Es ist wieder so weit: Gestern hat in Frankreich die schriftliche Prüfung zum Bac begonnen; wie immer mit dem Philosophieaufsatz. Zeit also für meinen traditionellen Artikel.
Die Themen kommen mir zum Teil recht interessant vor. Ich lade also dazu ein, nicht nur über das Bac zu diskutieren und die Antworten der Politiker, sondern - vielleicht besteht ja Interesse - auch über das eine oder andere dieser Themen.
Ich hab da einigee Fragen zur Übersetzung (ich kann gar kein Französisch):
# L'objectivité de l'histoire suppose-t-elle l'impartialité de l'historien? Bedingt die Objektivität der Geschichte die Unparteilichkeit des Historikers?
Wie ist hier das Ursache-Wirkung-Schema? Sagt das: a) Die Geschichte ist ein objektiver Fakt, was geschehen ist, ist nunmal so geschehen. Deshalb muss der Historiker unparteilich sein, so wie es z.b. ein Mathematiker gegenüber der Mathematik ist. b) Damit man zu einem objektiven Urteil über und überhaupt zu einer Feststellung der Geschichte kommen kann, muss der Historiker unparteilich sein.
# Le langage trahit-il la pensée? Ist die Sprache eine Verräterin des Denkens?
Ist hier eine direkter Ansatz, eine bestimmte Theorie gemeint, oder ist das absichtlich einfach völlig offen, sodass man auch völlig unterschiedliche Ansätze wählen kann? Ich sehe da direkt z.b. die Unterscheidung zwischen der Sprache die ein Individuum verwendet und die Rückschlüsse die auf sein Denken möglich sind, die Sprache von einem linguistischen Standpunkt aus indem sie allein durch ihre Beschaffenheit in gewisser Wechselwirkung mit dem Denken steht, oder noch ein Ansatz: Verräterin ist wörtlich gemeint und der Gedanke wird durch die Umwandlung in die Sprache gewissermaßen verstümmelt und ist nicht mehr derselbe.
Naturwissenschaftlicher Zweig:
# Est-il absurde de désirer l'impossible? Ist es absurd, das Unmögliche zu erstreben?
Das passt natürlich gut zu einem recht politischen Blog und der Frage ob man eher dem realistischen Kompromiss oder dem idealistischen Ziel zustreben sollte und was von beiden uns näher zum "Ziel" führt. Oder wie einer der franz. Politiker es wohl auch mit meinte: Das Streben nach Glück ist ja gewissermaßen so etwas. Egal wie toll mein Leben ist, es gibt immer etwas was mich noch glücklicher machen würde und wonach ich strebe. Ohne Ende. ;)
# Y a-t-il des questions auxquelles aucune science ne répond? Gibt es Fragen, auf die keine Wissenschaft eine Antwort hat?
Nicht, wenn die Frage sinnvoll bleiben soll. "Was befindet sich außerhalb der menschlichen Vorstellungskraft?" zum Beispiel halte ich nicht für eine sinnvolle Frage.
Wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Zweig:
# Que gagne-t-on à échanger? Was gewinnt man durch den Austausch?
Ist das im französischen genauso allgemein wie im deutschen? Also bezieht es sich z.b. auch auf den Gedankenaustausch und nicht nur den Warenaustausch? (Ok, Gedanken können auch Waren sein, aber ich bin mir halt unsicher wieviel die Begriffe jeweils umfassen.)
# Le développement technique transforme-t-il les hommes ? Verändert die technische Entwicklung die Menschen?
Wieder Probleme mit den Begriffen; eine Veränderung so wie jede Erfahrung einen Menschen etwas verändert oder direkt eine Veränderung des Menschseins ansich?
Zitat von JoradIch hab da einigee Fragen zur Übersetzung (ich kann gar kein Französisch)
Das sind, lieber Jorad, alles ausgezeichnete Fragen. Die meisten sind allerdings Fragen zum jeweiligen Thema, nicht zur Übersetzung. Dh das Thema ist in der Originalformulierung so unbestimmt, wie ich es in der Übersetzung auszudrücken versucht habe.
