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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 46 Antworten
und wurde 2.793 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2
Gorgasal Offline




Beiträge: 4.082

23.10.2008 11:17
#26 RE: Zitat des Tages: "Ausgewählte Zeitlagen" Antworten

Zitat von R.A.
> Ich glaube, dass weitere Vorteile durch das
> Profitstreben entstehen ...
Aber ohne Wettbewerb läßt sich dieses Profitstreben viel leichter durch höhere Preise und schlechtere Leistung befriedigen.
Rationalisierung und andere Verbesserungsmaßnahmen machen Arbeit - und die Vorstände eines Monopolisten sind ohne Notwendigkeit auch nicht fleißig.

Erst der Wettbewerb sorgt dafür, daß das Profitstreben zugunsten der Kunden wirkt.

> Ein staatliches Unternehmen hat deutlich
> weniger Interesse an einer rationalen
> Verwendung seiner Ressourcen ...
Richtig. Aber es muß wenigstens ein Minimum an Leistung bieten, um öffentliche Kritik zu vermeiden (jedenfalls Kritik in einem Ausmaß, die die zuständigen Politiker zum Eingreifen zwingen würde).

Bei einem privaten Monopolisten fällt selbst diese schwache Kontrolle weitgehend weg.

Ich will Ihnen ja gar nicht widersprechen, dass private Monopole Probleme haben. Mein Problem war damit, daraus sofort eine Bevorzugung staatlicher Monopole abzuleiten. Und das Problem besteht für mich immer noch.

Wenn Sie darauf hinweisen, dass ein staatliches Monopol "ein Minimum an Leistung bieten [muss], um öffentliche Kritik zu vermeiden", dann geht das genau in die Richtung. Für ein staatliches Monopol ist es wichtiger, Leistung anzubieten und damit Wähler glücklich zu machen, als die Leistung kritisch zu hinterfragen, ob hier Ressourcen überhaupt sinnvoll eingesetzt werden. Da macht sich gerne Verschwendung breit (siehe die Bridge to Nowhere in Alaska).

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

23.10.2008 11:27
#27 RE: Zitat des Tages: "Ausgewählte Zeitlagen" Antworten

Zitat von Zettel
Das geht allerdings, ... nur in
der Ersten Klasse, ...

Oder in der Zweiten, wenn man reserviert hat.
Was aber dann bedeutet, daß man eben diesen Zug auch erreichen können muß.

In Antwort auf:
Wenn ich unbedingt pünktlich ankommen muß - um zum Beispiel einen Flieger zu erreichen - plane ich grundsätzlich so, daß ich notfalls auch mit dem nächsten ICE noch rechtzeitig ankommen würde. Ich verplempere also eine Stunde.

Exakt dieses Problem hat man dann immer.
Und das ist wirklich eine ganz drastische Verschlechterung der Reisequalität.
Sehr viele sinnvolle Reisemöglichkeiten fallen schlicht weg, weil die Umsteigerelation zu riskant ist.

Meine Frau und ich werden wie jedes Jahr morgen zur Messe nach Essen fahren. Zwischen Frankfurt und dem Rhein-Ruhr-Gebiet gibt es eigentlich sehr viele Möglichkeiten - es ist wohl die am besten verknüpfte Bahnverbindung Deutschlands.
Aber praktikabel ist eigentlich nur der direkte ICE Frankfurt-Essen - und dann ist man zeitlich schon wieder sehr festgelegt.
Und wir müssen morgen früh fast eine Stunde Wartezeit in Frankfurt einkalkulieren, weil die normalen 25 Minuten Umsteigezeit von der S-Bahn zu riskant sind.

Da kann man wirklich sagen, daß die alte Behördenbahn besser war. Da konnte man Verbindungen mit 15 Minuten Umsteigezeit ganz unbesorgt buchen.
Wie jeder Staatsmonopolist war die Bahn damals schwach in Innovationen und im Service, und natürlich defizitär. Aber es gab zumindestens den Ehrgeiz - auch vom Berufsethos der Bahner getragen - bei Sicherheit und Pünktlichkeit eine vorschriftsmäßige Leistung abzuliefern.

In Antwort auf:
Meines Erachtens steckt dahinter der Grundfehler, nicht von vornherein, wie für den TGV in Frankreich, ein getrenntes Trassensystem zu bauen.

Natürlich wäre ein eigenes Trassennetz das Optimum - aber das wäre in Deutschland nicht nur wegen der anderen Planungskultur kaum möglich gewesen. Wir haben einfach deutlich weniger Platz als die Franzosen, ein Verzicht auf Mitnutzung vorhandener Strecken wäre ein großes Problem gewesen.

M. W. wäre das gemischte Netz auch grundsätzlich in der Lage, erstklassigen ICE-Verkehr abzuwickeln. Schließlich gibt es genug Neubaustrecken um Geschwindigkeit zu machen - und bei einer ansonsten guten Haus-zu-Haus-Verbindung kommt es dann auf die letzten 10 Minuten Reisezeitoptimierung gar nicht mehr so an.

Das Problem ist wohl die steckengebliebene und vermurkste Halbprivatisierung.
Es gibt weder eine Planung aus einer Hand noch einen Wettbewerb.

Die Bahn versucht - durchaus verständlich - die verschiedenen Finanzquellen optimal zu nutzen. Also die Länder (Nahverkehr) gegen den Bund (Fernnetz) auszuspielen, Investitionen oder Reparaturen zu vermeiden, wenn durch Verzögern ein anderer Zahler ins Spiel gebracht werden kann.

Bei einem nach normalen Maßstäben gewarteten Netz und ausreichenden Reserven beim Zugmaterial könnte man auch einen weitgehend verspätungsfreien Verkehr organisieren.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

23.10.2008 11:39
#28 RE: Zitat des Tages: "Ausgewählte Zeitlagen" Antworten

Zitat von Gorgasal
Mein Problem war damit, daraus sofort eine Bevorzugung staatlicher Monopole abzuleiten.

Dann muß ich versuchen, mich besser zu erklären.
Denn in der Tat glaube ich grundsätzlich: Wenn ein Monopol unvermeidbar ist - dann sollte es staatlich sein.

