Seit Samstag habe ich erwogen, etwas zu diesem Thema zu schreiben. Aber es fand sich nichts, was nicht auch schon in den Medien steht. Inzwischen bin ich auf zwei Aspekte gestoßen, die vielleicht lesenswert sind. Dazu in diesem Artikel eingangs drei Szenarien.
Die Einschätzung, dass Obamas Rede positiv zur Entwicklung beigetragen habe, trägt m.E. nicht. Vielleicht ist es eher so, dass viele Iraner und Libanesen angesichts von Obamas offenkundigem Willen, sie auszuliefern, erkannt haben, dass sie selbst eine Änderung herbeiführen müssen.
normalerweise schätze ich Ihre Einträge außerordentlich, auch wenn ich oft genug ganz anderer Meinung bin, denn in den meisten Fällen erkennt man bei Ihnen doch das ehrliche Bemühen um Objektivität. In diesem Fall ist es leider, meiner bescheidenen Auffassung nach, völlig anders, und ich erkenne das, was ich normalerweise in der etablierten Presse so geringschätze. Bei "den Stöcken der Prügelperser" fühlte ich mich spontan an eine große deutsche Tageszeitung erinnert. Ich will das gar nicht näher ausführen, denn vielleicht habe ich nur den Sarkasmus nicht verstanden?
Wie dem auch sei, mir zeigen die Vorkommnisse in Persien etwas ganz anderes, und wenn Sie gestatten, möchte ich das ausführen. Ein guter Freund von mir ist in der DDR aufgewachsen. Bei jedem Anlaß, zu dem es in der Bundesrepublik seit der Einheit zu öffentlichem Aufruhr kommt, fühlt sich mein guter Freund bemüßigt zu äußern, daß sowas "damals" völlig undenkbar gewesen wäre. Niemand sei auf die wahnsinnige Idee verfallen, er könne einen VoPo-Trabanten umstoßen, gar anzünden, oder mit Wurfgeschossen gegen die kasernierte VoPo vorgehen. Stets muß ich nicken und ihm recht geben. Der Punkt ist nun, daß die DDR, ich weiß sie könnten da gut anderer Meinung sein, verglichen mit anderen totalitären Regimen eben immer noch am unteren Ende der Skala zu finden war.
Wenn nun im Iran ein derartiger Aufruhr ausbricht, die Menschen also wenig Angst zu haben scheinen, daß ihnen aus ihrer Rebellion handfeste Nachteile erwachsen, dann würde ich daraus ableiten, daß der Grad an Totalitarismus im Iran möglicherweise in der westlichen Presse weit übertrieben wird und deutlich unter dem der DDR liegen könnte, die, wenn man die Wahlergebnisse im Osten anschaut, im Anteil von etwa einem Drittel ihre DDR ja wiederhaben zu wollen scheinen...
Zitat von Hajo Wenn nun im Iran ein derartiger Aufruhr ausbricht, die Menschen also wenig Angst zu haben scheinen, daß ihnen aus ihrer Rebellion handfeste Nachteile erwachsen,
Wenig Angst? Schauen Sie sich mal an, was auf Twitter los ist. Bei Demonstrationen bricht immer wieder Panik aus. Die Leute fühlen sich in der Masse einigermaßen geborgen, wissen aber, daß der Terror jetzt erst richtig losgeht. Es wird versucht, die Sicherhitskräfte möglichst nicht zu provozieren. Statt der üblichen Rufformel Tod dem Sonstewer weicht man auf das politisch korrektere Allah ist groß aus. Skandiert wird von Hausdächern aus, weil dort die Milizen nicht so leicht hinkommen. In der Teheraner Uni wurden Studenten totgeprügelt, scheinbar auch in Shiraz. Die Milizen stürmen Häuser und schießen. Teheran ist abgeriegelt, die Leute können nicht mehr raus. Gerüchte über einen möglichen Militärputsch kommen auf. Wenig Angst?
