkenntniß fielen. Wie wenn einem Manne richtige Einsicht beigemessen würde, mit dem Zusatz, daß er jedoch nichts Wahres, sondern nur Unwahres einzusehen fähig sey. So ungereimt das Letztere wäre, so ungereimt ist eine wahre Erkenntniß, die den Gegenstand nicht erkennte, wie er an sich ist.
Das also will Hegel, anders als Kant: Den Gegenstand erkennen, wie er an sich ist. Nur meint er damit nicht ein Transzendieren des Phänomenon, das Fortschreiten zum Noumenon, sondern er verlegt das Ding an sich in den Geist, der es als das Andere hervorbringt.
Das ist die Volte, die ich genannt habe. Hegel schlägt sie zB an dieser vielzitierten Stelle (immer noch in der Vorrede; Hervorhebung von mir):
Zitat von Wissenschaft der LogikDie reine Wissenschaft setzt somit die Befreiung von dem Gegensatze des Bewußtseyns voraus. Sie enthält den Gedanken, insofern er eben so sehr die Sache an sich selbst ist, oder die Sache an sich selbst, insofern sie ebenso sehr der reine Gedanke ist. Als Wissenschaft ist die Wahrheit das reine sich entwicklende Selbstbewußtseyn, und hat die Gestalt des Selbst, daß das an und für sich seyende gewußter Begriff, der Begriff als solcher aber das an und für sich seyende ist.
Sie haben allerdings Recht; Hegel vermeidet den durch Kant festgelegten Begriff des "Dings an sich", sondern spricht von der "Sache an sich selbst". Aber unter diesem anderen Namen verlegt er das Ding an sich ins erkennende Bewußtsein.
Zitat von GomezDie neuere analytische Philosophie gibt ihm - in weiten Teilen - Recht darin, daß das Reich des Begrifflichen unbegrenzt ist und es so etwas wie begriffsunabhängige Faktizität nicht gibt.
Merken Sie etwas, lieber Gomez? Jetzt haben Sie eine Aussage über das Ding an sich gemacht; nämlich daß es dieses nicht gibt. Kant bestreitet, daß man das behaupten kann. Kant würde durchaus zustimmen, daß "das Reich des Begrifflichen unbegrenzt ist", nur würde er eben bestreiten, zu wissen, wie der Gegenstand dieser Begrifflichkeit selbst beschaffen ist. Er würde sich auch nicht an die Behauptung trauen, es gebe ihn gar nicht.
Er würde, hätte er die Sprache der analytischen Philosophie zur Verfügung sagen, daß das ein Scheinproblem ist. Nur würde er gegen Hegel darauf beharren, daß es dann, wenn man überhaupt erkennen will, venünftig ist, einen Gegenstand des Erkennens anzunehmen, der nicht mit diesem zusammenfällt. Da sind wir dann wieder bei der Intentionalität. (Und, um Sie noch a bisserl zu provozieren, bei der Beliebigkeit, die sich unweigerlich einstellt, wenn man Hegels Position bezieht).
Zitat von GomezDarüber hinaus würde ich sogar behaupten wollen, daß es Hegel war, der, Inkonsequenzen des Kantischen Systems beseitigend, das Kantische Projekt fortführte, während Schopenhauers Philosophie mehr oder weniger auf einem simplen Analogieschluß basiert, nämlich der Übertragung des vermeintlich in uns als "Willen" erkannten Dings an sich auf die gesamte Erscheinungswelt.
Das verstehe ich nicht ganz. Die Erscheinungswelt hielt Schopenhauer ja für Vorstellung, also gerade nicht ein Ding an sich. Inwiefern hat er da etwas übertragen?
Zitat von GomezWo Sie allerdings Recht haben: Schopenhauer schreibt eingängiger. Das aber nur deshalb, weil uns die Sprachspiele der philosophischen Debatte des Deutschen Idealismus völlig fremd geworden sind, während die Schopenhauer-Lektüre nicht allzuviel Hintergrundwissen erfordert. Ein schlechtes Deutsch würde ich daher Hegel und Fichte nicht unterstellen wollen; sie waren nur genötigt, eine der Sache angemessene Sprache zu finden, die daher genauso unkonventionell ausfallen muß wie die Philosophie, die sie ausdrückt.
Das bestreite ich nicht. Nur würde ich sagen: Diese Sprache ist genauso verquer wie das, was sie ausdrücken will.
Ich hatte irgendwo schon geschrieben, daß ich immer mal wieder die "Phänomenologie des Geistes" vorgenommen und sie zu verstehen versucht habe; einmal mit Hilfe der Erläuterungen von Bloch. Die nur leider nicht verständlicher sind.
Bis ich auf den Gedanken gekommen bin, daß das Meiste ganz einfach ist; nämlich eine Rekonstruktion komplexer kognitiver Inhalte aus elementaren, wie das Locke, Hume, vor allem Condillac versucht haben.
Nehmen Sie einmal, lieber Gomez, diese Passage aus der "Phänomenologie", und versuchen Sie sie zu verstehen. Sie steht am Anfang des Abschnitts a des Kapitels "Beobachtung der Natur":
Zitat von Phänomenologie des GeistesWenn das gedankenlose Bewußtsein das Beobachten und Erfahren als die Quelle der Wahrheit ausspricht, so mögen wohl ihre Worte so lauten, als ob es allein um ein Schmecken, Riechen, Fühlen, Hören und Sehen zu tun sei; es vergißt in dem Eifer, womit es das Schmecken, Riechen u.s.f. empfiehlt, zu sagen, daß es in der Tat auch ebenso wesentlich den Gegenstand dieses Empfindens sich schon bestimmt hat, und diese Bestimmung ihm wenigstens soviel gilt als jenes Empfinden. Es wird auch sogleich eingestehen, daß es ihm nicht so überhaupt nur ums Wahrnehmen zu tun sei, und z. B. die Wahrnehmung, daß dies Federmesser neben dieser Tabaksdose liegt, nicht für eine Beobachtung gelten lassen. Das Wahrgenommene soll wenigstens die Bedeutung eines Allgemeinen, nicht eines sinnlichen Diesen haben.
