Nein, ich glaube nicht, daß die momentane Wirtschaftskrise die Hauptursache für die neuerliche Faszination ist, die von Karl Marx ausgeht. Diese ist schon seit einigen Jahren zu beobachten, lange vor dem Beginn der Kreditkrise.
Die Faszination basiert, so scheint es mir, auf dem, was die junge Journalistin Nina Pauer auf eine entwaffnend naive Art beschreibt: Es ist alles so wunderbar einleuchtend, was Marx schreibt. Man liest ihn - und auf einmal versteht man die Welt.
Und, lieber Zettel, es ist die Gewißheit, nur ein Buch gelesen haben zu müssen, um ALLES verstehen zu können. Das ist praktisch, nicht? Damit gehört der Marxismus zu den Buchreligionen, deren Anhänger dies ebenfalls behaupten. Mich hat immer die ungeheure Selbstgewißheit der Marxismus-Studenten verwundert, und hatte sie im Verdacht in Wirklichkeit Marx-Groupies zu sein. Dieser Verdacht hat sich im Laufe der Zeit erhärtet.
Zitat von Thomas PauliUnd, lieber Zettel, es ist die Gewißheit, nur ein Buch gelesen haben zu müssen, um ALLES verstehen zu können. Das ist praktisch, nicht? Damit gehört der Marxismus zu den Buchreligionen, deren Anhänger dies ebenfalls behaupten. Mich hat immer die ungeheure Selbstgewißheit der Marxismus-Studenten verwundert
Ja, und das unterscheidet sie von den Gläubigen der anderen drei Buchreligionen, denen diese doch immerhin Demut abverlangen.
Sie könnte die heute Zwanzig- bis Dreißigjährigen wieder ergreifen, diese Faszination, weil dies die erste Generation ist, die die Praxis des Marxismus nicht mehr bewußt erlebt hat. Es gibt, so scheint mir, wieder die Bereitschaft, sich von dem alten Scharlatan verführen zu lassen.
Was mich, lieber Zettel, - wenn es denn so ist - sehr erstaunt. Aus meiner eigenen Erfahrung heraus, meine kurze marxistische Phase während der Pubertät hat genau solange gedauert, wie ich Marxs Werke und die seiner Apologeten noch nicht gelesen hatte. Denn es ist ja eben ein fürchterliches Geschwurbel, sowohl in der Wortwahl wie auch in der Struktur, vollkommen kalt zudem, wie sie ja auch selbst schon schrieben. Daran hat mich nichts fsaziniert, gar nichts. Es war der rebellische Impetus der Marxisten, von dem ich mich damals angezogen fühlte, das Kämpferische, das "Dagegen-Sein", die reine Aura. Aber nicht diese leidenschaftslose Sprache mit ihrer schwer bis gar nicht zu verstehenden Argumentation. Und als ich dann die Reden und Diskussionen der 68er Studentenbewegten hörte, dann steckten da hinter dieser Aura doch auch nur furchtbare Schwurbeleien und Sprachakrobatik im denkbar schlechtesten Sinn. Die Faszination, die davon ausgeht, ausgehen soll, auf junge Menschen, wie ich selbst einmal einer war, die kann ich nicht sehen.
Zitat von ZettelJa, und das unterscheidet sie von den Gläubigen der anderen drei Buchreligionen, denen diese doch immerhin Demut abverlangen.
Ja, lieber Zettel, wenn die fehlt wird's immer ungemütlich!
Zitat von Stitch Jones... meine kurze marxistische Phase während der Pubertät hat genau solange gedauert, wie ich Marxs Werke und die seiner Apologeten noch nicht gelesen hatte.
Stimmt! Ich kannte eigentlich nur "Marxisten", die diejenigen bewunderten, die angeblich den Kapitalkurs durchgehalten hatten.
Nette Analogie - nur leider falsch. Als "Anhänger einer Buchreligion" (warum wird hier eigentlich unkritisch eine islamische Klassifizierung verwendet?) kann ich berichten, nach Lektüre des maßgeblichen Werkes nicht ALLES verstanden zu haben. Im Gegenteil - die meisten Fragen, die uns im Alltag beschäftigen, bleiben ungelöst und ungeklärt. Das liegt natürlich daran, dass das Buch nicht erklären will, sondern berichten. Demzufolge finden sich unter Christen auch z.B. sämtliche politischen Richtungen wieder.
Das einzige Buch, das von seinen Anhängern, und das sind komischerweise eben die, die von "Buchreligionen" reden, als endgültige Weisheit für alles angesehen wird, ist der Koran (zzgl. der Hadithe). Imame versuchen immer wieder mit z.T. wunderbaren Volten, heutige Probleme aus den alten Schriften heraus zu deuten und zu lösen.
Die Bibel hingegen (und die Tora wohl auch) sind zeitgebundene Werke, die von vergangenen Ereignissen berichten. Es sind Erzählungen von Gott, und dieses Sujet selbst kann nicht "verstanden", sondern nur auf vielfältige Art und Weise erfahren werden.
Nachdem ich den anderen Kommentar geschrieben habe, muss ich noch was nachtragen. Zwei Parallelen zum Christentum sehe ich nämlich. Erstens die "Naherwartung" des baldigen Umschwungs (irdisches Leben -> Reich Gottes, Kapitalismus -> Kommunismus), die sowohl in den Werken von Marx als auch im Neuen Testament sichtbar wird. Zweitens die Eschatologie. Religiöse Elemente sind also unzweifelhaft enthalten, aber deswegen stimmt noch lange nicht jede solche Analogie
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Ja, lieber Zettel, da könntest du einige Punkte getroffen haben. Aber dennoch hätte ich da noch was anzumerken:
In Antwort auf:Sondern er klärte zum einen darüber auf, warum es gar nicht anders sein kann. Und lieferte andererseits die tröstliche Botschaft, daß sich alles zum Besseren wenden werde. Wenn man nur ihm folgt, dem Karl Marx.
Das ist ja so nicht ganz richtig. Nach Marx ist es völlig egal, was "man" tut - der Lauf der Geschichte ist nicht zu verändern. Niemand muss ihm "folgen". Auch, wenn er sein Werk nie geschrieben hätte, wäre es so gekommen, so wie sich die Sklavenhaltergesellschaft zum Feudalismus und der Feudalismus zum Kapitalismus "umschlugen", ohne dass einer die Chance haben konnte, etwas vom Trierer zu lesen, so ist auch das Ende des Kapitalismus nicht davon abhängig, dass Marxisten zur Tat schreiten.
Was Marxisten aber bewegt, ist - und da stimmt z.B. die Parallele zum Christentum - eine Art "Naherwartung". Auch Marx hat damals damit gerechnet, dass sich der Kapitalismus in seiner Endphase befand, weshalb man seinen Fall vielleicht etwas beschleunigen helfen könnte. Eine ähnliche "Naherwartung" mag die 68er Marxisten erfasst haben, schließlich war die zweite Hälfte der 60er Jahre durch das erste richtige Konjunkturtief der Bundesrepublik gekennzeichnet, überall auf der Welt etablierten sich neue kommunistische Regime und Untergrundbewegungen, und die "Notstandsgesetze" ließen sich gut als Vorbereitung der herrschenden Klasse auf den bevorstehenden Bürgerkrieg deuten. Die Parallele zu heute ist offensichtlich: Auch jetzt wieder kann man sie überall sehen und lesen, diese Hoffnung, dass jetzt endlich der Kapitalismus dem Marxschen Befehl gehorcht und zusammenbricht.