Zitat von Jorad: # L'objectivité de l'histoire suppose-t-elle l'impartialité de l'historien? Bedingt die Objektivität der Geschichte die Unparteilichkeit des Historikers? Wie ist hier das Ursache-Wirkung-Schema? Sagt das: a) Die Geschichte ist ein objektiver Fakt, was geschehen ist, ist nunmal so geschehen. Deshalb muss der Historiker unparteilich sein, so wie es z.b. ein Mathematiker gegenüber der Mathematik ist. b) Damit man zu einem objektiven Urteil über und überhaupt zu einer Feststellung der Geschichte kommen kann, muss der Historiker unparteilich sein.
Genau über diesen Punkt habe ich nachgedacht, als ich nach der Übersetzung gesucht habe. Das französische "supposer" hat einen breiteren Bedeutungshof als das englische "to suppose". Wie dieses kann es "vermuten" bedeuten; aber es bedeutet auch voraussetzen. Sub-ponere steckt ja darin, nehme ich an. Also wörtlich darunterstellen.
Ich war froh, als ich "bedingen" gefunden hatte. Denn damit bleibt im Deutschen die Doppeldeutigkeit erhalten, die auch in der französischen Formulierung steckt; genau wie Sie sie beschreiben.
Allerdings kann man die beiden Aspekte sozusagen dialektisch vereinbaren, wenn man sich auf den Standpunkt stellt, daß die Objektivität der Geschichte ihrerseits ein Produkt der Geschichtsschreibung ist: Wir wissen von keiner Geschichte außer der aufgeschriebenen. Dann entsteht diese Objektivität erst durch den unparteilichen Historiker (Ihre Bedeutung b); zugleich fordert das Streben nach Objektivität diesen aber auch (Ihre Bedeutung a).
Zitat von Jorad: # Le langage trahit-il la pensée? Ist die Sprache eine Verräterin des Denkens? Ist hier eine direkter Ansatz, eine bestimmte Theorie gemeint, oder ist das absichtlich einfach völlig offen, sodass man auch völlig unterschiedliche Ansätze wählen kann? Ich sehe da direkt z.b. die Unterscheidung zwischen der Sprache die ein Individuum verwendet und die Rückschlüsse die auf sein Denken möglich sind, die Sprache von einem linguistischen Standpunkt aus indem sie allein durch ihre Beschaffenheit in gewisser Wechselwirkung mit dem Denken steht, oder noch ein Ansatz: Verräterin ist wörtlich gemeint und der Gedanke wird durch die Umwandlung in die Sprache gewissermaßen verstümmelt und ist nicht mehr derselbe.
Auch hier läßt die französische Formulierung beide Interpretationen zu. Die wörtliche Übersetzung ist "Verrät die Sprache das Denken?" Das würde aber im Deutschen nur zu der einen Interpretation führen: "Gibt die Sprache etwas über das Denken preis?" Im Französischen schwingt aber die andere Bedeutung mit "Übt die Sprache Verrat am Denken?" Ich habe in meiner Übersetzung diese Doppeldeutigkeit zu erhalten versucht.
Auch hier kann man von der Doppeldeutigkeit wieder zu einer Einheit auf höherer Ebene kommen: Wenn man Verrat übt, dann verrät man ja auch etwas im Sinn von mitteilen. Ich würde, wenn ich dieses Thema gewählt hätte, ungefähr so argumentieren: Auf den ersten Blick scheinen das zwei gegensätzliche Bedeutungen zu sein. Aber ist es nicht so, daß die Sprache das Denken konkret macht? Daß aus dem noch unbestimmten, reichen Gedanken dadurch, daß man ihn in Worte faßt, etwas Engeres, Bestimmteres, Einseitigeres wird? Dadurch kann der Gedanke aber überhaupt erst mitgeteilt werden. Er ist nicht länger ineffabile, unaussprechlich. Aber indem er so eingeengt wird, begeht die Sprache zugleich Verrat an dem Gedanken, indem sie ihn eben in etwas verwandelt, was er gar nicht ist.
Zitat von Jorad: # Y a-t-il des questions auxquelles aucune science ne répond? Gibt es Fragen, auf die keine Wissenschaft eine Antwort hat? Nicht, wenn die Frage sinnvoll bleiben soll. "Was befindet sich außerhalb der menschlichen Vorstellungskraft?" zum Beispiel halte ich nicht für eine sinnvolle Frage.
Sie ist aus meiner Sicht in der Tat eine absurde Frage. Das wird deutlich, wenn man sie umformuliert: "Wie haben wir uns das vorzustellen, was sich außerhalb des Vorstellbaren befindet?" Aber da bin ich schon fast bei Kant, über den ja noch (jaja, lieber Gorgasal!) eine Diskussion ins Haus steht ...