> Für ein staatliches Monopol ist es wichtiger,
> Leistung anzubieten und damit Wähler
> glücklich zu machen, als die Leistung
> kritisch zu hinterfragen, ob hier Ressourcen
> überhaupt sinnvoll eingesetzt werden.
Richtig.
Aber wenigstens hat man hier eine gewisse Sicherheit, daß die vorgeschriebene Leistung erbracht wird. In der Tat meist mit Verschwendung, aber immerhin.

Siehe eben meine Beschreibung der alten Staatsbahn. Die war defizitär und überhaupt ineffizient - aber wenigstens brauchbar.

Bei einem privaten Monopol laufen die Incentives eigentlich alle in die verkehrte Richtung.
Eine gute Leistungserbringung - oder auch nur die Einhaltung von Mindeststandards bei der Leistung - sind für das Management völlig nebensächlich.
Es wird weniger durch Effizienzsteigerung gespart (wieso sollte man sich auch diese Mühe machen) - sparen durch Leistungsstreichung ist viel leichter.
Höhere Einnahmen bekommt man nicht durch bessere Angebote, sondern durch Hochsetzen der Preise.

Man sieht das doch recht gut am Verhalten der Mehdorn-Bahn. Hauptziel ist ein kurzfristiger Überschuß, um dem Bund einen hohen Verkaufserlös zu sichern.
Mittel- oder langfristige Investitionen werden systematisch vernachlässigt - siehe die unzureichende Beschaffung von ICEs.
Selbst gravierende Leistungsverschlechterungen sind unwichtig, die Kundenzufriedenheit zählt ja nicht.

Es wäre noch exzessiver, wenn die Bahn ein kompletter Verkehrsmonopolist wäre. So wird sie wenigstens noch dadurch gebremst, daß die Leute aufs Auto ausweichen können.

Ansonsten aber wäre ein privates Monopol schlicht die Lizenz zum Gelddrucken, ohne Anreize für Effizienz oder Leistung.

Dagny Offline



Beiträge: 1.096

23.10.2008 12:10
#29 RE: Zitat des Tages: "Ausgewählte Zeitlagen" Antworten

Ein Staatliches Monopol halte ich fuer das schlimmste was es gibt, denn es ist ein statisches Monopol. Ein privates Monopol dagegen ist ein dynamisches und als solches immer der potentiellen Konkurrenz ausgesetzt.

Mein Beispiel um dies zu verdeutlichen ist Microsoft: Ja, der Konzern hat ein Monopol. Wenn MS dieses durch zu hohe Preise und all die anderen schoenen Dinge ausnutzt, dann setzt der Konzern doch nur den Anreiz fuer Tueftler und Bastler etwas anderes, besseres zu produzieren. (OpenOffice, LINUX....).
Wenn das MS-produkt dagegen das beste denkbare zum besten preis ist, nun, dann hat die Evolution eben ein Optimum gefunden - warum soll es dann mehrere Anbieter geben?

Waere MS dagegen ein Staatskonzern und das Monopol staatlich geschuetzt - wir wuerden niemals herausfinden, ob es etwas besseres gaebe, denn das Monopol ist nun statisch.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

23.10.2008 12:46
#30 RE: Zitat des Tages: "Ausgewählte Zeitlagen" Antworten

Zitat von Dagny
Ein privates Monopol dagegen ist ein dynamisches und als solches immer der potentiellen Konkurrenz ausgesetzt.

Das ist jetzt eine Definitionsfrage.
Wenn es potentieller Konkurrenz ausgesetzt ist, ist es für mich kein Monopol.

Meine ganze Argumentation zielt auf Monopole ab, die statisch sind. Und dann ist es wegen der aufgeführten Gründe besser, wenn dieses Monopol auch staatlich ist.

Microsoft hat kein solches Monopol. Es gab immer Konkurrenz und damit auch Wettbewerb (der MS ja auch zunehmend zu schaffen macht).
Und deswegen würde ich auch nie empfehlen, MS zu verstaatlichen.

Sollte es bei den Betriebssystemen jemals ein echtes Monopol geben, d.h. die völlige Unmöglichkeit, irgend etwas anderes als Windows auf seinem Rechner zum Laufen zu kriegen - dann wäre es aber tatsächlich so, daß ich die Kontrolle darüber lieber bei einer ineffizienten Behörde sähe als bei Bill Gates.

Das Schienennetz ist ein solches Monopol. Es ist faktisch unmöglich, ein weiteres Schienennetz in Deutschland zu bauen. Deswegen muß dieses Netz - wie das Straßennetz - beim Staat bleiben.

Libero Offline



Beiträge: 393

23.10.2008 13:57
#31 RE: Zitat des Tages: "Ausgewählte Zeitlagen" Antworten

Zitat von Dagny
Mein Beispiel um dies zu verdeutlichen ist Microsoft: Ja, der Konzern hat ein Monopol. Wenn MS dieses durch zu hohe Preise und all die anderen schoenen Dinge ausnutzt, dann setzt der Konzern doch nur den Anreiz fuer Tueftler und Bastler etwas anderes, besseres zu produzieren. (OpenOffice, LINUX....).