Dies Allgemeine ist so nur erst das sich gleich Bleibende; seine Bewegung nur das gleichförmige Wiederkehren desselben Tuns. Das Bewußtsein, welches insofern im Gegenstande nur die Allgemeinheit oder das abstrakte Mein findet, muß die eigentliche Bewegung desselben auf sich selbst nehmen; indem es noch nicht der Verstand desselben ist, wenigstens sein Gedächtnis sein, welches das, was in der Wirklichkeit nur auf einzelne Weise vorhanden ist, auf allgemeine Weise ausdrückt. Dies oberflächliche Herausheben aus der Einzelnheit, und die ebenso oberflächliche Form der Allgemeinheit, worein das Sinnliche nur aufgenommen wird, ohne an sich selbst Allgemeines geworden zu sein, das Beschreiben der Dinge hat noch in dem Gegenstande selbst die Bewegung nicht; sie ist vielmehr nur in dem Beschreiben. Der Gegenstand, wie er beschrieben ist, hat daher das Interesse verloren; ist der eine beschrieben, so muß ein anderer vorgenommen, und immer gesucht werden, damit das Beschreiben nicht ausgehe. Ist es nicht so leicht mehr, neue ganze Dinge zu finden, so muß zu den schon gefundenen zurückgegangen werden, sie weiter zu teilen, auseinanderzulegen, und neue Seiten der Dingheit an ihnen noch aufzuspüren. Diesem rastlosen, unruhigen Instinkte kann es nie an Material gebrechen; eine neue ausgezeichnete Gattung zu finden, oder gar einen neuen Planeten, dem, ob er zwar ein Individuum ist, doch die Natur eines Allgemeinen zukommt, zu finden, kann nur Glücklichen zuteil werden. Aber die Grenzen dessen, was wie der Elefant, die Eiche, das Gold ausgezeichnet, was Gattung und Art ist, geht durch viele Stufen in die unendliche Besonderung der chaotischen Tiere und Pflanzen, der Gebirgsarten, oder der durch Gewalt und Kunst erst darzustellenden Metalle, Erden u.s.f. über. In diesem Reiche der Unbestimmtheit des Allgemeinen, worin die Besonderung wieder der Vereinzelung sich nähert, und in sie hie und da auch wieder ganz herabsteigt, ist ein unerschöpflicher Vorrat fürs Beobachten und Beschreiben aufgetan. Hier aber, wo ihm ein unübersehbares Feld sich eröffnet, an der Grenze des Allgemeinen kann es vielmehr statt eines unermeßlichen Reichtums nur die Schranke der Natur und seines eignen Tuns gefunden haben; es kann nicht mehr wissen, ob das an sich zu sein Scheinende nicht eine Zufälligkeit ist; was das Gepräge eines verwirrten oder unreifen, schwachen und der elementarischen Unbestimmtheit kaum sich entwickelnden Gebildes an sich trägt, kann nicht darauf Anspruch machen, auch nur beschrieben zu werden.
Ich würde das so paraphrasieren: Erkennen ist Kategorisieren.
In Antwort auf:Merken Sie etwas, lieber Gomez? Jetzt haben Sie eine Aussage über das Ding an sich gemacht
Ja, in der Tat, das habe ich. Um die Verwirrung komplett zu machen: Hegel verwendet das Ding an sich in zwei Bedeutungen. Einmal als die reine Abstraktion, das jenseits jeder kategorialen Bestimmbarkeit Liegende und daher Bestimmungslose, und zur Beschreibung seines eigenen, Hegels, Untersuchungsgegenstands (allerdings dies nur in einer kurzen Bemerkung seiner Seinslogik). Hegels Vorwurf gegen Kant ist ja, daß er seinen, Kants, Untersuchungsgegenstand aus analytischen Gründen separiere, nämlich in die Erscheinungswelt und den diese kategorisierenden Verstand, dann aber vergesse, daß das eine rein abstraktive Trennung ist. So kommt es dazu, daß es bei Kant der Sinnenwelt bedarf, damit der kategorisierende Verstand überhaupt erst aktiv wird, was im berühmten "Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind" zum Ausdruck kommt. Für Hegel ist das inkonsequent; wenn das Bewußtsein sich bestimmen muß, da es sonst kein Bewußtsein wäre, ist es müßig, es als bestimmungsloses zu analysieren. Hegel beginnt also sozusagen schon mit der Grundsatzanalytik, also dem Lehrstück, in dem es um Anwendung der Kategorien auf Erfahrung geht, die bei Kant ja erst spät in der transzendentalen Logik, im Anschluß ans Schematismuskapitel behandelt wird. Hegels Bewußtsein ist also immer schon ein sinnlich bestimmtes, weswegen er ja die Unterscheidung Subjekt-Objekt nicht mehr mitmacht und aus diesem Grunde die beide verbindende Struktur des Geistes verwendet.
In Antwort auf:Die Erscheinungswelt hielt Schopenhauer ja für Vorstellung, also gerade nicht ein Ding an sich. Inwiefern hat er da etwas übertragen?
Das habe ich ungenau formuliert. Ich meinte die Übertragung auf das der Erscheinungswelt zugrundeliegende DaS. (Aber vielleicht irre ich mich da. Meine Schopenhauerlektüre habe ich seit der Gymnasialzeit nicht mehr ao recht aufgefrischt.)
In Antwort auf:Ich hatte irgendwo schon geschrieben, daß ich immer mal wieder die "Phänomenologie des Geistes" vorgenommen und sie zu verstehen versucht habe; einmal mit Hilfe der Erläuterungen von Bloch.
Leider gibt es kaum taugliche Gesamtdarstellungen zur Phänomenologie. Von Bloch würde ich stark abraten. Das Beste sind noch Untersuchungen zu einzelnen Kapiteln. Einen guten allgemeinen Einstieg in das Hegelsche Denken liefert Dieter Henrich, dessen Buch "Selbstverhältnisse" günstig bei Reclam zu bekommen ist. Ausserdem ist die Phänomenologie des Geistes nicht Hegels Hauptwerk, es ist gewissermaßen nur die Einleitung in sein Hauptwerk, die Wissenschaft der Logik. In der Phänomenologie geht es Hegel um eine immanente Widerlegung aller philosophischen und naturwissenschaftlichen Konzepte, die mit der Subjekt-Objekt Unterscheidung operieren, (um es ganz salopp zu sagen), um sein Konzept als das einzig gangbare auszuweisen. Da es sich bei der Phänomenologie aber auch um ein systematisches Werk handelt, verbietet es sich, auf Passagen, wie Sie sie isoliert zitieren, einzugehen. Das Zitat aus der "Beobachtung der Natur" ist nicht zu verstehen ohne die viel grundsätzlichere Kritik an naturwissenschaftlichen Positionen seiner Zeit, wie er sie vorher im Kapitel "Kraft und Verstand" geübt hat. Man muß die Phänomenologie wirklich von A bis Z studieren, denn das, was er in späteren Kapiteln als bestimmte philosophische Position darstellt, ist das Ergebnis des Scheiterns einer anderen aus einem Vorgängerkapitel und ohne dieses nicht zu begreifen. Dieser Anspruch und Hegels Steno-Stil machen das Ganze extrem schwer verdaulich, aber ich warne davor, das unvermittelt als Unsinn einzustufen.
Grüße,
Gomez
PS: So eine feine Edit-Funktion sollte es öfter in Blogs geben.
ich antworte wieder, der Lesbarkeit und der Gliederung der Diskussion wegen, in zwei Teilen.