Klug und fleißig - Illusion Dumm und faul - das eher schon Klug und faul - der meisten Laster Dumm und fleißig - ein Desaster The Outside of the Asylum
Zitat von HajoBei jedem Anlaß, zu dem es in der Bundesrepublik seit der Einheit zu öffentlichem Aufruhr kommt, fühlt sich mein guter Freund bemüßigt zu äußern, daß sowas "damals" völlig undenkbar gewesen wäre. Niemand sei auf die wahnsinnige Idee verfallen, er könne einen VoPo-Trabanten umstoßen, gar anzünden, oder mit Wurfgeschossen gegen die kasernierte VoPo vorgehen. Stets muß ich nicken und ihm recht geben.
Hier auch Widerspruch. Ihr Freund hat da auf der Sonnenseite der Proteste gestanden. War er in Leipzig? Die Straßenschlachten in Dresden und Chemnitz waren äußerst brutal. Dabei hat sich gezeigt, daß die KaPo-Ausrüstung Pflastersteinen nicht ausreichend gewachsen war.
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Zitat von MarriexDie Einschätzung, dass Obamas Rede positiv zur Entwicklung beigetragen habe, trägt m.E. nicht. Vielleicht ist es eher so, dass viele Iraner und Libanesen angesichts von Obamas offenkundigem Willen, sie auszuliefern, erkannt haben, dass sie selbst eine Änderung herbeiführen müssen.
Das halte ich auch für einen relevanten Punkt. Hierzu:
Zitat von Michael LedeenThe Iranians do not expect any help from the outside world. Bush did not help them, to his shame, and nobody thinks Obama would lift a finger for Iranian dissidents. They’re on their own, just as the Lebanese voters were a few days ago. I think many Lebanese decided that they’d better take a stand against Hezbollah before all hope for freedom was lost. Many Iranians may well reason the same way.
Zitat von Jonathan @ChicagoboyzAnyone who isn’t blind must see that US allies threatened by aggressive dictatorships, as well as oppressed populations in those dictatorships, are now on their own with no chance of receiving US help. Certainly most Israelis understand this, though it’s not clear whether their corrupt political class does. Nor are Japanese, Taiwanese, South Koreans, Australians, Georgians, Venezuelans and others likely to have any illusions. Interesting times ahead.
-- Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009
Hier geht es tatsächlich nicht mehr um die "getürkte" Wahl. Ahmadinejad und Mussawi sind beide vom Wächterrat abgenickt worden, das passiert nur, bei Systemtreue und die wurde auf Herz und Nieren von den Mullahs geprüft.
Ulrike Pütz und Antonia Rados sind wirklich unglaublich mutig und mitten "drin". Während unsere angestammten Bericht- und Einschlafjournalisten (so z. B. Ulrich Tilgner auf Phoenix gestern Abend) der ÖR den politisch gewollten Bericht abliefern.
Ich denke, die überwiegend jüngeren Perser ergreifen die Chance und versuchen den System-Putsch. Während immer mehr Menschen sich anschließen, auch aus Regierungskreisen und Militär, ist Ahmadinejad in Rußland bei Putin. Vielleicht bleibt er ja gleich da. Oder er holt sich strategischen Rat, von einem lupenreinen Demokraten.
Und noch eine Einschätzung von Stratfor, die mir zumindest diesmal recht sinnvoll erscheint:
Zitat von George FriedmanAmericans and Europeans have been misreading Iran for 30 years. Even after the shah fell, the myth has survived that a mass movement of people exists demanding liberalization — a movement that if encouraged by the West eventually would form a majority and rule the country. We call this outlook “iPod liberalism,” the idea that anyone who listens to rock ‘n’ roll on an iPod, writes blogs and knows what it means to Twitter must be an enthusiastic supporter of Western liberalism. Even more significantly, this outlook fails to recognize that iPod owners represent a small minority in Iran — a country that is poor, pious and content on the whole with the revolution forged 30 years ago.