Leitungsgebundene Versorger sind damit nicht zu vergleichen. Zwar können mehrere Anbieter ein gemeinsames Schienennetz nutzen, aber das ist nur dann sinnvoll, wenn man das Schienennetz einer staatlichen Gesellschaft überträgt. Privatisierungen scheitern oft daran, daß die neuen Eigentümer ihre Erfahrungen auf Versorger übertragen. Die neuen Eigentümer sind nur versiert in Unternehmungen mit raschen Kapitalrücklauf, wie er für den Handel und für die Börse typisch ist. Die Versorger haben alle einen sehr geringen Kapitalrücklauf. Private Manager, die in Dimensionen von Jahrzehnten sachgerecht entscheiden können, gibt es nur in wenigen sehr kapitalintensiven Branchen. Industrielle Beispiele wären der Bergbau, sicherlich auch die Stahlindustrie und noch die Chemie. Ein extremes Beispiel ist die Forstwirtschaft mit dem Ziel Stämme und nicht Papier, wo der Kapitalrücklauf erst nach 100 oder gar 300 Jahren beginnt. Deshalb ist es ja Schwachsinn, bei Bäumen, die nicht nach 20 Jahren gefällt werden können, Setzlinge zu pflanzen. Die Pflanzkosten verzinst auf 100 oder gar 300 Jahren ergibt gigantische Summen. Die Bahn ist nicht ganz so extrem, da dauert der Kapitalumschlag etwa 30 Jahre. Also wie in den Naturwissenschaften auch, Randbedingungen beachten. Wenn dann die neuen privaten Eigentümer erst einmal mit bekommen, wie hoch die Investitionen sind, werden sie wie bei Thames Water nicht die Investitionen erhöhen, um die Leckage zu verringern, sondern die Call Center ausbauen, um die Beschwerden besser abwimmeln zu können. Das geht ein paar Jahre gut und dann ist der Versorger schrottreif. War bei der britischen Bahn auch nicht anders.

Versorger sind eben sehr spezielle Branchen. Reine Finanzinvestoren sind da falsch

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

23.10.2008 14:14
#32 Die Welt der Vorschriften Antworten

Zitat von Thomas Pauli
als einer meiner Freunde damals bei der von der DDR betriebenen S-Bahn arbeitete, bekamen sie periodisch bedruckte Bögen, aus denen einzelne Sätze ausgeschnitten und in das Fahrdienstleiterhandbuch eingeklebt werden mußten. Heute würde man sowas als Update bezeichnen.

Hübsch! Ausschneidebogen à la Sozialismus.
Zitat von Thomas Pauli
Da der Leim jedoch grauslig war, fielen ihm beim Aufschlagen des Buches hunderte von Sätzen entgegen (gesammetles Schweigen?)

Jetzt verstehe ich endlich den Sinn der Redensart "einen Satz fallenlassen".
Zitat von Thomas Pauli
Ich weiß nicht, wie das heute so ist, aber die schiere Akkumulation von Vorschriften kann schon deren Beachtung schlicht verhindern.

Ihre Beachtung in dem Sinn, daß kaum jemand sie kennt. Aber der gute - der Karriere machende - Verwaltungsmensch zeichnet sich eben durch den Ehrgeiz aus, das alles zu kennen.

Ich habe, wie gelegentlich schon erwähnt, ja ein paar Jahrzehnte lang mit solchen Verwaltungsmenschen zu tun gehabt. Und war in gewisser Weise von ihrem Denken fasziniert. Sie leben in dieser Welt der Vorschriften. Und manche setzen ihren Ehrgeiz darein, sich sozusagen möglichst elegant darin zu bewegen.

Man hat also irgendeinen Wunsch - sagen wir, ich möchte Mittel für einen bestimmten Zweck einsetzen, für den sie eigentlich nicht vorgesehen waren - und bespricht das mit dem Zuständigen. Der antwortet, wenn er kooperativ ist, daß er prüfen werde, ob das "geht". Er vertieft sich dann in die Vorschriften und meldet sich irgendwann wieder, um mir freudig zu melden, daß er einen "Weg gefunden" hat.

Der Weg besteht darin, daß man die Sache unter bestimmte Vorschriften subsumiert, an die bisher niemand gedacht hatte; daß man Vorschriften miteinander kombiniert, sie in einem neuen, überraschenden Sinn interpretiert usw.

So ist es, wenn der Betreffende kooperativ ist. Natürlich kann er auch auf dieselbe Weise abschmettern, was er abschmettern will.

Herzlich, Zettel

Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

23.10.2008 15:57
#33 RE: Die Welt der Vorschriften Antworten

Zitat von Zettel
So ist es, wenn der Betreffende kooperativ ist. Natürlich kann er auch auf dieselbe Weise abschmettern, was er abschmettern will.


Tja, lieber Zettel, da ist man dann mitten in der Willkür angekommen, was ja eigentlich durch die Vorschriften genau verhindert werden sollte. Aber, falls man unbedingt eine gute Seite daran finden will, es "geht" dann doch so manches, von dem man's nie geglaubt hätte. Bei der Bahn hieß das: "Wenn man sich nach der Vorschrift richtet, dreht sich kein Rad mehr!"
Ich persönlich hasse diese semitransparenten Grauzonen, die genau diejenigen bevorteilen, die sich nicht produktiv sondern "verwaltend" betätigen. Mich treiben sie die Wände rauf und runter und es kostet richtig Anstrengung, sich die Motivation nicht allzusehr beeinträchtigen zu lassen.

"Those who can, do. Those who can't, teach. Those who can't teach, administer!"

Herzlich, Thomas

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

23.10.2008 16:08
#34 RE: Die Welt der Vorschriften Antworten

Zitat von Thomas Pauli
"Those who can, do. Those who can't, teach. Those who can't teach, administer!"

Schöner Satz. Gibt's eine Quelle, falls ich ihn mal zitieren will? Oder ist es eine, sagen wir, Volksweisheit?

Es ist ja bezeichnend, daß "Dienst nach Vorschrift" wirksamer ist als jeder Streik, um alles zum Erliegen zu bringen.

Eine wichtige Funktion der Vorschriften sollte man vielleicht noch erwähnen: Schuldige dingfest zu machen. Wenn bei der Eisenbahn was passiert, findet man fast immer eine Vorschrift, gegen die der arme Lokführer, Fahrdienstleiter usw. verstoßen hat. Die Oberen sind damit aus dem Schneider.

Das erzeugt eben jene Mentalität, die ich gelegentlich schon beschrieben habe: Vorrangiges Ziel im Öffentlichen Dienst ist es, "sich abzusichern", wie das im internen Slang heißt.