Zitat von GomezUm die Verwirrung komplett zu machen: Hegel verwendet das Ding an sich in zwei Bedeutungen. Einmal als die reine Abstraktion, das jenseits jeder kategorialen Bestimmbarkeit Liegende und daher Bestimmungslose, und zur Beschreibung seines eigenen, Hegels, Untersuchungsgegenstands (allerdings dies nur in einer kurzen Bemerkung seiner Seinslogik).
Jetzt muß ich, lieber Gomez, Hegel fast gegen Sie in Schutz nehmen.
Ich sehe eigentlich keine Verwirrung. In der zitierten Einleitung zur WdL wird ja klar, wie er das meint: Er lehnt Kants Konzept des jenseits des Phainomenon liegende Noumenon, das keiner Erkenntnis zugänglich ist (noch nicht einmal hinsichtlich seiner Existenz) ab und setzt an seine Stelle ein Ding an sich, das er nur nicht so nennt, sondern "Sache an sich" oder "Gegenstand an sich". Und damit meint er etwas, das einerseits an sich existieren soll (also etwas nicht nur Subjektives ist), andererseits aber doch dem Geist entspringt und insofern intelligibel ist.
Ich halte das für eine Volte, ja für Taschenspielerei. Eine Sache "an sich", die zugleich eine solche für den Erkennenden ist, ist eine contradictio in adjecto. Wenn Hegel - falls ich Sie recht verstehe, ich kannte diese Stelle nicht - auch einmal die "Sache an sich", den "Gegenstand an sich" in seinem Sinn als "Ding an sich" bezeichnet hat, dann hat er damit a bisserl die Katze aus dem Sack gelassen: Er will, wie es ja überhaupt seine Art ist, Widersprüchliches irgendwie unter einen Hut bringen.
Zitat von GomezHegels Vorwurf gegen Kant ist ja, daß er seinen, Kants, Untersuchungsgegenstand aus analytischen Gründen separiere, nämlich in die Erscheinungswelt und den diese kategorisierenden Verstand, dann aber vergesse, daß das eine rein abstraktive Trennung ist. So kommt es dazu, daß es bei Kant der Sinnenwelt bedarf, damit der kategorisierende Verstand überhaupt erst aktiv wird, was im berühmten "Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind" zum Ausdruck kommt.
Ja, das stimmt, daß Kant das so sieht. Und natürlich in einer Tradition, die die ganze Philosophie der Neuzeit durchzieht. Und das ist eine "rein abstraktive" Trennung - was sonst? Kant vergißt das ja nicht, sondern ist sich dessen bewußt. Die Erscheinungswelt entsteht, indem der erkennende Verstand die Sinneseindrücke verarbeitet. Diesen Gedanken finden Sie schon bei Descartes, deutlicher dann bei Locke und Hume auf der einen Seite (aus sensations werden reflections bzw. impressions werden ideas), auf der anderen bei Condillac und Malebranche.
Wie man sich die Verarbeitung vorstellt, ist verschieden. Die Briten tendieren dazu, die Assoziation als den zentralen Mechanismen anzusehen. Bei Malebranche sind es unbewußte jugements. Auch bei Leibniz findet man eine solche Unterscheidung in der Gegenüberstellung von perception und apperception.
Zitat von GomezHegels Bewußtsein ist also immer schon ein sinnlich bestimmtes, weswegen er ja die Unterscheidung Subjekt-Objekt nicht mehr mitmacht und aus diesem Grunde die beide verbindende Struktur des Geistes verwendet.
Das scheinen mir nun zwei recht verschiedene Fragen zu sein. Daß das "Bewußtsein" (kein kantianischer Begriff, sehr zu Recht) im Sinn dessen, was Kant die Phainomena nennt, immer sinnlich bestimmt ist, bstreitet Kant natürlich überhaupt nicht. Wenn er in seiner Analyse, wie Sie richtig schreiben, nicht nach dem (damals) üblichen Schema vorgeht, bei den Empfindungen zu beginnen, so ist das allein eine Frage der Systematik der Darstellung. Das berührt nicht diesen simplen Sachverhalt: Die Bedingungen der Möglichkeit von Erkennen können nur insofern analysiert werden, als Erkennen eben stattfindet.
Und da gilt auch für Kant: Nihil in intellectu quod non prius fuerit in sensu (aus dem Gedächtnis zitiert, ich hoffe es stimmt so ungefähr) *).
Die Unterscheidung Subjekt-Objekt bleibt bei Hegel, wenn ich ihn nicht ganz falsch verstehe, schon erhalten. Das Objekt ist für ihn das "Andere". Oder - siehe oben - die "Sache an sich", der "Gegenstand an sich". Nur will er das Kuckucksei aus dem Nest werfen, das Descartes uns beschert hat, nämlich die Subjekt-Objekt-Spaltung.
Insofern steht er viel mehr als Kant in der Tradition der nachcartesianischen Ontologie und Epistemologie; die Überwindung der Trennung von res cogitans und res extensa ist ja eines der ganz großen Themen, mit dem sie sich aller herumgeschlagen haben, jeder auf seine Art - die Occasionalisten, Spinoza, Leibniz.
Soweit erst einmal.
Herzlich, Zettel
*) Nachtrag: Mit Ausnahme natürlich der synthetischen Urteile a priori. Das ist so selbstverständlich, daß ich es versäumt habe, es zu erwähnen.
In Antwort auf:Ich hatte irgendwo schon geschrieben, daß ich immer mal wieder die "Phänomenologie des Geistes" vorgenommen und sie zu verstehen versucht habe; einmal mit Hilfe der Erläuterungen von Bloch.
Leider gibt es kaum taugliche Gesamtdarstellungen zur Phänomenologie. Von Bloch würde ich stark abraten. Das Beste sind noch Untersuchungen zu einzelnen Kapiteln. Einen guten allgemeinen Einstieg in das Hegelsche Denken liefert Dieter Henrich, dessen Buch "Selbstverhältnisse" günstig bei Reclam zu bekommen ist.
Danke für den Hinweis. Aber ich habe es immer vorgezogen, Texte im Original zu lesen. Betrachten Sie das bitte nicht als arrogant; es ist eine Marotte von mir. Ich habe eine Abneigung gegen Sekundärliteratur.
Was Bloch angeht - da hat er sich wirklich als Bock zum Gärtner gemacht. Er, der Unklare (ich habe in Tübingen bei ihm gehört; dieser Nuschler war im Wortsinn unklar) wollte Hegel verklaren.
Zitat von GomezAusserdem ist die Phänomenologie des Geistes nicht Hegels Hauptwerk, es ist gewissermaßen nur die Einleitung in sein Hauptwerk, die Wissenschaft der Logik.
Schwer zu entscheiden. Er setzt ja in der WdL die PhdG voraus.
Zitat von GomezDa es sich bei der Phänomenologie aber auch um ein systematisches Werk handelt, verbietet es sich, auf Passagen, wie Sie sie isoliert zitieren, einzugehen. Das Zitat aus der "Beobachtung der Natur" ist nicht zu verstehen ohne die viel grundsätzlichere Kritik an naturwissenschaftlichen Positionen seiner Zeit, wie er sie vorher im Kapitel "Kraft und Verstand" geübt hat.