Damit kommen wir zum nächsten Reizvollen: Der Rechtfertigung von Gewalt. Das Gewaltpotenzial, das von jungen Männern mit viel freier Zeit ausgeht, hat angeblich schon Bernhard von Clairvaux dazu bewegt, der Ausrufung eines Kreuzzugs zuzustimmen, die er später bereute. Wenn Enthusiasmus und Testosteron sich paaren, wird ein reichlich explosives Gemisch daraus. Da kommt doch nichts passender als eine Theorie, die mir als jungem Mann da sagt: Du musst dich nicht zurückhalten. Gib deinem Drang, deiner Lust an der Gewaltausübung, an den Räuber-und-Gendarm-Spielchen mit der Polizei nach. Es ist nicht nur für eine gute Sache, es ist sogar unvermeidlich!
Und letztlich - hier einen Gedanken von Stitch Jones aufgreifend, aber anders wendend: Die unsägliche Sprache des "Kapitals" (im Gegensatz zu dem teilweise brillant formulierten "Kommunistischen Manifest"), die viele sofort verschreckt, gibt demjenigen, der sich wenigstens durch den ersten Band, den einzigen, der von Marx überwiegend selbst geschrieben wurde, erfolgreich durchgekämpft hat, das Gefühl, ein Eingeweihter, ein Erleuchteter zu sein, der die attraktive Rolle einer "Avantgarde" einzunehmen berechtigt ist. Macht doch auch Spaß, oder?
Zum Schluss noch was zur Arbeitswertlehre: Die hat ja Marx selbst gar nicht "erfunden", sondern nur das Konstrukt von "gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit". Die Idee, dass der Wert eines Gutes durch die für es aufgewendete Arbeit bestimmt wird, hatten vorher schon Smith und dann Ricardo, Marxens wichtigste ökonomische Referenz, postuliert. Es blieb die beherrschende These in der ökonomischen Klassik. Erst durch die Einführung der subjektiven Werttheorie und der Methode der Grenzbetrachtungen, die den Beginn der Neoklassik markiert, änderte sich das.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Der Marxismus verleiht seinen Anhängern ein Gefühl der Stärke, der Überlegenheit. Dabei spielt die Illusion, mit einfachen Formeln die Welt verstehen zu können eine große Rolle, wobei hinzukommt, daß ja nicht nur eine Erklärung geliefert wird, sondern auch eine Entlarvung: man durchschaut ja gleichzeitig den faulen Zauber der bourgeoisen Ideologie. Die polemischen Texte der Marxisten sind entsprechend wohl noch wirkungsvoller als die theoretischen, oder man könnte sagen, das Wissen um die Existenz sehr komplizierter theoretischer Werke (drei dicke blaue Bände im Regal!) verleiht einem die Selbstgewißheit, recht zu haben, die dann wiederum dazu legitimiert, kräftig dreinzuschlagen.
Ferner führt die soziale Revolution bekanntlich dazu, daß der Mensch den Zwangslagen entkommt und endlich zum Gestalter seiner gesellschaftlichen Verhältnisse wird. Konkret heißt dies, daß Stellen in Planungsbehörden entstehen werden, wo Intellektuelle zum Nutzen der Menschheit große Dinge tun können. (Ein ehemaliger "Trotzkist" erzählte mir einmal, wie er mit Genossen im Auto zu einem Kongreß fuhr und wie sie dabei die Regierungsposten aufteilten, die sie nach der Revo zu übernehmen gedachten - "du interessierst dich doch für Architektur, du wirst Bauminister" - so in diesem Stil frönte das Grüppchen dem Größenwahn. )
Am wichtigsten für das frühere marxistische Kraftgefühl dürfte jedoch der Sieg Lenins im Bürgerkrieg gewesen sein; die darauf folgende fortdauernde Existenz der Sowjetunion als atomarer Supermacht, die dem Westen Paroli bieten konnte. Die Lehren von Marx hatten eben welthistorische Konsequenzen, was man von etwa Husserl oder Ranke oder Böhm-Bawerk so nicht sagen kann. Man mußte die UdSSR ja im Einzelnen gar nicht unbedingt gutheißen; es genügte, daß der Sieg der Bolschewiki die Geschichtsmächtigkeit bewies, die in den Lehren von Marx steckte.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sieht die Situation anders aus. Ich nehme an, der Flirt mit dem Marxismus, der in der 2. Hälfte der 90er Jahre wieder einsetzte, produziert keine Erlösungsgläubigen mehr. "Marx" ist - ähnlich wie der "Che" - nur noch ein starkes Symbol für die Ablehnung des neoliberalen Kapitalismus. Es fehlt die Siegesgewißheit; man mag Marx dem Kritiker noch recht geben, weiß aber auch, daß der Marxismus historisch gescheitert ist. Hoffe ich!
Zitat von Stitch JonesAus meiner eigenen Erfahrung heraus, meine kurze marxistische Phase während der Pubertät hat genau solange gedauert, wie ich Marxs Werke und die seiner Apologeten noch nicht gelesen hatte. Denn es ist ja eben ein fürchterliches Geschwurbel, sowohl in der Wortwahl wie auch in der Struktur, vollkommen kalt zudem, wie sie ja auch selbst schon schrieben. Daran hat mich nichts fsaziniert, gar nichts. Es war der rebellische Impetus der Marxisten, von dem ich mich damals angezogen fühlte, das Kämpferische, das "Dagegen-Sein", die reine Aura.
Tja, lieber Stitch Jones, so verschieden sind die Temperamente.
Mich hat dieses Kämpferische immer abgestoßen; aber intellektuell war ich durchaus eine zeitlang fasziniert.
Es gab da zwei Phasen. Als Schüler habe ich mich in den fünfziger Jahren aus Sekundärquellen schlecht und recht über den Marxismus informiert. Es gab da zum Beispiel "den Fetscher" (Iring Fetscher, Von Marx zur Sowjetideologie), und es gab die Einführung in den Marxismus eines leibhaftigen Jesuiten, Gustav A. Wetter, "Der dialektische Materialismus".
Dergleichen habe ich damals gelesen und es so zur Kenntnis genommen, wie ich, sagen wir, über Luther oder Descartes gelesen habe - mit den erstaunten Augen eines Hans Castorp wahrnehmend, wie unterschiedlich man die Welt sehen kann. Wir haben darüber diskutiert, aber "Marxisten" gab es eigentlich nicht. Der erste leibhaftige Marxist, den ich zu Gesicht bekommen habe, war ein Germanist aus der DDR, der zu einer Diskussion über Georg Lucacs hatte reisen dürfen.
Dann vergaß ich Marx, bis er Ende der sechziger Jahre sozusagen mit Gewalt über uns alle hereinbrach. Man konnte ihm einfach nicht entgehen. Damals habe ich ihn dann gründlich gelesen, bei den Jusos auch den einen oder anderen Kurs über "Das Kapital" geleitet (wir benutzten Schulungsheftchen u.a. aus der DDR als Lesehilfe ). Und da hat mich dieses Gedankengebäude schon fasziniert.
Ich kann nicht sagen, daß ich es "geglaubt" habe; dafür dachte ich damals wohl schon zu wissenschaftlich. Aber sicher war ich mir nicht, ob das nicht vielleicht doch im Kern alles stimmte. Das lag wohl auch daran, daß um mich herum die klügsten Köpfe fast alle Marxisten (geworden) waren.