Diesem Ziel ist alles untergeordnet. Denn Karriere macht man im Öffentlichen Dienst ja nicht dadurchk daß man besonders gut ist, sondern daß man nicht gegen Vorschriften verstößt.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

23.10.2008 16:48
#35 RE: Zitat des Tages: "Ausgewählte Zeitlagen" Antworten

Lieber R.A.,

Zitat von R.A.
In Antwort auf:
Wenn ich unbedingt pünktlich ankommen muß - um zum Beispiel einen Flieger zu erreichen - plane ich grundsätzlich so, daß ich notfalls auch mit dem nächsten ICE noch rechtzeitig ankommen würde. Ich verplempere also eine Stunde.

Da kann man wirklich sagen, daß die alte Behördenbahn besser war. Da konnte man Verbindungen mit 15 Minuten Umsteigezeit ganz unbesorgt buchen.

So ist es. Ich weiß nicht, ab wann sich das eigentlich geändert hat - aber "früher" (was immer das sein mag) waren Verspätungen die Ausnahme. Ich habe damals Umsteigezeiten von 5 min für ausreichend gehalten, wenn ich den Bahnhof kannte (damals konnte ich allerdings auch noch schneller rennen als heute ).

Woran es eigentlich liegt, daß heute Verspätungen schon nachgerade die Regel sind, weiß ich nicht. Liegt es am Ausbau des ICE-Netzes, wodurch sich eine Verspätung ausbreitet wie ein Virus? Liegt es daran, daß die Fahrzeiten zu knapp bemessen ist?

Früher gab es etwas, dessen Namen heute viele gar nicht mehr kennen dürften: Die Züge hatten "Aufenthalt". (Es gab mal einen sehr spannenden Film, "Neunzig Minuten Aufenthalt", in dem die ganze Handlung sich während eines solchen Aufenthalts abspielte).

Teils lag das wohl an notwendigen Arbeiten - Kurswagen mußen verschoben werden, ganz früher mußte man gar Kohle und Wasser bunkern

Aber das waren eben auch Pufferzeiten.

Ich würde mir wünschen, daß auch heute mehr solche Pufferzeiten eingebaut werden. Mich würde es ja nicht stören, von Hamburg nach Frankfurt fünfzehn Minuten länger zu fahren, wenn der Zug in Hannover zehn und in Kassel noch mal fünf Minuten steht. Wenn ich dafür sicher sein könnte, meinen Anschluß in Frankfurt zu bekommen, oder rechtzeitig am Flughafen zu sein.
Zitat von R.A.
Wie jeder Staatsmonopolist war die Bahn damals schwach in Innovationen und im Service, und natürlich defizitär. Aber es gab zumindestens den Ehrgeiz - auch vom Berufsethos der Bahner getragen - bei Sicherheit und Pünktlichkeit eine vorschriftsmäßige Leistung abzuliefern.

Stimmt. Als ich mein erstes Telefon bekam, mußte ich monatelang warten, bis ich die freudige Nachricht erhielt, daß der große Tag gekommen war (im Westen, wohlgemerkt!). Aber als dann der Techniker kam, hat er sehr sorgfältig gearbeitet. Er hatte ja auch jede Menge Zeit.
Zitat von R.A.
In Antwort auf:
Meines Erachtens steckt dahinter der Grundfehler, nicht von vornherein, wie für den TGV in Frankreich, ein getrenntes Trassensystem zu bauen.

Natürlich wäre ein eigenes Trassennetz das Optimum - aber das wäre in Deutschland nicht nur wegen der anderen Planungskultur kaum möglich gewesen. Wir haben einfach deutlich weniger Platz als die Franzosen, ein Verzicht auf Mitnutzung vorhandener Strecken wäre ein großes Problem gewesen.

Die Geographie ist sicher verschieden. Ich bin mal mit dem TGV von Montpellier nach Paris gefahren, also quer durch fast ganz Frankreich. Wenn ich mich recht erinnere, hielt er nur zweimal - in Nîmes und Valence. Das wäre so wie ein ICE von Hamburg nach München, der nur in Hannover und Kassel hält!

Aber muß wirklich jedes Kaff vom ICE bedient werden? Warum nicht Schnellverbindungen auf eigener Trasse mit wenigen Haltbahnhöfen, und dazu ein gut ausgebautes Netz von ICs, Regios usw. auf dem allgemeinen Netz?

Wobei - das hat ja, glaube ich, hier jemand schon vorgeschlagen - das schnelle Netz der Transrapid hätte liefern können. Soweit ich das beurteilen kann, was freilich wenig ist.

Herzlich, Zettel

Libero Offline



Beiträge: 393

25.10.2008 22:24
#36 RE: Zitat des Tages: "Ausgewählte Zeitlagen" Antworten

Lieber Herr Zettel

ich habe nur noch am Wochenende Zeit, detaillierter zu recherchieren. Sie haben es gelesen. Die 70 ICE bleiben in ihren Betriebswerkstätten. Das hat einen Hintergrund

Betriebsfeste Bemessung von Radsatzwellen = Dimensioning wheelset axles to withstand operating conditions
Auteur(s) / Author(s)
GRUBISIC Vatroslav (1) ; FISCHER Gerhard (1) ;
Fraunhofer Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF, Bartningstr. 47, 64289 Darmstadt,

In Antwort auf:
Die Bemessung der Radsatzwellen wird in der Industrie zur Zt. primär anhand der in den spezifischen Regelwerken und Normen festgehaltenen Daten über Belastungen und Festigkeitswerte vorgenommen. Die Betriebserfahrungen zeigen aber, dass eine zutreffende Bemessung der Radsatzwellen damit nicht gewährleistet wird, was sowohl auf die unzutreffende Lastannahme als auch die Ermüdungsfestigkeitsbewertung zurückzuführen ist. Der Beitrag stellt ein praxisbezogenes Vorgehen zur betriebsfesten Auslegung von Radsatzwellen vor, mit dem Unzulänglichkeiten bei der heutigen Bemessung vermieden werden können.

ETR. Eisenbahntechnische Rundschau ISSN 0013-2845
2006, vol. 55, no3, pp. 145-152 [8 page(s) (article)] (12 ref.)