Darf ich meine Bitte erneuern, daß Sie kurz zusammenfassen, was in der zitierten Passage gemeint ist? Meine challenge ist die Behauptung, daß wortreich (und wenn man diese Sprache, die eines Künstlers und nicht eines Wissenschaftlers, mag, vielleicht ästhetisch reizvoll) nicht mehr gesagt wird als das, was ich in meiner Paraphrase geschrieben habe.
Zitat von GomezDieser Anspruch und Hegels Steno-Stil machen das Ganze extrem schwer verdaulich, aber ich warne davor, das unvermittelt als Unsinn einzustufen.
Das hat Schopenhauer getan, und mit Fichte ist er nicht freundlicher umgegangen. (Ich habe ein Büchlein mit Randglossen von Schopenhauer; Fichte hat er als Esel gezeichnet ).
Nein, ich denke nicht, daß Hegel Unsinn schreibt. Er ist der letzte große Philosoph.
Kant hat im Grunde mit der Philosophie Schluß gemacht; er verdient den Titel des Alles-Zertrümmerers viel mehr als Nietzsche. Von ihm führt der Weg über die Neukantianer, vor allem die Marbuger Schule, zum Wiener Kreis und weiter zur analytischen Philosophie.
Der deutsche Idealismus ist aus meiner Sicht ein letztes Zucken der Metaphysik. Fichte und Hegel holen zwar alles das in den Geist, in das setzende Ich, was man zuvor mit Bezug auf die Außenwelt und die Subjekt-Objekt-Beziehung diskutiert hat. Aber sie sind doch beide die letzten großen Systembauer. (Gut, auch Schopenhauer sprach gern von seinem "System").
Es ist kein Unsinn, was Hegel schreibt. Er schreibt nur fürchterlich versponnen, assoziativ, vom Hölzchen aufs Stöckchen kommend. Er flicht ein gewaltiges Rankwerk um die kleine Statue herum, die er uns hinstellt. Zu dieser Überzeugung bin ich jedenfalls gekommen, nachdem ich ihn mir über die Jahrzehnte immer wieder einmal vorgenommen habe.
Mein Eindruck ist, daß man bei ihm genau umgekehr verfahren muß wie bei, sagen wir, Descartes oder Hume. Diese bedienen sich einer ausgesprochen einfachen Sprache; man muß die komplexen Gedanken rekonstruieren, die sie in ihr verdichtet haben. Und bei Hegel muß man alles das Geranke wegschneiden, alle diese selbstverliebten Wortspielereien, diese Abschweifungen, Wiederholungen, endlose Paraphrasen, diese Metaphern und Variationen ein- und desselben Gedankens.
Irgendwann kommt man dann - gut, ich kann es nur für mich sagen: komme ich - so weit, zu sagen: Ach so, daaaas meint er. Naja, das hätte er doch gleich sagen können.
Herzlich, Zettel
PS: In meinem ersten Semester wohnte ich in einem Kolleg auf demselben Zimmer wie ein Hegelianer. Er hat mir auf endlosen Spaziergängen, auf dem Zimmer oft bis in die Nacht hinein, Hegel erklärt. Dann warf er sich auf Fichte, und ich lernte alles über das Ich und das Nicht-Ich.
In Antwort auf:Er will, wie es ja überhaupt seine Art ist, Widersprüchliches irgendwie unter einen Hut bringen.
Da haben Sie Hegels 1. Habitilationsthese schön paraphrasiert: "contradictio est regula veri, non contradictio falsi." Wenngleich ich bei "irgendwie unter einen Hut bringen" natürlich protestieren muß.
Eine Sache an sich kann durchaus etwas für den Erkennenden sein. Das ist das ganze Hegelsche Projekt. Die Sache an sich, um die es Hegel geht, ist das Denken. Auch aus diesem Grunde wird Hegel ja als Aristoteliker bezeichnet. Daß Kant nicht vergisst, daß er eine rein abstraktive Trennung vorgenommen hat, sehe ich auch so, Hegel allerdings nicht. Laut Hegel bringt Kant die Sinnlichkeit und das diese Sinnlichkeit ordnende Subjekt eben nicht wieder zusammen. Er behauptet ja, Kant sehe die Welt als etwas "Unverbundenes", als "in sich Zerfallendes", welches nur "durch die Wohltat des Selbstbewußtseins der verständigen Menschen einen objektiven Zusammenhalt" erhalte. Böse Konsequenzen auch in der Kantischen Moralphilosophie: Ein Rigorismus eines inhaltsleeren reinen Ichs, welches, schlimmer noch, jeden beliebigen Inhalt annehmen kann. Mit diesem Rigorismus erklärt Hegel auch das Wüten der Terrorjahre der Französischen Revolution, welches er gewissermaßen mit Kantischen Kategorien zu begreifen versucht.
Nur ist das Denken, das Hegel untersucht, immer schon inhaltlich gefüllt. Die WdL beginnt ja mit der unmittelbarsten inhaltlichen Füllung überhaupt, dem reinen Sein. Nur, daß sich aus der Analyse dieses Seins nicht nur reine Verstandeskategorien ergeben, sondern eben erst Seins- und Wesensbestimmungen. Daß sich überhaupt etwas aus dem unmittelbaren Beginnen ergibt, und aus diesem dann alles weitere, liegt an der oben angesprochenen Widersprüchlichkeit aller Denkbestimmungen, die auf weitere Denkbestimmungen verweisen, die diesen Widerspruch lösen, sich aber einen anderen einhandeln. Worin nichts anderes gesagt ist, als daß es sich beim Denken um einen Prozess handelt, nicht um ein Wissen um unvergängliche platonische Bestimmungen. Daß sich aus diesem unmittelbaren Beginnen zunächst Seinsbestimmungen ergeben, liegt daran, daß er meint, daß mit den Denkbestimmungen eben auch Seinsbestimmungen gefunden werden können.
Und das liegt an der Identität von Denken und Sein, welche Hegels Philosophie zugrundeliegt. Sie haben Recht, daß in gewisser Weise die Subjekt-Objekt-Unterscheidung bei Hegel erhalten bleibt. Aber sie wird in dem angesprochenen Prozeß immer wieder in eine Einheit zurückgeführt und aus dieser Einheit dann wieder hergestellt. Das spielt auch in ihrem Zitat eine Rolle, auf das ich später zurückkomme. Nur als Beispiel Hegels Behandlung der Selbstbewußtseinsproblematik: Als Sichselbstgleichheit (Ich weiß mich) ist das Selbstbewußtsein zwar die Identität von Subjekt und Objekt, zugleich aber bestimmungslos. Es muß sich also als Bewußtseinsgegensatz selbst bestimmen, es tritt also wieder S und O auseinander. Das steht aber im Widerspruch zum Begriff des Selbstbewußtseins. Es muß also das O wider zum S machen, das Objekt also begreifen, oder, mit Kant gesprochen: zum synthetisierenden Ich werden.