There are undoubtedly people who want to liberalize the Iranian regime. They are to be found among the professional classes in Tehran, as well as among students. Many speak English, making them accessible to the touring journalists, diplomats and intelligence people who pass through. They are the ones who can speak to Westerners, and they are the ones willing to speak to Westerners. And these people give Westerners a wildly distorted view of Iran. They can create the impression that a fantastic liberalization is at hand — but not when you realize that iPod-owning Anglophones are not exactly the majority in Iran.
-- Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009
Zitat von NolaHier geht es tatsächlich nicht mehr um die "getürkte" Wahl. Ahmadinejad und Mussawi sind beide vom Wächterrat abgenickt worden, das passiert nur, bei Systemtreue und die wurde auf Herz und Nieren von den Mullahs geprüft. Ulrike Pütz und Antonia Rados sind wirklich unglaublich mutig und mitten "drin". Während unsere angestammten Bericht- und Einschlafjournalisten (so z. B. Ulrich Tilgner auf Phoenix gestern Abend) der ÖR den politisch gewollten Bericht abliefern. Ich denke, die überwiegend jüngeren Perser ergreifen die Chance und versuchen den System-Putsch. Während immer mehr Menschen sich anschließen, auch aus Regierungskreisen und Militär, ist Ahmadinejad in Rußland bei Putin. Vielleicht bleibt er ja gleich da. Oder er holt sich strategischen Rat, von einem lupenreinen Demokraten.
Schwer zu sagen, worum es geht. Momentan geht es wohl nur darum, sich nicht unterkriegen zu lassen. Aber Mussawi ist regimetreu, das darf man nicht vergessen. Derzeit ist es immer noch ein Machtkampf innerhalb des Systems. Das kann sich durch die Unruhen zur regimefeindlichen Revolution entwickeln, muß aber nicht. Kommt auch drauf an, ob es den obersten Mullahs gelingt, dem Volk gegenüber das Gesicht zu wahren. Sie sind der ideologische Grundpfeiler des Regimes. Bisher ziehen AN, Basij und Hisbollah den ganzen Haß auf sich.
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Hier ein guter Artikel im Handelsblatt über Medienberichte (blog – SMS – twitter) die in Krisensituationen zwar von unglaublicher Wichtigkeit geworden sind, aber auch auf Wahrheitsgehalt geprüft werden müssen.
Der Guardian http://news.bbc.co.uk/2/hi/middle_east/8102224.stm führt ein Live-Blog, das Twitter-Feeds, Flickr-Fotos, Tondokumente und eigene Augenzeugenberichte zusammenführt - nicht wahllos, sondern bewertet und gewichtet.
Wobei es - wie damals in der DDR - schon interessant ist, daß eine Diktatur, die eine Wahlfarce veranstaltet, dann auch noch deren Ergebnisse fälscht. Und daß sich wegen der Fälschung der Farce die Proteste entzünden, nicht wegen der Unfreiheit selber. Offenbar weil in beiden Fällen die Demonstranten hoffen, daß das Regime moralisch unsicher ist, wenn es die eigenen Spielregeln verletzt.
Die Auswirkung der Obama-Rede halte ich eigentlich für marginal. Stellt sich ja schon mal die Frage, wer die in den diversen islamischen Diktaturen überhaupt mitbekommen hat. Auf welchen Sendern wurde die übertragen, in welche Sprachen übersetzt?
Zitat von MarriexDie Einschätzung, dass Obamas Rede positiv zur Entwicklung beigetragen habe, trägt m.E. nicht. Vielleicht ist es eher so, dass viele Iraner und Libanesen angesichts von Obamas offenkundigem Willen, sie auszuliefern, erkannt haben, dass sie selbst eine Änderung herbeiführen müssen.