Versagen von Radsatzwellen und dessen Ursachen = Fractures on wheelset axles and their causes
Auteur(s) / Author(s)
FISCHER Gerhard ; GRUBISIC Vatroslav ;
In Antwort auf:
A large amount of service fractures on wheelset axles and their evaluation show that the used procedures for an "infinite life design", based on so called "endurance limit" according to existing standards, is not correct. Due to the increased intensity of the trains' usage and an increased driving velocity a very high number of operational stress cycles is generated. Under such conditions a continuous decrease of the fatigue strength occurs especially on the press-fits. Additionally much greater operational loads than assumed by standards are found by service measurements, especially in the case of rail vehicles with adaptive matching to the track section (tilt technique). The increase of the fatigue strength by the usage of the high strength steels is, especially in the press fits, significantly lower than it can be expected accordingly to the static strength increase. An optimum and reliable design of the train axles must be based on the acting, variable operational loading generating stress cycles in giga-range and on the related fatigue strength.

ZEV rail Glasers Annalen ISSN 1618-8330
2006, vol. 130, no3, pp. 98-106 [9 page(s) (article)] (22 ref.)

Was bedeutet das?

Die Belastungen der Radsatzwellen während des Zugbetriebes sind deutlich höher als die gültigen Normen annehmen. Die Berechnung der Radsatzwellen entsprechend der Normen DIN EN 13103 und 13104 ergibt nicht dauerfeste Radsatzwellen. Wenn so hoch beanspruchte Bauteile nicht dauerfest sind, ist ein Ermüdungsbruch die Folge.

Alle Leser der genannten Fachzeitschriften kannten diese Arbeiten und waren sich der Brisanz wohl bewußt. Der Bahnvorstand wurde mehr als einmal auf diese Unterdimensionierng hingewiesen. 300000 km Wartungsintervall bei diesem hochbelasteten Radsatzwellen? Herr Mehdorn beliebt wohl zu scherzen. Mehdorn hat an der TU Berlin Maschinenbau studiert und in Mechanik werden die Studenten geschliffen, bis sie auf dem Zahnfleisch laufen. Mehdorn dürfte noch bei István Szabó studieren, den ich nur nach seiner Emeritierung erleben konnte.

Das wird eng für Herrn Mehdorn, vor allem, wenn er die Hersteller wie jetzt unter Druck setzt und deren Ingenieure anfangen, Details der Entscheidungsfindungen preiszugeben. Ich glaube nicht, daß einer von den Ingenieuren das Bauernopfer für Herrn Mehdorn spielt.

Das ist nicht nur bei diesem Bauteil so, daß ist im gesamten Wartungsbereich der Bahn so. Eine Verlängerung der Wartungsintervall ist bei vielen Bauteilen schlicht und einfach fahrlässig.

Dagny Offline



Beiträge: 1.096

25.10.2008 22:35
#37 RE: Die Welt der Vorschriften Antworten

Zitat von Zettel

Eine wichtige Funktion der Vorschriften sollte man vielleicht noch erwähnen: Schuldige dingfest zu machen. Wenn bei der Eisenbahn was passiert, findet man fast immer eine Vorschrift, gegen die der arme Lokführer, Fahrdienstleiter usw. verstoßen hat. Die Oberen sind damit aus dem Schneider.



Zu den Vorschriften:
Orwell beschreibt das schon.Im Zweifel kann man einen politisch missliebigen wegen nichtbeachten irgendeiner Vorschrift, die man eh nicht einhalten kann, verknacken. Gibts im Ansatz bei uns auch schon.

ICE: Hamburg - Köln - Frankfurt(Flughafen) - München. Mehr Stopps bräuchte es nicht. Aber da haetten die Politik was dagegen. Etwa der Abgeordnete im Verkehrsausschuss, der an der ICE-Neubaustrecke Seinen Bahnhof bekommen hat.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

26.10.2008 01:43
#38 RE: Zitat des Tages: "Ausgewählte Zeitlagen" Antworten

Danke, lieber Libero, für diese Recherche!

Sie bestätigt auf einer solideren fachlichen Ebene das, was Grubisic bereits im Juli gegenüber "Spiegel- Online" geäußert hatte.

Der Versuch des Bahn-Vorstands, jetzt die Hersteller in Haftung zu nehmen, erscheint mir abwegig. Schließlich ist es die Bahn, die ihr rollendes Material wartet und die für dessen Zuverlässigkeit verantwortlich ist. Wenn die Hersteller ihr Wagen lieferten, die nicht ihren Sicherheitsanforderungen entsprachen, dann hätte sie diese eben nicht - im doppelten Wortsinn - abnehmen dürfen.

Mich als Laien hat es, lieber Libero, überrascht, daß auch so etwas wie die Beschaffenheit der Radachsen durch DIN-Normen festgelegt ist. Mag sein, daß den Vorteil hat, daß gewisse Mindestanforderungen eingehalten werden. Aber da die Technik sich doch ständig ändert, kann ich mir nicht vorstellen, daß solche Normen immer auf dem aktuellen Stand sein können.

Ist das nach Ihrer Kenntnis zB auch im Flugzeugbau so? Gibt es DIN-Normen, die festlegen, wie, sagen wir, das Leitwerk eines Airbus beschaffen sein muß?

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

26.10.2008 02:00
#39 Die Kriminalisierung (fast) aller Bürger Antworten

Zitat von Dagny
Zitat von Zettel

Eine wichtige Funktion der Vorschriften sollte man vielleicht noch erwähnen: Schuldige dingfest zu machen. Wenn bei der Eisenbahn was passiert, findet man fast immer eine Vorschrift, gegen die der arme Lokführer, Fahrdienstleiter usw. verstoßen hat. Die Oberen sind damit aus dem Schneider.


Zu den Vorschriften:
Orwell beschreibt das schon.Im Zweifel kann man einen politisch missliebigen wegen nichtbeachten irgendeiner Vorschrift, die man eh nicht einhalten kann, verknacken. Gibts im Ansatz bei uns auch schon.

Ja, und das ist eine ganz verhängnisvolle Entwicklung. Je mehr der Staat uns nicht nur vor Verbrechern schützt, sondern unser Verhalten per Gesetz zu steuern versucht, umso mehr werden wir zwangsläufig alle zu Gesetzesbrechern.