In Antwort auf:Ich habe eine Abneigung gegen Sekundärliteratur.
Da sind sie nicht alleine. Bei den von mir namentlich genannten Buch handelt es sich aber nicht um Sekundärliteratur, sondern durchaus um einen orginären philosophischen Beitrag. Sie sehen, die Grenze ist schwer zu ziehen.
In Antwort auf:Darf ich meine Bitte erneuern, daß Sie kurz zusammenfassen, was in der zitierten Passage gemeint ist?
Obwohl ich bislang immer vermieden habe, mich Aufgaben aus dem Inet zu stellen, die über eine zwanglose Unterhaltung hinausgehen (sowas pflegt im Stimmenhören zu enden ), weil Sie es sind, lieber Zettel:
Das "gedankenlose Bewußtsein" als Spezialfall der Vernunft, die sich gewiß ist, "alle Realität zu sein", ist deshalb gedankenlos, weil es meint, daß die Wahrheit nur in seinen Sinnesempfindungen liege, und nicht sieht, daß es damit eben aus diesen Empfindungen etwas ganz anderes macht, sie nämlich verallgemeinert, denn Aussagen zu treffen geht nur über Verallgemeinerungen. Wenn ich Ihnen schreibe, daß mir der Kaffee, den ich trinke, gut schmeckt, dann geht das nur, wenn Sie und ich beide über die Allgemeinausdrücke "Kaffee" und "schmecken" verfügen. Ich habe mich also gar nicht auf meine private Empfindung bezogen sondern im Gegenteil eine Aussage allgemeiner Natur gemacht. Das ist die Lehre aus dem Kapitel "Sinnliche Gewißheit", die hier anklingt. "Dies Allgemeine ist so nur erst das Sichgleichbleibende." Das verweist auf das zweite Kapitel über die "Wahrnehmung". Unter "Wahrnehmung" rubriziert Hegel Weltanschauungen, denen die verallgemeinernde Kategorisierung der Welt in dem identischen Ausdruck des "Dinges" geschieht, also das, was das "gedankenlose Bewußtsein" noch nicht begriffen hat, daß es ihm in Wahrheit um seine verallgemeinernde Tätigkeit geht. Alles ist ein Ding, und somit, von seiner allgemeinen Natur her, identisch. Was Hegel weiter unten beschreibt, ist der langweilige Prozeß der Identifizierung von Allgemeinheiten. Es beschreibt den Prozeß der Kategorisierung, denen ja eine Willkürlichkeit anhaftet, indem die kategorisierten Dinge eben auch ganz anders kategorisiert werden können. Linné könnte da genannt werden, aber das spricht Hegel auf den dem Zitat folgenden Seiten an. Hier geht es nur darum, daß bei diesem Prozeß der Identifizierungen der Gegenstand selbst aus dem Blick gerät - eben aufgrund der Willkür und des reinen Tätigkeitscharakters dieses Kategorisierens. Die weiteren Sätze über das fortschreitende Zergliedern greift Gedanken wieder auf, die im Kapitel "Kraft und Verstand" zur Sprache gekommen sind, und beschreiben die "natürliche Grenze" dieses Identifizierens, nämlich dort, wo es nichts mehr zu identifizieren und somit zu kategorisieren gibt, bei den ganz und gar partikularen Entitäten nämlich.
In Antwort auf:Kant hat im Grunde mit der Philosophie Schluß gemacht
Das kennzeichnet ja Philosophie. Wer hat nicht schon alles das Ende der Philosophie ausgerufen! Aber Wittgenstein z.B. hatte ja nicht einmal recht, als er das Ende seiner eigenen Philosophie ausgerufen hat. Philosophie ist nun einmal ein rein negatives, zersetzendes Geschäft. Ihr geht es darum, mehr noch als anderen Wissenschaften, zu zeigen, wie es nicht geht, als zu zeigen, wie es geht. Deswegen hört man die Rede vom Ende der Philosophie so häufig.
In Antwort auf:Und bei Hegel muß man alles das Geranke wegschneiden, alle diese selbstverliebten Wortspielereien, diese Abschweifungen, Wiederholungen, endlose Paraphrasen, diese Metaphern und Variationen ein- und desselben Gedankens.
Oh je, tun Sie das bloß nicht! Mit dem, was sie wegschneiden, können Sie nicht mehr arbeiten. Und Hegel schreibt kein Wort zuviel. Assoziativ ist er in der Phänomenologie durchaus, das aber aus darstellungstechnischen Gründen. Neben den (zu) vielen Aufgaben, die er dem Werk aufbürdet, ist die, die "Darstellung des erscheinenden Wissens" zu sein. Die Phänomenologie ist also in diesem Sinne auch eine Geistesgeschichte. Dieser Aufgabe kommt sie durch diese assoziative Sprache nach, mit der Hegel ausdrücken will: "Seht her, der antike Skeptizismus (Stoizismus, das Frühchristentum usw.) hat schon in den Kategorien gedacht, die ich hier systematisch entwickle." Für den Leser ergibt sich dann jedoch die Schwierigkeit, die Systematik hinter diesen Assoziationen zu entdecken. Und daran scheitert i.d.R. die Sekundärliteratur.
Grüße,
Gomez
PS: Damit keine Mißverständnisse entstehen: Ich bin kein Hegelianer. Aber Hegel hatte oft eine so unverdient schlechte Presse, daß ich ihn instinktiv in Schutz nehme, wenn ich glaube, irgendwo werden die alten Klischees verbreitet.
Ich lese hier schon eine ganze Weile mit - m.E. eines der intelligentesten und differenziertesten deutschsprachigen Blogs !. Da mir das Thema Schopenhauer (und seine Kritik an "abgehobener" Sprache) besonders am Herzen liegt, hier nun mein erster Beitrag dazu:
Das folgende Zitat ist eine kleine Kostprobe für Schopenhauers extrem klaren und anschaulichen Stil, die Dinge messerscharf auf den Punkt zu bringen (und den Leser zugleich nicht nur nicht zu langweilen, sondern sogar zu unterhalten):
"Wenn ich daher solche moderne Philosopheme lese," schreibt Schopenhauer, "die sich in lauter sehr weiten Abstraktis fortbewegen, so kann ich bald, trotz aller Aufmerksamkeit, fast nichts mehr dabei denken, weil ich eben keinen Stoff zum Denken erhalte, sondern mit lauter leeren Hülsen operieren soll, welches eine Empfindung gibt, der ähnlich, die beim Versuch, sehr leichte Körper zu werfen, entsteht: die Kraft nämlich und auch die Anstrengung ist da: aber es fehlt am Objekt, sie aufzunehmen, um das andere Moment der Bewegung herzustellen.