Ich vermute, wenn ich für's Kämpferische gewesen wäre, lieber Stitch Jones, dann hätte ich damals, um 1970 herum, auch zum full-fledged Marxisten werden können. Aber gerade das, überhaupt die politische Anwendung dieser intellektuellen Konstruktion, stieß mich eher ab. Was zeigte, daß ich nun mal zum Marxisten nicht taugte.
In Antwort auf:Sondern er klärte zum einen darüber auf, warum es gar nicht anders sein kann. Und lieferte andererseits die tröstliche Botschaft, daß sich alles zum Besseren wenden werde. Wenn man nur ihm folgt, dem Karl Marx.
Das ist ja so nicht ganz richtig. Nach Marx ist es völlig egal, was "man" tut - der Lauf der Geschichte ist nicht zu verändern. Niemand muss ihm "folgen". Auch, wenn er sein Werk nie geschrieben hätte, wäre es so gekommen, so wie sich die Sklavenhaltergesellschaft zum Feudalismus und der Feudalismus zum Kapitalismus "umschlugen", ohne dass einer die Chance haben konnte, etwas vom Trierer zu lesen, so ist auch das Ende des Kapitalismus nicht davon abhängig, dass Marxisten zur Tat schreiten.
So einfach ist es nicht, lieber Rayson. Marx war kein naiver Determinist; er sah eine dialektische Beziehung zwischen Freiheit und Notwendigkeit. Die Textstellen dazu (vor allem von Engels, vor allem aus dem Anti-Dühring) findest du bei dem unermüdlichen Wal Buchenberg. Am klarsten wird vielleicht die Position von Marx und Engels aus diesem Zitat:
Zitat von Friedrich Engels"Freiheit besteht ... in der auf Erkenntnis der Naturnotwendigkeiten gegründeten Herrschaft über uns selbst und über die äußere Natur; sie ist damit notwendig ein Produkt der geschichtlichen Entwicklung.
Die ersten, sich vom Tierreich sondernden Menschen waren in allem Wesentlichen so unfrei wie die Tiere selbst; aber jeder Fortschritt in der Kultur (und damit in dem Wissen, über das eine Gesellschaft verfügte,) war ein Schritt zur Freiheit." (F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 106).
Zitat von RaysonWas Marxisten aber bewegt, ist - und da stimmt z.B. die Parallele zum Christentum - eine Art "Naherwartung". Auch Marx hat damals damit gerechnet, dass sich der Kapitalismus in seiner Endphase befand, weshalb man seinen Fall vielleicht etwas beschleunigen helfen könnte. Eine ähnliche "Naherwartung" mag die 68er Marxisten erfasst haben, schließlich war die zweite Hälfte der 60er Jahre durch das erste richtige Konjunkturtief der Bundesrepublik gekennzeichnet, überall auf der Welt etablierten sich neue kommunistische Regime und Untergrundbewegungen, und die "Notstandsgesetze" ließen sich gut als Vorbereitung der herrschenden Klasse auf den bevorstehenden Bürgerkrieg deuten.
Ja, so war das. Ich habe damals einmal an einem Theorieseminar der Jusos teilgenommen, in dem diskutiert wurde, welche Maßnahmen denn nach der Revolution als erste zu ergreifen seien, welche Funktion der Staat dann haben würde usw.
Zitat von RaysonDie Parallele zu heute ist offensichtlich: Auch jetzt wieder kann man sie überall sehen und lesen, diese Hoffnung, dass jetzt endlich der Kapitalismus dem Marxschen Befehl gehorcht und zusammenbricht.
Damit kommen wir zum nächsten Reizvollen: Der Rechtfertigung von Gewalt. Das Gewaltpotenzial, das von jungen Männern mit viel freier Zeit ausgeht, hat angeblich schon Bernhard von Clairvaux dazu bewegt, der Ausrufung eines Kreuzzugs zuzustimmen, die er später bereute. Wenn Enthusiasmus und Testosteron sich paaren, wird ein reichlich explosives Gemisch daraus. Da kommt doch nichts passender als eine Theorie, die mir als jungem Mann da sagt: Du musst dich nicht zurückhalten. Gib deinem Drang, deiner Lust an der Gewaltausübung, an den Räuber-und-Gendarm-Spielchen mit der Polizei nach. Es ist nicht nur für eine gute Sache, es ist sogar unvermeidlich!
Ich habe gerade einen kleinen Artikel über die gestrigen Krawalle in Berlin geschrieben. Das illustriert das, was du beschreibst.
Zitat von RaysonUnd letztlich - hier einen Gedanken von Stitch Jones aufgreifend, aber anders wendend: Die unsägliche Sprache des "Kapitals" (im Gegensatz zu dem teilweise brillant formulierten "Kommunistischen Manifest"), die viele sofort verschreckt, gibt demjenigen, der sich wenigstens durch den ersten Band, den einzigen, der von Marx überwiegend selbst geschrieben wurde, erfolgreich durchgekämpft hat, das Gefühl, ein Eingeweihter, ein Erleuchteter zu sein, der die attraktive Rolle einer "Avantgarde" einzunehmen berechtigt ist. Macht doch auch Spaß, oder?
So schwer fand ich das "Kapital" gar nicht zu lesen. Eher ermüdend. Es wird alles bis ins Kleinste aufgedröselt; Selbstverständlichkeiten werden ausgewalzt. Den Unterschied zwischen Gebrauchswert und Tauschwert zB kannte doch jeder schon, bevor er den Deckel des blauen Bands öffnete. Als ich mich damals durch diese Passage quälte, habe ich immer nach einer tieferen Bedeutung gesucht; aber es war nix anderes, als daß man einen Gegenstand zum einen benutzen und zum anderen gegen etwas eintauschen kann.
Zitat von RaysonZum Schluss noch was zur Arbeitswertlehre: Die hat ja Marx selbst gar nicht "erfunden", sondern nur das Konstrukt von "gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit". Die Idee, dass der Wert eines Gutes durch die für es aufgewendete Arbeit bestimmt wird, hatten vorher schon Smith und dann Ricardo, Marxens wichtigste ökonomische Referenz, postuliert. Es blieb die beherrschende These in der ökonomischen Klassik. Erst durch die Einführung der subjektiven Werttheorie und der Methode der Grenzbetrachtungen, die den Beginn der Neoklassik markiert, änderte sich das.
Ja, das stimmt; ich wollte keinesfalls behaupten, daß Marx nicht seinen Ricardo gelesen hätte. Er zitiert ihn ja unaufhörlich.
Interessant ist aber, warum das für Marx nicht nur einfach eine Werttheorie war, sondern ein Grundstein seines Gebäudes: Nur so kann er begründen, daß die Arbeiter ausgebeutet werden.
Die Ware ist vergegenständlichte Arbeit. Würde der Arbeiter für seine Arbeit bezahlt, dann würde er also den vollen Wert der Ware erhalten, es gäbe keinen Mehrwert.
Er wird aber eben nicht für seine Arbeit bezahlt, sondern er erhält den Preis für die Ware Arbeitskraft, die er dem Kapitalisten für eine bestimmte Zahl von Stunden zur Verfügung stellt.
Dies ist eine Ware wie jede andere; auch ihr Preis bestimmt sich also durch die für ihre Herstellung erforderliche gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. Die Herstellung der Ware Arbeitskraft - das ist nichts anderes als die Aufzucht des Kindes, bis es arbeiten kann; dann die "Reproduktion" dieser Ware, indem der Arbeiter sich kleidet, ernährt usw.
Der sich so bestimmende Wert der Ware Arbeitskraft nun ist geringer als der Wert der Ware, die der Arbeiter produziert. Die Differenz ist der Mehrwert. Ausbeutung ist somit dem Kapitalismus wesensmäßig eigen.
q.e.d. Ohne diesen Grundstein bricht Marx' Gebäude zusammen.