Wenn jemand heute das tut, was noch vor ein paar Jahren ein ganz normales, sozial akzeptieres Verhalten war, dann kann es passieren, daß er innerhalb von Stunden zum mehrfachen Gesetzesbrecher wird.

Sagen wir, jemand fährt mit einem alten Auto durch eine "Umweltzone" zur Uni, telefoniert unterwegs mit dem Handy (damals war's das Autotelefon), ist dabei nicht angeschnallt, raucht, in seinem Dienstzimmer angekommen, eine Zigarette und unterzeichnet dann die Einstellung eines Mitarbeiters, ohne das mit der Gleichstellungsbeauftragten abgesprochen zu haben - dann ist der Betreffende bereits, bevor er zum Mittagessen geht, zum fünffachen Gesetzesbrecher oder Übertreter von Vorschriften geworden.

Das ist nicht nur für jeden Bürger ein ständiges Ärgernis, sondern ich fürchte, daß es auch die Grenze zwischen gesetzestreuen Bürgern und Verbrechern immer mehr im allgemeinen Bewußtsein aufweicht.

Wenn ein Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten sagen kann, daß er einen Mann, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen, gern ins Gefängnis bringen möchte - dann müßte doch eigentlich eine allgemeine Empörung die Folge sein. Stattdessen hat er damit (ich habe das irgendwo gelesen) glaube ich 80 Prozent oder so etwas Zustimmung bekommen.

Vermutlich würde eine Mehrheit Aussagen wie "Ackermann ist ein Verbrecher" zustimmen. Was zeigt, wie korrumpiert das allgemeine Rechtsbewußtsein schon ist.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

26.10.2008 02:15
#40 RE: Zitat des Tages: "Ausgewählte Zeitlagen" Antworten

Zitat von Libero
Die Versorger haben alle einen sehr geringen Kapitalrücklauf. Private Manager, die in Dimensionen von Jahrzehnten sachgerecht entscheiden können, gibt es nur in wenigen sehr kapitalintensiven Branchen. Industrielle Beispiele wären der Bergbau, sicherlich auch die Stahlindustrie und noch die Chemie. Ein extremes Beispiel ist die Forstwirtschaft mit dem Ziel Stämme und nicht Papier, wo der Kapitalrücklauf erst nach 100 oder gar 300 Jahren beginnt. Deshalb ist es ja Schwachsinn, bei Bäumen, die nicht nach 20 Jahren gefällt werden können, Setzlinge zu pflanzen. Die Pflanzkosten verzinst auf 100 oder gar 300 Jahren ergibt gigantische Summen.

Das leuchtet ein. Ein anderes Beispiel ist der Eurotunnel, der ja als sichere und profitable Investition galt und dessen Aktien jetzt im Keller sind.

Ein ganz anderes Beispiel, wo das Problem aber ähnlich liegt, war der klassische Sortimenter im Buchhandel, der im Aussterben ist. Dort standen vor der Zeit der schnellen Bestseller die Bücher manchmal Jahre in den Regalen. Entsprechend groß mußte die Handelsspanne sein. Bei Antiquariaten, wo das extrem ist, wird ein Buch im Schnitt zum Dreifachen des Ankaufpreises verkauft.
Zitat von Libero
Versorger sind eben sehr spezielle Branchen. Reine Finanzinvestoren sind da falsch

Wo wäre da die, lieber Libero, die Grenze zu ziehen? Luftlinien sind - jedenfalls in der Regel - profitabel und zugleich komfortabel. Regionalbahnen sind es. Linienbusse sind so konkurrenzfähig, daß man es ja gesetzlich verboten hat, ohne Genehmigung eine Buslinie parallel zu einer bestehenden Bahnlinie zu betreiben.

Daß das Schienennetz staatlich bleiben sollte, ist ja auch meine Auffassung. Aber wie sehen Sie die Chance, daß auf einem solchen Netz, das die Betreiber von Bahnlinien mieten müssen, diese dann ebenso miteinander konkurrieren wie bei den Luftlinien?

Herzlich, Zettel

Libero Offline



Beiträge: 393

26.10.2008 08:48
#41 RE: Zitat des Tages: "Ausgewählte Zeitlagen" Antworten

Lieber Herr Zettel

In Antwort auf:
Sie bestätigt auf einer solideren fachlichen Ebene das, was Grubisic bereits im Juli gegenüber "Spiegel- Online" geäußert hatte.

Na ja, es sind Arbeiten des von Ihnen erwähnten Professor Grubisic, der zusammen mit seinem Coautor der profilierteste Fachmann auf diesem Gebiet ist. Das Thema fasziniert mich seit dem Studium.
In Antwort auf:
dann hätte sie diese eben nicht - im doppelten Wortsinn - abnehmen dürfen.

Ich weiss nicht genau, was der Hintergrund ist. Es ist ein sehr heikles Thema und es geht um viel Geld. Möglicherweise wollte man Material einsparen. Radsätze sind die schwersten Bauteile eines Zuges, ihr Gewicht hat einen großen Einfluß auf den Energieverbrauch.
In Antwort auf:
daß auch so etwas wie die Beschaffenheit der Radachsen durch DIN-Normen festgelegt ist. Mag sein, daß den Vorteil hat, daß gewisse Mindestanforderungen eingehalten werden. Aber da die Technik sich doch ständig ändert, kann ich mir nicht vorstellen, daß solche Normen immer auf dem aktuellen Stand sein können.

Normen müssen sein und wenn es nur interne Normen sind. Wie wollen Sie sonst gewährleisten. Der Findungsprozess einer solchen Normen, das ist nicht mehr eine DIN-Norm, ist sehr aufwendig. Daran sind Experten der Hersteller und der Kunden beteiligt. Einige meiner Studienkollegen sind in solchen Gremien. Es gibt ja nicht nur EU und DIN Normen.
Mich wundert das schon, das die Norm für die Betriebsbeanspruchungen des ICE 3 nicht gilt. Schließlich gibt es den Thalys. Ich vermute, durch eine unterschätzte Abweichung ist man außerhalb des Normbereiches. Welche das war, werden wir nach der Ergänzung der Norm erfahren.
In Antwort auf:
Gibt es DIN-Normen, die festlegen, wie, sagen wir, das Leitwerk eines Airbus beschaffen sein muß?