Ich kann das schwer beurteilen, lieber Marriex, wie überhaupt die ganze Situation im Iran, und habe ja nur Vincent Jauvert zitiert, dessen Analysen ich seit Jahren sehr schätze, und das, mit einem Fragezeichen versehen, zur Diskussion gestellt.
Plausibel erscheint es mir jedenfalls, daß Obama den Plan verfolgt, den Einfluß der Extremisten zu schwächen, in dem er sich direkt an die Masse der Moslems wendet. Einen anderen Sinn können solche dröhnenden Reden ja kaum haben; die Regierungen sind durch so etwas schwerlich zu beeindrucken.
Ob das nun auch diese beabsichtigte Wirkung hat, kann ich nicht beurteilen. Vielleicht führt es in der Tat eher zu der von Ihnen beschriebenen Reaktion.
Was das Ausliefern angeht - ich denke, daß vor allem die Israels sich ausgeliefert fühlen dürften. Ich kann mich an keine Rede von Obama erinnern, wo nicht auf die Versicherung, man stehe auf der Seite Israels, ein "but..." gefolgt wäre.
Zitat von Hajonormalerweise schätze ich Ihre Einträge außerordentlich, auch wenn ich oft genug ganz anderer Meinung bin, denn in den meisten Fällen erkennt man bei Ihnen doch das ehrliche Bemühen um Objektivität. In diesem Fall ist es leider, meiner bescheidenen Auffassung nach, völlig anders, und ich erkenne das, was ich normalerweise in der etablierten Presse so geringschätze.
Das Bemühen ist immer da, lieber Hajo. Freilich: Ut desint vires, tamen es laudanda voluntas. Vielleicht war mein Bemühen ja diesmal nicht von Erfolg gekrönt.
Es ist immer schwer, das Bemühen um Objektivität und die Meinungsfreudigkeit, die ja auch in einen Blog gehört, unter einen Hut zu bringen. Ich mache das so, daß ich mir ziemlich viel Mühe geben, nur überprüfte Fakten zu berichten. Und daß ich deutlich mache, wann ich Fakten berichte und wann ich meine Meinung dazu sage. In dieser Hinsicht gefällt mir gerade dieser Artikel eigentlich.
Zitat von Hajo Bei "den Stöcken der Prügelperser" fühlte ich mich spontan an eine große deutsche Tageszeitung erinnert. Ich will das gar nicht näher ausführen, denn vielleicht habe ich nur den Sarkasmus nicht verstanden?
So ist es. Es war eine Anspielung auf den Schahbesuch 1968. Damals kam dieses Wort "Prügelperser" auf. Und so, wie damals die Agenten des SAVAK schlugen auch jetzt die Polizisten mit langen Stöcken auf die Demonstranten ein.
Zitat von Hajo Wenn nun im Iran ein derartiger Aufruhr ausbricht, die Menschen also wenig Angst zu haben scheinen, daß ihnen aus ihrer Rebellion handfeste Nachteile erwachsen, dann würde ich daraus ableiten, daß der Grad an Totalitarismus im Iran möglicherweise in der westlichen Presse weit übertrieben wird und deutlich unter dem der DDR liegen könnte, die, wenn man die Wahlergebnisse im Osten anschaut, im Anteil von etwa einem Drittel ihre DDR ja wiederhaben zu wollen scheinen...
Diese Folgerung kann ich nicht nachvollziehen.
Es ist eine interessante Frage, wann sich Menschen trauen, auf die Straße zu gehen, auch wenn das verboten ist. In keinem totalitären System ist das so oft geschehen wie im kommunistischen - DDR 1953, Ungarn 1956, CSSR 1968, Polen immer wieder ab den 70er Jahren, Peking 1989, DDR 1989, Rumänien 1989 usw.
Mit Sicherheit muß also das, was Sie "Grad des Totalitarismus" nennen, nicht gering sein, damit es zu solchen Aktionen kommt. Wohl aber könnte man die These vertreten, daß eine momentane Schwäche des Regimes der Auslöser ist.