In Antwort auf:Das ist so, wie es sich für eine Religion gehört: Sie stiftet Sinn. Sie erklärt die Welt, sie sagt uns, was gut und böse ist, was richtig und falsch. Vor allem aber beinhaltet sie eine Verheißung: Wer glaubt und wer nach diesem Glauben handelt, der wird erlöst werden.
So wie der Liberalismus halt auch, er stift Sinn, erklärt die Welt, sagt was gut und böse ist und beinhaltet die Verheißung des Fortschritts. Das sich diese Verheißung im Ergebnis etwas läppisch ausmacht, ändert nichts an ihrer Existenz.
Natürlich kann man auch a-theistische Bewegungen und System als Religionen verstehen - ich halte es sogar für richtig, die künstliche und nicht zu rechtfertigenden Grenze von Religionsdefinition einzureißen. Nur darf man sie dann nicht wo anders wieder aufbauen. Schon gar nicht nach dem Motto - es ist schlecht, also hat es mit "der Aufklärung (TM)" nichts zu tun und ist eine Religion.
Gruß, str1977
Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon. Aber beide sind aus Stein gemacht.
Liberalismus ist die Ideologie, die, wenn etwas zu verderben droht, nicht nur nichts unternimmt, sondern auch anderen von Gegenmaßnahmen abrät, um anschließend das verfaulte Resultat zum Ideal zu erklären.
The business of Progressives is to go on making mistakes. The business of the Conservatives is to prevent the mistakes from being corrected. (G.K. Chesterton)
Zitat von Thomas PauliUnd, lieber Zettel, es ist die Gewißheit, nur ein Buch gelesen haben zu müssen, um ALLES verstehen zu können. Das ist praktisch, nicht? Damit gehört der Marxismus zu den Buchreligionen, deren Anhänger dies ebenfalls behaupten. Mich hat immer die ungeheure Selbstgewißheit der Marxismus-Studenten verwundert, und hatte sie im Verdacht in Wirklichkeit Marx-Groupies zu sein. Dieser Verdacht hat sich im Laufe der Zeit erhärtet.
Also in Parallele zum klassischen Protestantismus - also einer aussterbenden Größe, die aber (um fairzubleiben) nicht nur ein Buch hat - und dem Islam.
Gruß, str1977
Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon. Aber beide sind aus Stein gemacht.
Liberalismus ist die Ideologie, die, wenn etwas zu verderben droht, nicht nur nichts unternimmt, sondern auch anderen von Gegenmaßnahmen abrät, um anschließend das verfaulte Resultat zum Ideal zu erklären.
The business of Progressives is to go on making mistakes. The business of the Conservatives is to prevent the mistakes from being corrected. (G.K. Chesterton)
Zitat von Stitch JonesEs war der rebellische Impetus der Marxisten, von dem ich mich damals angezogen fühlte, das Kämpferische, das "Dagegen-Sein", die reine Aura.
Da sehe ich auch so. Es ist zuerst die (völlig berechtigte) Unzufriedenheit mit dem Status quo und nicht eine Begeisterung für (wenn überhaupt bekannte) Marxsche Lösungen.
Nicht umsonst war eines der ersten Bücher der jetzigen Marxwelle ein Sammelband namens "Genial dagegen" (der Titel hat natürlich genauso viel Niveau wie die Fernsehsendung, bei der er abgekupfert ist.)
Gruß, str1977
Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon. Aber beide sind aus Stein gemacht.
Liberalismus ist die Ideologie, die, wenn etwas zu verderben droht, nicht nur nichts unternimmt, sondern auch anderen von Gegenmaßnahmen abrät, um anschließend das verfaulte Resultat zum Ideal zu erklären.
The business of Progressives is to go on making mistakes. The business of the Conservatives is to prevent the mistakes from being corrected. (G.K. Chesterton)
Danke, lieber Kallias, für diesen Beitrag voller Einsichten! Sie berühren die Punkte, die ich eigentlich in dem Artikel hatte ansprechen wollen, als ich seinen Titel formuliert habe. Aber dann geriet er so, daß ich mich mehr mit dem Rückblick auf die Achtundsechziger Zeit befaßt habe.
Zitat von KalliasDer Marxismus verleiht seinen Anhängern ein Gefühl der Stärke, der Überlegenheit. Dabei spielt die Illusion, mit einfachen Formeln die Welt verstehen zu können eine große Rolle, wobei hinzukommt, daß ja nicht nur eine Erklärung geliefert wird, sondern auch eine Entlarvung: man durchschaut ja gleichzeitig den faulen Zauber der bourgeoisen Ideologie.
Ja, Marx war einer der drei großen Entlarver in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, zusammen mit Nietzsche und Freud. Und bei allen drei hat das Entlarven ja diesen Doppelaspekt:
Einerseits zieht es den Schleier weg von dem, was eben nur Schein ist. Der Gläubige wird mit dem Blick hinter die Kulissen für seinen Glauben belohnt.
Und andererseits nimmt man dem Nichtgläubigen von vornherein den Wind aus den Segeln: Er hat eben das bourgeoise, also falsche Bewußtsein; ist der Ideologie zum Opfer gefallen. Er verdrängt, ist dem Widerstand unterworfen usw. Er macht sich Illusionen über seine wahren Motive.
Zitat von KalliasDie polemischen Texte der Marxisten sind entsprechend wohl noch wirkungsvoller als die theoretischen, oder man könnte sagen, das Wissen um die Existenz sehr komplizierter theoretischer Werke (drei dicke blaue Bände im Regal!) verleiht einem die Selbstgewißheit, recht zu haben, die dann wiederum dazu legitimiert, kräftig dreinzuschlagen.
Auch bei Marx selbst war das ja so. Er gefiel sich in der Rolle des kühlen Analytikers; aber der Mohr war ja von Jugend an ein intellektueller Berserker. Diskussionen mit Andersdenkenden gibt es bei ihm nicht. Auseinandersetzungen fanden bei ihm ausschließlich in der Form des Herabwürdigens, des Lächerlichmachens anderer Meinungen statt. Heilige Familie, Anti-Dühring, Elend der Philosophie, Kritik des Gothaer Programms - immer entwickeln Marx und Engels ihre Thesen, indem sie andere nicht einfach nur kritisieren, sondern sich höhnisch über sie erheben.
Das ist es, lieber Kallias, was mich von Anfang an abgestoßen hat. Diese johlenden Nachwuchs-Marxisten in den "Vollversammlungen", bei allen diesen "Besetzungen" usw., die für Andersdenkenden nur Auspfeifen und höhnisches Gelächter hatten. Sie wußten ja selbst alles so viel besser; sie waren ja die Eingeweihten. Und sie waren moralisch weit überlegen; denn nur sie wollten ja das Wohl aller, statt egoistische Interessen zu verfolgen.