Das ist nicht mein Thema, aber ich würde mich wundern, wenn es da keine Normen gibt, die einzuhalten sind. Auf jeden Fall gibt es Werkstoffnormen und mit Sicherheit auch weitergehende Normen, um sicherzustellen, daß das Bauteil jeder Betriebsbeanspruchung gewachsen ist. Natürlich wird es immer Extrembeanspruchungen geben, die nicht von der Norm erfasst werden. Im Schiffsbau sind das die Monsterwellen, von denen man lange annahm, daß sie Seemannsgarn sind. Im Geschwindigkeitsbereich des ICE 3 treten möglicherweise auch Belastungen auf, die bisher unbekannt waren und nicht von der Simulationssoftware beschrieben werden. Dann wäre die Frage, wieso der Thalys diese Schwierigkeiten nicht hat.
Normen durchziehen die gesamte Fertigungstechnik. Normen sind ja auch im Interesse der Hersteller, weil sie klar aussagen, unter welchen Betriebsbedingungen Sie einen Werkstoff oder ein Bauteil einsetzen können und dürfen.
Sie müssen auf sicherer Grundlage konstruieren können, aber das kann ihn besser ein Konstruktionsfachmann veranschaulichen. Mein Thema sind Werkstoffe und das Betriebsverhalten von Bauteilen ist ein Steckenpferd.

Für die Hersteller ist die jetzige Situation sehr heikel. Nicht immer werden die Werkstoff- und Fertigungsfachleute gehört. Es kann eine Entscheidung des technischen Managements gewesen sein. Erinnern sie sich an das Unglück der einen Apollo-Mission? Der Start erfolgte im Januar. Die Raketenstufen waren vereist. Entsprechend niedrig waren die Temperaturen der Dichtungen. Die Werkstofffachleute sagten, die Dichtungen würden während der Startphasen nicht rasch genug auf Temperatur kommen und damit das Dichten nicht garantieren. Die wirtschaftlich orientierten Werkstofffachleute der oberen Hierarchie überstimmten die Opponenten. Es kam zur Katastrophe. Durchaus möglich, daß das hier auch so war. Jetzt wird das Bauernopfer gesucht und angesichts der Summen, um die es geht, werden sich die Beteiligten an den entscheidenden Sitzungen wehren. Keiner geht freiwillig zur Schlachtbank. Wenn sie klug sind, haben sie ihre Einwände schriftlich festgehalten und notariell bestätigen lassen. Wenn nicht, haben sie jetzt ein Problem.

Libero

Libero Offline



Beiträge: 393

26.10.2008 08:56
#42 RE: Zitat des Tages: "Ausgewählte Zeitlagen" Antworten

Lieber Herr Zettel

wenn sie häufiger Kunde schienengebundener Verkehrssysteme sind, ist ihnen sicherlich aufgefallen, wie sich eine Verspätung oder Verzögerung auf die Abfolge der Züge auswirkt. Dann kommt der ganze Taktfahrplan durcheinander und die Störung geht wie eine Welle durch das gesamte System. Züge, die aus dem Takt fallen, müssen ja wieder in den Takt eingefügt werden.

Die Autobahn oder die Strasse wäre auch wesentlich unflexibler, wenn sie nur einspurig in einer Richtung wäre und es nicht häufig Möglichkeiten gäbe, mit Hilfe anderer Strassen einen Stau zu vermeiden.

Libero

Pentas ( gelöscht )
Beiträge:

26.10.2008 19:32
#43 RE: Zitat des Tages: "Ausgewählte Zeitlagen" Antworten

Lieber Libero

Kann es sein, dass sie das mit dem Challenger-Unglück verwechseln?

In Antwort auf:
Erinnern sie sich an das Unglück der einen Apollo-Mission? Der Start erfolgte im Januar. Die Raketenstufen waren vereist. Entsprechend niedrig waren die Temperaturen der Dichtungen. Die Werkstofffachleute sagten, die Dichtungen würden während der Startphasen nicht rasch genug auf Temperatur kommen und damit das Dichten nicht garantieren.

http://de.wikipedia.org/wiki/STS-51-L

Herzlich, Pentas

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

26.10.2008 20:49
#44 RE: Zitat des Tages: "Ausgewählte Zeitlagen" Antworten

Lieber Libero,

Zitat von Libero
wenn sie häufiger Kunde schienengebundener Verkehrssysteme sind, ist ihnen sicherlich aufgefallen, wie sich eine Verspätung oder Verzögerung auf die Abfolge der Züge auswirkt. Dann kommt der ganze Taktfahrplan durcheinander und die Störung geht wie eine Welle durch das gesamte System. Züge, die aus dem Takt fallen, müssen ja wieder in den Takt eingefügt werden.

Ja, das ist ja das Problem. Aus der Sicht der Bahn ist das ein Optimierungsproblem: Läßt man den Anschlußzug warten, dann gibt es diese Welle. Wenn nicht, dann hängen die Reisenden fest, die ihren Anschluß verpassen.

Ich wundere mich, wie schon an anderer Stelle geschrieben - und vielleicht können Sie als Kundiger etwas dazu sagen -, warum man nicht mehr Pufferzeiten einbaut. Wenn nicht in Form von "Aufenthalten", auf die heute vielleicht die Reisenden nervös reagieren, dann eben in der Form, daß die Züge etwas lansamer fahren, als es die Strecke erlauben würde. So daß Verspätungen aufgeholt werden können.

Ich vermute, daß das der Hauptgrund dafür war, daß es zur Zeit der D-Züge (wo es ja auch dieses Problem der sich ausbreitenden Welle gab) diese ständigen Verspätungen nicht gab.