Zitat von R.A. Wobei es - wie damals in der DDR - schon interessant ist, daß eine Diktatur, die eine Wahlfarce veranstaltet, dann auch noch deren Ergebnisse fälscht. Und daß sich wegen der Fälschung der Farce die Proteste entzünden, nicht wegen der Unfreiheit selber. Offenbar weil in beiden Fällen die Demonstranten hoffen, daß das Regime moralisch unsicher ist, wenn es die eigenen Spielregeln verletzt.
Der Wunsch nach einem Systemwechsel wird überschätzt. Die meisten werden nicht einmal davon träumen. Das ganze fing mit den Anhängern eines regimetreuen vom Wächterrat handverlesenen Kandidaten an. Das ganze ist bisher ein Machtkampf innerhalb des Systems, daß durch seine harte Reaktionen auf ganz legale vom System selbst vorgesehene Proteste schleichend delegitimiert wird. Die Basij mögen sich selbst als eine Avantgarde des Iran begreifen, sie sind aber in den Augen der Demonstranten keine Vertreter des Staates sondern einfache Banditen. Das Ziel der Revolte ist Reform und Wiederherstellung der gesetzlichen Ordnung durch friedliche und ungefälschte Neuwahlen.
In der DDR ging es anfänglich auch nicht um regime change. Solange der auf der Agenda stand, waren die Bürgerrechtler. Erst als sie glaubwürdig zum Sozialismus standen und die Aufklärung von Straftaten gemäß DDR-Strafgesetzbuch forderten, schlossen sich ihnen Menschenmassen an. Als die Masse groß genug war, bot sie die psychologische Sicherheit für diejenigen, die Demokratie und Wiedervereinigung forderten.
Klug und fleißig - Illusion Dumm und faul - das eher schon Klug und faul - der meisten Laster Dumm und fleißig - ein Desaster The Outside of the Asylum
Zitat von califaxDer Wunsch nach einem Systemwechsel wird überschätzt. Die meisten werden nicht einmal davon träumen.
Jede Revolution, lieber Califax, hat ihre Dynamik. Es gibt wohl selten von vornherein ein "Ziel", sondern das, was die Massen fühlen und wollen, entwickelt sich erst innerhalb der Revolution.
Auch die französische Revolution war nicht von vornherein auf die Republik gerichtet; man wollte zunächst nur mehr Gerechtigkeit für den Tiers État und hatte (wenn ich mich recht erinnere) konkrete Forderungen wie den Sturz des Finanzministers Necker.
1968 in der CSSR - Ungelt würde uns das genauer erklären können - wollte man anfangs den "Sozialismus mit menschlichem Antlitz". Erste im Verlauf der Revolution richtete sich diese immer mehr gegen den Sozialismus als solchen.
Auch in der DDR - und das können jetzt Sie, lieber Califax, besser beurteilen - stand am Anfang wohl nicht die Forderung nach dem Ende der DDR, sondern man wollte Reformen à la Gorbatschow. Dann aber rief man nicht mehr "Wir sind das Volk", sondern "Wir sind ein Volk".
Weil diese Dynamik so unvorhersehbar ist, scheint es mir auch so schwierig zu sein, die Lage im Iran richtig zu beurteilen. Mir erscheint alles möglich, bis hin zum Sturz des Regimes. Aber es könnte auch sein, daß in ein, zwei Wochen alles vorbei ist, so wie bei den Studentenunruhen 1999.
Zitat von ZettelMir erscheint alles möglich, bis hin zum Sturz des Regimes. Aber es könnte auch sein, daß in ein, zwei Wochen alles vorbei ist, so wie bei den Studentenunruhen 1999.
Möglich ist vieles. Momentan zeigen die eigentlich als besonders prowestlich anzusehenden Twitterfeeder aber kein Interesse an einem Sturz des Wächterrates. Sie wollen Neuwahlen.