Zitat von KalliasFerner führt die soziale Revolution bekanntlich dazu, daß der Mensch den Zwangslagen entkommt und endlich zum Gestalter seiner gesellschaftlichen Verhältnisse wird. Konkret heißt dies, daß Stellen in Planungsbehörden entstehen werden, wo Intellektuelle zum Nutzen der Menschheit große Dinge tun können. (Ein ehemaliger "Trotzkist" erzählte mir einmal, wie er mit Genossen im Auto zu einem Kongreß fuhr und wie sie dabei die Regierungsposten aufteilten, die sie nach der Revo zu übernehmen gedachten - "du interessierst dich doch für Architektur, du wirst Bauminister" - so in diesem Stil frönte das Grüppchen dem Größenwahn. )
Ich habe das so ähnlich erlebt und erwähne es in einem anderen Beitrag in diesem Thread. Man hatte das Vorbild der russischen Revolutionäre vor Augen, die ja auch kaum älter geweesen waren als wir damals. Als ich kürzlich für diesen Artikel das Gespräch Enzensbergers mit Dutschke, Rabehl und Semler aus dem Jahr 1968 nachgelesen habe, ist mir erst klargeworden, wie sehr diese Leute sich schon als die künftigen Herren Westberlins sahen. Als die Kommissare, die zB darüber entscheiden, ob "Bürokraten" bleiben dürfen oder in die Bundesrepublik zwangsumgesiedelt werden.
Zitat von KalliasAm wichtigsten für das frühere marxistische Kraftgefühl dürfte jedoch der Sieg Lenins im Bürgerkrieg gewesen sein; die darauf folgende fortdauernde Existenz der Sowjetunion als atomarer Supermacht, die dem Westen Paroli bieten konnte. Die Lehren von Marx hatten eben welthistorische Konsequenzen, was man von etwa Husserl oder Ranke oder Böhm-Bawerk so nicht sagen kann. Man mußte die UdSSR ja im Einzelnen gar nicht unbedingt gutheißen; es genügte, daß der Sieg der Bolschewiki die Geschichtsmächtigkeit bewies, die in den Lehren von Marx steckte.
Noch bevor ich mich etwas ernsthafter als zu Schülerzeiten mit Marx befaßt habe, bin ich Anfang der sechziger Jahre in den Semesterferien in Frankreich als Tramper unterwegs gewesen. Einmal hat mich ein Kommunist mitgenommen, ein sehr sympathischer Mann, der die Gelegenheit nutzte, mich für den Kommunismus zu begeistern. Er schilderte immer wieder - das spielte gerade für die französische KP eine zentrale Rolle - die Wunderwelt der Sowjetunion und deren Stärke. Es war genau, wie Sie sagen: Für ihn waren der Sputnik, der Flug Yuri Gagarins der Beweis für die Richtigkeit seines Glaubens. "Les américains, c'est pas sérieux" - die Amerikaner hingegen seien im Weltraum doch gar nicht ernst zu nehmen.
Zitat von KalliasNach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sieht die Situation anders aus. Ich nehme an, der Flirt mit dem Marxismus, der in der 2. Hälfte der 90er Jahre wieder einsetzte, produziert keine Erlösungsgläubigen mehr. "Marx" ist - ähnlich wie der "Che" - nur noch ein starkes Symbol für die Ablehnung des neoliberalen Kapitalismus. Es fehlt die Siegesgewißheit; man mag Marx dem Kritiker noch recht geben, weiß aber auch, daß der Marxismus historisch gescheitert ist. Hoffe ich!
Gysi hat einmal bei Anne Will oder in einer ähnlichen Diskussion sinngemäß gesagt: Die Christen haben zweitausend Jahre lang nicht aufgegeben. Da werden wir doch nicht nach siebzig Jahren schon aufgeben.
Die gläubigen Marxisten sind in einer gewissen Hinsicht in der Lage der Urgemeinde, nachdem die Hoffnung auf die Wiederkunft des Herrn sich nicht erfüllt hatte. Man braucht jetzt einen langen Atem. Die Weltrevolution ist nicht so schnell gekommen, wie man gedacht hatte. Aber sie wird kommen.
Im Augenblick dominiert Marx, der Kritiker; bei dem man nach "Stellen" sucht, in denen er angeblich die jetzige Krise vorhergesagt hat. Aber ich halte es für wahrscheinlich, daß auch der Religionsstifter wieder Konjunktur bekommt. Denn das religiöse Vakuum, das der Marxismus füllte, ist ja weiter da.
Zitat von ZettelJa, Marx war einer der drei großen Entlarver in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, zusammen mit Nietzsche und Freud.
Ich hoffe, daß meinen Sie nur im Anspruch bzw. in der Selbstdarstellung.
Ich bin ja immer noch mit Freud ärgerlich, daß sein Werbegag von den drei Kränkungen so wenig durchschaut und daher oft nachgeplappert wird.
In Antwort auf:Und andererseits nimmt man dem Nichtgläubigen von vornherein den Wind aus den Segeln: Er hat eben das bourgeoise, also falsche Bewußtsein; ist der Ideologie zum Opfer gefallen. Er verdrängt, ist dem Widerstand unterworfen usw. Er macht sich Illusionen über seine wahren Motive.
Ich hoffe Sie werden es mit nicht verdenken, lieber Zettel, wenn ich anmerke, daß dies bisweilen (und auch hier im Forum) von "gläubigen" Atheisten benutzt wurde. Aber bei dieser Anmerkung soll es in diesem Thread auch bleiben.
Gruß, str1977
Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon. Aber beide sind aus Stein gemacht.
Liberalismus ist die Ideologie, die, wenn etwas zu verderben droht, nicht nur nichts unternimmt, sondern auch anderen von Gegenmaßnahmen abrät, um anschließend das verfaulte Resultat zum Ideal zu erklären.
The business of Progressives is to go on making mistakes. The business of the Conservatives is to prevent the mistakes from being corrected. (G.K. Chesterton)
In Antwort auf:immer entwickeln Marx und Engels ihre Thesen, indem sie andere nicht einfach nur kritisieren, sondern sich höhnisch über sie erheben.
Auch das gehört dazu, was ich die "unsägliche Sprache" Marxens nenne, die Menschen wie mich abstößt. Dazu gehört auch, dass sich Marx auch über den, dem er wahrscheinlich seinen gesamten ökonomischen Wissensschatz zu verdanken hat, nämlich David Ricardo, immer wieder meint lustig machen zu müssen. Das ist die Haltung eines Mannes, der von Minderwertigkeitsgefühlen beherrscht wird.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
In Antwort auf:So wie der Liberalismus halt auch, er stift Sinn, erklärt die Welt, sagt was gut und böse ist und beinhaltet die Verheißung des Fortschritts. Das sich diese Verheißung im Ergebnis etwas läppisch ausmacht, ändert nichts an ihrer Existenz.
Einspruch: Gerade das leistet der Liberalismus nicht. Er stiftet keinen Sinn, er trifft keine Aussagen über Gut und Böse und er hat keine Idee vom Fortschritt. Das einzige, was den Liberalen interessiert, sind die Bedingungen des Prozesses, nicht aber dessen Ziel.
Deswegen braucht m.E. jeder Liberale, der nicht mit einem Dasein als Nihilist oder Fatalist zufrieden ist, eine zusätzliche Quelle seiner Motivation. Meine ist der Glaube.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
In Antwort auf:immer entwickeln Marx und Engels ihre Thesen, indem sie andere nicht einfach nur kritisieren, sondern sich höhnisch über sie erheben.
Auch das gehört dazu, was ich die "unsägliche Sprache" Marxens nenne, die Menschen wie mich abstößt. Dazu gehört auch, dass sich Marx auch über den, dem er wahrscheinlich seinen gesamten ökonomischen Wissensschatz zu verdanken hat, nämlich David Ricardo, immer wieder meint lustig machen zu müssen. Das ist die Haltung eines Mannes, der von Minderwertigkeitsgefühlen beherrscht wird.