Darf ich aber noch einmal meine Frage wiederholen?
Zitat von Zettel
Zitat von Libero
Versorger sind eben sehr spezielle Branchen. Reine Finanzinvestoren sind da falsch

Wo wäre da die, lieber Libero, die Grenze zu ziehen? Luftlinien sind - jedenfalls in der Regel - profitabel und zugleich komfortabel. Regionalbahnen sind es. Linienbusse sind so konkurrenzfähig, daß man es ja gesetzlich verboten hat, ohne Genehmigung eine Buslinie parallel zu einer bestehenden Bahnlinie zu betreiben.

Daß das Schienennetz staatlich bleiben sollte, ist ja auch meine Auffassung. Aber wie sehen Sie die Chance, daß auf einem solchen Netz, das die Betreiber von Bahnlinien mieten müssen, diese dann ebenso miteinander konkurrieren wie bei den Luftlinien?

Herzlich, Zettel



hubersn Offline



Beiträge: 1.342

27.10.2008 12:12
#45 Das Problem des Schienenverkehrs Antworten

Selbst wenn all die angesprochenen Probleme der Bahn - von der Unpünktlichkeit/Unzuverlässigkeit bis zur Unfreundlichkeit des Personals - gelöst wären, es würde nur begrenzt helfen.

Systematisch betrachtet ist inzwischen der Schienenverkehr dem System Straße einfach unterlegen.

Die Kosten: obwohl massiv subventioniert, ist der Schienenverkehr ggü. dem Straßenverkehr preislich nicht konkurrenzfähig (egal ob Güter oder Personen). Streckenbau ist sehr viel teurer, weil die Rad-Schiene-Technologie nur geringe Steigungen bewältigen kann, was selbst in flachem Gelände oftmals Tunnels und Brücken notwendig macht - der Transrapid hätte da Abhilfe schaffen können, aber dessen Fahrwegsystem ist natürlich auch nicht wirklich preisgünstig.

Die Zeit (natürlich teilweise auch den Kosten zuzuschlagen): nur unter optimalen Bedingungen über genügend große Strecken kann der Schienenverkehr punkten (Bahnhof-zu-Bahnhof statt Haustür-zu-Haustür, ausgebaute exklusiv genutzte Hochgeschwindigkeitsstrecke), verliert dort aber gegen den Flugverkehr.

Die Umwelt: umwelttechnisch hat der Schienenverkehr seine Vorteile auch eingebüßt, weil der Straßenverkehr inzwischen in der Breite extrem schadstoffarm unterwegs ist. Auch die CO2-Bilanz der Schiene lässt zu wünschen übrig: pro transportierter Person verbraucht der ICE etwas über 3l/100km, da ist das mit zwei Personen besetzte Auto moderner Bauart (im Langstreckenverkehr ist die durchschnittliche Auslastung eines PKWs immerhin 1,8) schon im Vorteil, und die nächsten Fortschritte auf der Verbrauchsseite bei den PKWs lassen nicht mehr lange auf sich warten. Und pro qm Verkehrsfläche kann die Schiene auch noch weniger Transportleistung abwickeln, selbst bei guter Auslastung. Auch das Lärmargument sticht nicht, wie wohl jeder, der auch nur in der Nähe einer Bahnlinie wohnt, bestätigen kann.

Der Komfort: gegenüber straßengebundenen Massentransportmitteln (z.B. Reisebus im Fernverkehr) hat die Bahn keinen wirklichen Vorteil, während sie gegenüber dem Individualverkehr eine Menge Nachteile mit sich bringt. Jeder, der mal mit reichlich Gepäck in einem vollen Großraumwagen unterwegs war, wird verstehen, was ich meine.

Es gibt eine große Ausnahme: öffentlicher Nahverkehr im Ballungsraum. Da überwiegen die Vorteile des Schienenverkehrs, weil man eine zweite Verkehrsebene einziehen kann und damit das Platzverbrauchsargument entkräftet wird (zumal die gefahrenen Geschwindigkeiten relativ gering sind, so dass man die Zugfrequenz viel höher schrauben kann) - Untertageverkehr im großen Umfang ist mit Verbrennungsmotoren noch nicht wirklich gut handlebar, und die Flexibilitätsvorteile der Straße in punkto Streckennetz würden auch nicht ziehen.

Gruß,
Steffen

Libero Offline



Beiträge: 393

27.10.2008 12:34
#46 RE: Zitat des Tages: "Ausgewählte Zeitlagen" Antworten

Sie haben natürlich recht. Danke für die Korrektur

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

27.10.2008 15:30
#47 RE: Das Problem des Schienenverkehrs Antworten

Zitat von hubersn
Systematisch betrachtet ist inzwischen der Schienenverkehr dem System Straße einfach unterlegen.

Grundsätzlich ein wichtiger Aspekt - aber nicht komplett richtig.
Bei Kosten und Ökologie stimme ich zu, bei der Geschwindigkeit weitgehend (das kommt sehr auf die konkrete Strecke an).

Aber beim Komfort widerspreche ich entschieden.
Ein Bus ist deutlich unangenehmer in der Reisequalität als ein Zug.
Und in der Regel ist auch nicht der Bus die Alternative, sondern das selbstgefahrene Auto.

Das Auto hat Vorteile, es ist mehr Gepäck möglich und man hat mehr Flexibilität.

Aber es hat auch deutliche Nachteile. Autofahren ist anstrengend, vor allem nachts und bei schlechtem Wetter, Staus nerven, bei längeren Strecken muß man Pausen machen.
Die Reisezeit ist vergeudete Lebenszeit, man kann nichts lesen oder arbeiten, nicht gemütlich essen und trinken oder ein Nickerchen machen.

Im Prinzip ist Eisenbahnreisen ein Luxusgut (geworden), die Kundschaft der ICEs besteht ja auch immer mehr aus Akademikern, Gutverdienern, Geschäftsleuten.

Die alljährliche Protestorgie wg. der Bahnpreise hat m. E. eher rituelle Funktion - weil die Bahn ein öffentliches Unternehmen ist, erwartet man immer noch Sozialtarife.

Bei einer Privatisierung des Betriebs würden sich aber wohl die Unternehmen durchsetzen, die bei eher hohen Preisen einen durchgehend guten Service liefern, d.h. die Kunden auch beim Umsteigen und bei Änderungen oder Wartezeiten gut betreuen.

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