Man könnte sagen, Schopenhauer formuliert "So formal wie nötig, so anschaulich wie möglich", während umgekehrt das Gros der "Laberphilosophen" leider gemäss dem Motto "So formal wie möglich, so anschaulich wie nötig" zu verfahren scheint ;-)
Der folgende Auszug aus Schopenhauer vs. Hegel fasst sehr gut zusammen (besser als ich es mit eigenen Worten könnte) worum es Schopenhauer mit seiner Sprachkritik vor allem geht(und warum diese auch heute noch so aktuell ist):
Mit seiner rigorosen Ablehnung der Universitätsphilosophie dokumentiert SCHOPENHAUER besonders drastisch seine Skepsis gegenüber einer ideologisch mißbrauchten Sprache. [...] Die verunstaltete, ideologisch mißbrauchte Sprache übt nach Schopenhauer eine erzieherische Funktion aus. Dadurch gelingt es ihr auch, die Autonomie des Intellektuellen zu untergraben und in bestimmten vorgeprägten Begriffsrastern zu denken. [...] Der Sprache gelingt es nicht nur, hinter komplizierten und verschachtelten Wendungen realpolitische und ökonomische Interessen zu verbergen, [...] die nun als modernisierte Scheinbegriffe ihre Wirkung auf den Kreis der Intellektuellen nicht verfehlen, dienten zur Neutralisierung und Bloßstellung möglicher Gegner aber auch zur Umerziehung bzw. zur andressierbaren Gefügigkeit diverser Selbstdenker.
Aber am besten hat es m.M.n. immer noch Karl Popper in seiner berühmten Streitschrift "Wider die großen Worte" ausgedrückt:
"Was ich 'die Sünde gegen den heiligen Geist genannt habe — die Anmaßung des dreiviertel Gebildeten —, das ist das Phrasendreschen, das Vorgeben einer Weisheit, die wir nicht besitzen. Das Kochrezept ist: Tautologien und Triviaitäten gewürzt mit paradoxem Unsinn. Ein anderes Kochrezept ist: Schreibe schwer verständlichen Schwulst und füge von Zeit zu Zeit Trivialitäten hinzu. Das schmeckt dem Leser, der geschmeichelt ist, in einem so „tiefen" Buch Gedanken zu finden, die er schon selbst einmal gedacht hat. (Wie heute jeder sehen kann — des Kaisers aeue Kleider machen Mode!)"
[...]
"Was haben die Neodialektiker gelernt? Sie haben nicht gelernt, wie schwer es ist, Probleme zu lösen und der Wahrheit näher zu kommen. Sie haben nur gelernt, wie man seine Mitmenschen in einem Meer von Worten ertränkt."
Und zum Schluss nochmal in Schopenhauers Worten:
Wer etwas Sagenswertes zu sagen hat, braucht es nicht in preziöse Ausdrücke, schwierige Phrasen und dunkle Allusionen zu verhüllen, sondern er kann es einfach, deutlich und naiv aussprechen und dabei sicher sein, daß es seine Wirkung nicht verfehlen wird. Daher verrät durch obige Kunstmittel, wer sie braucht, seine Armut an Gedanken, Geist und Kenntnissen.
(Arthur Schopenhauer: Über Schriftstellerei und Stil) ----------------------------
Ihr Lob freut mich; und ich gebe es an alle die weiter, die hier schreiben. Die ihre Zeit, ihre Kenntnisse und ihre Klugheit daran wenden, uns alle kenntnisreicher und klüger zu machen.
Danke für die schönen Beispiele! Wenn man sich die Geschichte der Philosophie ansieht, dann ist ja eigentlich das, was Schopenhauer verlangt - daß man dann, wenn man wirklich etwas zu sagen hat, es auch einfach und verständlich sagen kann - , nachgerade das Markenzeichen der Großen.
Welche Mühe hat sich Platon damit gemacht, durch die Form des fiktiven Dialogs dem Leser das Verstehen zu erleichtern; bis hin zu den Einkleidungen in kleinen Geschichten. Galilei hat das aufgenommen (wenn auch wohl auch, um die Zensur auszutricksen). Leibniz hat das Format des Dialogs gelegentlich benutzt, zB in der Confessio Philosophi, einem sehr schönen Dialog über Gott und die Welt. Auch von Schopenhauer gibt es einen Dialog - über die Religion -, den ich sehr empfehlen kann. Da geht es auch um Religion als "Opium des Volks", wenn Schopenhauer natürlich auch nicht diese Metapher benutzt. Und dagegen setzt Schopenhauer Aufklärung und Ehrlichkeit.
Auch Aristoteles ist in der didaktischen Art, wie er ein Problem entwickelt, ganz auf Verständlichkeit gerichtet (seine Werke sind ja auch aus seinem Unterricht hervorgegangen). Und so bei den anderen Großen. Descartes hat, vor allem in den französischen Schriften, so einfach geschrieben, daß es ein Vergnügen ist, ihn zu lesen.
Kant freilich war zwar ein guter Lehrer, hat sich aber beim Schreiben nicht die Mühe gemacht, leicht verständlich zu sein. Warum, darüber wird viel gerätselt. Er hat die ganze "Kritik der reinen Vernunft" in, wenn ich mich recht erinnere, fünf oder sechs Monaten niedergeschrieben. Natürlich nach langen Vorarbeiten; aber er hat wie in einem Rausch geschrieben und hätte statt des treuen Green einen guten Lektor gebraucht. Dann spielte bei den späten Schriften eine Rolle, daß er wohl spürte, wie seine geistige Spannkraft nachließ, und er schrieb in noch mehr fliegender Eile.
Wer beruflich viel schreiben muß, der weiß, daß nichts schwerer ist, als einen Gedanken einfach auszudrücken. Ich habe das nach Kräften versucht, wenn ich Zeit hatte. Das Manuskript meiner Dissertation habe ich aufgehoben. In dieser Zeit, Jahrzehnte vor dem ersten Worteditor, natürlich auf einer IBM getippt. Der Text wurde immer wieder überarbeitet, indem ich Passagen neu geschrieben und dann das Alte damit überklebt habe. Mein Arbeitszimmer duftete immer nach Uhu.
So wurden manche Seiten allmählich so dick wie Pappe. Solange halt, bis ich es fertiggebracht hatte, mich einfach auszudrücken. Aus langen Sätzen kurze zu machen. Abschweifungen und Einschübe herauszuwerfen. Den Kern der Sache herauszuarbeiten.
Es geht. Jeder könnte es, glaube ich. Es ist nur mühsam. Und bei Hegel - siehe die Diskussion mit Gomez - scheint mir, daß er sich undeutlich ausdrückt, weil er nicht die Zeit oder die Lust oder die Kraft hatte, einen einfachen Text zu schreiben. Clare et distincte.
eigentlich würde ich viel lieber über Kant diskutieren (zB das Verhältnis zwischen der KrV und der KpV) als über Hegel.