Er war ja eine gescheiterte Existenz. Mit dem Studium kam er nicht zurecht. Franz Mehring beschreibt das in seiner Biografie sehr schonungslos, wie er angeblich studierte, tatsächlich aber kaum eine Lehrveranstaltung besuchte. Irgendwie hat er als Externer in Jena promoviert, ohne je Jura studiert zu haben; so wenig, wie irgendeine andere Wissenschaft.
Freundlich gesagt war er ein Autodidakt. Aber ja nicht einer jener Autodidakten, denen eine akademische Ausbildung verwehrt worden war. Sondern er hielt sich offenbar für so genial, daß er es nicht nötig hatte, irgend etwas ordentlich zu studieren. Also las er wild herum, dilettierte hier und dilettierte dort. Das Gegenteil eines Wissenschaftlers.
Autodidakten neigen zur Selbstüberschätzung, weil ihnen das Korrektiv der Auseinandersetzung mit denjenigen fehlt, die den betreffenden Gegenstand mindestens so gut kennen wie sie, oft besser. Die ständige Korrektur durch peers, das ist es, was wissenschaftliches Denken mehr als alles andere prägt.
Marx anerkannte keinen peer. Er hielt sich für einzigartig; für so überlegen, daß er von anderen nichts als blinde Zustimmung verlangte. Zu Recht hat ihn, diesen Außenseiter mit seinen wissenschaftlich belanglosen Ideen, die zeitgenössische Wissenschaft nicht ernst genommen.
Das wirklich Bemerkenswerte ist, daß dieser Aufschneider, dieser Scharlatan, Generationen von Menschen bestricken konnte.
Sein herrisches Auftreten, das keinen Widerspruch zuließ, sein erbarmungsloses Heruntermachen aller Andersdenkenden verschaffte ihm wohl einen ungeheuren Respekt bei Nichtakademikern. Für diese Handwerksgesellen, die das Rückgrat der Abeiterbewegung waren, war der Herr Doktor ein gelehrtes Wundertier. Er ließ ja keinen Zweifel daran, daß er kein Revolutionär unter anderen war, sondern der Welterklärer, der sich herabließ, sie an seinem Wissen teilhaben zu lassen.
Alter Witz: Treffen sich zwei. Sagt der eine: "Ich lese gerade das Kapital, von Karl May". Der andere: "Sie meinen, von Karl Marx". - "Von Karl Marx? Ach, deshalb kommen darin so wenige Indianer vor".
Es gibt eine Beziehung zwischen der Wirkung von Karl May und der von Karl Marx. Ein Teil auch der Faszination von Karl May liegt darin, daß man sich, wenn man sich mit dem Ich-Erzähler identifiziert, als der Größte, der Stärkste, der Klügste fühlt.
Auch Karl May war so ein Aufschneider. Freilich nicht aus einer Arroganz heraus, die alles Ordentliche verschmähte, sondern aus der Not einer beschädigten Biographie heraus.
Da kann ich doch die ganze Diskussion entlang immer nur wieder zustimmend nicken ;-)
Nur ein Punkt:
Zitat von ZettelDer sich so bestimmende Wert der Ware Arbeitskraft nun ist geringer als der Wert der Ware, die der Arbeiter produziert. Die Differenz ist der Mehrwert.
Nun, das ist ja auch so. Sozusagen eine Trivialität, breit ausgewalzt. Natürlich muß der "Wertanteil" der Arbeitskraft niedriger sein als der Gesamtwert des Produkts - sonst ließe sich ja gar nicht rentabel wirtschaften.
Der Knackpunkt kommt doch erst anschließend:
In Antwort auf:Ausbeutung ist somit dem Kapitalismus wesensmäßig eigen.
Marx behauptet (m. W. völlig ohne weitere Begründung), es wäre "Ausbeutung", weil der Arbeiter weniger als den Produktwert erhält. Weil er nicht sieht / nicht anerkennen will, daß vom "Mehrwert" eben auch alle übrigen Faktoren bezahlt werden müssen, die außer der Arbeitskraft für die Herstellung des Produkts nötig sind.
Und dazu gehören eben nicht nur Rohstoffe, Maschinenkosten, Raummieten usw. usf. - sondern auch ein Teil Gewinn für den Kapitalisten, der sein Engagement und seine Ideen einbringt.
Wenn Marxisten den Wertschöpfungsanteil des Kapitalisten nicht verstehen, hat das weniger mit der Arbeitswertlehre zu tun, als mit völliger Unkenntnis der Praxis.
Zitat von R.A.Wenn Marxisten den Wertschöpfungsanteil des Kapitalisten nicht verstehen, hat das weniger mit der Arbeitswertlehre zu tun, als mit völliger Unkenntnis der Praxis.
Diese spielt, lieber R.A., sicher eine erkleckliche Rolle (wenngleich sich Marx ja von dem Unternehmer Engels erklären ließ, wie ein Unternehmen funktioniert). Aber ich würde schon meinen, daß es einen direkten Zusammenhang mit der Arbeitswertlehre gibt.
Ginge es nur um den Wertschöpfungsanteil des Kapitalisten, dann könnte diesem ja ein "Unternehmerlohn" gezahlt werden, der seinem Anteil entspricht. Alle würden sozusagen proportional zu ihrem Anteil an der Wertschöpfung entlohnt werden. (So etwas schwebte wohl DDR-Ökonomen für den Sozialismus vor; dort wurde ja heftig darüber gestritten, ob das "Wertgesetz" auch im Sozialismus gilt).
Aber der Mehrwert und sein konkreter Ausdruck, der Profit, ist eben laut Marx etwas grundsätzlich anderes als ein Unternehmerlohn. Denn er ist völlig unabhängig davon, wieviel eigene Arbeitszeit der Kapitalist einbringt. Er bestimmt sich allein aus der Differenz zwischen dem Wert der Ware Arbeitskraft des Arbeiters und dem Wert der erzeugten Ware.
Übrigens gibt es noch einen anderen Grund, warum diese Behauptungen so zentral für Marx sind: Sie begründen die Verelendungstheorie. Denn der Arbeiter wird laut Marx niemals mehr bekommen als das, was zur Reproduktion der Arbeitskraft erforderlich ist, also das Existenzminimum.
(Als sich dann herausstellte, daß das Gegenteil von Verelendung stattfand, sprachen Marxisten von einer "relativen Verelendung". Zur Reproduktion der Arbeitskraft gehörten heutzutage eben auch der Urlaubsflug und der eigene PC. Aber Verelendung bleibt es, weil eben ... s.o. Das ist ein Beispiel dafür, wie diese Pseudowissenschaft an jede denkbare Empirie angeschmiegt werden kann.)
Herzlich, Zettel
PS: Das hätte ich auch nicht gedacht, daß ich noch mal das Wissen aus meiner "Kapital"-Schulung vor fast vierzig Jahren würde auspacken können.
Zitat von Zettelwenngleich sich Marx ja von dem Unternehmer Engels erklären ließ, wie ein Unternehmen funktioniert
Das ist immerhin schon mehr, als man von fast allen Marxisten sagen kann. Aber geholfen haben diese Erklärungen wohl trotzdem nicht viel ...
In Antwort auf:Ginge es nur um den Wertschöpfungsanteil des Kapitalisten, dann könnte diesem ja ein "Unternehmerlohn" gezahlt werden,
Richtig. Da war ich selber schlampig. Man muß ja eigentlich unterscheiden zwischen dem "Unternehmerlohn" für die Arbeit (das wäre z. B. das Gehalt eines Geschäftsführers, wenn der Kapitalist die Firma nicht selber managen will) und der Risikoprämie für das eingesetzte Vermögen. Und letztere gehört wohl zu den "Spekulationen", die für Linke generell unmoralisch sind, ohne sich näher mit Sinn und Zweck beschäftigt zu haben.