Zitat von Jorad: # Que gagne-t-on à échanger? Was gewinnt man durch den Austausch? Ist das im französischen genauso allgemein wie im deutschen? Also bezieht es sich z.b. auch auf den Gedankenaustausch und nicht nur den Warenaustausch? (Ok, Gedanken können auch Waren sein, aber ich bin mir halt unsicher wieviel die Begriffe jeweils umfassen.)
Ja, das ist genauso allgemein.
Zitat von Jorad: # Le développement technique transforme-t-il les hommes ? Verändert die technische Entwicklung die Menschen? Wieder Probleme mit den Begriffen; eine Veränderung so wie jede Erfahrung einen Menschen etwas verändert oder direkt eine Veränderung des Menschseins ansich?
Auch das bleibt offen.
Ihre klugen Anmerkungen, lieber Jorad, haben mich erst richtig darauf aufmerksam gemacht, daß die Autoren dieser Themen offenbar solche Unschärfen bewußt eingebaut haben. Denn das regt ja zum Klären an. (Und auch das ist wieder doppeldeutig: "Der Rebbe klärt ..." )
In Antwort auf:Y a-t-il des questions auxquelles aucune science ne répond?
Wenn wir diese Frage unter wissenschaftlichen, pragmatischen Gesichtspunkten betrachten, gibt es sehr wohl Fragen, auf welche die die Wissenschaft - jedenfalls zur Zeit - keine Antwort weiss. Die Frage lautete ja nicht: Gibt es Fragen auf welche die Wissenschaft nie eine Antwort finden wird? Spontan fallen mir ein: Wie gross ist das Weltall und was kommt ausserhalb des Weltalls? Was verursacht die Klimaschwankungen der Erde? Gibt es einen Gott - oder - ist die Evolution geplant oder zufällig?
Ich als Naturwissenschaftler hätte die grösste Mühe mich mit solchen philosophischen Themen zu beschäftigen und wäre wohl beim Bac schon mit meiner beruflichen Karriere am Ende gewesen. Glücklicherweise war Philosophie nicht Teil meines Curriculums und ich wurde trotzdem an der Universität zugelassen.
Zitat von vivendi welche die Wissenschaft nie eine Antwort finden wird? Spontan fallen mir ein: Wie gross ist das Weltall und was kommt ausserhalb des Weltalls? Was verursacht die Klimaschwankungen der Erde? Gibt es einen Gott - oder - ist die Evolution geplant oder zufällig?
Die Groesse des Weltalls ist eine Frage, auf die die Wissenschaft eine antwort geben k9oennte. (irgendwann, vielleicht nauch schon heute, ich bin gerade zu kurz angebunden das laenger auszufuehren) Die Frage nach dem Ausserhalb stellt sich derzeit nicht, aber spekulative theorien (zettel nannte es letztens multiversen) koennen davon eine idee vermitteln.
Klimadings: kann die wissenschaft selbstverstaendlich frueher oder spaeter hinrei8chend beantworten.
Gott: das muss die wissenschaft der theologie beantworten und nicht die physik.
Evolution: hier vermute ich, dass die Biophysik in den naechsten jahren, jahrzenten und jaehrhunderten viele antworten liefern wird. das 'warum' wird imho aber eher offen bleiben und knuepft an die frage nach gott an.
Zitat von DagnyGott: das muss die wissenschaft der theologie beantworten und nicht die physik.
Aber sciences sind im Französischen meines Wissens explizit nur die Naturwissenschaften, wie im Englischen auch... Theologie ist eine Wissenschaft, aber keine science.
-- Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009
Lieber Zettel, vielen dank fuer diesen blick nach frankreich - ich selber bin nicht so frankophil und freue mich deshalb von ihnen immer wieder darueber zu lesen.
Mich stoert ein wenig, dass diese Philosophiethemen letztlich Ausdruck eines reinen Bildungsbuergertums und linksintellektuellem Denkens sind. Die technische Denkschule und die kaufmaennische Denkschule scheinen mir in Frankreich bei den Absolventen die die Elite des Landes von morgen darstellen zu kurz zu kommen, selbst wenn es Wissenschaftsphilosophische und Wirtschaftsphilosophische themen sind: es sind letzlich philosophische Themen!