Man sieht, daß dort Khamenei und AN gestürzt werden sollen, daß die Sittenpolizei aufgelöst werden soll, daß die staatlichen Strukturen aber ansonsten erstmal erhalten bleiben sollen. Wächterrat und oberster Religionswächter inklusive. Inwiefern dieses Manifesto nur eine Minderheit vertritt, kann man derzeit nicht wissen.
Klug und fleißig - Illusion Dumm und faul - das eher schon Klug und faul - der meisten Laster Dumm und fleißig - ein Desaster The Outside of the Asylum
Zitat von califaxDer Wunsch nach einem Systemwechsel wird überschätzt.
Schon - aber der Appetit kommt beim Essen.
Zettel hat ja schon Beispiele genannt: Es gibt bei solchen Umwälzungen fast nie einen Masterplan, der das Ende fest im Blick hat.
Sondern es geht erst einmal nur um Reformen innerhalb des Systems (mehr wagt man gar nicht zu denken), und dann kommen immer neue Ideen dazu. Und eine solche Umwälzung hat dann eine Chance, wenn das Regime glaubt, durch Zugeständnisse bei den Reformen Druck aus dem Kessel lassen zu können um sich damit wieder zu stabilisieren. Und dabei oft den Punkt verpaßt, wo man die Entwicklung noch einfangen kann.
Zitat von califaxMomentan zeigen die eigentlich als besonders prowestlich anzusehenden Twitterfeeder aber kein Interesse an einem Sturz des Wächterrates.
Sie zeigen es nicht (weil das Selbstmord wäre), aber das heißt nicht, daß sie es nicht haben!
Solange sie Änderungen innerhalb des Systems fordern, können sie auf Unterstützung von Leuten hoffen, die einflußreich sind, aber sich Machtgewinn erhoffen. Eine komplette Konfrontation mit dem System würde die Opposition nicht überstehen, dazu ist sie noch viel zu schwach.
In Antwort auf:Man sieht, daß dort Khamenei und AN gestürzt werden sollen, daß die Sittenpolizei aufgelöst werden soll, daß die staatlichen Strukturen aber ansonsten erstmal erhalten bleiben sollen.
Das wäre ja schon sehr viel: Die beiden obersten Machthaber gestürzt und die stärksten Regimestützen beseitigt. Wer immer dann nachkommt, wäre deutlich schwächer als die jetzige Spitze, dem kann man dann weitere Forderungen stellen.
In Antwort auf:Inwiefern dieses Manifesto nur eine Minderheit vertritt, kann man derzeit nicht wissen.
Richtig. Wobei in solchen Situation ja nur Minderheiten am agieren sind (auch das Regime ist ja eine solche) - die Frage ist, wer sich durchsetzt.
In Antwort auf:1968 in der CSSR - Ungelt würde uns das genauer erklären können
Da gibt es, glaube ich, nichts zum "genauer erklären" ;-) Genau so sehe ich es auch - wenn die Diktatur eine Unsicherheit zeigt, einen inneren Widerspruch offenbart, ist es wohl immer eine gute Gelegenheit den Grundstein dieser Umwälzungsdynamik zu legen. Es geht darum, den eigenen Leuten die Angst zu nehmen, und den Opportunisten den Eindruck zu vermitteln, daß sie möglicherweise auf der Verliererseite stehen könnten.
Zitat von Ungelt Es geht darum, den eigenen Leuten die Angst zu nehmen, und den Opportunisten den Eindruck zu vermitteln, daß sie möglicherweise auf der Verliererseite stehen könnten. Gruß Ungelt
Ja, das sind wohl zwei wichtige Punkte, lieber Ungelt. Man muß ja nicht nur äußere Widerstände überwinden, man muß auch sich selbt überwinden, um gegen Regeln zu verstoßen. Und es gibt immer viele, die sich den stärkeren Bataillonen anschließen.