In Antwort auf:Denn der Arbeiter wird laut Marx niemals mehr bekommen als das, was zur Reproduktion der Arbeitskraft erforderlich ist, also das Existenzminimum.
Was nun ein völlig getrenntes Thema und ein gesonderter Unsinn ist. Bzw. schon zu Lebzeiten von Marx erwiesen falsch war, und das hätte Engels wissen müssen. Aber Engels war wohl auch in erster Linie Sohn und Erbe - nicht Unternehmer.
Auf die Gefahr hin, daß das wieder nur als "Beckmesserei" abgetan wird, muß doch etwas zur Verteidigung Marxens schreiben.
Zitat von R.A.Der Knackpunkt kommt doch erst anschließend:
In Antwort auf:Ausbeutung ist somit dem Kapitalismus wesensmäßig eigen.
Marx behauptet (m. W. völlig ohne weitere Begründung), es wäre "Ausbeutung", weil der Arbeiter weniger als den Produktwert erhält. Weil er nicht sieht / nicht anerkennen will, daß vom "Mehrwert" eben auch alle übrigen Faktoren bezahlt werden müssen, die außer der Arbeitskraft für die Herstellung des Produkts nötig sind.
Und dazu gehören eben nicht nur Rohstoffe, Maschinenkosten, Raummieten usw. usf. - sondern auch ein Teil Gewinn für den Kapitalisten, der sein Engagement und seine Ideen einbringt.
Zettel hat ja bereis gesagt, daß es hier nicht um einen Unternehmerlohn oder einen Erfinderlohn geht - viele der Kapitalisten (und heute im Zeitalter der AG gilt das natürlich noch mehr) waren aber eben nicht die großen Ideengeber sondern einfach solche, die das nötige Geld aufbringen konnten um Maschinen etc. aufzustellen - eben was Marx die Verfügung über Produktionsmittel nennt. Für Marx sind diese unnütze Teilhaber am Arbeitsergebnis (eine Idee übrigens die er schnurstracks aus liberaler Ideologie geholt hat, wo es ja auch oft gilt gewisse unnütze Menschen auszuschließen. Ich will da Marx nicht zustimmen, weil es eben auch Gegenbeispiele gibt.
Allerdings kann man nicht sagen, er leide an "völliger Unkenntnis der Praxis", wenn tatsöchlich die Praxis unbestritten ist und der Unterschied nur in Werturteilen besteht.
Was in obiger Beschreibung der Marxschen Ideen über Ausbeutung fehlt ist ja nunmal die Tatsache, daß der Arbeiter eben kein freier Marktteilnehmer ist, der es sich leisten könnte, nicht zum gebotenen Preis zu verkaufen, eben weil er den Lohn zum Überleben braucht und weil genug andere bereitstehen, seinen Platz einzunehmen.
Daher erhält er für seine Arbeitsleistung ja eben nicht einen "gerechten Anteil" im Verhältnis zur Bedeutung seiner Arbeitskraft für das Gesamtprodukt sondern er kriegt den Lohn, den der Arbeitsmarkt durch Angebot und Nachfrage hervorbringt (ein schiefer Wettbewerb, da der Arbeiter ja nachfragen muß).
In Verbindung mit der Marxschen Konzentrationsprozesse muß das notwendigerweise zur Verelendung führen. Wenn es immer weniger an Kapitalisten und immer mehr an Proletariern gibt, wird der Wettbewerbsdruck auf dem Arbeitsmarkt natürlich umso grösser, der Lohn um so geringer.
Nur zwei Dinge konnte Marx nicht voraussehen - und zwar nicht weil seine Analyse falsch wäre sondern weil die Welt einfach nicht nach stupiden Gesetzmäßgkeiten funktioniert:
1. Das Aufkommen eines neuen Mittelstandes, der der Konzentration entgegenwirkte. Allerdings kann ein Marxist sagen, daß dies vorübergehen wird und Marx langfristig Recht behalten wird.
2. Das teilweise Außerkraftsetzen des "Ehernen Lohngesetzes" durch Gewerkschaften. Diese waren es nämlich, die dafür gesorgt haben, daß Löhne nicht mehr allein von Angebot und Nachfrage bestimmt wurden. Wie es damit weitergehen wird nach dem Gewerkschaften allenthalben an Bedeutung verlieren - wir werden es sehen.
Gruß, str1977
Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon. Aber beide sind aus Stein gemacht.
Liberalismus ist die Ideologie, die, wenn etwas zu verderben droht, nicht nur nichts unternimmt, sondern auch anderen von Gegenmaßnahmen abrät, um anschließend das verfaulte Resultat zum Ideal zu erklären.
The business of Progressives is to go on making mistakes. The business of the Conservatives is to prevent the mistakes from being corrected. (G.K. Chesterton)
Zitat von ZettelFreundlich gesagt war er ein Autodidakt. Aber ja nicht einer jener Autodidakten, denen eine akademische Ausbildung verwehrt worden war. Sondern er hielt sich offenbar für so genial, daß er es nicht nötig hatte, irgend etwas ordentlich zu studieren. Also las er wild herum, dilettierte hier und dilettierte dort. Das Gegenteil eines Wissenschaftlers.
Naja, aber promoviert hat er ja schon. Man mag einweden, daß seine Promotionsarbeit das Niveau eines Abituraufsatzes hatte, aber das galt in der Tat im 19. Jahrhundert für viele.
In Antwort auf:Autodidakten neigen zur Selbstüberschätzung, weil ihnen das Korrektiv der Auseinandersetzung mit denjenigen fehlt, die den betreffenden Gegenstand mindestens so gut kennen wie sie, oft besser. Die ständige Korrektur durch peers, das ist es, was wissenschaftliches Denken mehr als alles andere prägt.
Marx anerkannte keinen peer. Er hielt sich für einzigartig; für so überlegen, daß er von anderen nichts als blinde Zustimmung verlangte. Zu Recht hat ihn, diesen Außenseiter mit seinen wissenschaftlich belanglosen Ideen, die zeitgenössische Wissenschaft nicht ernst genommen.
Das wirklich Bemerkenswerte ist, daß dieser Aufschneider, dieser Scharlatan, Generationen von Menschen bestricken konnte.
Sein herrisches Auftreten, das keinen Widerspruch zuließ, sein erbarmungsloses Heruntermachen aller Andersdenkenden verschaffte ihm wohl einen ungeheuren Respekt bei Nichtakademikern. Für diese Handwerksgesellen, die das Rückgrat der Abeiterbewegung waren, war der Herr Doktor ein gelehrtes Wundertier. Er ließ ja keinen Zweifel daran, daß er kein Revolutionär unter anderen war, sondern der Welterklärer, der sich herabließ, sie an seinem Wissen teilhaben zu lassen.
Alter Witz: Treffen sich zwei. Sagt der eine: "Ich lese gerade das Kapital, von Karl May".
Ja, das stimmt wohl alles. Erinnert mich irgendwie an einen anderen produktiven Schriftsteller deutscher Zunge, der auch etwas mit Karl May zu tun hatte.
Gruß, str1977
Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon. Aber beide sind aus Stein gemacht.
Liberalismus ist die Ideologie, die, wenn etwas zu verderben droht, nicht nur nichts unternimmt, sondern auch anderen von Gegenmaßnahmen abrät, um anschließend das verfaulte Resultat zum Ideal zu erklären.