Etwas zu7gespitzt fuehrt es auf die Frage 'was muss man wissen o. koennen' = philosophie, technik, kaufmaennisches handwerk (mist, ich finde auf dieser tastatur gerade das Fragezeichen nicht
Zitat von DagnyGott: das muss die wissenschaft der theologie beantworten und nicht die physik.
Aber sciences sind im Französischen meines Wissens explizit nur die Naturwissenschaften, wie im Englischen auch... Theologie ist eine Wissenschaft, aber keine science.
Dann ist die Frage ja aus sicht der science beantwortet, oder nicht.
Zitat von DagnyMich stoert ein wenig, dass diese Philosophiethemen letztlich Ausdruck eines reinen Bildungsbuergertums und linksintellektuellem Denkens sind. Die technische Denkschule und die kaufmaennische Denkschule scheinen mir in Frankreich bei den Absolventen die die Elite des Landes von morgen darstellen zu kurz zu kommen, selbst wenn es Wissenschaftsphilosophische und Wirtschaftsphilosophische themen sind: es sind letzlich philosophische Themen!
Die aber mit unterschiedlichen Gewichten in die Endnote eingehen - ohne jetzt die genaue Rechnung zu kennen, sind die coefficients 7 im geisteswissenschaftlichen Zweig, 3 bei den (Natur-)Wissenschaftlern und 4 bei den Sozialwissenschaftlern. Das erscheint mir recht und billig, solch einen Aufsatz sollte auch ein angehender Ingenieur hinbekommen - genauso wie ein angehender Historiker bitteschön auch Ahnung von Stochastik haben.
Vielleicht sucht uns Zettel noch die Mathematikaufgaben heraus?
-- Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009
In Antwort auf:Y a-t-il des questions auxquelles aucune science ne répond?
Wenn wir diese Frage unter wissenschaftlichen, pragmatischen Gesichtspunkten betrachten, gibt es sehr wohl Fragen, auf welche die die Wissenschaft - jedenfalls zur Zeit - keine Antwort weiss. Die Frage lautete ja nicht: Gibt es Fragen auf welche die Wissenschaft nie eine Antwort finden wird?
Das bleibt offen. Die Fragen in den Themen sind eben (offenbar absichtlich) unscharf formuliert.
Zitat von vivendiGibt es einen Gott - oder - ist die Evolution geplant oder zufällig?
Das scheinen mir, lieber Vivendi, Fragen auf sehr unterschiedlichen Ebenen zu sein.
Die Frage nach Gott ist keine empirische Frage. Es ist eine jener Fragen, die zu beantworten die Möglichkeiten unseres Erkenntnisapparats übersteigt. Es gibt schlechterdings keinen Weg, zu wissen, wie die Antwort lautet. Kant hat das gezeigt; u.a. indem er nachgewiesen hat, daß Gottesbeweise keinen Beweischarakter haben.
Die Evolution hingegen ist Gegenstand unserer Erfahrung. Wir können sie, wie jeden Erfahrungsgegenstand, zu verstehen versuchen. Allerdings zweifle ich daran, daß die Antwort "geplant" falsifizierbar ist. "Zufall" ist andererseits bekanntlich nur ein Wort für das, was wir nicht erklären können. Die Evolutionstheorie wird aber immer mehr erklären können.
Zitat von vivendiIch als Naturwissenschaftler hätte die grösste Mühe mich mit solchen philosophischen Themen zu beschäftigen und wäre wohl beim Bac schon mit meiner beruflichen Karriere am Ende gewesen. Glücklicherweise war Philosophie nicht Teil meines Curriculums und ich wurde trotzdem an der Universität zugelassen.
In Frankreich ist Philosophie eben in der Oberstufe ein Pflichtfach für alle Zweige. Ich finde das ausgezeichnet und würde es mir auch für Deutschland wünschen; nur scheitert das schon daran, daß kaum ein Studienrat eine Ahnung von Philosophie hat.
Die Philosophie ist ja keine Wissenschaft neben den anderen, sondern eine Metawissenschaft. Gerade die moderne Analytische Philosophie ist das. (Die freilich an französischen Gymnasien vernachlässigt wird, weil sie zu "angelsächsisch" ist). Jeder sollte sich deshalb für sie interessieren.
Ich bin sicher, lieber Vivendi: Wenn Sie auf dem Gymnasium einen guten Philosophie-Unterricht gehabt hätten, dann hätte Ihnen das a) Freude gemacht und b) Ihre naturwissenschaftlichen Interessen nicht nur nicht behindert, sondern sie gefördert.