Ein bißchen - auf einer ungleich harmloseren Ebene - habe ich das an der Uni ab 1966 erlebt. Anfangs die kleine Regelverletzung - am erscheint zum Beispiel im Pullover zur Prüfung, statt im schwarzen Anzug. Dann massivere Abweichungen - jemand meldet sich in der Vorlesung und erklärt diese für schlecht. Bis man sich dann traut, das ganze "System" in Frage zu stellen.
Das kostet viel Überwindung. Mir ist damals aufgefallen, daß zB diejenigen, die in Versammlungen kess auftraten, die Höflichkeit selbst waren, sobald sie dem Professor persönlich gegenüberstanden.
Wichtig war die aufgeheizte Atmosphäre von Demos, Sit-Ins usw. Da sank die Hemmschwelle, ungefähr wie im Karneval.
Zitat von R.A.Sondern es geht erst einmal nur um Reformen innerhalb des Systems (mehr wagt man gar nicht zu denken), und dann kommen immer neue Ideen dazu.
Und eine solche Umwälzung hat dann eine Chance, wenn das Regime glaubt, durch Zugeständnisse bei den Reformen Druck aus dem Kessel lassen zu können um sich damit wieder zu stabilisieren. Und dabei oft den Punkt verpaßt, wo man die Entwicklung noch einfangen kann.
Ich finde, das ist eine spannende Frage - wovon hängt es ab, ob das eine oder das andere eintritt? Oder ist das ein chaotisches Geschehen, nicht steuerbar und nicht vorhersehbar?
Ein entschlossenes Regime, so unpopulär es auch ist, wird fast immer eine Revolution niederschlagen können. An dieser Entschlossenheit der Fürstenhäuser ist die deutsche Revolution von 1848 gescheitert; ebenso sind die Revolutionen von 1953, 1956, 1968 im Ostblock an der Entschlossenheit des kommunistischen Systems gescheitert.
Meist ist eine herrschende Schicht wohl müde, ausgelaugt, unentschlossen, wenn eine Revolution gelingt. Wie der Hof von Versailles 1789, wie die Romanows, wie der schon todkranke Schah im Persien.
Dann dürfte es auch eine entscheidende Rolle spielen, ob die Karrieristen des alten Systems sich ausrechnen, auch in einem neuen wieder oben zu schwimmen. Ob es sich also auszahlt, ein Wendehals zu sein. Die Leichtigkeit, mit der der Kommunismus 1989 zusammenbrach, dürfte zB mit an einem solchen Kalkül vieler liegen. Auch der Zusammenbruch des Franco-Regimes oder des Regimes der griechischen Obristen.
Was folgt daraus für den Iran? Die Mullahs dürften, ähnlich wie der Adel nach 1789, kaum eine Chance haben, nach einer Revolution ihre Pfründe zu behalten. Sie sind ja eine wirkliche Ausbeuterklasse im strengen Sinn des Wortes. Also werden sie kämpfen. Schwer zu beurteilen ist, ob sie dazu die Kraft haben, die Virtù des Machiavelli. Wie verbraucht, wie korrupt, wie müde ist diese Herrschende Klasse?
Zitat von Hajo Ein guter Freund von mir ist in der DDR aufgewachsen. Bei jedem Anlaß, zu dem es in der Bundesrepublik seit der Einheit zu öffentlichem Aufruhr kommt, fühlt sich mein guter Freund bemüßigt zu äußern, daß sowas "damals" völlig undenkbar gewesen wäre. Niemand sei auf die wahnsinnige Idee verfallen, er könne einen VoPo-Trabanten umstoßen, gar anzünden, oder mit Wurfgeschossen gegen die kasernierte VoPo vorgehen. Stets muß ich nicken und ihm recht geben. Der Punkt ist nun, daß die DDR, ich weiß sie könnten da gut anderer Meinung sein, verglichen mit anderen totalitären Regimen eben immer noch am unteren Ende der Skala zu finden war. Wenn nun im Iran ein derartiger Aufruhr ausbricht, die Menschen also wenig Angst zu haben scheinen, daß ihnen aus ihrer Rebellion handfeste Nachteile erwachsen, dann würde ich daraus ableiten, daß der Grad an Totalitarismus im Iran möglicherweise in der westlichen Presse weit übertrieben wird und deutlich unter dem der DDR liegen könnte, die, wenn man die Wahlergebnisse im Osten anschaut, im Anteil von etwa einem Drittel ihre DDR ja wiederhaben zu wollen scheinen...