The business of Progressives is to go on making mistakes. The business of the Conservatives is to prevent the mistakes from being corrected. (G.K. Chesterton)
Zitat von str1977Zettel hat ja bereis gesagt, daß es hier nicht um einen Unternehmerlohn oder einen Erfinderlohn geht
Richtig - da hatte ich aber schon angefügt, daß die entscheidende Differenz beim Gewinn des Kapitalisten liegt.
Diesen Gewinn hält Marx für "Ausbeutung", er ist aber eine durchaus gerechtfertigte Risikoprämie bzw. Entschädigung für die Bereitstellung von Kapital.
Wie das halt so ist: Wenn keiner investiert, und dann kein Arbeiter "ausgebeutet" wird, ist es den Linken ja auch nicht recht ...
In Antwort auf:eine Idee übrigens die er schnurstracks aus liberaler Ideologie geholt hat, wo es ja auch oft gilt gewisse unnütze Menschen auszuschließen.
???
In Antwort auf:Allerdings kann man nicht sagen, er leide an "völliger Unkenntnis der Praxis", wenn tatsöchlich die Praxis unbestritten ist und der Unterschied nur in Werturteilen besteht.
Oh nein, die Praxis ist überhaupt nicht unbestritten.
Richtig ist, daß der Lohn eines Arbeiters sich nicht an irgendwelchen gerechten Anteilen bemißt, sondern schlicht an Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. Aber es war im 19. Jahrhundert (und bis heute) eben nicht so, daß Arbeitskraft beliebig zur Verfügung stand und damit der Preis fiel. Sondern im Gegenteil war Arbeitskraftsmangel der übliche Zustand (deswegen mußten die Fabrikanten ja in großem Maße Anwerbung in der Provinz oder im Ausland betreiben), und die Löhne stiegen im Schnitt beständig.
Das hätte zumindestens Engels klar sein müssen, wenn er sich wirklich mit den Details der Personalpolitik seiner Fabrik beschäftigt hat (was ich bezweifele).
Der Knackpunkt ist einfach, daß Marx/Engels die Lebensbedingungen der Arbeiter mit ihrem gewohnten gutbürgerlichen Lebensstandard verglichen. Der korrekte Bezugsrahmen wären aber die ländlichen Lebensbedingungen gewesen - und die waren noch viel kärglicher.
Die Leute sind in die Fabriken zum Arbeiten gekommen, weil sie dort vergleichsweise deutlich mehr verdienten. Und damit ist die Marx'sche Lehre schon widerlegt, er hat schon bei der Analyse seiner Gegenwart versagt.
In Antwort auf:2. Das teilweise Außerkraftsetzen des "Ehernen Lohngesetzes" durch Gewerkschaften. Diese waren es nämlich, die dafür gesorgt haben, daß Löhne nicht mehr allein von Angebot und Nachfrage bestimmt wurden.
Das ist im wesentlichen Eigenpropaganda der Gewerkschaften. Das Lohnniveau stieg an, weil die Wirtschaftszuwächse mehr Nachfrage nach Arbeit generierten. Und diese steigenden Löhne konnte man dann als Verhandlungserfolg verkaufen - das waren aber nur "windfall profits", die Unternehmen hätten ohnehin mehr bezahlt (bzw. haben dies auch, wo keine Gewerkschaften tätig waren), um Arbeiter zu bekommen.
Bis heute haben sich die Tarife nicht von Angebot/Nachfrage gelöst, das sieht man an den sehr unterschiedlichen Lohnhöhen je nach Branche und Region.
finde es schon faszinierend, wie viele Menschen sich hier aufgefordert fühlen ihre Kenntnisse der Lehre von Karl Marx öffentlich zur Schau zu stellen. Man scheint in geistes- und sozialwissenschaftlch geschulten Intellektuellenkreisen immer noch dem Irrtum verfallen zu sein beim ollen Marx würde es sich um einen grossen Denker handeln und übersieht vor lauter Sportsgeist den Hinweis auf die "momentane Wirtschaftskrise" und verfehlt damit das Thema.
Es geht nämlich nicht um ein zeitloses Bild des Laienökonomen Marx, auch nicht um seine Bedeutung in beratungsresistenten Kreisen in und um die in Die Linke umbenannten SED herum, sondern um die gegenwärtige Rolle des Genossen Schwarzwild in den "bürgerlichen Medien". In diesen wird uns nicht der Theoretiker der Überakkumulationskrise vorgeführt, sondern aus dem Zusammenhang gerissene Zitate, die, und auch da stimme ich Kallias zu, die Ablehnung des "neoliberalen Kapitalismus" zum Thema haben und füge hinzu, Marx als düsteren Endzeitspropheten zur Schau stellen.
Es ist eine neue Phase eingetreten, nachdem man einige Jahrzehnte lang glaubte, den Herausforderungen der Globalisierung mit mehr Markt begegnen zu können. Nachdem Wählerstimmen abgeschmolzen sind, manche alte Frauen mit Vogelnestern auf dem Kopf bereits vor Furcht vor sozialen Unruhen und damit dem Verlust eigener Privilegien und insbesondere dem teuren Hausfriseur erzittern, und schlussendlich die "Finanzkrise" das endgültige Startsignal erklingen lässt, ist nunmehr mehr Staat das Thema und damit der Rückgriff der Politikaster auf die ollen Kamellen des Keynesianismus, wobei auch die Bedeutung Keynes in den wirtschaftpolitischen "Diskursen" der BRD - ähnlich wie Marx- weniger in dessen tatsächlichen theoretischen Ergüssen zu sehen ist, sondern sein Name fungiert als Etikette, mit der das eigene politische Tagesgeschäft ideologisch verbrämt wird.
Es ist viel Ideologie im Spiel in der BRD. Bereits in der "neoliberalen Phase" hat man, um ein paar bescheiden Wünsche nach weniger Sozialstaat und mehr Eigenverantwortung anzumelden, massiv ideologisch bombadiert. Die Schafsnasen, welche den ganzen "marktradikalen" Zinnober wörtlich nahmen, stehen mit ihrem Vorzeigeliberalismus und -Libertarismus heutzutage natürlich ohne Hosen da. Sie sind ganz einfach nicht mehr "In", sondern "Out".
Das in den Medien der illusionäre Ruf nach mehr Staat sich des Etiketts Marx bedient, verwundert nicht, wenn man sich so manche Biographien der Medienfuzzis und ihrer extra aus den Rattenlöchern angehickelt kommenden Vorzeigeprofs vergegenwärtigt. Die haben ja schon in der Jugend gerne Eltern und Lehrer mit dem Konterfei des nicht nur wie ein Penner aussehenden bärtigen Arbeitsverweigerers geschockt. Schockieren, provozieren war eine Weile "In". Was die Medienfuzzis nicht wissen: Heute ist es längst "Out" und der Bürger gähnt nur gelangweilt ab, wenn ihm die Zitate des Endzeitpropheten vorstellt werden.
"In" ist auf jeden Fall Kallias. Jedenfalls für mich, denn sein Marx Verständnis steht an einsamer Spitze in der internen Olympiade um die tiefstschürfensten Marxkenntnisse. In der Tat, um das Gefühl der Stärke, der Überlegenheit geht es und ging es den Marxjüngern aller Zeiten und aller Länder. Es ist wirklich ein erhebendes Gefühl mit einfachen Formeln die Welt verstehen zu können und sich einzureden einer elitären Gruppe dazugehörig zu sein, die Kraft ihres exklusiven Wahrheitszugangs "theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus haben". Nochmals: Respekt, Kallias!
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