Zitat von DagnyMich stoert ein wenig, dass diese Philosophiethemen letztlich Ausdruck eines reinen Bildungsbuergertums und linksintellektuellem Denkens sind.
Das sehe ich nicht so, liebe Dagny.
Was ist "Bildungsbürgertum"? Jeder sollte möglichst gebildet sein: vielleicht wird man dadurch ja zum Bürger, zum Citoyen. Das wäre doch schön, oder?
Und "linksintellektuell"? Die Fragen werden vom französischen Ministère de l'Éducation formuliert; beraten von einem Beirat. Das sind sicher nicht überwiegend Linksintellektuelle. Auch die Auswahl der zu kommentierenden Texte läßt das nicht erkennen: Diesmal der liberale Empiriker John Locke, der konservative Skeptiker und Kantianer Schopenhauer, der aristokratisch-konservative Tocqueville.
Zitat von DagnyDie technische Denkschule und die kaufmaennische Denkschule scheinen mir in Frankreich bei den Absolventen die die Elite des Landes von morgen darstellen zu kurz zu kommen, selbst wenn es Wissenschaftsphilosophische und Wirtschaftsphilosophische themen sind: es sind letzlich philosophische Themen!
Ja, natürlich, denn das Fach ist nun einmal Philosophie. Aber das ist ja nur eines von vielen Prüfungsfächern. Im naturwissenschaftlichen und im wirtschaftlich-gesellschaftlichen Zweig lernen die Gymnasiasten natürlich vieles Andere. Und anders als in Deutschland gibt es in Frankreich sogar ein Technologisches Abitur; die Themen für diese Prüfung in Philosophie waren nur in dem Artikel im Nouvel Observateur noch nicht enthalten. In meinem Artikel im letzten Jahr habe ich die damaligen berichtet.
Zitat von DagnyEtwas zugespitzt fuehrt es auf die Frage 'was muss man wissen o. koennen' = philosophie, technik, kaufmaennisches handwerk?
Ja, das ist natürlich die Gretchenfrage. Ich beantworte sie wie die Franzosen: Egal, was man studiert - man sollte in der Lage sein, ein Problem abstrakt, auf seine Weiterungen und seinen Kontext hin zu durchdenken.
Das lernt man im Philosophieunterricht. Also sollte er Pflicht sein für alle. Aber wie ich gerade in der Antwort an Vivendi geschrieben habe - in Deutschland gibt es dazu keine Chance, weil ja kaum jemand von den Studienräten eine Ahnung von Philosophie hat.
Ich habe das Abitur auf einem "fortschrittlichen" (dh fest in der Hand der SPD befindlichen) Gymnasium in Hessen gemacht. Philosophie war kein Pflichtfach, aber man konnte sie in der Oberprima freiwillig wählen. Der Direktor persönlich ließ es sich nicht nehmen, "seinen Primanern" diesen Unterricht zu erteilen.
Er hatte von Philosophie keinen Schimmer. Also wich er ins Bedeutend-Allgemeine aus.
Zitat von GorgasalVielleicht sucht uns Zettel noch die Mathematikaufgaben heraus?
Hier, lieber Gorgasal, ist der Zeitplan des Abiturs.
Die Geistes- und Sozialwissenschaftler haben heute Vormittag die Mathe-Klausur geschrieben. Die Naturwissenschaftler schreiben sie erst kommenden Dienstag.
Ich habe ja erst vor 3 Jahren in Sachsen mein Abitur gemacht und im Fach Ethik hatten wir etwas ähnliches. Es war eine Art Geschichte der Philosophie; man wandert durch die Geschichte und berühmten Philosophen und behandelt sie jeweils 1-2 Stunden und bespricht dabei ihre wichtigsten Thesen. Wie anders muss man sich denn ein direktes Fach Philosophie vorstellen? Ich fand den Unterricht recht erfrischend, hab mich aber zu dem Zeitpunkt nicht wirklich dafür interessiert - das lag zum Teil auch an der Lehrerin die zwar nicht dumm war, aber doch auch recht eng in den Grenzen des Lehrplans gearbeitet hat und nicht wirklich dafür begeistern konnte, wohl auch weil sie selbst nicht sonderlich davon begeistert war. ;)
Richtige Aufsätze haben wir dort nicht geschrieben, aber Arbeiten bestanden im Grunde aus kleinen Aufsätzen; 3-4 Fragen in denen man sich zu dem jeweiligen Philosophen/Thema positionieren konnte.