Ich gebe ja gern zu, ihn nicht zu vestehen, bezweifle aber, daß irgendwer ihn oder auch nur er selbst sich verstanden hat. Mein Verdacht ist, daß Hegelianer etwas ganz anderes mit "Verstehen" meinen als andere: Nämlich so etwas wie das Erlernen einer Terminologie, die so flexibel ist, daß man, wenn man sie erst einmal beherrscht, alles mit ihr abdecken (man könnte auch sagen: Den Schleier dieser Terminologie über alles legen) kann, was es auf Gottes weitem Erdenrund gibt.
Lassen Sie mich das nur an einem Beispiel erläutern, dem ersten Absatz in Ihrer Antwort:
Zitat von GomezEine Sache an sich kann durchaus etwas für den Erkennenden sein. Das ist das ganze Hegelsche Projekt. Die Sache an sich, um die es Hegel geht, ist das Denken.
Bei Kant heißt das Ding an sich deshalb so, weil es eben unabhängig vom Erkennenden existiert. Das ist eine Definition, die auf Aristoteles (kath' auto) zurückgeht, keine Existenzbehauptung. Akzeptiert man diese Definition, dann ist natürlich ex definitione ein Erkennen des Dings an sich nicht möglich, trivialerweise.
Was Hegel mit "an sich", "für sich" und "an und für sich" und vor allem "für den anderen" meint, darüber sind ja ganze Bibliotheken geschrieben worden.
Da, wo er das erklärt, erscheint er mir oft wie ein naiver Realist. "An sich" existiert etwas irgendwie isoliert, losgelöst vom Zusammenhang mit anderem. Sobald es erkannt wird, verwandelt es sich in ein "für den anderen", und wenn es gar sich selbst erkennt, in ein "für sich". Der Weg vom "an sich" zum "für sich" ist aber irgendwie auch so etwas wie eine Entfaltung, eine Entwicklung ähnlich der bei Aristoteles von der potentia zur actualitas.
Für Kant sind "Ding an sich" und "Erscheinung" erkenntnistheoretische Kategorien. Bei Hegel irgendwie vielleicht auch noch (wobei er, wie schon besprochen, nur "Sache an sich" oder "Gegenstand an sich" sagt). Aber irgendwie scheinen es auch ontologische Kategorien sein, so wie dynamis und energeia.
Das ist, lieber Gomez, für mich alles so vage, daß ich, wenn ich es lese, mich nach Kants Klarheit zurücksehne. Woher weiß Hegel zum Beispiel, daß etwas "an sich" existiert, wo es doch, sobald er es erkennt, automatisch zu "für Hegel" wird?
Mir scheint - und das gilt nicht nur für dieses Beispiel -, daß dort, wo Kant sich redlich abmüht, wo er oft auch nicht zu einer ihn befriedigenden Lösung kommt, Hegel alle Probleme hinter diesem Schleier seiner flexiblen Terminologie verschwinden läßt.
Überhauopt - und lassen Sie mich damit zu einem allgemeineren Aspekt kommen - zeichnen sich diejenigen Philosophen, die ich schätze, dadurch aus, daß sie sich an Problemen abmühen, die sie manchmal lösen können, oft aber auch nicht. Und wo sie das dann auch zugeben oder erkennen lassen.
Das finden Sie bei bei Platon, der manche Fragen sozusagen im Dialog versanden läßt. Sie haben es regelmäßig bei Aristoteles, der noch viel mehr als Platon die Begabung hat, ein Problem hin- und herzuwenden, immer vor allem auf der Suche, es erst einmal begrifflich zu fassen, und der dabei sozusagen von einer Verlegenheit in die nächste taumelt. Auch bei ihm bleibt eine Frage oft offen.
Bei Kant durchzieht dies das ganze Werk. Manches, wie die transzendentale Ästhetik, die Kategorientafel, die Antinomien der reinen Vernunft hat er wohl als endgültig angesehen; aber in vielen anderen Bereichen - dazu gehört neben der Willensfreiheit und der Existenz Gottes vor allem auch das Problem des Dings an sich - war er sich der Unvollkommenheit seiner Bemühungen wohl sehr bewußt.
Bei Hegel, lieber Gomez, spüre ich davon nichts. ER scheint mit der wundersamen Gabe versehen, alles zu durchschauen, fast wie Kara Ben Nemsi.
Nur scheint mir dieses Durchschauen eben nicht darin zu bestehen, daß man etwas im wissenschaftlichen Sinn besser versteht (also seine Eigenschaften, sein Funktionieren, die Gesetze, denen es unterliegt besser kennenlernt). Sondern wie schon gesagt: Hegel hat, so scheint mir, etwas nach seiner Meinung verstanden, wenn er es mittels der sehr eigenen Sprache, die er erdacht hat beschrieben hat.
Es folgt nichts daraus für das Handeln. Der Hegelianer weiß, wenn er Hegel in sich aufgenommen hat, nichts Neues über die empirische Welt oder auch sich selbst, mit dem er etwas anfangen kann. Gelernt hat er eine Terminologie.
Kant dagegen ist für die empirischen Wissenschaften relevant, und zwar sehr unmittelbar. Ich wundre mich immer wieder über die erkenntnistheoretische Naivität vieler analytischer Philosophen, wenn es um Themen wie Bewußtseinsforschung oder Quantenmechanik geht.
Damit, lieber Gomez, bin ich bei einem Thema, das ich - wenn Sie mögen - gern ein wenig vertiefen würde: Kant dachte naturwissenschaftlich. Hegel hat sich - soweit ich orientiert bin - in keine der damals sich entwickelnden Naturwissenschaften vertieft.
Für den Naturwissenschaftler ist die Frage, ob es ein Ding an sich gibt, nachgerade albern. Ja, natürlich, womit sonst befaßt er sich? Er wird es nie als Ding an sich analysieren können, das wäre kontradiktorisch, siehe oben. Aber daß es existiert, ergibt sich schon daraus, daß man richtige und falsche Aussagen machen kann. Aussagen, deren Richtigkeit und Falschheit sich im Kontakt mit der Realität erweist. Es gibt diese Realität, auch wenn wir sie immer nur in den uns gegebenen Kategorien fassen und uns vorstellen können. Sie zeigt sich in ihrer Widerständigkeit.
Wenn man es hingegen, wie Hegel offenbar annimmt, gar nicht mit einer objektiven, vom Geist unabhängigen Realität zu tun hat - wie kann man dann überhaupt wahre von falschen Aussagen über die Realität unterscheiden? Wozu überhaupt forschen?
Man ist dann sehr schnell bei einem Relativismus, wie er heute ja in Form des kulturellen Relativismus sich breiter Zustimmung erfreut.