Als gelernter DDR-Bürger würde ich das schon etwas anders einschätzen. Aufstand hatte solange keinen Sinn, wie sich eine große Anzahl "Vorteile" vom Leben in der DDR versprachen (zur Klarstellung "Vorteile" bedeutete nicht vom System überzeugt sein). Diese "Klarkommer" (ich nenne die einfach mal so ohne weitere Definition) hatten sich natürlich besonders im Staatsapparat breit gemacht. Erst als diese nicht mehr der Meinung waren, dass sie sich Vorteile verschaffen können, ist das System zusammengebrochen. Letztendlich ging es um Bananan (wie der gute Schily damals sehr scharf erkannt hatte). Ich bin der Überzeugung, dass es auch in der ehemaligen Sowjetunion so gelaufen ist (da ging es nich nur um Bananen - eher um z.B. Diamantminen und Ölvorkommen) - die schönen Geschichten von edlen Parteigenossen, die zu richtig guten Demokraten geläutert wurden, glaube ich nicht (ist aber ne schöne Geschichte!). Natürlich gab es auch in der ehemaligen DDR (wie sicher auch in der Sowjetunion) viele freiheitsliebende Menschen, die durch ihren Mut und viel persönliches Risiko den Umsturz zumindest beschleunigt haben (eventuell sogar den entscheidenden Impuls gegeben haben - sie gaben ein Vorbild - die Leute trauten sich Bananen zu fordern) - Widerstand ist immer vielschichtig. Diese Leute bedürfen in Diktatoren unbedingt der moralischen Unterstützung von außen!!! Deshalb halte ich es für dringend erforderlich, stets auf Freiheit und Menschenrechte hinzuweisen. Auf irgend welche Mätzchen von Diktatoren sollten wir da nicht hereinfallen!
Zitat von FRDanach waren alle neun Zwischenergebnisse, die Innenminister Sadeq Mahsuli in der Nacht von Freitag zu Samstag bekannt gab, vorab geschrieben und geplant worden. In Wirklichkeit aber hat nach diesen Angaben Mussawi die Wahl haushoch gewonnen - und zwar mit 21,3 Millionen Stimmen, das entspricht 57,2 Prozent. Ahmadinedschad erhielt nur 28 Prozent. Auf dem dritten und vierten Platz landeten Mohsen Rezai mit 7,2 Prozent und Mehdi Karrubi mit sechs Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 81 Prozent.
Zitat von Spiegel-OnlineLaut Opposition erzielte Mussawi dagegen mit 38,9 Prozent (19 Millionen Stimmen) den ersten Platz, Platz zwei erreichte Karrubi mit 27,3 Prozent (13 Millionen Stimmen), erst dann kam Ahmadinedschad mit 11,6 Prozent auf den dritten Platz und schließlich Resai mit 7,7 Prozent (3,75 Millionen) auf Rang vier.
Zitat von ZettelSo werden halt diese und jene Zahlen verbreitet.
Lieber Zettel,
man kann sogar sicher davon ausgehen, daß noch nicht einmal die Wahlfälscher die genauen Ergebnisse kennen. Wo dann die drei signifikanten Ziffern der genannten Werte herkommen sollen, ist wohl wirklich ein Rätsel. Aber es kommt ja auch nicht auf die wahren Ergebnisse an, sondern auf das, was geglaubt wird. Und darüber wissen wir genauso wenig.
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