Wenn man die Studie der Religionen (die man in den kleineren Jahrgängen macht) aus Ethik z.b. Richtung Geschichte verlegt (hoffe ich trete keinem auf den Fuß) und Ethik zu Philosophie macht, kann man vielleicht auch das Fach Deutsch etwas entlasten und eher auf Sprache+Literatur beschränken anstatt da ständig knapp an der Philosophie vorbeischrammen zu müssen (ohne nötiges Grundwissen dazu zu vermitteln.)
Nachtrag: Als ich eben weiter nach Sites zum Mathe-Bac gesucht habe, bin ich hierher gelangt.
Das gibt einen Eindruck davon, mit welchem Aufwand sich französische Abiturienten auf das Bac vorbereiten. Die Schule ist nur das Standbein. Daneben belegen viele Gymnasiasten Kurse bei Lehrern, die sich damit nebenher Geld verdienen. Ungefähr wie bei uns die Jura-Studenten, die zum Repetitor gehen.
Und wie man an der Site sieht, hat sich das inzwischen zum Teil ins Internet verlagert.
Also ich hätte keine Lust auch nur eine dieser Fragen (die Textinterpretationen mal beiseite ) zu beantworten. So wie ich Lehrer kenne - und die Antworten der Politiker deuten in die selbe Richtung - wird da nichts als die Fähigkeit des Schwafeln abgefragt. Vermutlich wird erwartet, dass man in den Antworten genauso unbestimmt bleibt wie die Fragen es sind und redet ohne was zu sagen.
Beispielsweise würde ich "Ist es absurd, das Unmögliche zu erstreben? " beantworten mit: Selbstverständlich ist es absurd, das Unerreichbare erreichen zu wollen. Punkt! Aufsatz zu Ende.
In Antwort auf:So wie ich Lehrer kenne - und die Antworten der Politiker deuten in die selbe Richtung - wird da nichts als die Fähigkeit des Schwafeln abgefragt.
Das war, ehrlich gesagt, auch mein Eindruck. Bei solch diffusen Fragen kann ich mir zudem wirklich kein zuverlässiges Benotungsverfahren vorstellen.
Zitat von dirkAlso ich hätte keine Lust auch nur eine dieser Fragen (die Textinterpretationen mal beiseite ) zu beantworten. So wie ich Lehrer kenne - und die Antworten der Politiker deuten in die selbe Richtung - wird da nichts als die Fähigkeit des Schwafeln abgefragt. Vermutlich wird erwartet, dass man in den Antworten genauso unbestimmt bleibt wie die Fragen es sind und redet ohne was zu sagen.
Beispielsweise würde ich "Ist es absurd, das Unmögliche zu erstreben? " beantworten mit: Selbstverständlich ist es absurd, das Unerreichbare erreichen zu wollen. Punkt! Aufsatz zu Ende.
Das halte ich dann doch für ein wenig übertrieben. Gerade mit solcherlei offenen Fragen kann immerhin jeder Kandidat in unterschiedliche Richtungen vorstoßen und sein Wissen in verschiedensten Gebieten unter Beweis stellen. Mein Problem wäre eher, hier eine Auswahl unter all den spontanen Assoziationen zu treffen, die mir da so kommen. Das Unmögliche zu erstreben kann man immerhin als die Grundkonstruktion der abendländischen Tragödie ansehen, und da kann man schon von den Griechen über die altnordischen Sagas (wenn ich anderweitig heute schon die Völuspá bemüht habe) bis hin zu Shakespeare und womöglich gar noch in der Tat französische Dramatiker heranziehen und untersuchen, wie die alle mit diesem Problem umgegangen sind.
Oder eine ganz andere Herangehensweise: woher wissen wir denn, was möglich und was unmöglich ist? Ich lese gerade ein sehr schönes Buch über die Containerisierung, die seit den 50er Jahren die Güterströme auf den Weltmeeren revolutioniert hat. Auch hier gab es genügend Leute, die eine derart fundamentale Umkrempelung der seit Jahrtausenden praktizierten Art der Stückgutverschiffung für unmöglich hielten. Was einige Pioniere nicht daran hinderte, dieses "Unmögliche" zu versuchen.
Also, in diesem Thema - und in allen anderen - steckt m.E. deutlich mehr, als man mich einem "selbstverständlich..." abkanzeln kann. Ohne ins Schwafeln zu verfallen. Außer, man hält sehr viel Kommunikation für Schwafeln.
-- Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009
Zitat von GorgasalDas Unmögliche zu erstreben kann man immerhin als die Grundkonstruktion der abendländischen Tragödie ansehen,[...] und untersuchen, wie die alle mit diesem Problem umgegangen sind.
Oder eine ganz andere Herangehensweise: woher wissen wir denn, was möglich und was unmöglich ist?
Was in beiden Fällen heisst, dass sie nicht die augeworfene Frage beantworten sondern andere, die Sie mit der ursprünglichen assoziieren. Warum ist die Banane krumm? Antwort: Die Krümmung der Banane hat in der europäischen Bürokratie eine lange Tradition. Unter Umständen kann man sich anhand des in der Fragestellung benutzten Vokabulars selber eine sinnvolle Frage zusammenbasteln, um diese dann zu beantworten. Die meisten Antworten werden jedoch unbestimmtes Geschwätz sein und von den wenigen sinnvollen ein Großteil eine ganz andere Frage beantworten. Mir gefallen diese Art Aufgaben daher nicht und glaube nicht, dass sie Zeugnis eines hohen Niveaus sind.
Vor allem sind es alles unbeantwortbare Fragen. "Bedingt die Objektivität der Geschichte die Unparteilichkeit des Historikers?" Bestenfalls kann man das Problem beschreiben aber beantworten kann man die Frage nicht und ist dennoch gezwungen seine Meinung abzugeben. Das fördert allenfalls das Heraushauen von Klischees auf Knopfdruck. Ich jedenfalls hätte eine aggressive Unlust sie zu beantworten. Wer dumm fragt, bekommt eine dumme Antwort. (Und vermutlich hätte ich eine solche gegeben, was angesichts der zu erwartenden Note wirklich dumm gewesen wäre. )
Hier ist die Klausur für den wirtschaftlich-sozialen Zweig, und zwar mit den richtigen Lösungen. Und hier die Klausur für die Geisteswissenschaftler; zur Abwechslung die Version ohne Lösungen. Die Links habe ich hier gefunden.
In Antwort auf:Schopenhauer steht in hohem Ansehen; er war auch letztes Jahr schon mit dabei.
Das ist überraschend, denn von allen Philosophen ist es Schopenhauer gewesen der die, heute würden wir sagen, "linke Laberphilosophie" ( welche bekanntlich in Frankreich mit den "Postmoderen" a la Derrida ihren Höhepunkt erreicht) am entschiedensten als das demaskiert hat, was sie ist:
In Antwort auf: Das Publikum war genöthigt worden einzusehn, daß das Dunkle nicht immer sinnlos ist: sogleich flüchtete sich das Sinnlose hinter den dunklen Vortrag.
Wie wär's denn also mal mit diesem Schopenhauer-Zitat als BAC-Thema (unter spezieller Berücksichtigung seines Bezuges zu den Werken von Hegel, Foucault, Baudrillard und Derrida )
Zitat von Bernd314Wie wär's denn also mal mit diesem Schopenhauer-Zitat als BAC-Thema (unter spezieller Berücksichtigung seines Bezuges zu den Werken von Hegel, Foucault, Baudrillard und Derrida )
Sowohl dieses als auch vergangenes Jahr gab es ja eben Schopenhauer als Thema, lieber Bernd! Beide Male ein Text aus "Die Welt als Wille und Vorstellung". Dazu das letzte Mal Kant und diesmal Locke und beide Male de Tocqueville. Alles nicht eben Schwätzer.
Ich glaube, der Einfluß der Schwätzer, die Sie nennen, auf das französische Verständnis von Philosophie wird sehr überschätzt. Alle drei Franzosen, die Sie nennen, dürften in den USA weit einflußreicher gewesen sein als in Frankreich, teilweise ja auch in Deutschland.
Gewiß, in den Cafés wurde einmal über sie diskutiert. Aber daß das wenig mit ernsthafter Philosophie zu tun hat, weiß ein halbwegs gebildeter Franzose.
Wer im Geist von Descartes und Pascal erzogen worden ist, der schätzt ja gerade kein Geschwafel. Vielleicht finde ich noch Korrekturen zu den Philosophie-Aufsätzen; das würde einen Eindruck davon geben, nach welchen Kriterien diese beurteilt werden.