Es ist diese Beliebigkeit, die bei Marx dann die völlige Unterordnung der Erkenntnis unter das Interesse ermöglicht hat.
nachdem ich im PS meines letzten Beitrags meine Motivation für meine Einlassungen offengelegt habe, habe ich das Gefühl, daß Sie diese Antwort hier regelrecht provozieren. Denn Sie bemühen, leider, wieder alte Klischees:
1. ist es meilenweit an der Wirklichkeit vorbei, zu behaupten, Hegel habe sich nicht mit naturwissenschaftliochen Denken befasst. Sie haben doch selbst ein Zitat gebracht, worin sich Hegel offenkundig mit Naturwissenschaft beschäftigt. Warum zum Beispiel ist die zweite Auflage der Seinslogik fast doppelt so umfangreich wie die erste? Doch ganz einfach deshalb, weil Hegel weitere naturwissenschaftliche und mathematische Probleme in seine Arbeit integrieren wollte. Schauen Sie doch einfach mal in den Anmerkungs-Apparat der Meiner-Ausgabe.
2. Ding an sich. Eigentlich ist diese Geschichte bei Hegel nur ein Nebenkriegsschauplatz. Interessant am DaS ist für Hegel gewissermaßen nur seine Irrelavanz. Das aber heißt für ihn, daß er sich eben mit der Realität abmüht, nicht nur mit einer gegenüber dem DaS irgendwie unwahren bloßen Erscheinungswelt.
3. Aber was ist für Hegel dann die Realität? Ganz klar ist Hegel einer der Philosophen, für den die Welt nur als irgendwie wahrgenommene existiert. Das DaS ist ja nachgerade die Behauptung einer nichtwahrgenommenen Welt. Das hat aber die Konsequenz, daß für ihn Denken und Sein identisch sind. Was jedoch nicht so verstanden werden darf, daß das Denken nur in der Vorstellung existiert.
In Antwort auf:Für den Naturwissenschaftler ist die Frage, ob es ein Ding an sich gibt, nachgerade albern. Ja, natürlich, womit sonst befaßt er sich? Er wird es nie als Ding an sich analysieren können, das wäre kontradiktorisch, siehe oben. Aber daß es existiert, ergibt sich schon daraus, daß man richtige und falsche Aussagen machen kann. Aussagen, deren Richtigkeit und Falschheit sich im Kontakt mit der Realität erweist. Es gibt diese Realität, auch wenn wir sie immer nur in den uns gegebenen Kategorien fassen und uns vorstellen können. Sie zeigt sich in ihrer Widerständigkeit.
Wenn man es hingegen, wie Hegel offenbar annimmt, gar nicht mit einer objektiven, vom Geist unabhängigen Realität zu tun hat - wie kann man dann überhaupt wahre von falschen Aussagen über die Realität unterscheiden? Wozu überhaupt forschen?
Ich habe den Eindruck, daß Sie hier auf den Sellarschen "myth of the given" hereinfallen. So interpretiere ich jedenfalls Ihren Gebrauch von "Widerständigkeit". Das DaS als Kontrollinstanz der Forschung ist jedoch hochproblematisch, denn Sie müssen es als vom Begrifflichen gänzlich bereinigtes bloßes Faktum darstellen können. Das wird Ihnen jedoch schwerfallen. Der logische Positivismus ist jedenfalls mit seiner Protokollsatztheorie auf die Nase gefallen. Daß es keine reinen Beobachtungssätze gibt, hätten diese Leute schon in Hegels "Sinnlicher Gewißheit" nachlesen können. Aber woran erkenne ich dann, ob meine Aussagen über die Wirklichkeit zutreffend sind oder nicht? Genau das ist die spannende Frage. Sie motiviert John McDowells "mind and world", wo er dem Problem nachgeht, wie es sein kann, das unbegrenzte Reich des Begrifflichen so zu denken, daß begriffliche Spontaneität sich darin "reiben" kann, da sie sonst nur ein "reibungsloses Kreiseln im luftleeren Raum" wäre. Der späte Quine hat wieder Außenreizungen in seinem System zugelassen, um dieses Problem zu meistern. Wo ist aber Hegel einzuordnen? Dazu nur soviel: Wenn er die Einheit von Denken und Sein behauptet, folgt daraus ja schon, daß das Denken über das Sein nicht so ohne weiteres verfügen kann. Denn das Objekt ist vom Subjekt ja genauso abhängig wie das Subjekt vom Objekt. Das Subjekt kann also durchaus irren und sich korrigieren lassen, indem er zunächst dem Objekt eine falsche begriffliche Struktur unterstellt und sich dann aber von ihm aufklären lässt. Das könnte man am Tun des Naturwissenschaftlers exemplifizieren: Er lässt sich vom Ansich aufklären, und dieses ihm Offenbarte ist dann "für ihn", und damit hat er auch ein neues Ansich geschaffen, also den Gegenstand verändert. In der Geschichte der Naturwissenschaft haben sich ja viele Gegenstände unter den Augen des Forschers sozusagen auf diese Weise in Luft aufgelöst, der Äther oder die Miasmen, was wiederum sehr schön zeigt, dass es auch die Wissenschaft nur mit Begriffen, nie mit erkenntnisunabhängigen Gegenständen zu tun hat.
4. Die Terminologie. Auch dazu nur so viel: Es überrascht mich immer wieder, daß an philosophischen Texten bemängelt wird, wenn sie nicht von jedermann unmittelbar begriffen werden können. Kein Mensch würde diesen Anspruch an naturwissenschaftliche oder ökonomische Texte stellen. Daß nun philosophische Texte schwer verständlich sind, daran hat auch Kant gewirkt, und selbstverständlich auch die Leibnizschule, aus der er hervorgegangen ist. Ich betrachte das als Vorzug, nämlich auf Hinweise auf die Verwissenschaftlichung eines Fachs, wenn sie Ihre eigene Begrifflichkeit entwickelt. Kant hat zugegebenermaßen den Vorteil, daß er an geeigneter Stelle seine Begrifflichkeiten definiert. Definitionen verbieten sich aber für Hegel, da seine Termini nur im Kontext Sinn haben, nicht unabhängig davon. Er ist sozusagen, um es etwas unbeholfen auszudrücken, aus Gründen seiner eigenen Philosophie schwer verständlich.
5. Auch wenn Sie lieber über das Verhältnis von KrV und KpV sprechen wollen: Wenn Sie sich doch noch einmal an Hegel wagen, empfehle ich, die frühen Jenaer Schriften zu lesen wie "Glauben und Wissen", die Differenzschrift (in diesen beiden empfehle ich die Abschnitte über Kant) oder seinen Aufsatz über den gemeinen Menschenverstand. Da haben Sie zwar noch nicht die Hegelsche Lösung, aber schon Hegels philosophische Aufgaben vorgestellt. Diese Texte sind zwar auch nicht gerade leicht verständlich, vor allem nicht in Vergleich zu seinen theologischen Jugendschriften, aber wenigstens quält er Sie darin nicht mit seiner späteren Terminologie. Oder Sie nehmen seine Logik, die im Vergleich zur Phänomenologie imho leicht verständlich ist.
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