Danke, lieber Jorad. Bei dem Vergleich sollte man aber berücksichtigen, daß die Aufgaben, die ich jetzt verlinkt habe, diejenigen für den geisteswissenschaftlichen und den wirtschaftlich-sozialen Zweig sind,
Also für Kandidaten, von denen die meisten bei uns die Mathematik schon abgewählt hätten (oder geht das neuerdings nicht mehr? Ich bin da leider nicht auf dem Laufenden).
In Antwort auf:Gibt es Fragen, auf die keine Wissenschaft eine Antwort hat?
Ja, solche Fragen gibt es.
Beispiel A: "Gibt es einen grünen Schwan?"
Alles was ein Wissenschaftler antworten könnte wäre "bis heute hat noch niemand einen grünen Schwan gesehen." Ob das daran liegt, dass es ein solches Tier nicht gibt oder daran, dass man halt zufällig immer in die falsche Richtung geschaut hat, wenn es über den See geschwommen ist, kann man wissenschaftlich nicht beantworten.
Allgemein: Fragen, die als Antwort eine Verifizierung erfordern, sind wissenschaftlich nicht zu beantworten.
_____________________________________
Beispiel B: "Warum beträgt die Lichtgeschwindigkeit 300.000 km/s?"
Die Physik kann lediglich feststellen, DASS ein Naturgesetz existiert oder welchen Wert eine Naturkonstante hat. WARUM es sich ausgerechnet um diesen Wert und keinen anderen handelt, erzieht sich der wissenschaftlichen Antwort. Nota bene: Das hat NICHTS damit zu tun, dass die Wissenschaft halt noch nicht so weit ist. Es ist ein grundsätzlich nicht lösbares Problem, dass die Naturgesetze selbst zwar beschrieben werden können, aber als solche "einfach da sind".
______________________________________
Beispiel C: "Was war vor dem Urknall?"
Das Universum ist im Urknall entstanden. Man kann (zumindest theoretisch) alle Vektoren von Materie, Energie usw. bis zu einem einzigen Punkt zurückrechnen. Aber ein Punkt ist ein Punkt ohne Dimension. Was davor war, kann daher allein schon aus theoretischen Gründen nicht beantwortet werden.
_______________________________________
Beispiel D: "Was ist die genaue Lage und die genaue Flugrichtung eines bestimmten Teilchens?"
Kann nicht präzise beantwortet werden. Siehe "Heisenbergsche Unschärferelation"
Vielleicht finde ich noch Korrekturen zu den Philosophie-Aufsätzen; das würde einen Eindruck davon geben, nach welchen Kriterien diese beurteilt werden.
Bitte beachten Sie diese Forumsregeln: Beiträge, die persönliche Angriffe gegen andere Poster, Unhöflichkeiten oder vulgäre Ausdrücke enthalten, sind nicht erlaubt; ebensowenig Beiträge mit rassistischem, fremdenfeindlichem oder obszönem Inhalt und Äußerungen gegen den demokratischen Rechtsstaat sowie Beiträge, die gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Hierzu gehört auch das Verbot von Vollzitaten, wie es durch die aktuelle Rechtsprechung festgelegt ist. Erlaubt ist lediglich das Zitieren weniger Sätze oder kurzer Absätze aus einem durch Copyright geschützten Dokument; und dies nur dann, wenn diese Zitate in einen argumentativen Kontext eingebunden sind. Bilder und Texte dürfen nur hochgeladen werden, wenn sie copyrightfrei sind oder das Copyright bei dem Mitglied liegt, das sie hochlädt. Bitte geben Sie das bei dem hochgeladenen Bild oder Text an. Links können zu einzelnen Artikeln, Abbildungen oder Beiträgen gesetzt werden, aber nicht zur Homepage von Foren, Zeitschriften usw. Bei einem Verstoß wird der betreffende Beitrag gelöscht oder redigiert. Bei einem massiven oder bei wiederholtem Verstoß endet die Mitgliedschaft. Eigene Beiträge dürfen nachträglich in Bezug auf Tippfehler oder stilistisch überarbeitet, aber nicht in ihrer Substanz verändert oder gelöscht werden. Nachträgliche Zusätze, die über derartige orthographische oder stilistische Korrekturen hinausgehen, müssen durch "Edit", "Nachtrag" o.ä. gekennzeichnet werden. Ferner gehört das Einverständnis mit der hier dargelegten Datenschutzerklärung zu den Forumsregeln.